Waldheims Walzer: „Ein Film über Lüge und Wahrheit.”

Let­zte Woche ist in den öster­re­ichis­chen Kinos „Wald­heims Walz­er“ von der Filmemacherin Ruth Beck­er­mann ange­laufen. Der mit bere­its eini­gen Preisen aus­geze­ich­nete und als öster­re­ichis­ch­er Beitrag für den Oscar ins Ren­nen geschick­te Film ist, um es kurz zu machen, ein bestechen­des Stück Zeit­geschichte, das möglichst viele sehen sollten.

Die Älteren unter uns erin­nern sich wohl sehr gut an jene Monate des Bun­de­spräsi­dentschaftswahlkampfs 1986, als Stück für Stück Kurt Wald­heims Geschichte während der NS-Zeit aufgedeckt wurde, jenes Kan­di­dat­en, der in sein­er Biogra­phie die entschei­den­den Jahre aus­ge­blendet hat­te: von sein­er Mit­glied­schaft in der SA, bei der er nie dabei gewe­sen sein wollte, bis zu seinen Ein­sätzen am Balkan, als Nachrichtenof­fizier in Thes­sa­loni­ki. „Der Kan­di­dat“ – so nen­nt Beck­er­mann Wald­heim durchge­hend – hat­te behauptet, nichts von den Gräueltat­en der Nazis, nichts von den Depor­ta­tio­nen zig­tausender Juden und Jüdin­nen mit­bekom­men zu haben. Wald­heims „Ich habe nur meine Pflicht als Sol­dat erfüllt“ geri­et schließlich zum Schlüs­sel­satz in der Auseinan­der­set­zung Öster­re­ichs mit sein­er Ver­gan­gen­heit, in der die bis dor­thin dominierende Opfer­these ein­er ganzen Gen­er­a­tion von Beteiligten hin­wegge­fegt wurde – und damit gle­ichzeit­ig die Lebenslüge, auf die unsere Zweite Repub­lik gebaut wurde.

Filmankündigung Waldheims Walzer

Wald­heims Walzer

Beck­er­mann seziert die Zeit der Auseinan­der­set­zung im Präsi­dentschaftswahlkampf mit Nahauf­nah­men, die auch emo­tion­al nahe gehen: von Wald­heim selb­st, seinen auf­fäl­li­gen Gesten, sein­er Mimik, Auf­nah­men, die so weit an Wald­heim her­an­führen, dass ihn die Kam­era bis in die Haut­poren hinein zu durch­drin­gen scheint und bloßstellt. Nahauf­nah­men von seinem Sohn, der sich für den Vater ein­er Befra­gung durch den US-Kongress stellte und dessen Schluck­en an den harten Vor­wür­fen nicht nur sicht­bar, son­dern auch spür­bar wird. Diese Szenen wer­den wohl bei eini­gen Kinobesucher_innen etwas zwis­chen pein­lich berührt und Mitleid aus­gelöst haben.

Beck­er­mann zeigt die öffentlich aus­ge­tra­ge­nen Auseinan­der­set­zun­gen, die sich Wald­heim-Befür­wor­terIn­nen und ‑Kri­tik­erIn­nen bei Wahlver­anstal­tun­gen geliefert hat­ten. Wir erleben unver­hohle­nen, bis ins Hämis­che glei­t­en­den, kaum zu ertra­gen­den Anti­semitismus, eine trotzige „Mir san Mir“-Stimmung, die sich von Wald­heims poli­tis­chen Wegge­fährten aus der ÖVP bis zu den volks­fes­tar­ti­gen Ver­anstal­tun­gen am Land, an denen Wald­heim wahlkämpfend auf­trat, hin­un­ter­zog. Hier sind die Bruch­lin­ien zwis­chen Stadt und Land, die sich auch im Präsi­dentschaftswahlkampf Van der Bellen ver­sus Hofer wieder auf­tat­en, erkennbar: Während Wald­heims Auftritte in Wien von laut­starken Protesten begleit­et waren, wurde die ländliche (Schein)Idylle durch keine „stören­den“ Inter­ven­tio­nen getrübt. Präsen­tierte sich Wald­heim in Anspielung auf seine Zeit als UNO-Gen­er­alsekretär auf den ersten Wahlplakat­en noch vor der Sky­line von New York („Ein Öster­re­ich­er, dem die Welt ver­traut“), war sein Kon­ter­fei zum Schluss mit einem Land­schafts­bild im Hin­ter­grund zu sehen, darüber quer prangend: „Jet­zt erst recht!“ Die große weite Welt degener­ierte inner­halb weniger Wochen zum anti­semi­tisch gefärbten Feind­bild, aus dem sich das „Wir Öster­re­ich­er wählen, wen wir wollen!“ fast unver­mei­dlich erschloss.

Wahlplakat: Jetzt erst recht!

Wahlplakat: Jet­zt erst recht!

Wahlplakat: Wir Österreicher wählen, wen wir wollen. Jetzt erst recht Waldheim.

Wahlplakat: Wir wählen, wen wir wollen.

Dass Wald­heim schließlich mit fast 54% im Juni 1986 zum Bun­de­spräsi­den­ten gewählt wurde, ist nur mehr eine Drauf­gabe, der Beck­er­mann ger­ade noch ein finales Insert wid­met. Klar, aus Wald­heims Amt­szeit sind let­z­tendlich nur mehr der Schat­ten aus sein­er Ver­gan­gen­heit, sein Umgang damit und seine Iso­la­tion geblieben.

Auch für jene, die das Jahr 1986 miter­lebt haben, sind viele Fil­mauss­chnitte, ins­beson­dere aus den USA, neu, weil damals beze­ich­nen­der­weise nichts davon im ORF zu sehen war. 32 Jahre später hin­ter­lässt uns der Film mit einem Staunen darüber, wie sich Wald­heim über Jahrzehnte in höch­sten Posi­tio­nen von sein­er Ver­gan­gen­heit abkop­peln und wegschwindeln kon­nte und – angesichts der aktuellen Entwick­lun­gen – mit der erschreck­enden Gewis­sheit, dass Geschichtsvergessen­heit einen lan­gen Arm hat, so, als ob uns Wald­heims Gesten auch heute wieder ein­nehmen wollten.

Filmweb­site: http://www.waldheimswalzer.at