Freiheitliche Vergeistigung im „neurechten“ Jargon
Es sei der „Versuch, die freiheitliche Politik zu vergeistigen“, sagte der damalige Chefredakteur Andreas Kirschhofer-Bozenhardt zu der Neugründung des „Atterseekreis“. Drei Jahre später, im März 2017, übernahm FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth die Verantwortung für den rechtsintellektuellen Thinktank und stellte das Projekt in einem Interview mit „unzensuriert.at“ in den Dienst einer „konservativen Konterrevolution“ (1). Damit gab er der „Vergeistigung“ eine inhaltliche Stoßrichtung, die wohl kaum zufällig dem begrifflichen Arsenal der sogenannten „Neuen Rechten“ (2) angehört. Diese Strömung – der die Identitären als „jugendlich-aktionistischer Arm“ zuzurechnen sind – hat sich die Intellektualisierung rechter Inhalte auf die Fahnen geschrieben und ihre VertreterInnen sprechen gerne von der „Konservativen Revolution“. Damit gemeint ist ein ideengeschichtlicher Bezug auf jene intellektuelle Bewegung, deren völkische Rebellion gegen die Weimarer Demokratie in den 1920er und 30er Jahren den Aufstieg des Nationalsozialismus vorbereitete. Der Mythos, dass diese Intellektuellen – z.B. Carl Schmitt, Ernst Jünger, Ernst Forsthoff – eigentlich konservative Gegner des NS gewesen wären, geht auf den Vordenker der „Neuen Rechten“ Armin Mohler zurück und wurde vielfach widerlegt. (vgl. dazu ausführlich Weiß 2017, S. 39–63). Insbesondere das Werk des NS-Kronjuristen Carl Schmitt ist eine zentrale Bezugsquelle der „Neuen Rechten“ für die Mythologisierung des Politischen und die Revitalisierung völkischer Ideologie. Auch der Atterseekreis hat Schmitt eine Ausgabe seines „Reports“ gewidmet und Nemeth bezieht sich in einem grundlegenden Text auf das Staatsverständnis von Schmitt.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass sich auch Identitäres im Atterseekreis findet, schließlich bezieht man sich ja auf die gleichen Quellen – die freiheitliche „Vergeistigung“ und die identitäre „Intellektualisierung“ (3) sind ein ideologischer Paarlauf.
Pseudo-Distanzierungen und das Schweigen über Ideologie
Zu den vielen Pseudo-Distanzierungen der FPÖ von der IB zählt auch jene von Manfred Haimbuchner, dem Schirmherrn und Initiator des Atterseekreis. So verlangte der FPÖ-Vizelandeshauptmann von Oberösterreich Anfang April zwar eine „klare Trennung“ seiner Partei von der IB, aber über eine inhaltliche Distanzierung wollte er dann nicht mehr reden, es gebe ja keine „Gemeinsamkeiten“:
„Ich habe überhaupt keinen Grund, mich groß von allem Möglichen zu distanzieren. Ich habe keine Gemeinsamkeiten, deswegen brauche ich mich nicht groß zu distanzieren (…). Ich halte das für eine völlig überzogene Angelegenheit.“ (derstandard.at, 5.4.19)
Solche (weitgehend unwidersprochenen) Pseudo-Distanzierungen sind möglich, weil der mediale Fokus hauptsächlich auf personelle und institutionelle Überschneidungen zwischen FPÖ und IB abstellt, die ideologische Dimension aber vernachlässigt.
Dort liegt aber des Pudels Kern, denn von diesen ideologischen Schnittmengen kann es gar keine Distanzierung geben, weil hier Kernelemente der freiheitlichen Weltanschauung betroffen sind. Das ist evident und kann nachgelesen werden: Angefangen bei Straches Facebook-Postings, über das Aula-Nachfolgemagazin „Freilich“, bis hin zu Andreas Mölzer und dessen Hetzblatt „Zur Zeit“. In der Ideologie liegt die unleugbare Verbindung zwischen der FPÖ und den Identitären.
Haimbuchners und Nemeths intellektuelles Prestige-Projekt Atterseekreis fand diesbezüglich noch keine mediale Erwähnung. Das holen wir nach.
