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Demokratie durch „Ausscheidung des Heterogenen“ – Zur freiheitlichen Rezeption von Carl Schmitt (Teil 1)

Man soll­te doch mei­nen, dass FPÖ-Ideo­­lo­­gen ein­ge­denk ihrer Regie­rungs­be­tei­li­gung ein­mal damit begin­nen wür­den, sich in mehr Vor­sicht zu üben, was ihre intel­lek­tu­el­len Bezugs­quel­len angeht. Dem ist aber nicht so, wie die anhal­ten­de Rezep­ti­on von Carl Schmitt zeigt. So wird der intel­lek­tu­el­le Weg­be­rei­ter und Unter­stüt­zer des Natio­nal­so­zia­lis­mus wei­ter­hin glo­ri­fi­ziert und sei­ne Rechts­leh­re – oder weni­ger euphemistisch: […]

20. Jul 2018
Carl Schmitt (rechts) und Ernst Jünger auf dem Lac de Rambouillet (1941)

Carl Schmitt, bekannt als NS-Kron­ju­rist und Leucht­stern brau­ner Intel­li­genz, war ein wüs­ter Anti­se­mit und Ver­äch­ter der Wei­ma­rer Repu­blik. Mar­tia­lisch-aura­ti­sche Begrif­fe wie „Aus­nah­me­zu­stand“, „Ernst­fall“ und „Freund/Feind“ stam­men aus sei­ner juris­tisch-poli­ti­schen Theo­rie­pro­duk­ti­on und geis­tern seit­her immer wie­der in staats- und ver­fas­sungs­recht­li­chen Debat­ten her­um (sie­he dazu Tho­mas Darn­städt bereits 2008 im Spie­gel). Schmitts umfang­rei­ches Werk fun­giert heu­te als wah­re Begriffs-Schatz­kam­mer für die außer­par­la­men­ta­ri­sche, rechts­extre­me Sze­ne; so bezieht etwa die IBÖ (Iden­ti­tä­re Bewe­gung Öster­reich) ihr Ver­ständ­nis von völ­ki­scher Homo­ge­ni­tät u.a. von Schmitt. Er selbst hat sich, ähn­lich wie Mar­tin Heid­eg­ger, nie­mals sub­stan­zi­ell von der eige­nen Rol­le im Natio­nal­so­zia­lis­mus distan­ziert. Mehr noch: Schmitt hat auch sei­nen Anti­se­mi­tis­mus nicht auf­ge­ge­ben, wie sei­ne 2016 neu erschie­ne­nen Denk­ta­ge­bü­cher sehr anschau­lich zei­gen (wie­der eine Par­al­le­le zu Heid­eg­ger, des­sen „Schwar­ze Hef­te“ 2014/15 ver­öf­fent­licht wur­den und ihn unzwei­fel­haft als Anti­se­mi­ten geoutet haben). Dies alles hin­dert FPÖ-Funk­tio­nä­re nicht an einer durch­wegs posi­ti­ven Bezug­nah­me. Es bezie­hen sich zwar längst nicht nur Rech­te auf Schmitt, aber nur Rech­te ver­su­chen des­sen völ­ki­schen Anti­plu­ra­lis­mus unter dem Deck­man­tel einer „wah­ren Demo­kra­tie“ im poli­ti­schen Voka­bu­lar der Gegen­wart zu reaktivieren.

Carl Schmitt (rechts) und Ernst Jün­ger auf dem Lac de Ram­bouil­let (1941)

Wie das geht, kann man aktu­ell etwa im Atter­see-Forum1, einem Online-Able­ger des frei­heit­li­chen Atter­see-Kreis, nach­voll­zie­hen. Die illus­tre Text­samm­lung dort gefällt sich selbst als „Markt­platz der Ideen“, auf dem es gera­de „nicht um Pro­pa­gan­da für eine poli­ti­sche Rich­tung“ gehen soll. Für die­ses heh­re Selbst­ver­ständ­nis fin­det sich dann aber ganz schön viel Rechts­extre­mes auf dem Markt­platz ver­sam­melt. Und Carl Schmitt hat dort auch sei­nen Platz, wie so oft, wenn sich Rech­te anschi­cken, der vul­gä­ren Pro­pa­gan­da ein intel­lek­tu­el­les Fun­da­ment zu ver­pas­sen. Bei die­ser Bezug­nah­me las­sen sich zwei stra­te­gi­sche Momen­te unter­schei­den: Ers­tens die Aus- oder Über­blen­dung von Schmitts NS-Zeit, zwei­tens die Wie­der­an­eig­nung sei­ner Kon­zep­te für die Gegenwart.

