Der mit dem Wal tanzt – Die „konservative Konterrevolution“ und der Atterseekreis (Teil 2)

Im Teil 1 zum Atterssekreis und in unserem Beitrag zu den Pro­tag­o­nis­ten der „frei­heitlichen Denk­fab­rik“ haben wir aufgezeigt, wo jene ide­ol­o­gisch verortet sind, die die Aus­rich­tung des Atterseekreis­es bes­tim­men, näm­lich tief im völkisch-deutschna­tionalen Ele­ment der Burschen­schaften. Ein genauer­er Blick auf einen Schlüs­se­lauf­satz des Attersee-Direk­tors Nor­bert Nemeth im Attersee-Report offen­bart, dass auch die ide­ol­o­gis­che Stoßrich­tung des Atterseekreis­es in dieselbe Rich­tung geht, auch wenn das Pro­dukt anders verkauft wer­den soll.

„Die überkommene jüdis­che Deu­tung schlug auf den Leviathan des Hobbes zurück. Alle untere­inan­der son­st so feindlichen indi­rek­ten Gewal­ten waren sich plöt­zlich einig und ver­bün­de­ten sich zum ‚Fang des großen Wals’. Sie haben ihn erlegt und ausgeweidet.“
Carl Schmitt (NS-Jurist)

„Im Gegen­satz dazu ist der Frei­heitliche Men­sch aufgerufen, seine schützende Hand über den Wal zu halten.“
Nor­bert Nemeth (FPÖ-Klub­di­rek­tor)

Vom Walschutz und seinen Feinden

Der erste Attersee-Report mit Nor­bert Nemeth als Präsi­dent trägt den Titel „Über­liefer­un­gen“ und kommt in ganz neuer Auf­machung daher: Man legt Wert auf das Erschei­n­ungs­bild und ver­ab­schiedet sich von der Ästhetik frei­heitlich­er Wahlplakate. In seinem ersten Vor­wort (1) stellt Nemeth klar, um was es geht: Die „Grund­la­gen der eige­nen Poli­tik“ sollen her­aus­gear­beit­et wer­den. So ist „die Schu­lung unser­er ‚Nach­wuchshoff­nun­gen’“ u.a. erk­lärtes Ziel des Reports. Ein „solides ideengeschichtlich­es Fun­da­ment“ will man ver­mit­teln. Ein Beispiel dafür, wie wichtig ein solch­es sei, hat Nemeth sofort parat: Immer­hin gelte es nach Friedrich Engels, das „tra­di­tionelle Ehe- und Fam­i­lien­bild“ zu über­winden, um die kom­mu­nis­tis­che Gesellschaft zu erricht­en. Nemeth bringt dieses tage­sak­tuelle Argu­ment ern­sthaft gegen die gle­ichgeschlechtliche Ehe in Stel­lung und hält das (wiederum ern­sthaft) für ein gutes Beispiel für das zu erar­bei­t­ende „ideengeschichtliche Fun­da­ment“ – also die Ehe für alle ver­hin­dern, um die „kom­mu­nis­tis­che Gesellschaft“ zu verhindern.

Der neue Chefredak­teur, Jörg Rüdi­ger May­er, schlägt im Edi­to­r­i­al (2) einen apoka­lyp­tisch-völkischen Ton an, wenn er ein­er Gesellschaft, die „keine natür­liche Ord­nung“ mehr anerken­nen wolle, ein baby­lonis­ches Schick­sal vorher­sagt: Der „soziale Kör­p­er wird gesprengt, das Volk zer­fällt in seine Indi­viduen“. Ganz beson­ders weist May­er auf den Text „Der Wal“ hin, denn dieser umreiße „die Stoßrich­tung unser­er Zeitschrift“: So will man „all das Wertvolle“ hin­ter der Wal-Meta­pher vertei­di­gen gegen jene, die „Jagd auf alles Natür­liche, auf Fam­i­lie, Volk­s­tum, Nation­al­staat und Kul­tur“ machen. Der ange­priesene Wal-Text (3) stammt natür­lich aus Nemeths Fed­er. Einge­denk des hohen Stel­len­werts, der dem Beitrag für das ganze Pro­jekt zukommt, wollen wir einen genauen Blick wagen.