„Untergang des Abendlandes“ und „Bevölkerungsaustausch“
Die Ausgabe des „Attersee Report“ von Juni 2018 hat als Schwerpunkt den „Untergang des Abendlandes“ und somit das Lieblingsthema der Identitären gewählt. Norbert Nemeth eröffnet sein obligatorisches Vorwort mit Fragen, in denen mitunter anklingt, dass der Untergang nach einem „Masterplan“ verlaufen könnte (4). Selbstverständlich nur als Frage, Nemeth überlässt die harten Bandagen lieber anderen. Dennoch folgt unmittelbar auf diese Fragen die Behauptung einer „permanenten Zersetzung traditioneller Lebensweisen“ – Ehe, Familie und Staat würden „peu à peu in Frage gestellt und neu definiert“.
Deutlicher wird dann schon Chefredakteur Jörg Mayer (5). Europa scheine „heute am Multikulturalismus zu zerbrechen“; er schreibt vom „abendländischen Thanatos“ und der „lebensfeindlichen sozialistischen Lethargie“. Als Beispiel für diesen Verfallsprozess nennt er einen Zeitungsartikel, der vom „Tag der Kriegsdienstverweigerer“ berichte. Dazu Mayer: Wenn man so etwas lese, dann wisse man „was es im Okzident geschlagen hat. Wahrlich kein Wunder, dass hier sogar wirtschaftlich impotente und einer defektiven Religion anhängende Einwandererfamilien die Gesellschaft vor sich hertreiben können.“ Das ergibt bereits eine ideologische Mixtur, die sich vom identitären Narrativ kaum noch unterscheiden lässt: Das „Abendland“ geht an seiner eigenen Dekadenz und Lethargie zugrunde, während es von Einwanderern „vor sich hergetrieben“ wird. Gegen das Untergangsszenario wird einerseits ein Pathos von Wehrhaftigkeit (Wehrdienst) angerufen, andererseits ein naturalisierendes Familienbild: Ein „Ausbruch“ sei nur möglich, „wenn die Familie als Zukunftskeim wieder jenen Stellenwert im Zentrum unseres Lebens bekommt, der ihr naturgemäßer Sitz ist“; eine solche Wende sei nur „organisch von unten nach oben“ möglich.
Und noch deutlicher wird schließlich John Hoewer – Burschenschafter bei der „Germania Köln“ und Leiter des Büros der AfD-Landesgruppe Sachsen-Anhalt im Bundestag. „Neben seiner politischen Karriere bei der AfD trieb Hoewer auch seine Rechtsaußen-Vernetzung jenseits der Parlamente voran. Zur ‚Identitären Bewegung Deutschland’ unterhält er beste Kontakte. (…) Und im April dieses Jahres [2018] nahm der AfD-Politiker an einem Kongress der neofaschistischen ‚Casa Pound’-Bewegung im italienischen Rom teil.“ (Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt Köln, September 2018)
Hoewers Artikel „Da! Ein Mensch!“ (6) beginnt direkt mit einem Bezug auf den identitären Slogan vom „großen Austausch“ und der Wehklage über eine „Politik der Entortung“. Er leitet seine rassistische Tirade dann folgendermaßen ein: „Am Beginn dieser Entwicklung stand die Zersetzung tradierter Grundsätze organischer Gemeinschaften“. Als Bespiel für eine solche „Zersetzung“ zitiert er die Antragsbegründung der deutschen Bundesregierung im NPD-Verbotsverfahren: Die „Zugehörigkeit zum deutschen Volk werde vom Grundgesetz weder als etwas Naturwüchsiges noch als unvermeidliche Konsequenz einer historischen Entwicklung [verstanden]“, weswegen „alle Menschen eingebürgert werden (…) können.“
Was jeder Person, die keinem Blut- und Bodenwahn anhängt, selbstverständlich sein wird – dass also Staatszugehörigkeit nicht völkisch qua Abstammung bestimmt wird und somit nichts Naturwüchsiges ist – ist für Hoewer „menschenverachtende ‚One World‘-Ideologie“.
