Mit Engelszungen hat FPÖ-Chef Strache seinen politischen Gegner und Vorgänger Haider, der die FPÖ 2005 mit der Gründung des BZ gespalten hat, in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ vom 7.10.18 als Kämpfer gegen Privilegien und Parteibuchwirtschaft angepriesen. Ministrieren durfte ihm dabei der blaue ehemalige Justizminister Böhmdorfer, der das Weihrauch-Fässchen allzu heftig schwang. Darum hier ein Beitrag zum segensreichen Wirken des Jörg Haider bei seinem angeblichen Kampf gegen die Parteibuchwirtschaft.
Peinliche Verhandlungen
Im Klagenfurter Hotel Dermuth wurde am 18. April 1994 ein Koalitionsabkommen zwischen den beiden Parteichefs Jörg Haider (FPÖ) und Christof Zernatto (ÖVP) abgeschlossen, das in seiner Dreistigkeit und Detaillierung wohl so ziemlich alle in Österreich bisher bekannten Koalitionspakte übertroffen hatte. „Eines der unanständigsten, unverschämtesten Abkommen, das je in Österreich ausgeschnapst wurde“, hieß es in einem Kommentar der „Salzburger Nachrichten“ (23.4.1994) damals.
Heute ist dieser Pakt weitgehend vergessen, der politischen Amnesie zum Opfer gefallen, weil er nicht nur für die FPÖ, sondern – in dieser Reihenfolge – auch für ÖVP und SPÖ peinlich war. Eine Sekretärin tippte damals das Abkommen mit einer Schreibmaschine und nur einem Durchschlag – die beiden Exemplare wurden danach weggesperrt. Der Inhalt wurde erst nach der Aufkündigung des Paktes bekannt.
Ein Monat zuvor, am 13. März 1994, war die Kärntner Landtagswahl abgehalten worden, die weitere und massive Verluste der stimmstärksten Partei (37.37 %), der SPÖ (-8,58%), und einen Gewinn von 4,27 % für die zweitstärkste Partei (33,27 %), die FPÖ brachte. Die ÖVP mit Zernatto, der 1991 dem abgewählten Jörg Haider als Landeshauptmann folgte, konnte sich nur um 2.8% auf 23,79 % verbessern.
Die Brunello-Runde
Die ÖVP war also 1994 nur drittstärkste Partei, wollte aber trotzdem weiterhin den Landeshauptmann stellen. Deshalb ließ sich Zernatto auf einen aberwitzigen Verhandlungspoker mit FPÖ und SPÖ ein und brach damit gleich einmal sein Abkommen mit der SPÖ aus dem Jahr 1991, das der stimmstärksten Partei den Posten des Landeshauptmannes nach der nächsten Wahl, also 1994 damit der SPÖ, versprochen hatte.
Die SPÖ Kärnten wiederum war zunächst bereit, sogar den wegen seiner Nazi-Sprüche abgewählten Haider nach der nächsten Wahl wieder zum Landeshauptmann zu wählen, wenn er bzw. die FPÖ für die aktuelle Wahlperiode einen SPÖ-Landeshauptmann akzeptiert hätte. Erst als Fernsehbilder eine ziemlich beschwingte Verhandlungsrunde von SPÖ- und FPÖ-Funktionären inmitten von (leeren) Brunello-Flaschen zeigten, regte sich Widerstand in der Bundes-SPÖ, und deren damaliger Obmann Vranitzky verbat seinen Parteifreunden nicht nur eine Vereinbarung mit der FPÖ, sondern auch eine Wahl von Zernatto.
Der zeigte daraufhin genüsslich eine bereits unterschriebene Vereinbarung mit dem präsumptiven Landeshauptmann der SPÖ, Michael Ausserwinkler, die dieser sogar seiner eigenen Partei verschwiegen hatte. In diesem Papier hatte er Zernatto für eine verkürzte Periode die Wahl zum Landeshauptmann zugesichert, wenn die ÖVP dann beim nächsten Mal einen Sozialdemokraten wählt (soferne die SPÖ stimmstärkste Partei werden sollte). „Jeder spielte mit falschen Karten“, urteilte „profil“ damals (25.4.1994) über diese Verhandlungstricksereien.
