Tennengau/Sbg: Neonazistischer Teenager verurteilt
Obergrafendorf-St. Pölten: Schuldspruch nach FB-Kommentar
Ybbs-St. Pölten: Wahrspruch der Geschworenen ausgesetzt
Graz: Anschlag auf Moschee mit Schweinekopf
Wien: Österreich wegen des juristischen Umgangs mit „unzensuriert“-Hasspostings verurteilt
Wien: Strafantrag gegen Westenthaler von Gericht abgelehnt
Linz: Eine Runen-Dose der „Freiheitlichen Jugend“?
St. Pölten: Waldhäusl liefert sich aus
Anstieg rechtsextremer Tathandlungen und Zahlenchaos
Tennengau/Sbg: Neonazistischer Teenager verurteilt
Ein erst 16-järhriger Tennengauer wurde am 6.9. wegen NS-Wiederbetätigung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Salzburger hatte via verschiedener Social-Media-Kanäle (Telegram, TikTok, Twitter) hetzerische, antisemitische und NS-glorifizierende Postings und Bilder verbreitet. Damit habe er bereits mit 14 Jahren begonnen. Zudem war er aktiver Teil einer kleinen Telegram-Gruppe gewesen sein, die sich als internationale Plattform zur Verbreitung von NS-Schriften und NSDAP-verherrlichenden Druckwerken betätigte.
Brisant ist außerdem, dass der junge Mann bereits durch Amok-Fantasien behördlich aufgefallen war:
Weiters soll der Teenager auf seinem Telegram-Account gepostet haben: „Ich habe einmal davon geträumt, in einer Schule herumzuschießen“ und „Ich möchte einmal nach Tschechien fahren, um Schusswaffen zu kaufen.“ Deshalb sei der Angeklagte für eine kurze Zeit auch in Untersuchungshaft genommen worden, erklärte die vorsitzende Richterin Christina Bayerhammer. Damals war er erst 15 Jahre alt. Er habe verbal Frust abreagiert, dass es ihm in der Schule so schlecht gegangen und er gemobbt worden sei, erzählte er am Mittwoch. (orf.at, 6.9.23)
Vor Gericht zeigte sich der Teenager reuig. Sein Verteidiger führte eine schwere Kindheit und psychische Probleme ins Treffen und merkte zudem an, der Angeklagte habe „die KZ-Gedenkstätten Mauthausen und Gusen besucht, das Unrecht eingesehen und möchte Sozialstunden machen. Er versucht, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.“ (APA zit. nach derstandard.at, 6.9.23)
Das hat dem Jugendgeschworenengericht dennoch nicht für eine Diversion gereicht. Zusätzlich zu den sechs Monaten wurde noch eine Weisung für Bewährungshilfe und Psychotherapie erteilt.
Obergrafendorf-St. Pölten: Schuldspruch nach FB-Kommentar
Eine pensionierte Obergrafendorferin wurde wegen eines bereits 2016 veröffentlichten Facebook-Kommentars nun zu einer bedingten Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Im Kommentar reagierte die Frau auf einen rassistischen Eintrag: „Schauts, dass ihr euch in Luft auflöst oder lasst euch ins Weltall schießen, Hauptsache wir sind euch endlich los. Mauthausen sollte wieder seine Türen öffnen.“ (noen.at, 6.9.23) Dass die acht Geschworenen die Pensionistin für schuldig im Sinne der Anklage (Verstoß gegen das Verbotsgesetz) befanden, überrascht eingedenk der Heftigkeit der Aussage kaum. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Ybbs-St. Pölten: Wahrspruch der Geschworenen ausgesetzt
Ein 42-jähriger Mostviertler hat sich „nicht viel dabei gedacht“, als er einen Eintrag mit dem Text „Kein einziger Jude ist durch Zyklon B umgekommen“ auf Facebook teilte. Auch bei einem von ihm eingescannten und via FB geteilten Artikel des NS-Hetzblattes „Stürmer“ gab sich der Angeklagte naiv. Für Letzteres wurde der Mann freigesprochen, für Ersteres entschied der Richter*innensenat überraschend, dass der Wahrspruch der Geschworenen widersprüchlich sei. Es ist bedauerlich, dass zu dem zentralen Moment der Verhandlung keine weiteren Informationen verfügbar sind. Eine Wiederholung der Verhandlung vor einem neu zusammengesetzten Geschworenengericht ist jedenfalls wahrscheinlich. (Quelle: kurier.at, 8.9.23)
Graz: Anschlag auf Moschee mit Schweinekopf
Unbekannte legten am Sonntagabend der Vorvorwoche (3.9.23) einen abgetrennten Schweinekopf vor einer Grazer Moschee ab. Das Landesamt für Verfassungsschutz übernahm die Ermittlungen in dieser Causa. (orf.at, 4.9.23)
In Graz war es 2016 zu einem ähnlichen rechtsextremen Anschlag gekommen, der im Jahr 2020 zur Verurteilung von drei Männern und einer diversionellen Einigung mit einer Mittäterin geführt hatte. An diesem Fall war zudem brisant, dass zwei Beamte des Heeresabwehramts von dem geplanten Anschlag gewusst, aber nichts unternommen haben. Die beiden, ein Major und ein Oberst, wurden im Jahr 2021 nicht rechtskräftig wegen Amtsmissbrauchs zu Geldstrafen verurteilt. Bei der Verurteilung ist es geblieben, wie die Strafe schlussendlich ausfiel, ist uns nicht bekannt.