Hoewer geht es weiter um die „quantitative Dimension der angeblichen ‚Verschwörungstheorie’ eines Bevölkerungsaustausches“, die er mit völkischen Zahlenspielen zu belegen versucht. Dabei empört er sich nebenbei über die Erhebungsmethoden einer Studie der konservativen Bertelsmann-Stiftung, deren Parametern zufolge gelte, „dass ein Kind von zwei Afrikanern oder zwei Arabern, die beide in der BRD geboren sind, bereits als ‚deutsches Kind‘ gezählt wird.“
Kindern die Zugehörigkeit zu Deutschland abzusprechen, obwohl beide Eltern in Deutschland geboren sind – viel unverblümter kann rechtsextreme Volksgemeinschaftsideologie wahrscheinlich nicht ausgedrückt werden, ohne explizit von „Rassen“ zu sprechen. Ein Kölner Stadtteil werde „in naher Zukunft vollständig ‚deutschenfrei’“ sein, behauptet Hoewer weiter und verwendet dabei für seine völkische Paranoia einen analogen Begriff zum NS-Terminus „judenfrei“.
Hoewer benutzt in seinem unverhohlen rassistischen Text nicht nur mehrmals den Begriff vom „großen Austausch“ bzw. „Bevölkerungsaustausch“, sondern verweist auch auf Renaud Camus‘ „Revolte gegen den großen Austausch“; also jenes Machwerk, von dem der Slogan stammt, das auf Deutsch in Kubitscheks rechtsextremem Antaios-Verlag erschienen ist und zu dem Martin Sellner das Nachwort geschrieben hat.
Diese drei exemplarischen Texte aus einem „Attersee Report“ veranschaulichen, wie das identitär-freiheitliche Narrativ vom „Bevölkerungsaustausch“ – von vage bis ganz explizit – angewendet wird: Die harmlos klingende Variante (Nemeth) lässt in vieldeutigen Frage einen „Masterplan“ hinter dem „Untergang“ anklingen, spricht aber schon offen im völkischen Sound von einer „Zersetzung tradierter Lebensweisen“. Die gesteigerte Version (Mayer) benennt das Untergangsszenario unmissverständlich („Einwandererfamilien“ treiben die lethargische Gesellschaft vor sich her) und appelliert implizit an militärische Wehrhaftigkeit und explizit an ein völkisches Verständnis von Familie und Reproduktion, womit er die Demographie als eigentliches Kampffeld und die völkische Abstammungsgemeinschaft als politische Subjekt bereits ins Feld führt. Und schließlich völlig offen und unzweifelhaft rassistisch, völkisch geht es bei Hoewer zur Sache: Blut- und Bodenideologie unverblümt. Es ist leicht zu sehen: „Neurechts” in Selbstbezeichnung, aber alt-rechtsextrem in der ideologischen Ausrichtung, womit sich die Pfade von Identitären und FPÖ-Denkern – wieder einmal – perfekt treffen.
Aus identitärem Umfeld: Siegfried Waschnig und Laila Mirzo
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass auch zwei tief in das identitäre Milieu verstrickte Akteure zu den HauptautorInnen des „Attersee Report“ gehören.
Da wäre Siegfried Waschnig, parlamentarischer Mitarbeiter des Grazer Nationalratsabgeordneten Axel Kassegger und vielfältig mit der IB verbunden: Er war Sprecher bei Kundgebungen und Kassier des identitären Vereins für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit in Graz, zudem publizierte er in mehreren identitären Medien, wie „Info Direkt“ oder der „Sezession“. Darüber hinaus tauchte Waschnig als Verantwortlicher im Impressum einer esoterischen Website auf, die dem gewaltverherrlichenden Okkultisten Aleister Crowley huldigte. Zu diesem bizarren Zusammenhang hat der Journalist Michael Bonvalot im Oktober 2017 einen lesenswerten Artikel für „Vice“ verfasst.
Auch Laila Mirzo, Mädelschafterin bei „Iduna“ in Linz, ist Dauerautorin im „Attersee Report“ und dürfte mehr als gute Kontakte zu den Identitären haben. Das ist nicht weiter überraschend, denn Mirzo ist in rechtsextremen Kreisen gut vernetzt. Neben dem Atterseekreis schreibt sie etwa seit Kurzem eine Kolumne für den FPÖ-nahen „Wochenblick“, wo sie in einem aktuellen Text gegen „Gender-Mainstreaming“ hetzt und eine beliebte völkische Verschwörungstheorie gegen Feminismus bedient, wenn sie schreibt, diesem gehe es um „systematische Demontage gesellschaftlicher Strukturen“ (7).
