Die sogenannte „Neue Rechte“ ist der Ort, wo versucht wird (neo-)faschistische Ideologie zu intellektualisieren und zu modernisieren. Bei einem Verlagstreffen in Wien kommen die Akteure der kleinen Szene zusammen. Ein Blick auf die Kulturkämpfer von rechts vor ihrem Wien-Besuch.
Unter dem Titel „Vienna Calling“ laden morgen, am 22. April 2023, drei rechtsextreme Verlage aus Deutschland – „Hydra“, „Oikos“ und „Jungeuropa“ – zum Vernetzungstreffen in Wien. Der Veranstaltungsort wird in der Einladung (1) nicht genannt. Auch Programmpunkte und Vortragende werden nur teilweise bekannt gegeben. Federführend hinter der Einladung steht Jonas Schick, ein ehemaliger AfD-Mitarbeiter und Aktivist der „Identitären Bewegung“, der inzwischen zu den umtriebigsten Akteuren im „neurechten“ Milieu zählt. Auch an Österreich-Kontakten fehlt es ihm nicht. So war Schick bereits früh ein Autor bei „Freilich“, dem FPÖ-nahen Magazin, das 2018 gegründet wurde, nachdem die offen antisemitische und NS-revisionistische „Aula“ für die damals regierende FPÖ zum Problem wurde.
Seit dem Jahr 2020 moderiert Schick das Podcast-Format „Lagebesprechung“, eine Kooperation zwischen „Freilich“, dem selbsternannten Bürgernetzwerk „ Ein Prozent“, dem Verlag „Antaios“ und der Zeitschrift „Sezession“ (für die Schick ebenfalls schreibt). Die unkommentierte Aufzählung dieser Organisationen bedient bis zu einem gewissen Grad bereits eine „neurechte“ Strategie: Größe simulieren. Denn hinter „Sezession“ und „Antaios“ steht nur eine Person: Götz Kubitschek. Überhaupt verbirgt sich hinter den ganzen Verlagen, Organisationen, Zeitschriften, Podcasts und „Instituten“ – auch Kubitschek: „Institut für Staatspolitik“ (IfS) – lediglich ein kleiner Zirkel von Männern, die alle abwechselnd füreinander Artikel schreiben oder sich füreinander zum Podcast hinsetzen.
„Die Kehre“: „Ökofaschismus“, ja oder nein?
Der jüngste Zugewinn unter diesen kleinen Medienprojekten ist Jonas Schicks Verlag „Oikos“ (Dresden), der, abgesehen von einer Übersetzung (2), ausschließlich das Magazin „Die Kehre – Zeitschrift für Naturschutz“ veröffentlicht. Zwölf Hefte sind bislang erschienen, meist umfassen sie nicht mehr als drei Beiträge und die Autoren bzw. Interviewpartner (ja, nur Männer!) sind das stets wiederkehrende Who is who der Szene: Identitären-Sprachrohr Martin S. (Heft 11), der Wiener Kubitschek-Schützling Martin „Lichtmesz“ Semlitsch (Heft 5), „Ein Prozent“-Gründer Philip Stein (Heft 5) etc. Dazu ein Interview mit Björn Höcke (Heft 6) und eines mit Götz Kubitschek (Heft 4).
Der Name des Heftes geht dem Rechtsextremismusexperten Andreas Speit zufolge auf Martin Heideggers „Die Technik und die Kehre“ (1951) zurück, worin der Philosoph eine „Kehre“ wider die Auswirkungen von Technologie und Moderne am Horizont sehen wollte. Heidegger war bekanntlich ein rabiater Antisemit und nicht bloß ein kurzzeitig Hitler-verblendeter Mitläufer; er sah im NS heraufdämmern, was die jungen Medienaktivisten heute auch wollen: eine Befreiung von der liberalen Moderne unter autoritären und völkischen Vorzeichen.