Wien: Österreich wegen des juristischen Umgangs mit „unzensuriert“-Hasspostings verurteilt
Das rechtsextreme Desinformations-Projekt „unzensuriert.at“ hat nach seiner Gründung im Jahr 2009 in erster Linie von seinem Leser*innen-Forum gelebt, in dem sich auch Neonazis ziemlich ungebremst austoben durften. Initiator der Website war der FPÖ-Politiker und Olympia-Burschenschafter Martin Graf, damals im Amt des Dritten Nationalratspräsidenten. Organisiert wurde das Portal vom Beginn an durch Grafs Büroleiter, Walter Asperl (ebenso Olympia) sowie durch Alexander Höferl (Gothia), der damals als Pressesprecher von Graf fungierte.
Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Republik Österreich wegen des Umgangs mit Hasspostings zu einer Schadensersatzzahlung verurteilt. Konkret geht es um einen Text von 2016, der gegen die damalige „profil“-Redakteurin Christa Zöchling wetterte und unter dem folgende User-Kommentare zu lesen waren: „Schade, das es keine gaskammern mehr gibt!!“ und
Bild der Zielperson mit Erfolg ausgedruckt … und wurde erfolgreich als Zielscheibe verwendet – STOP Nach dem Leermachen des Glock-Magazines war leider noch ein Teil die Nase der Zielperson erkennbar – STOP Die Schrotflinte hat dann die Nase auch noch weggeputzt – STOP Allen Kameraden viel Erfolg bei eigenen Schießübungen – STOP (zit. nach derstandard.at, 5.9.23)
Zöchling wies „unzensuriert.at“ zwölf Tage nach Erscheinen auf die Postings hin, was zur Löschung führte. Zudem zeigte sie die Poster bei der Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz, gefährlicher Drohung und Aufforderung zu einer Straftat an und klagte „unzensuriert.at“ auf Schadensersatz. Die zweite Instanz (Oberlandesgericht Wien) verneinte die rechtliche Verantwortung für die Postings seitens „unzensuriert.at“. Dieses Urteil ist nach Ansicht des EGMR nicht unter einer ausreichenden Abwägung der relevanten Kriterien zustande gekommen: darunter etwa die redaktionelle Rolle der Website und der Inhalt des Artikels. Damit habe Österreich Artikel 8 der Menschenrechtskonvention über Achtung und Schutz der Privatsphäre der Journalistin verletzt. Kurz: Der Staat habe zu wenig getan, um Zöchlings Privatleben und Ruf zu schützen.
Wien: Strafantrag gegen Westenthaler von Gericht abgelehnt
SOS-Mitmensch erstattete im Juli Anzeige gegen den früheren FPÖ-Klubobmann und BZÖ-Obmann Peter Westenthaler wegen des Verdachts auf Verhetzung. Konkret geht es dabei um eine grob rassistische Aussage gegen Afghanen, die Westenthaler im oe24-Format „Fellner! live“ vom Stapel gelassen hat (siehe Rückblick KW 27–33, 29.8.23). Die Wiener Staatsanwaltschaft stellte daraufhin einen Strafantrag, den das Landesgericht Wien nun zurückgewiesen hat. Die Staatsanwaltschaft wiederum hat gegen diesen Entscheid Beschwerde erhoben. Somit bleibt der Ausgang offen. (sosmitmensch.at, 5.9.23)
Linz: Eine Runen-Dose der „Freiheitlichen Jugend“?
Ist es eine bewusste Provokation, wenn die Blitze auf einem von der „Freiheitlichen Jugend“ gestalteten Energy Drink an SS-Runen (Siguren) erinnern? Diese Frage wurde unlängst auf X (vormals Twitter) diskutiert. Nein, lautet erwartungsgemäß die Antwort von Silvio Hemmelmayr, dem Chef der Freiheitlichen Jugend Oberösterreich, gegenüber dem „Kurier“ (6.9.23). Laut Hemmelmayr handle es sich lediglich um Blitze, die Energie symbolisieren sollen. Das erinnert an das jüngst veröffentlichte Video, in dem die Freiheitliche Jugend und mit ihr auch die Partei keine rechtsextremen Codes erkennen wollten. Hemmelmayrs Landestruppe verbreitete zudem ein Meme, auf dem die offene Begeisterung für rassistische Gewalt so ausformuliert wird: „Legalize it: Pushbacks. Nichts entspannt mich so sehr wie Pushbacks.“
St. Pölten: Waldhäusl liefert sich aus
Der Zweite NÖ-Landtagspräsident Gottfried Waldhäusl (FPÖ) stimmte einem Ansuchen auf Auslieferung durch die Staatsanwaltschaft Wien zu. Es geht dabei um Erhebungen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter Wandhäusls in Zusammenhang mit Spesenabrechnungen. Ausgangspunkt war eine anonyme Anzeige, in der es auch um Rechnungen von Waldhäusls Ex-Frau, sowie seiner aktuellen Frau Cinderella geht. Er selbst kommt in der Causa als Bestimmungstäter in Frage – ein Anfangsverdacht der Untreue, des Förderungsmissbrauchs sowie des schweren Betrugs stehen im Raum.