Fazit
Auch anhand des von FPÖ-Granden gegründeten und geführten Atterseekreis lassen sich personelle und inhaltliche Schnittmengen zwischen der Regierungspartei FPÖ und den Identitären nachweisen.
Wenn Strache, Hofer und Co nun doch wieder offensiv vom „Bevölkerungsaustausch“ sprechen, dann muss man sich nicht durch die Propagandavideos von Martin Sellner klicken, um zu verstehen, was genau damit gemeint ist, sondern man kann einfach in der FPÖ-Denkfabrik Atterseekreis nachlesen. Das geht, weil FPÖ und IB für dieselbe Ideologie stehen. Und diese Ideologie ist rechtsextrem. Strache sieht das anders: „Nur dort, wo jemand versucht, seine politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen, handelt es sich um Rechtsextremismus“, entgegnet er auf den Vorwurf, er würde sich rechtsextremer Begriffe bedienen. Der Vizekanzler des postnazistischen Staates Österreich verwendet damit einen Begriff von Rechtsextremismus, der noch nicht einmal die Leugnung des Holocaust miteinschließt.
Über Bestimmungsmerkmale von Rechtsextremismus lässt sich trefflich diskutieren (=>DÖW-Verständnis: https://t.co/7UKJL7Xcul). Dass e. Definition untauglich ist, die selbst Holocaustleugnung nicht erfasst & hinter das Verbotsgesetz zurückfällt, sollte aber außer Diskussion stehen. pic.twitter.com/swgHvvptbl
— Dokumentationsarchiv (@doew_at) 29. April 2019
Und Martin Sellner freut sich in seinem Video-Blog auf Youtube: „Nun spricht nicht ein kleiner Funktionär vom Bevölkerungsaustausch, sondern der Parteichef schlechthin.“
Fußnoten
1 „Norbert Nemeth zum Atterseekreis: Unser Ziel ist, ein freiheitliches Alpbach zu begründen“, Website von „unzensuriert.at“, zuletzt eingesehen am 27.04.2019
2 Selbstbezeichnung der extremen Rechten in Reaktion auf die zunehmende Ablehnung von neonazistischen Strömungen, insbesondere von deren Aktionsformen. Vor einer unkritischen Übernahme des Begriffs ist daher zu warnen. Siehe dazu: „Neue“ Rechte in Österreich
3 Dem Politikwissenschaftler Samuel Salzborn zufolge lässt sich die Zielsetzung der „Neuen Rechten“ – zu der auch die Identitären zählen – unter „zwei Schlagworten zusammenfassen: die Intellektualisierung des Rechtsextremismus durch die Formierung einer intellektuellen Metapolitik und die Erringung einer (rechten) ‚kulturellen Hegemonie’“ (2018, S. 75).
4 Vorwort von Norbert Nemeth in „Occidens sol“, Attersee-Report Nr. 15, Juni 2018, S. 3:
„Die aktuelle Ausgabe unseres Reportes beschäftigt sich mit dem ‚Untergang des Abendlandes’. Allein diese Folge von drei Worten reißt ein Problem auf, hinter dem sich der wesentliche Teil der Menschheitsgeschichte verbirgt: Was ist das Abendland? Geht es tatsächlich unter? Oder ist es schon untergegangen? Wenn ja, wer ist schuld daran? Steckt ein Masterplan dahinter? Kann man dem entgegenarbeiten?“
5 Editorial von Jörg Mayer in „Occidens sol“ Attersee-Report Nr. 15, Juni 2018, S. 5
6 John Hoewer: „Da! Ein Mensch!“ in „Occidens sol“ Attersee-Report Nr. 15, Juni 2018, S. 12–14. Wir haben bereits 2018 über diesen Text berichtet – siehe hier.
7 Laila Mirzo: „Der Genderismus ist ein Frontalangriff auf die Familie und die Werte!“, Website von „Wochenblick“, zuletzt eingesehen am 30.04.201
Literatur
Salzborn, Samuel (2018): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. 3. Auflage. Baden Baden: Nomos
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten. Weinheim Basel: Beltz Juventa
Weiß, Volker (2017): Armin Mohler – Die Erfindung einer Tradition. In (Ders.): Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 39–63