In diesem rich­tungsweisenden Text geht es Nemeth um den Ver­such, ein frei­heitlich­es Staatsver­ständ­nis zu umreißen. Die zen­trale Meta­pher dazu – der Wal als Leviathan – find­et er zunächst in Melvilles Roman Moby Dick und in der bib­lis­chen Jonas-Geschichte. Als Furcht­bild gegen diesen schützenswerten Staat fungiert Andreas Baad­er, denn die RAF wollte den Staat in blin­dem Hass zer­stören, ähn­lich wie Kapitän Ahab in blind­er Kom­pro­miss­losigkeit den Wal jagt. Das ist bizarr, denn die RAF gehört wohl kaum in den Pool gegen­wär­tiger Krisen- und Prob­lem­felder und ist nur ein biss­chen aktueller als der oben bemühte Engels. Es erk­lärt aber vor allem noch nicht, welch­er Begriff von Staat vertei­digt wer­den soll. Ein­er Erk­lärung dazu am näch­sten kommt Nemeth, indem er aus­gerech­net Carl Schmitt, den „Kro­n­juris­ten des 3. Reichs“, her­beiz­itiert. (Wir haben bei stopptdierechten.at bere­its über Schmitt und auch über dessen Rezep­tion bei den Frei­heitlichen berichtet und sparen uns daher ein­lei­t­ende Worte). Das entschei­dende Zitat geht so: „Wenn der Staat den Aus­nah­mezu­s­tand nicht mehr rechtlich zu ver­fassen ver­mag, ver­bürgt die the­ol­o­gis­che Reflex­ion noch die rechtliche Wer­tung. Jen­seits des Staates gibt es ein Gottes­recht.

Dieser Satz – der den dra­matur­gis­chen Höhep­unkt des Textes bildet – wird von Nemeth Carl Schmitts Hobbes-Analyse von 1938 zugeschrieben. Es sei näm­lich Schmitt gewe­sen, der den bib­lis­chen Leviathan mit dem Bild des starken Staates ver­bun­den habe. Und über diesen Leviathan sei der frei­heitliche Men­sch aufgerufen, seine schützende Hand zu hal­ten. Der Schlüs­sel zum Ver­ste­hen von Nemeths Text, der wie ein einziger mythisch aufge­laden­er Code wirkt, liegt also offen­bar in Schmitts Hobbes-Buch.

Buchcover Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938) - Zeichnung Walflischflosse am Cover

Buch­cov­er Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staat­slehre des Thomas Hobbes (1938). Wal­fis­chflosse wie bei Atterseekreis-Logo am Cover.

Die inhaltliche Analyse des Zitats wird jedoch durch eine gravierende Prob­lematik verz­er­rt: Es han­delt sich näm­lich nicht um ein Zitat von Carl Schmitt. Nemeth hat diesen Satz beim Poli­tik­wis­senschaftler Rein­hard Mehring abgeschrieben (hier bei Google books ein­se­hbar). Bei Mehring been­det der zitierte Satz einen Absatz, in dem es um Schmitts Begriff von Sou­veränität geht.

Der Schlüs­sel zum Ver­ste­hen liegt den­noch in Schmitts Hobbes-Buch, denn auch hier geht es um die Begrün­dung (und den Zer­fall) von Sou­veränität. Schmitt ent­fal­tet die These, dass der Staat­s­the­o­retik­er Thomas Hobbes (1588–1679) in seinem berühmten Leviathan-Buch eine fol­gen­schwere „Bruch­stelle“ einge­baut habe: Die poli­tis­che Unter­schei­dung von „öffentlich“ (dem äußeren Beken­nt­nis) und „pri­vat“ (dem inneren Glauben des Indi­vidu­ums). Im his­torischen Ver­lauf habe sich das als „Todeskeim“ des Leviathan erwiesen und ihn „von innen her zer­stört“ (Schmitt 1938, S. 86), denn damit war der sou­veräne Staat bere­its mit dem Keim des Lib­er­al­is­mus infiziert, der sich let­ztlich im Rechts- und Ver­fas­sungsstaat durchge­set­zt hat. Unnötig zu erwäh­nen: Schmitt ist kein Fre­und dieser Entwick­lung. Und er weiß die Schuldigen zu benen­nen: „Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen des ‚Leviathan’ fiel der Blick des ersten lib­eralen Juden auf die kaum sicht­bare Bruch­stelle“ (ebd., S.86). Gemeint ist Spin­oza; und nach Schmitts Ver­schwörungs­the­o­rie war er nur der erste in ein­er Rei­he von weit­eren Juden, die aus Hobbes – lediglich als Vor­be­halt gemein­ter – Unter­schei­dung ein Prinzip macht­en: Damit trat die indi­vidu­elle Gedanken­frei­heit an die Stelle der – sich aus dem „Volk“ legit­imieren­den – sou­verä­nen Staats­macht. Dies sei eine „kleine, umschal­tende Gedanken­be­we­gung aus der jüdis­chen Exis­tenz her­aus“ (ebd., S.88–89) gewe­sen. Nach Schmitt wird der Staat fol­glich zu so etwas wie ein­er entk­ern­ten, neu­tralen Mas­chine; es zählt nicht länger der mythol­o­gisch und ras­sisch begrün­dete Volk­swille – in dem pri­vate und öffentliche Mei­n­ung das­selbe zu sein haben – son­dern ein volks­feindlich­er Indi­vid­u­al­is­mus, der dem Juden­tum dient. Anti­semitismus, Antilib­er­al­is­mus und Anti­in­di­vid­u­al­is­mus sind hier nicht mehr voneinan­der zu unter­schei­den, vielmehr imag­iniert Schmitt Lib­er­al­is­mus (sowie Indi­vid­u­al­is­mus) als „jüdis­ches Prinzip“.

