Um zu erklären, warum die FPÖ als rechtsextrem zu definieren ist, verwenden wir die Definition von Rechtsextremismus durch Willibald I. Holzer. Demnach beschreiben folgende Merkmale den Rechtsextremismus:
Volk und Volksgemeinschaft als nicht-soziologische Kategorie, sondern als ein natürlicher Organismus und als eine natürliche Gliederung der menschlichen Gesellschaft (neben der Familie). Das Volk wird so nicht als ein Konstrukt verstanden, sondern als lebendiges Wesen, das Attribute wie „gesund“, „stark“, „schwach“, „feig“ oder „mutig“ einnehmen kann. Während sich die Wertvorstellungen von Menschen und daher auch von Gruppen im Laufe der Zeit ändern können, bleibt das „Volk“ oder zumindest dessen Ideal in der Vorstellung der Rechtsextremen über die Zeiten konstant.
Ethnozentrismus, Ethnopluralismus, die Ausgrenzung des Fremden – Wo ein Volk als natürlicher Organismus beschrieben wird, das durch Ethnien, durch Rassismus und oft durch einen biologischen Rassismus beschrieben wird und wo sich Einzelne bedingungslos diesem Volk unterordnen müssen, wird der „Kampf gegen das Andere“, gegen das „Fremde“ zu einem der wichtigsten Punkt in der rechtsextremen Ideologie. In der Logik der rechtsextremen Ideologie ist ein Ethnozentrismus, wird also eine Isolation der eigenen, angenommenen Ethnie, unumgänglich, wenn das Ideal des „Volkes“ erhalten werden soll. Nicht zu dem „Volk“ gehörige Menschen gelten daher in rechtsextremen Kreisen als „widernatürliche Elemente“. Der Ethnopluralismus kennzeichnet in der rechtsextremen Ideologie dabei die oft gehörten Losungen „Asien den AsiatInnen, Österreich den ÖsterreicherInnen“ – also das Konzept des rassistisch definierten „Lebensraums“.
Antiliberalismus, Antipluralismus, Antidemokratismus – Aufgrund der natürlich angenommenen Vorstellung des „Volkes“, in der Einzelne eine ganz bestimmte Funktion einnehmen, die ab der Geburt bis zum Tode gültig ist und auch für alle der in der Zukunft lebenden Menschen festgelegt ist, ist jedes Bestreben nach einer Selbstverwirklichung des Einzelnen, einer Individualisierung eine Gefährdung des Organismus „Volk“. Aber nicht nur die Individualisierung, sondern auch Bestrebungen nach einer klassen- oder geschlechtsspezifischer Emanzipation. Emanzipation wird somit als eine Schwächung des „Volkes“ dargestellt, als eine „Entartung“ durch die „Moderne“.
Antisozialismus – Jedes Bestreben nach einem „Gleichauf“, einer Emanzipation der Menschen nicht nur innerhalb einer Gruppe, sondern auch zwischen verschiedener Ethnien und Nationen, widerspricht der rechtsextremen Definition von „Volk“. Sozialismus wird als „gemeinschaftsgefährdende Naturwidrigkeit“ beschrieben.
„Der starke Staat“ – Die erzwungene Rolle der Einzelnen innerhalb eines von der Natur aus definierten „Volkes“ und der gleichzeitigen Einsicht Rechtsextremer, dass es immer wieder zu einem Niedergang des eigenen „Volkes“ kommt, zu „Sittenverfall“, zur „Entartung“, setzt einen starken, repressiven Staat voraus. Die natürliche Ordnung des „Volkes“ ist eine hierarchische, unumstößliche – die alle Menschen eine vordefinierte Rolle gibt. Dieses Ideal der Gesellschaftsform ist antidemokratisch und repressiv gegenüber Menschen, die versuchen, sich zu emanzipieren.
Feindbildkonstrukte und Sündenböcke – Menschen, die sich dem angenommenen Willen der „Volksgemeinschaft“ entziehen, stellen sich damit auch automatisch außerhalb der Gesellschaft, versuchen ihr sogar zu schaden, da sie nicht die vorgegebene Rolle erfüllen. Derartige Bestrebungen müssen von einer rechtsextremen Ideologie entschieden bekämpft werden, da sie die eigene, rechtsextreme Ideologie gefährden. Derartige Feindbilder dienen als „Sündenböcke“, denen die Schuld an eigen verursachten Missständen gegeben werden kann.
Nationalisierende Geschichtsbetrachtung – Das Bestreben, das „Volk“ als einen natürlichen Organismus darzustellen, bedarf einer ideologisierten Geschichtsbetrachtung, die das Volk auf eine historische Wahrheit verpflichtet. Die „eigene“ Geschichte wird mythologisiert.
Die FPÖ als rechtsextreme Partei
Als Quelle der Analyse wurde das Parteiprogramm der FPÖ aus dem Jahre 2005 verwendet.
