Begleitet von treibend-bedrohlicher Musik beginnt das von FPÖ-TV veröffentlichte Video (YouTube, 27.8.23) mit einer Aufzählung von bekannten Chiffren rechtsextremer Untergangs-Visionen, darunter: „Massenmigration“, „Gender-Wahn“, „Kulturverlust“, „Wokeismus“, „Sprachverbote“, „Regenbogenterror“, „Islamisierung“ und „Bevölkerungsaustausch“. Letzteres ist der bekannteste Slogan der neofaschistischen Identitären: Die verschwörungsideologische und rassistische Behauptung, die „völkische Abstammungsgemeinschaft“ werde systematisch durch „Fremde“ ersetzt.
Weiter geht es mit der Behauptung, die „herrschende Politik in Europa“ sorge dafür, „dass wir keine Zukunft haben werden“. Der Untergangs-Imagination wird ein schicksalhafter letzter Abwehrkampf entgegengestellt: „Wir sind Österreichs letzte Chance – Eine Generation, ein Schicksal, eine letzte Chance“. Denn der Zeitgeist opfere „unsere Heimat und unsere Traditionen für eine multikulturelle Dystopie (…); Multikulturalismus und Bevölkerungsaustausch [würden] Einigkeit und Identität unseres Volkes zerstören“. Besonders perfide: Unter den schnell montierten Bildern ist an dieser Stelle auch die brennende Kirche Notre-Dame de Paris zu sehen, womit suggeriert wird, der Brand von 2019 sei ein durch den Multikulturalismus verursachter feindlicher Angriff gewesen.
Aber man will „das Ruder noch einmal herumreißen“ – dazu sieht man junge Männer durch den Wald marschieren. Hier wechselt das Video die Tonalität: Der bedrohliche Sound geht über in einen pathetisch-kitschigen. Man will der „Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft“ sein – dazu Bilder von Fackeln, Lagerfeuer, Landschaft und eingeblendeten Gemälden von kämpfenden (Kreuz)Rittern.
Faschisten als Vorbilder
„Politische Bildung“ wird dann als Basis für den Abwehrkampf betont. Es heißt: Wir „halten Seminare, organisieren Vorträge und veranstalten Lesekreise“. Eine schnelle Einblendung von Buchcovers gibt zu verstehen, was die Lektüre der Lesekreise sein könnte. Darunter etwa „Gegen den Liberalismus“ von Alain de Benoist, dem rechtsextremen Vordenker der französischen Nouvelle Droite, der eine Kultfigur der Identitären ist. Oder auch „Solidarischer Patriotismus“ von dem Szene-Autor und ehemaligen Neonazi („Nationale Sozialisten Chemnitz“) Benedikt Kaiser, bei Götz Kubitscheks „Antaios“-Verlag erschienen.
Es geht sogar noch deutlicher: Auch ein Buch mit dem Titel „Nationale Revolution und autoritärer Staat – drei Reden“ landet auf dem Lesekreis-Stapel. Der Autor: Oliveira Salazar, der Staatsführer des faschistischen Portugal (1932–1968). Die Reden des Diktators sind auch bei „Antaios“ erschienen. Außerdem auf dem Stapel: „Der falsche Belgier“ von dem französischen Faschisten, Antisemiten und NS-Kollaborateur Pierre Drieu la Rochelle, erschienen im neofaschistischen „Jungeuropa Verlag“ des Szeneaktiviste Philip Stein.
Auf den Bücherstapel folgt eine schnelle Einblendung von Portraits rechtsextremer Vorbilder, die allesamt Bezugsgrößen der „Neuen Rechten“ sind, darunter die bereits erwähnten Alain de Benoist und Pierre Drieu la Rochelle. Außerdem dabei sind:
Armin Mohler: Vordenker der deutschen „Neuen Rechten“ und Erfinder der sogenannten „Konservativen Revolution“. Bei dem Begriff handelt es sich um einen Kampfslogan und Taschenspielertrick völkischer Aktivist*innen: Man bezieht sich auf verschiedene rechte Intellektuelle der Weimarer Zeit, unterstellt dieser diffusen Zusammenstellung von Antidemokraten eine einheitliche „konservative“ Ideologie und schweigt über deren Treiben nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus (berühmte Figuren, die unter dem Label genannt werden sind etwa Martin Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger). Dass Mohler freiwillig aus der Schweiz nach Nazi-Deutschland übersiedelte und der Waffen-SS beigetreten ist, wird naturgemäß ebenfalls verschwiegen.