Zu den ideologischen Begleiterscheinungen dieser Befreiungsdoktrin zählt eine verkürzte Kapitalismuskritik von rechts, die das globale Kapitalverhältnis personalisiert, moralisiert und als zersetzenden Antagonisten zur heilen, völkischen Gemeinschaft im angestammten Bio-Raum halluziniert. Das Thema Umweltschutz wird von „Neurechts“ folgerichtig in „Heimatschutz“ umgedeutet. Eben dieser Aufgabe nimmt „Die Kehre“ sich nun an. Dabei gefällt man sich darin, „heiße Eisen“ anzufassen, wie es in der Inhaltsangabe der letzten Nummer, die den Titel „Ökofaschismus“ trägt, heißt. Die jungen Männer stellen darin die Frage: „wäre der »Ökofaschismus« ein erstrebenswertes Amalgam aus rechter Revolutionsdynamik und Ökologie?“ Eine offen positive Bezugnahme auf Faschismus und „rechte Revolutionsdynamik“ ist zwar nicht überraschend, aber doch eher selten, denn „Neurechte“ verstecken die Affirmation jener Gewalt, die ihre Ideologie zweifellos impliziert, gerne hinter schöngefärbten Begriffen (Stichwort „Ethnopluralismus“ und „ethnokulturelle Homogenität“). Faschismus wird hier also – entsprechend der Mimikry einer intellektuellen Debatte – als kritisch zu befragendes Konzept legitimiert und nicht plump als programmatische Forderung gesetzt.
Versuchung „Eurofaschismus“
Der „Jungeuropa“ Verlag (Dresden) existiert seit 2016 und fokussiert auf Übersetzungen von faschistischen Autoren und ideologischen Vorreitern aus Frankreich, wo die „Neue Rechte“ als „Nouvelle Droite“ ihren Ursprung hat. Federführend hinter dem Verlagsprojekt ist Philip Stein, der auch Gründer des selbsternannten Bürgernetzwerks „Ein Prozent“, das von Belltower News folgendermaßen charakterisiert wird: „Einprozent sammelt und verwaltet Gelder und gilt als wichtige Vernetzungsplattform für extrem rechte Initiativen und als Schnittstelle zwischen AfD, Akteuren der sogenannten ‚neuen‘ Rechten und dem klassischen Neonazi-Spektrum.“ Philip Stein gilt folglich als wichtiger Vernetzer innerhalb der Szene.
Neben Volker Zierke, der zusammen mit Stein schon auch mal über Gewaltakte wie gegen Andreas Speit feixt und laut „taz” (22.10.21) auch selbst in eine Gewalttat involviert gewesen sein soll, wird auch ein weiterer „Jungeuropa“-Autor lesen: John Hoewer, dessen Roman „EuropaPowerbrutal“ klingt, als wäre er versuchte Pop-Literatur von rechts, inklusive eines positiven Europa-Bezug. Ein solcher fehlt den Jungfaschisten im Groß der eigenen Szene weitgehend und ist daher ein prädestiniertes Thema für einen „neurechten“ Aufgriff – ganz ähnlich der Öko-Frage.
Hoewer hat wie so viele aus der Szene einen AfD-Hintergrund (Fraktionsmitarbeiter der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt) und ist Burschenschafter (Germania Köln). Dazu ist er bestens mit der italienischen Faschistenbande „Casa Pound“ vernetzt, die sich ganz offen als „Faschisten des dritten Jahrtausends“ bezeichnen. Hoewer spricht italienisch und besucht seine Kameraden im Süden offenkundig gerne; er hat gleich mehrere wohlmeinende Berichte über die „Casa Pound“ für die Website des „Jungeuropa“-Verlags verfasst. Passend dazu ziert das Cover seines Romans eine Abbildung des Palazzo della Civiltà Italiana in Rom, also des wichtigsten Gebäudes des italienischen Faschismus; 2018 posiert er vor dem symbolträchtigen Bau.
Der #JungeuropaVerlag hat jüngst einen Roman veröffentlicht, der aktuell im neofaschistischen Milieu stark beworben wird. Das Buchcover zeigt den Palazzo della Civiltà Italiana in #Rom, das berühmteste Gebäude des italienischen #Faschismus. Es genießt in der Szene Kultstatus. /1 https://t.co/2JYrWXmkBy pic.twitter.com/WZuWtZngow
— Robert Wagner (@robertwagner198) July 4, 2021
Wenn es jedoch privater wird, kann bei Hoewer das „neu” vor „rechts” schon gestrichen werden. Wie geleakte Chats belegen, kommt er ganz alt daher, denn dort hatte Hoewer ein Schild mit Hakenkreuz und dem Text „Unser Gruß ist ‚Heil Hitler’!” verschickt.
