Böse Opas und Verführer. Rezension von „Die Reise ins Reich“.

Ziem­lich flott ist es geschrieben, das Buch von Tobias Gins­burg über die Reichs­bürg­er – und mit ein­er beachtlichen Por­tion Gal­gen­hu­mor, wenn man weiß, dass Gins­burg Jude ist. Ein jüdis­ch­er Jour­nal­ist unter Men­schen, in deren ide­ol­o­gis­chem Bauch­laden es eine Kittmasse gibt: den Antisemitismus.

Als ich mich auf meine Reise begeben habe, war mir nicht klar, dass die Wah­n­vorstel­lung von der jüdis­chen Weltver­schwörung wieder in so einem Aus­maß grassiert. Ich bin Jude – nach ein­er Weile nimmt man so was per­sön­lich“, sagt Gins­burg zu Beginn sein­er Reise durch die skur­rilen Land­schaften bzw. Fürsten­tümer der Reichs­bürg­er. 38 Prozent der Deutschen glauben an Ver­schwörungs­the­o­rien, erfährt man bei Gins­burg. 38 Prozent! Das ist keine kleine Rand­gruppe mehr, son­dern eine kri­tis­che Masse. Dazu sagt Gins­burg auch einen gewichti­gen Satz: „Die Ver­schwörungs­the­o­rien sind aus dem ide­ol­o­gis­chen Sumpfge­bi­et aus­ge­brochen, vom recht­sradikalen und ver­wirrten Rand rein in die Gesellschaft. Wo das Reich aufhört und das Bürg­er­tum anfängt, ist manch­mal schw­er zu sagen.

Was die deutsche Reichs­bürg­er­szene von der öster­re­ichis­chen – zumin­d­est vorder­gründig – unter­schei­det, ist der Anteil offen recht­sex­tremer, anti­semi­tis­ch­er und ras­sis­tis­ch­er Ide­olo­gie. Die braune Soße kommt in den deutschen Reichs­bürg­er-Vari­anten viel unverblümter und dick­er daher als in der öster­re­ichis­chen Szene, in der sich Freemen, „Sou­veräne“, Staaten­bündler und Ter­ranier mit eini­gen weni­gen „echt­en“ neon­azis­tis­chen Reichs­bürg­ern das Ter­rain teilen und von Ver­fas­sungss­chutz und Medi­en ziem­lich neu­tral als „Staatsver­weiger­er“ tit­uliert werden.

In Deutsch­land gab der Neon­azi und Recht­ster­ror­ist Man­fred Roed­er schon 1978 den ersten Reichs­bürg­er bzw. selb­ster­nan­nten „Reichsver­weser“, erin­nert Gins­burg. Auch daran, dass der Neon­azi, der sein Reichs­ge­bi­et über Land­käufe im Osten, rund um die rus­sis­che Enklave Kalin­ingrad, begrün­den wollte, sog­ar vor der Bun­deswehrakademie seine Pläne kund­tun durfte: „Die Bun­deswehr war begeis­tert und spendete dem verurteil­ten Ter­ror­is­ten und Holo­caustleugn­er drei alte Mil­itär­fahrzeuge und annäh­ernd zwei Ton­nen Werkzeug im Wert von ins­ge­samt 20.000 Mark.

Mit Reichs­bürg­ern wie dem Neon­azi Horst Mahler, der in den frühen 2000er Jahren der Wah­nidee, wonach die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land völk­er­rechtlich gar nicht existiere (im Unter­schied zum Deutschen Reich, das es wahlweise in den Gren­zen von 1871, 1937 oder 7.5.1945 gebe) eine juris­tis­che Begrün­dung zu kleis­tern ver­suchte, haben die neueren Reichs­bürg­er­frak­tio­nen nicht mehr sehr viele ide­ol­o­gis­che Gemein­samkeit­en – ausgenom­men das eini­gende Band des Antisemitismus.

Beispiel für einen „Reich­sausweis”

Bis zu den Schüssen von Geor­gens­g­münd in Franken , wo ein Reichs­bürg­er 2016 sein „Reichsgebiet“-Wohnhaus durch tödliche Schüsse auf einen Polizis­ten markierte, nahm man die diversen Könige, Prinzen und Reichsver­weser samt ihren häus­lichen Staat­en nicht sehr ernst, gab nicht ein­mal den Behör­den Unter­stützung, die sich mit den „Papiert­er­ror­is­ten“ ermü­dende und aufreibende Auseinan­der­set­zun­gen liefern mussten. Dann gab es das große Aufwachen – und die Erken­nt­nis, dass die Zahl der Reichshei­nis weit­er wächst.

