Die Älteren unter uns erinnern sich wohl sehr gut an jene Monate des Bundespräsidentschaftswahlkampfs 1986, als Stück für Stück Kurt Waldheims Geschichte während der NS-Zeit aufgedeckt wurde, jenes Kandidaten, der in seiner Biographie die entscheidenden Jahre ausgeblendet hatte: von seiner Mitgliedschaft in der SA, bei der er nie dabei gewesen sein wollte, bis zu seinen Einsätzen am Balkan, als Nachrichtenoffizier in Thessaloniki. „Der Kandidat“ – so nennt Beckermann Waldheim durchgehend – hatte behauptet, nichts von den Gräueltaten der Nazis, nichts von den Deportationen zigtausender Juden und Jüdinnen mitbekommen zu haben. Waldheims „Ich habe nur meine Pflicht als Soldat erfüllt“ geriet schließlich zum Schlüsselsatz in der Auseinandersetzung Österreichs mit seiner Vergangenheit, in der die bis dorthin dominierende Opferthese einer ganzen Generation von Beteiligten hinweggefegt wurde – und damit gleichzeitig die Lebenslüge, auf die unsere Zweite Republik gebaut wurde.

Beckermann seziert die Zeit der Auseinandersetzung im Präsidentschaftswahlkampf mit Nahaufnahmen, die auch emotional nahe gehen: von Waldheim selbst, seinen auffälligen Gesten, seiner Mimik, Aufnahmen, die so weit an Waldheim heranführen, dass ihn die Kamera bis in die Hautporen hinein zu durchdringen scheint und bloßstellt. Nahaufnahmen von seinem Sohn, der sich für den Vater einer Befragung durch den US-Kongress stellte und dessen Schlucken an den harten Vorwürfen nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar wird. Diese Szenen werden wohl bei einigen Kinobesucher_innen etwas zwischen peinlich berührt und Mitleid ausgelöst haben.
Beckermann zeigt die öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen, die sich Waldheim-BefürworterInnen und ‑KritikerInnen bei Wahlveranstaltungen geliefert hatten. Wir erleben unverhohlenen, bis ins Hämische gleitenden, kaum zu ertragenden Antisemitismus, eine trotzige „Mir san Mir“-Stimmung, die sich von Waldheims politischen Weggefährten aus der ÖVP bis zu den volksfestartigen Veranstaltungen am Land, an denen Waldheim wahlkämpfend auftrat, hinunterzog. Hier sind die Bruchlinien zwischen Stadt und Land, die sich auch im Präsidentschaftswahlkampf Van der Bellen versus Hofer wieder auftaten, erkennbar: Während Waldheims Auftritte in Wien von lautstarken Protesten begleitet waren, wurde die ländliche (Schein)Idylle durch keine „störenden“ Interventionen getrübt. Präsentierte sich Waldheim in Anspielung auf seine Zeit als UNO-Generalsekretär auf den ersten Wahlplakaten noch vor der Skyline von New York („Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“), war sein Konterfei zum Schluss mit einem Landschaftsbild im Hintergrund zu sehen, darüber quer prangend: „Jetzt erst recht!“ Die große weite Welt degenerierte innerhalb weniger Wochen zum antisemitisch gefärbten Feindbild, aus dem sich das „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen!“ fast unvermeidlich erschloss.
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Dass Waldheim schließlich mit fast 54% im Juni 1986 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, ist nur mehr eine Draufgabe, der Beckermann gerade noch ein finales Insert widmet. Klar, aus Waldheims Amtszeit sind letztendlich nur mehr der Schatten aus seiner Vergangenheit, sein Umgang damit und seine Isolation geblieben.
Auch für jene, die das Jahr 1986 miterlebt haben, sind viele Filmausschnitte, insbesondere aus den USA, neu, weil damals bezeichnenderweise nichts davon im ORF zu sehen war. 32 Jahre später hinterlässt uns der Film mit einem Staunen darüber, wie sich Waldheim über Jahrzehnte in höchsten Positionen von seiner Vergangenheit abkoppeln und wegschwindeln konnte und – angesichts der aktuellen Entwicklungen – mit der erschreckenden Gewissheit, dass Geschichtsvergessenheit einen langen Arm hat, so, als ob uns Waldheims Gesten auch heute wieder einnehmen wollten.
Filmwebsite: http://www.waldheimswalzer.at