Der Schmitt-Experte Rein­hard Mehring geht in jen­em Buch, aus dem Nemeth den oben zitierten Satz abgeschrieben (und Schmitt zugeschrieben) hat, etwa 250 Seit­en später tat­säch­lich auch auf die Hobbes-Analyse ein, und zwar über­aus kritisch:

Seine [Schmitts] Hobbes-Stu­di­en sind […] eine kri­tis­che Diag­nose, dass eine mythis­che Begrün­dung des ‚total­en’ Staates gescheit­ert ist. Dafür macht Schmitt des Ein­fluss des Juden­tums ver­ant­wortlich. Die Hobbes-Stu­di­en sind in der Aus­sage res­ig­na­tiv, hal­ten […] aber an der Utopie eines ‚total­en’ Staats […] fest und bieten das geis­tes­geschichtliche Mit­tel der ‚Poli­tis­chen The­olo­gie’ dafür auf. Schmitt sucht ein neues Niveau der Ver­wis­senschaftlichung seines Anti­semitismus und legt 1938 seine gewichtig­ste Analyse des ‚Sinns und Fehlschlags’ des lib­eralen Staates vor.“ (Mehring 2009, 388ff)

Darin ist nun nochmal alles ver­sam­melt, was es zum Ver­ste­hen von Nemeths Schmitt-Bezug braucht. Obwohl Schmitts Text resig­nierend ist, hält er den­noch am „total­en Staat“ und sein­er „Poli­tis­chen The­olo­gie“ – der Suche nach einem poli­tis­chen Mythos – fest. Eben dafür hat er in dem Hobbes-Text nach einem neuen Niveau zur „Ver­wis­senschaftlichung seines Anti­semitismus“ gesucht. Auch der His­torik­er Raphael Gross, der immer­hin ein ganzes Buch zu Schmitts Anti­semitismus geschrieben hat, betont, dass der Leviathan-Text eine „unge­broch­ene Nähe zu nation­al­sozial­is­tis­chen Zielset­zun­gen“ (2000, 270) aufweist. Schmitts „Über­tra­gung der Mythen auf die Ver­fas­sungs­geschichte“ (ebd., 279) propagiert dem­nach eine poli­tis­che Mytholo­gie mit radikalem Anti­semitismus. Kurzum: Schmitts „the­ol­o­gis­che“ For­mulierun­gen zie­len auf ein völkisches Homogen­ität­side­al und ver­han­deln dieses als die „wahre Demokratie“, deren Feind stets als „das Jüdis­che“ bes­timmt wird.

Zurück zu Attersee. Nemeths Text, der eher aus vor­sichti­gen Andeu­tun­gen und Bezug­nah­men beste­ht, dürfte die inhaltlichen Weichen für alle späteren, und mitunter weniger vor­sichti­gen, Beiträge im Attersee-Report gelegt haben. Um nur einige Geschmack­sproben aus ver­schiede­nen Attersee-Reporten zu servieren: Der AfD-Poli­tik­er John Hoew­er raunt über die „Zer­set­zung tradiert­er Grund­sätze organ­is­ch­er Gemein­schaften“ (4); Chefredak­teur May­er sin­niert wohlmeinend über Schmitts homo­gene Demokratie, die eine notwendi­ge „Auss­chei­dung des Het­ero­ge­nen“ impliziert (5); Siegfried Waschnig, ein iden­titär­er Aktivist, Autor bei „info-direkt“ und par­la­men­tarisch­er Mitar­beit­er des FPÖ-Nation­al­ratsab­ge­ord­neten Axel Kasseg­ger, hal­luziniert davon, dass heute noch viele Sozialdemokrat_innen in Öster­re­ich von ein­er „gewalt­samen Machter­grei­fung“ träu­men (6).