In dieser Sit­u­a­tion steigt Gins­burg in die Szene ein – under­cov­er. Er lan­det zunächst im unterge­hen­den „Kön­i­gre­ich Deutsch­land“ des Peter Fitzek. Den König trifft er dort nicht, weil der ger­ade wegen des Ver­dachts der schw­eren Untreue in U‑Haft sitzt, dafür aber den „Öster­re­ich­er“. Es ist ein­er der vie­len sehr sym­pa­this­chen Züge von Tobias Gins­burg, dass er den Namen des „Öster­re­ich­er“ nicht nen­nt, ihn – so wie einige andere auch – nicht als eine ver­rück­te, dumme oder krim­inelle Fig­ur beschreibt, son­dern als eine dur­chaus warmherzige, aber ver­wirrte und vor allem ängstliche Person:

Wenn ich mit Sicher­heit sagen kön­nte, dass ich hier im Kön­i­gre­ich von Spin­nern und Geis­teskranken umrun­det wäre, dann würde es mir besserge­hen. Dann wäre es leicht, das alles auszuhal­ten“, ist Gins­burg überzeugt. Er hält es daher nicht beson­ders gut aus, analysiert sich auch dort gnaden­los, wo er kurz damit koket­tiert, sich in ein­er Runde von Recht­sex­tremen, beschützt durch einige Prügel­nazis, stark zu fühlen.

Namentlich genan­nt wer­den von ihm dage­gen die zynis­chen Ver­führer wie der ultra­rechte Has­spredi­ger Jür­gen Elsäss­er, der auch eine lange Reise hin­ter sich hat – vom Maois­t­en über den Anti­deutschen zum Recht­sex­tremen. Den porträtiert er gnaden­los, ent­larvt ihn:

Elsäss­er hat es damit tat­säch­lich geschafft, genau das zu wer­den, wovor er selb­st immer gewarnt hat­te. Ich lese Texte von ihm, gut zwanzig Jahre sind die alt. Elsäss­er schreibt über sekundären Anti­semitismus und sys­temis­chen Ras­sis­mus, über verkürzte Kap­i­tal­is­muskri­tik und warnt vor der Verkehrung von Täter und Opfer. Elsäss­er, der ultra­rechte Has­spredi­ger, weiß sehr genau, was er tut.

Jür­gen Elsäss­er (Mitte) und Peter Fitzek (Bild: Com­pact Mag­a­zin 2015)

Warum Elsäss­er in einem Reise­bericht über die Reichs­bürg­er auf­taucht, wo der sich doch eher als Ide­ologe der Iden­titären sieht? Das erk­lärt Gins­burg nicht völ­lig überzeu­gend, aber bei ein­er Reise durch die ver­schiede­nen Fürsten­tümer darf man schon auch mal vom recht­en Weg abkom­men. Haupt­sache, man find­et wieder zurück und ver­wen­det die richti­gen Begriffe: Recht­sex­treme sind für ihn Recht­sex­treme und nicht Recht­spop­ulis­ten – und wenn Elsäss­er unter don­neren­dem Applaus dröh­nt, dass man sich nicht in die rechte Ecke stellen lasse, dann lässt Gins­burg in Kahla einen Nazi mit Runen­shirt und Son­nen­rad auf der Wade vortreten, der dazu seine Flasche Bier erhebt und „Jawoll“ brüllt. Damit ist Elsääs­er schneller und ein­drück­lich­er wider­legt als durch eine the­o­retis­che Abhand­lung über die Ursprünge der Neuen Rechten.

Auch Ernst Köwing, den „bösar­ti­gen Opa“, der den Blog „Der Honig­mann sagt“ betrieb, besuchte Gins­burg. Einige Monate vor Köwings Tod (er starb im Feb­ru­ar 2018) im August 2017 nahm Gins­burg an ein­er Ver­anstal­tung des „bös­es­ten Opas, den man sich vorstellen kann“ teil – gegen eine Gebühr von siebzig Euro „Energieaus­gle­ich“. Der wider­liche Holo­caustleugn­er und Anti­semit set­zt Gins­burg zu – psy­chisch. Die Het­ze gegen „braune Ein­heits­men­schen“, „Hal­baf­fen“, die man wie Tiere behan­deln müsse ist schw­er erträglich – wenn man sich nicht wehren kann, weil man ja “under­cov­er“ unter­wegs ist.

Nach mehr als 260 Seit­en „under­cov­er“ lässt Gins­burg sein recht­es Alter Ego Tobias Pat­era, als der er die meiste Zeit in der Szene unter­wegs war, entschlafen. Da ist er dann wieder, der Gal­gen­hu­mor von Ginsburg:

Ganz unplan­mäßig wird sich Reich­spro­pa­gan­damin­is­ter Tobias Pat­era als feindlich­er Spi­on ent­pup­pen! Kaum erheben sich die Reichs­flugscheiben, gibt er sich als jüdis­ch­er Blut­magi­er zu erken­nen! Man hätte eigentlich drauf kom­men kön­nen, immer­hin kon­trol­liert er die Medi­en. Wie sich her­ausstellen wird, hat er alle Brun­nen vergiftet, die reichs­deutschen Kinder aus­getrunk­en, sämtliche Reichs­flugscheiben sabotiert! Wie tote Spatzen wer­den sie vom Him­mel fall­en. Deutsch Königs­berg wird in atom­aren Pilzen unterge­hen. Das Deutsche Reich wird nicht mehr sein.

Tobias Gins­burg, Die Reise ins Reich. Unter Reichs­bürg­ern. Ver­lag Das Neue Berlin. Berlin 2018.