Volk und Volksgemeinschaft
In „Kapitel I — Freiheit als höchstes Gut“ führt die FPÖ folgende Begriffe ein: „Freiheit steht als höchstes Gut jedem Einzelnen und jeder natürlich gewachsenen Gemeinschaft, von der Familie bis zum Volk, unverzichtbar zu.“ Familie und Volk werden als natürlich gewachsen betrachtet, diese Form der gesellschaftlichen Strukturierung wird als naturgewollt wiedergegeben. Doch die Freiheit der Einzelnen wird gleichzeitig beschränkt: „Der Einzelmensch ist jedoch stets in eine Gemeinschaft gestellt, von der Familie bis zum Volk, die ebenfalls selbständig Träger von Freiheitsrechten ist“. Das Individuum muss sich also der „naturgewollten Ordnung“ unterordnen. „Volk“ wird als lebender Organismus selbst beschrieben, der menschliche Eigenschaften besitzt: „Familie und Volk sind organisch gewachsene Gegebenheiten […] Völker und Volksgruppen haben einen Anspruch darauf, dass ihre Lebensrechte gewahrt und die Entfaltung ihrer Eigenart auf friedliche Weise ermöglicht werden“
Ethnozentrismus, Ethnopluralismus, die Ausgrenzung des Fremden
Unter „Kapitel VI — Schicksalsgemeinschaft Europa“ schreibt die FPÖ über die „gemeinsame Schicksale verbundenen Völker“ die gemeinsam Europa darstellen: „ Europa stellt die Vielfalt von Völkern und Volksgruppen, Regionen und Staaten und staatlichen Zusammenschlüssen auf der Basis einer historisch gewachsenen Wertegemeinschaft dar.“ und „Jede dieser Volksgruppen hat das Grundrecht auf Weiterbestand, auf Schutz vor Assimilierungszwang, auf Wahrung und Entfaltung ihrer kulturellen und politischen“ Eigenart. „Volk“ und „Volksgemeinschaft“ wird dabei als natürlich angenommen, als „gewachsen. Sie können nicht „vermischt“ werden, sondern nur getrennt voneinander (wenn auch im Bund) existieren. Das ist das Konzept des „Lebensraums der Völker“. Es ist die Rede von „Siedlungsgrenzen der Völker“ als ob diese, wie die „Völker“ selbst, unveränderlich seien.
Ethnozentrismus wie auch der rechtsextreme Ethnopluralismus treten in dieser Vorstellung gleichermaßen auf. „Fremde“, die nicht Teil der als natürlich angenommen Kultur sind, werden als störend empfunden, so schreibt die FPÖ in ihrem Parteiprogramm unter „Kapitel IV — Recht auf Heimat“ und “Kapitel V — Christentum, Fundament Europas“: „Dadurch werden das Heimatland, die historisch über Jahrhunderte ansässigen Volksgruppen […] zu Schutzobjekten.“ Das Heimatland wird also zum angestammten und unveränderlichen Ort einer kulturell konstruierten Gemeinschaft Daraus resultiert: „Durch vielfältige Strömungen sind diese Grundlagen jedoch gefährdet. Der zunehmende Fundamentalismus eines radikalen Islams und dessen Vordringen nach Europa, aber auch ein hedonistischer Konsumismus, ein aggressiver Kapitalismus, das Zunehmen von Okkultismus und pseudoreligiösen Sekten und schließlich ein in allen Lebensbereichen vermehrt feststellbarer Nihilismus bedrohen den Wertekonsens, der deshalb verlorenzugehen droht.“ Das „Fremde“ in der Form anderer ethnischer und kultureller und ideologischer Gruppen wird also als Bedrohung der eigenen Wertvorstellungen gesehen. Das „Fremde“, im konkreten Fall muslimische Menschen, sind für die FPÖ eine Bedrohung und müssen unter allen Umständen ausgegrenzt werden.
Antisozialismus
Indem die FPÖ das Bild eines natürlich gewachsenen Volkes vertritt (siehe Punkt „Volk und Volksgemeinschaft“), in dem Menschen ganz bestimmte Funktionen einnehmen müssen und sich dem „Volkswillen“ unterwerfen müssen, ist für die FPÖ jegliche Emanzipationsbestrebung abzulehnen, die bisherige Gesellschaftsformen infrage stellt. Diese Ablehnung erfolgt stets im Rückgriff auf das „natürliche“ Gewachsensein der herrschenden Verhältnisse (Biologismus).
„Der starke Staat“
Unter dem Begriff des starken Staates verstehen Rechtsextreme die Durchsetzung der von ihnen angenommen „natürlichen Ordnung“. Im Kapitel IX „Recht und Ordnung“ schreibt die FPÖ: „Die Achtung vor den Freiheitsrechten aller Menschen erfordert eine Rechtsordnung“. Wie in Punkt „Volk und Volksgemeinschaft“ gezeigt, vertritt die FPÖ ein Freiheitsbild, wo sich jedeR Einzelne sich einem „Volkswillen“ unterordnen muss. Die Rechtsordnung wird, ebenso wie das „Volk“, als naturgewollt angenommen und muss dahingehend auch verteidigt werden.