Der blaue Machtrausch
Die wildeste und schlimmste Schacherei stand aber noch bevor: die schon erwähnte Verhandlung zwischen Haider und Zernatto vom 18. April 1994 , bei der es letzteren nur darum ging, seinen Posten als Landeshauptmann zu behalten. Der Rest des Abkommens sah eine fast vollständige Machtübernahme durch die FPÖ vor, bei der faktisch alle vom Land zu vergebenden Posten aufgeteilt wurden. Das Abkommen enthielt die vertragliche Zusicherung, dass die FPÖ schon nach drei Jahren Neuwahlen verlangen und danach den Landeshauptmann erhalten könnte, sofern sie stimmenmäßig vor der ÖVP zu liegen käme. De facto hätte das den Widerruf der Abwahl Haiders und das Ende seiner politischen Quarantäne bedeutet.
Das Abkommen sah aber darüber hinaus die „totale blaue Machtergreifung“ durch die FPÖ vor:
• Von den 31 Referaten in der Landesregierung wären 21 an die FPÖ gefallen, nur jeweils 5 wären bei der ÖVP verblieben. Die stimmstärkste Partei wäre auf die Ebene einer wenig bedeutenden politischen Gruppe reduziert worden.
• Von den acht damaligen Gesellschaften im Landesbesitz sollten sieben Präsidentenposten an die FPÖ fallen. Für die achte, die Landes-Hypobank (Vorgänger der Hypo-Alpe-Adria), wurde vermerkt, dass noch eine einvernehmliche Lösung gefunden werden müsse.
• Der FPÖ wurde das Vorschlagsrecht für die Bestellung des zukünftigen Landesintendanten des ORF eingeräumt.
• Für die Auswahl des zukünftigen Landesvertreters im damaligen ORF-Kuratorium wurde Einvernehmlichkeit vereinbart (der bisherige SPÖ-Vertreter sollte jedenfalls abgelöst werden).
• Alle leitenden Funktionen und Schul- und Sozialhilfeverbänden sollten im wechselseitigen Einvernehmen besetzt werden – dazu wurden die Schulen, in denen demnächst eine Nachbesetzung von Direktorenposten anstehen sollte, namentlich angeführt.
• Der Landeshauptmann wurde dazu verpflichtet, für den Posten der Landeschulratspräsidentin eine frühere FPÖ-Abgeordnete einzusetzen.
• Bei der Aufteilung der Kompetenzen innerhalb der Landesregierung (damals gab es noch eine Proporzregierung https://de.wikipedia.org/wiki/Proporz ) sollte nicht nur die SPÖ abgeräumt werden, sondern auch die ÖVP. Der Posten des Landtagsdirektors, traditionell der stimmstärksten Partei zustehend, sollte neu bestellt und der FPÖ zugeordnet werden.
• Im Pakt wurden die Bezirkshauptstädte im Hinblick auf die für 1997 bevorstehenden Gemeinderatswahlen aufgelistet, wobei sich ÖVP und FPÖ dabei eine Garantie gaben, der jeweils stärkeren (nicht der stärksten!) Partei den Bürgermeistersessel zu sichern. Dieser Punkt stand im Widerspruch zu dem für 1997 geplanten bzw. versprochenen System von Bürgermeister-Direktwahlen.