Die Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze im Reichs­ge­setz­blatt Nr. 100, 16. Sep­tem­ber 1935 – für Schmitt die „Ver­fas­sung der Freiheit“

Ers­te­res fin­det sich am auf­fäl­ligs­ten in einem weh­mü­ti­gen, unter dem Pseud­onym „Homo Faber“ ver­fass­ten, Text mit dem Titel: „Schat­ten­rei­se: Refle­xio­nen über Carl Schmitt“. Dort wird zwar chro­no­lo­gisch Schmitts Schaf­fen in Ver­bin­dung mit sei­ner Bio­gra­phie bespro­chen, aber das inten­si­ve Enga­ge­ment im NS-Regime bleibt völ­lig uner­wähnt, eine gera­de­zu brül­len­de Leer­stel­le. Statt­des­sen wer­den Schmitts Schrif­ten gegen ver­schie­de­ne lin­ke Akteu­re (von Baku­nin bis Lenin) posi­tiv bespro­chen und der Text endet mit einer pathe­ti­schen Ver­nei­gung vor dem gro­ßen Den­ker, der „sie alle“ über­lebt habe. Die Til­gung der gesam­ten NS-Zeit aus Schmitts Bio­gra­phie ist ein star­kes Stück. Wir holen das an die­ser Stel­le kurz nach:

Vor der Macht­über­nah­me der Nazis befür­wor­te­te Schmitt ein auto­ri­tä­res Prä­si­di­al­sys­tem (gegen den Wei­ma­rer Par­la­men­ta­ris­mus) und stand dem NS noch reser­viert gegen­über. Das soll­te sich schnell ändern. Schmitt trat der Par­tei bei (NSDAP-Mit­gliedsnr. 2.098.860) und ver­öf­fent­lich­te ab 1933 anti­se­mi­ti­sche Hetz­schrif­ten. Er avan­cier­te bald zum Preu­ßi­schen Staats­rat, außer­dem wur­de er zum Her­aus­ge­ber der Deut­schen Juris­ten­zei­tung und zum Fach­grup­pen­lei­ter Hoch­schul­leh­rer im NS-Rechts­wah­rer­bund. Er war insti­tu­tio­nell fest im NS-Staat ver­an­kert und stolz auf sei­ne Ämter. Auch inhalt­lich gab es kei­ne Zurück­hal­tung. Schmitt war ein dezi­dier­ter Für­spre­cher der Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­ze, die er gar als „Ver­fas­sung der Frei­heit“ bezeich­ne­te, und legi­ti­mier­te das NS-Regime juris­tisch, wo es nur ging. So etwa die poli­ti­schen Mor­de wäh­rend der soge­nann­ten Röhm-Affä­re, die er in der Deut­schen Juris­ten-Zei­tung (1934, Heft 15, S. 945–950) zum Anlass nahm Recht und Füh­rer­tum in Eins zu setz­ten. Die­se end­gül­ti­ge Per­ver­si­on sei­nes Rechts­ver­ständ­nis­ses gip­felt in den fol­gen­den Sät­ze: „Der wah­re Füh­rer ist immer auch Rich­ter. Aus dem Füh­rer­tum fließt das Rich­ter­tum“2. Schmitt erwies sich zudem schnell als glü­hen­der Anti­se­mit und denun­zier­te und agi­tier­te gegen frü­he­re jüdi­sche Kol­le­gen. So ver­spot­te­te er öffent­lich Hans Kel­sen, die­ser hei­ße eigent­lich Hans Kohn; eine anti­se­mi­ti­sche Schmä­hung, auf die erst 2017 der FPÖ-Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­te Johan­nes Hüb­ner zurück­griff und damit sein deutsch­na­tio­na­les Publi­kum zum Lachen brach­te (der Vor­fall wur­de auch aus­führ­lich auf stoppt­die­rech­ten.at bespro­chen). Schmitt ver­lor sei­ne NS-Ämter bereits 1936 auf­grund von inner­par­tei­li­chen Macht­que­re­len, was ihn aller­dings nicht dar­an hin­der­te sich bis 1945 wei­ter­hin den Nazis anzu­die­nen. (Sie­he dazu aus­führ­lich den her­vor­ra­gend recher­chier­ten Wiki­pe­dia-Arti­kel zu Carl Schmitt!)

➡️ Zur frei­heit­li­chen Rezep­ti­on von Carl Schmitt (Teil 2)

1 Home­page des Atter­see-Forum, zuletzt ein­ge­se­hen am 14.07.2018
Außer­dem wid­met sich der Atter­see-Report Nr. 14, März 2018, über wei­te Stre­cken Carl Schmitt. Sie­he Home­page des Atter­see-Forum, zuletzt ein­ge­se­hen am 14.07.2018
2 Der Voll­text ist bei dem Wiki­pe­dia-Arti­kel zu Carl Schmitt ver­linkt: Unter­ka­pi­tel „Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus“, Fuß­no­te 65. Online zuletzt ein­ge­se­hen am 14.07.2018

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