Auf dem „Mark­t­platz der Ideen“ (wie sich der Atterseekreis im zuge­höri­gen Online-Forum nen­nt) find­en sich also nicht nur neolib­erale und kon­ser­v­a­tive Posi­tio­nen. Von diesem Ver­sprechen sollte man sich nicht täuschen lassen, denn in Nemeths Denk­fab­rik laufen auch völkische, deutschna­tionale, ras­sis­tis­che, reak­tionär-roman­tis­che und anti­semi­tis­che Tra­di­tion­slin­ien zusam­men und wer­den zu einem neuen Ton amalgamiert.

Faz­it

Hier wird ein frei­heitlich­er Staats­be­griff entwick­elt, der sich ganz offen – wenn auch ein biss­chen durch Schmitts Prosa vernebelt – auf einen poli­tis­chen Mythos hin­ter der Rechtsstaatlichkeit bezieht. Die Posi­tion­ierung ist klar: Natur vor Gesellschaft, organ­is­che Nation vor Repub­lik, Volk­swille vor Rechtsstaat. Nemeth weiß ganz genau, was er tut, wenn er sich auf Carl Schmitts Hobbes-Buch bezieht, wie er auch ganz genau weiß, was er tut, wenn er von „Kon­ser­v­a­tiv­er Kon­ter­rev­o­lu­tion“ spricht. Das sind ein­deutige Codes, fre­undliche Han­dre­ichun­gen für die völkischen Rebellen der intellek­tuellen, extremen Recht­en. Seien es Iden­titäre, deutsch-nationale Burschen­schafter oder Neon­azis – über Carl Schmitt ver­ste­ht man sich.

Dass Schmitt eine so gewichtige Posi­tion im neurecht­en Denken ein­nimmt, ist nachvol­lziehbar: Er liefert ein begrif­flich­es Instru­men­tar­i­um für einen „Jar­gon der Demokratie“; gesprochen wird von Demokratie, gemeint ist eine völkische Pseu­do­demokratie, die sich über einen erfun­de­nen (weil als homogen kon­stru­ierten) „Volk­swillen“ legit­imiert. Und dass es der gegen­wär­ti­gen recht­en Schmitt-Rezep­tion genau darum geht, fasst der Poli­tik­wis­senschaftler Samuel Salzborn in ähn­lichen Worten zusam­men: Näm­lich um „eine gelenk­te Demokratie auf der Basis eines erfühlten (d.h. von den Recht­en dik­tierten) ‚Volk­swil­lens‘, der auf völkische Homogen­ität und einem kat­e­go­ri­alen und mil­i­tarisieren­den Fre­und-Feind-Denken basiert. Dass dieses Denken in die Bar­barei führt, kann man heute wis­sen.“ (Salzborn 2017, S. 77)

Ganz zum Schluss eine Wieder­hol­ung, weil’s so wichtig ist: Den Atterseekreis betreiben keine FPÖ-Het­zer aus der drit­ten Rei­he, son­dern Granden des drit­ten Lagers, näm­lich der frei­heitliche Klub­di­rek­tor Nor­bert Nemeth und der stel­lvertre­tender OÖ-Lan­deshaupt­mann Man­fred Haimbuchner.

Fußnoten
1 „Über­liefer­un­gen“ Attersee-Report Nr. 12, August 2017, S. 3
2 ebd., S. 5
3 ebd., S. 34–36
4 „Occi­dens sol“ Attersee-Report Nr. 15, Juni 2018, S. 12
5 „Der Nomos der Erde“ Attersee-Report Nr. 14, März 2018, S. 37
6 „Phoenix ex cinere“ Attersee-Report Nr. 16, Sep­tem­ber 2018, S. 23

Lit­er­atur
Gross, Raphael (2000): Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Recht­slehre. Frankfurt/Main: Suhrkamp

Mehring, Rein­hard (2009): Carl Schmitt. Auf­stieg und Fall. München: C.H. Beck
Peham, Andreas (2013): „Durch Rein­heit zur Ein­heit“. Zur Kri­tik des deutschna­tionalen Kor­po­ra­tionswe­sens in Öster­re­ich unter beson­der­er Berück­sich­ti­gung anti­semi­tis­ch­er Tra­di­tion­slin­ien und nation­al­sozial­is­tis­ch­er Bezüge. Voll­text online unter: http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextremismus-in-oesterreich/durch-reinheit-zur-einheit
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Anti­demokrat­en. Die völkische Rebel­lion der Neuen Recht­en. Wein­heim Basel: Beltz Juventa
Schmitt, Carl (1938): Der Leviathan in der Staat­slehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines poli­tis­chen Sym­bols. Stuttgart: Klett-Cot­ta (2003)