Ein völlig unbedeutender Punkt, nämlich die von der ÖVP zugesagte Erweiterung der Klubräumlichkeiten für die FPÖ – es ging um zehn bis zwanzig Quadratmeter – wurde von der FPÖ schon am Tag nach der Vertragsunterzeichnung, also am 19.4., ultimativ für den 21.4., 18 Uhr eingefordert und war wohl mit ein Auslöser für den Umschwung bei der ÖVP. Der blaue Machtrausch nach der Vertragsunterzeichnung äußerte sich so ungezügelt und brutal, dass sogar geeichten ÖVPlern Hören und Sehen verging. Der designierte FPÖ-Kulturlandesrat verkündete ohne Absprache mit dem Koalitionspartner, dass er dem verhassten und politisch unbequemen Klagenfurter ‚Stadttheater „keine ausreichenden Mittel mehr zuschießen“ (profil, 25.4.1994) werde und ließ Listen über die neuen Beamten seines Ressorts anfertigen. Der designierte Landeshauptmannstellvertreter Reichhold von der FPÖ kündigte an, das Regierungsprogramm vorzustellen – eine Aufgabe, die traditionell der Landeshauptmann erledigt. Sein Sekretär beschied den Mitarbeitern der Finanzabteilung: „Ab Morgen habt ihr Habtacht zu stehen.“
„Wir sind nicht aufzuhalten“
Das alles und ein neuerliches Gesprächsangebot der SPÖ führten dazu, dass Zernatto am Mittwoch, 20.4. abends den Pakt mit der FPÖ wieder aufkündigte und das im ORF verkündete. Diese Nachricht wiederum führte dazu, dass sich „mit Gewalt (…) Spitzenfunktionäre der FPÖ am Mittwoch abend im Klagenfurter ORF-Gebäude Zutritt zur Diskussion im ZIB-Abendstudio verschaffen“ (Der Standard, 22.4.1994) wollten. Es dauerte rund eine Stunde, bis die ORF-Stürmer aufgaben und abzogen. Zuvor hatten sie unter Hinweis auf „die stalinistischen ORF-Methoden“ Redaktionsräume belagert und davon gesprochen, „uns kann man nicht aufhalten, denn wir sind nicht aufzuhalten“. Haider und seine Buberlpartie waren so erbost über die Niederlage, dass sie Zernatto als „Verräter“, „Ehrlosen“ und Lügner“ beschimpften und eine Totalblockade der Wahl des Landeshauptmanns durch Auszug aus dem Landtag ankündigten.
„Was mich eigentlich ein bisschen traurig stimmt in der jetzigen Situation, weil ja Kärnten wirklich viele Probleme hat, die zu lösen sind, und ich eigentlich gekämpft habe, dass wir für dieses Land eine Regierung bringen, die vieles beseitigt, was in den letzten Jahren fehlgelaufen ist. Insbesondere den Leuten ein Stückchen mehr Freiheit zu bringen, dort, wo einfach Parteipolitik, Parteibuchterror, Proporz und Filz existiert.“ Jörg Haider im Inlandsreport des ORF am 21.4.1994
Bei der ÖVP war dafür „die Zeit der Wendehälse“ gekommen:
„Praktisch dieselben ÖVP-Funktionäre, die Haider 1989 zum Landeshauptmann gekürt und ihn 1991 abgewählt hatten, stimmten vergangenen Montag mit einer 80-Prozent-Mehrheit für den abstrusen Pakt mit der FPÖ, um ihn zwei Tage später einhellig und empört wieder aufzukündigen.“ (profil, 25.4.1994)
Auch die SPÖ hatte bei dem schmierigen Postenschacher zeitweise mitgemacht und – einige Jahre vor Schüssels Pakt mit der FPÖ – dem Drittplatzierten den Landeshauptmann angeboten. Am Ende wurden die FPÖ und Jörg Haider zwar für einige weitere Jahre (bis April 1999) von der Landeshauptmannschaft ferngehalten, aber ÖVP und SPÖ durch ihr eigenes Verhalten schwerer beschädigt als die FPÖ. Bei der Landtagswahl 1999 verlor die SPÖ weiter (32,86%), die ÖVP detto (20,74 %), während sich die FPÖ um 8,79 % auf 42,06% verbesserte und Haider zum Landeshauptmann wählen konnte, weil die ÖVP auf eine Stimmabgabe verzichtete.
zu Teil II Jörg Haider: Kriminalität und Kooruption im Umfeld