Der rechtsextreme Politiker sparte nicht mit großspurigen Anwürfen gegen die Justiz: Er sieht eine „Hetzjagd der Staatsanwaltschaft“, die „anscheinend gerade Narrenfreiheit“ habe, und nennt die Anschuldigungen „Verleumdungen und Drecksgeschichten“, der Antrag auf Auslieferung sei „nichts als Anpatzen“ (krone.at, 10.9.23). Soweit die bekannte aggressive Opfer-Inszenierung. Es handelt sich im Waldhäusl-Fall allerdings nicht um das erste Ansuchen der Justiz. Ein Auslieferungsbegehren der Staatsanwaltschaft Wien nach einer Anzeige wegen des Verdachts auf Verhetzung wurde im Mai von ÖVP-FPÖ abgelehnt.
In seiner Zeit als Landesrat wurde Waldhäusl zudem mehrmals angezeigt. Am aufsehenerregendsten war der Fall um die Verlegung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in eine mit Stacheldraht umzäunte Unterkunft in Drasenhofen (Mistelbach) im Jahr 2018. Waldhäusl wurde Amtsmissbrauch angelastet, in einem Prozess im Jahr 2022 wurde er aber freigesprochen. Noch bekannter wurde Waldhäusl aufgrund einer arg enthemmten rassistischen Aussage, die er bei einer Ausgabe des TV-Formats „Pro und Contra“ Anfang diesen Jahres tätigte. Dort sagte er Schüler*innen mit migrantischem Familienhintergrund sinngemäß ins Gesicht, Wien wäre besser ohne sie dran. Auf eine Anzeige folgte wieder die Einstellung des Verfahrens.
Anstieg rechtsextremer Tathandlungen und Zahlenchaos
Die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz stellt seit 2017 halbjährlich eine parlamentarische Anfrage an Innen- und Justizministerium bezüglich Zahlen zu rechtsextremen Straftaten. Die nun vorliegende Antwort des Innenministeriums für das erste Halbjahr 2023 verzeichnet einen Anstieg von 20 % gegenüber der ersten Hälfte des Vorjahres.
Konkret waren unter 386 (2022 waren es 322) als rechtsextrem subsumierten Tathandlungen 358, die unter das NS-Verbotsgesetz fielen. 15 Fälle betrafen rassistische Tathandlungen, sieben antisemitische, fünf islamophobe Tathandlungen. Und eine ‚unspezifische‘ Tathandlung gab es. Rund 80 Straftaten wurden online begangen, die überwiegende Mehrzahl im öffentlichen Raum. (derstandard.at, 8.9.23)
Jedoch divergieren die Zahlen von Innen- und Justizministerium erneut beträchtlich. So verzeichnet das Innenministerium lediglich 358 Anzeigen nach dem Verbotsgesetz (und damit einen leichten Anstieg gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022), während das Justizministerium aber 1141 „Anfälle“ (angelegte Verfahren) und damit einen Rückgang gegenüber dem ersten Halbjahr 2022 registriert. Dieses Problem ist nicht neu, wie „Stoppt die Rechten“ bereits vergangenes Frühjahr aufgedeckt hat. Seit mindestens 2017 ist die Zahl aus dem Innenministerium erheblich kleiner als jene aus Justizministerium. Bei den Anzeigen/Anfällen nach dem Verhetzungsparagrafen ist die Zahl aus dem Justizministerium um fast das Achtfache höher als jene aus dem Innenressort.
Zu dem offenbar noch immer nicht aufgelösten Zahlenchaos hatte Sabine Schatz bereits im März zu Recht moniert: „Dieses Zahlenchaos ist ein klares Zeichen, dass wir uns die Verzögerung beim Rechtsextremismusbericht nicht mehr leisten können. Wir brauchen verlässliches Datenmaterial und einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, das ist die antifaschistische Pflicht der Republik.“ (derstandard.at, 13.3.23)
Bezüglich der angesprochenen Verzögerung des jährlichen Rechtsextremismusberichts, der ursprünglich früher erscheinen hätte sollen, hat sich immerhin etwas getan: Seit Juli steht fest, dass das Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) die Vergabe zur Erstellung des Berichts erhalten hat – was die FPÖ in ein veritables Trauma gestürzt hat. Der erste Bericht für die Jahre 2021 bis 2023 soll im Oktober 2024, also erst am Ende der laufenden Legislaturperiode, fertig sein.
Gelernt hat der Innenminister übrigens noch immer nicht, dass es sich bei Delikten nach dem Verbotsgesetz um keine „Vergehen“, wie es in der Anfragebeantwortung unzählige Mal steht, sondern per juristischer Definition um „Verbrechen“ handelt.