Feindbildkonstrukte und Sündenböcke
Wie in Punkt „Ethnozentrismus, Ethnopluralismus, die Ausgrenzung des Fremden“ gezeigt, vertritt die FPÖ den Standpunkt, dass „hedonistischer Konsumismus, ein aggressiver Kapitalismus, das Zunehmen von Okkultismus und pseudoreligiösen Sekten und schließlich ein in allen Lebensbereichen vermehrt feststellbarer Nihilismus“ schuld seien an einer Bedrohung eines angenommenen (und in der Vorstellung der FPÖ: „natürlich gewachsenen“) Wertekonsenses. Laut FPÖ sind dadurch Werte der „Menschenwürde und der Grundfreiheiten, die daraus abgeleiteten Vorstellungen von Demokratie und Mitbestimmung und der Rechtsstaatlichkeit, die Idee der Solidarität sowie der Respekt vor dem Leben und der Schöpfung“ gefährdet. Da die FPÖ die Gemeinschaft als „naturgewachsen“ ansieht, geht sie auch davon aus, dass die Werte einer Gesellschaft natürlich sind. Veränderungen im Wertesystem von Menschen und daher in Gruppen werden von der FPÖ a priori abgelehnt, da für sie die oberste Ordnung, der sich alles unterordnet, das „Volk“ ist. Für die FPÖ(dem widersprechenden) „störende“ Elemente werden somit auch als eine Bedrohung wahrgenommen, die für den Niedergang der Gesellschaft verantwortlich ist.
Nationalisierende Geschichtsbetrachtung
In der Annahme, das „Völker“ natürlich gewachsen sein und jedem „Volk“ eine bestimmte Eigenart zukommt, muss die FPÖ auch von einer geschönten und nationalisierenden Geschichtsbetrachtung ausgehen. In „Kapitel IV – Recht auf Heimat“ liest sich das so: „Das Nebeneinander und das Zusammenwirken der verschiedenen Volksgruppen haben die Eigenart Österreichs bewirkt. Sie kann nur durch die Sicherung des Weiterbestandes der historisch ansässigen Volksgruppen erhalten werden, was gerade in Zeiten der Entwicklung überregionaler Zusammenschlüsse besonders notwendig erscheint.“ Wieder wird von einer „Eigenart“ Österreichs ausgegangen, wieder wird von einem Wechselspiel der „Eigenarten“ verschiedener Volksgruppen ausgegangen, historische Einflüsse, wirtschaftliche und gesellschaftliche, werden negiert, nicht die Menschen handeln, sondern „das Volk“, die „Volksgruppen“. Das handelnde Subjekt für die FPÖ ist die Gemeinschaft, die (auch als Trägerin von Freiheitsrechten) dem Individuum übergeordnet ist.
Warum nicht rechtspopulistisch?
Rechtspopulismus beschreibt das (angebliche) Phänomen, dass Menschen rechte Positionen einnehmen, um ihre eigene Machtposition zu stärken – z. B. PolitikerInnen, die rechte Parolen verwenden, um „dem Volk nach dem Mund zu reden“ und so WählerInnenstimmen zu bekommen. Es ist für die Analyse aber vollkommen egal, was eine betreffende Person für Motive hat: Es wird rechtsextrem agiert und argumentiert, es ist kein Unterschied erkennbar zwischen einen „Schauspiel“ und dem Ausdrücken der tatsächlichen Vorstellung – daher sollte das Handeln, das von einem rechtsextremen Handeln nicht unterscheidbar ist, auch rechtsextrem genannt werden.
Warum nicht rechtsradikal?
Und zeugt der Begriff des Rechtsextremismus nicht von einem falschen Extremismusdenken?
Oft kommt der Vorwurf, dass „Rechtsextremismus“ einen „Linksextremismus“ voraussetzt, also ein Pol einer bipolaren Welt sei und dass die Gegenseite genauso ein Extrem der Gesellschaft sei. Gleichzeitig wird allzu oft der Begriff „Rechtsradikalismus“ verwendet. Das Problem bei dieser Darstellung ist ein zweifaches Missverständnis. „Extremismus“ bezieht sich hier nicht auf eine bipolare Sicht der Gesellschaft, sondern als ein Phänomen der ins Extreme geführten konservativen Wertvorstellungen einer Gesellschaft mit einem autoritären Staat und einer ins Extreme überhöhten Idee einer (vermeintlich überlegenen) Nation. Linke Bewegungen dagegen streben nach einer Emanzipation von Menschen in einer Gesellschaft, oft verbunden mit einer Veränderung der bisherigen Gesellschaft – hier ist das Wort „radikal“ in seiner Bedeutung „von der Wurzel her“ korrekt. Ins Extrem geführte Vorstellungen einer rechten (autoritär formierten und im inneren homogenisierten) Gesellschaft sind daher als rechtsextrem zu benennen.
➡️ Andreas Peham: Zum Begriff des Rechtsextremismus (2016)
➡️ Brigitte Bailer in „Der Standard” (18.11.16): Die FPÖ und ihr Handbuch für Extremismus