Im März 2017 sind Michael Schuster und Fraktionskollege John Hoewer (damals Referent im Innenausschuss) bei der Polizei in Sachsen-Anhalt zum „Schießen mit anschließendem Imbiss” eingeladen. Warum: unklar. Im Privatchat schicken sie sich Bilder wie dieses: pic.twitter.com/AOEaOT5Utz
— LSA-rechtsaussen (@LSArechtsaussen) June 8, 2020
Hoewer ist ob seines offenen Extremismus auch nicht um klare Sprache verlegen, wie er sie etwa – um ein Beispiel mit Österreich-Bezug zu bemühen – im FPÖ-Magazin „Atterseereport“ (2018) vom Stapel lässt, wo er die identitäre Verschwörungs-Chiffre vom „Großen Austausch“ mit rassistischen Statistikspielen verbindet und sich im NS-Jargon vor der „Zersetzung tradierter Grundsätze organischer Gemeinschaften“ fürchtet.
Völkischer Kitsch mit Blutspritzern
Die Einladung zu „Vienna Calling“ lässt wissen, dass auch Arbeiten des Grafikers Wolf PMS zum Verkauf geboten werden. Damit sind wir beim dritten Verlag: „Hydra“ (wieder Dresden). Dieses 2020 gegründete Projekt setzt auf rechtsextreme Comic-Kunst. Und dahinter steht schon wieder Philip Steins bereits erwähntes Netzwerk „Ein Prozent“. Der „Hydra“-Künstler Wolf PMS, auf der Verlagswebsite als „eines der wichtigsten Nachwuchstalente der nonkonformen Kunstszene“ gepriesen, setzt auf plakativste völkische Ästhetik – Blut-und-Boden-Kitsch könnte man sagen. Zur Entschlüsselung der jeweiligen Botschaft ist kontemplative Versenkung kaum nötig, denn zu einschlägig sind die Bilder mit ihrem NS-Stil, der u.a. abgewandelte Runen, Frakturschrift, Blutspritzer und Sprüche wie „Ewige Heimat“ beinhaltet.
In dem Podcast-Gespräch mit Philip Stein erzählt der Aktivist, dass „PMS“ in seinem Künstlernamen für „Politisch motivierte Schriftkunst“ stehe. So plump kann die von „Neurechts“ anvisierte „Metapolitik“ sein, für die die drei Verlage mit drei unterschiedlichen inhaltlichen Schlagseiten stehen: Ökologie, Europa, Kunst.
Übrigens lässt uns Jonas Schick im Einladungstext wissen, dass es eine „feierliche Ankündigung zu begießen geben“ werde. Wir harren der Dinge, die da noch kommen werden. Vermutlich handelt es sich dabei nicht um eine Aufarbeitung der Neonazi-Vergangenheit von etlichen der mutmaßlich anwesenden Akteuren. Da könnte eher das neue rabiat-rechtsextreme Hetzformat, das Martin Sellner und Irfan Peci Ende April starten wollen, gemeint sein.
Welche Gesellschaft morgen in Wien zusammenkommen wird, lässt sich aus den Teilnehmern des „Jungeuropa Forum” 2018 in Dresden erahnen: Dort gab’s neben lokalen Akteuren auch einschlägigen Besuch aus Italien und der Ukraine.
Fußnoten
1 Alle hier genannten rechtsextremen Websites wurden zuletzt am 21.4.23 eingesehen. Da wir prinzipiell nicht zu rechtsextremen Seiten verlinken, sind hier die Hyperlinks nicht angeführt.
2 Im Oikos-Verlag erschien das Buch „Nach dem Wachstum“ von Alain de Benoist, dem französischen Vordenker der „Nouvelle Droite“.