Oswald Spengler: Autor von dem rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Blut-und-Boden-Kultbuch „Untergang des Abendlandes“ (1918) und damit auch Grandseigneur jener rechtsextremen Apokalyptik, die heute als „Bevölkerungsaustausch“ verschlagwortet wird.
Mishima Yukio: Autor und gescheiterter nationalistischer Putschist aus Japan. Er wollte mit einer Gruppe von Jüngern Japan wieder in einen autoritären Staat verwandeln, stark auf die Umbrüche von 1968 reagierend. Das Selbstbild als Anti-1968-Bewegung ist ein beliebtes Steckenpferd der „Neuen Rechten“ (womit freilich auch die NS-Kontinuität der eigenen Ideologie und zentraler Akteure aus dem Blick rücken soll – quasi als Spiegelbild zur „Konservativen Revolution“)
Dominique Venner: Französischer politischer Aktivist, der in den 1950er-Jahren Mitglied der rechtsextremen Terrororganisation Organisation de l’armée secrète (OAS) war und später – gemeinsam mit Alain de Benoist – zu den Gründungskadern des „Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne“ (GRECE) gehörte, jenem Thinktank, der zum organisatorischen Grundstein und Vorbild der „Neuen Rechten“ in Westeuropa wurde. Er nahm sich im Jahr 2013 selbst medienwirksam das Leben und wird seither in der Szene als Märtyrer behandelt. Seine Texte erscheinen auf Deutsch im bereits erwähnten „Jungeuropa Verlag“.
„Wille zur Tat“ und Feindmarkierung
Passend zur Fackelzugromantik wird in dem Video „der Wille zur Tat“ betont. An der entsprechenden Stelle erscheint ein Bild von Männern, die Friedhofskerzen halten, einer von ihnen hält ein Schild mit der Aufschrift „Opfer des Bevölkerungsaustauschs“. Der Aufruf zum Handeln wird also in direkte Verbindung mit der rassistischen Apokalyptik gebracht und zwar vor dem suggerierten Hintergrund, dass dieser „Bevölkerungsaustausch“ bereits töte – was der abstrakt-pathetischen Kampfrhetorik sehr klar hinzufügt, dass es direkt um einen lebensbedrohlichen Abwehrkampf gehen soll.
Dann folgt eine Einblendung von einem Demonstrationstransparent, auf dem der identitäre Kampfslogan „Remigration“ zu lesen ist. Und man hört den Aufruf, „aktiv“ zu werden. Darauf folgt wiederum direkt eine Einblendung von Journalist*innen und Wissenschaftler*innen, die als Feinde markiert werden. Es handelt sich bei den gezeigten um die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl, den ORF-Anchor Armin Wolf, den Falter-Redakteur Florian Klenk, den DÖW-Mitarbeiter und Autor Andreas Peham. Begleitend zu diesem Pranger heißt es: „Die Zeiten in denen die Linken die Themen vorgaben und wir Patrioten nur reagieren konnten, sind vorbei.“ Das Video endet mit dem Satz „Wir sind die Jugend, die vorangeht – Geh mit“, dazu sehen wir zum wiederholten Mal Marschierende mit Fackeln.
Dass der neofaschistische Mobilisierungs-Clip keine Entgleisung erhitzter Jung-FPÖler ist, sondern inzwischen einfach der blauen Normalität entspricht, kann daran erkannt werden, dass er via FPÖ-TV auf YouTube verbreitet wird und der niederösterreichische Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer auftritt. Vor dem Hintergrund, dass Kickl, Hafenecker und Co sich inzwischen völlig unverblümt hinter die Identitären stellen und junge FPÖ-Kader wiederum völlig unverblümt eine gemeinsame Demonstration organisieren, bei der offen Massendeportationen gefordert werden („Remigration“), überrascht das Video daher nicht. Es zeigt lediglich die Marschrichtung, die sich die FPÖ samt ihren Vorfeldorganisationen vorgegeben hat.
Update 3.9.23: Herbert Kickl bezeichnet das FJ-Video in einem Interview mit „krone.tv” als „Plädoyer für die Normailität”, die Kritik daran sei „heuchlerische Doppelmoral”.