Abgang und Neustart – zu den Voraussetzungen von „Freilich“ – Rückblick auf „Die Aula“
„Freilich“ präsentiert sich „diskursneugierig“
„Neue Rechte“ – neuer Ton, neue Personen, alte Inhalte
Zweimal Chemnitz
Verfolgungswahn & Kriegsrhetorik
Volkssuizid & internationale Eliten
„Metapolitik“
Fazit
Die Grazer Redaktionsadresse ist gleich geblieben, Eigentümer sind hingegen nur noch drei der Freiheitlichen Akademikerverbände (FAV): jene von Steiermark, Salzburg und Oberösterreich – wir haben bereits einen Artikel zur gleichgebliebenen Strukturur hinter den Kulissen veröffentlicht. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) hat diesen Jänner zu der ersten Ausgabe von „Freilich“ bereits einen ausführlichen Beitrag veröffentlicht. Darin werden Strukturen und Personalia, sowie die weiter bestehenden Verflechtungen mit dem Burschenschafter-Milieu und die ungebrochene Funktion des Blatts als FPÖ-Vorfeldorgan (auch wenn nun nicht mehr „freiheitlich“ am Heftcover steht) dargestellt.
Wir widmen uns daher stärker den inhaltlichen Neuerungen des Heftes, bzw. der Frage nach einer eventuellen Neujustierung der Blattlinie. Immerhin wurde im Mai seitens der Eigentümer eine umfassende – inhaltliche wie redaktionelle – Neuaufstellung versprochen. Der FAV-Steiermark-Obmann Heinrich Sickl, Grazer FPÖ-Gemeinderat und Geschäftsführer der neu gegründeten Freilich Medien Ges.m.b.H. ist, kündigte „hochwertige Journalisten“ an und stellte sogar in Aussicht, auch Andersdenkenden eine Stimme in der erneuerten Zeitschrift zu geben: „Wir wollen nicht im eigenen Saft schmoren”, hat es im Juni noch geheißen. Was diese Ankündigungen gemeint haben, lässt sich nun nachvollziehen: Man öffnet sich „neurechten“ Innovationen, oder wie das DÖW in einem ersten Resümee schreibt: „Freilich“ zeige „sich in Themensetzung, Ästhetik, Rhetorik und nicht zuletzt personell stärker ’neurechts’ inspiriert“. Hier wollen wir anknüpfen. Aber der Reihe nach.
Abgang und Neustart – zu den Voraussetzungen von „Freilich“
Im Juni 2018 war es mit den Entgleisungen soweit gekommen, dass Norbert Hofer seinen Partei-Freunden via eines „Österreich“-Interviews mitteilte, dass jemand, der in „Aula“ publiziere „die Chance auf eine weitere Karriere in der FPÖ verwirkt“ habe (siehe Standard oder Kleine Zeitung). Dass FPÖ-Größen sich in Sachen Mäßigung derartig autoritär an den Partei-Unterbau wenden, passiert nicht oft und zeigt an, wie groß der Druck geworden war. (So groß dann übrigens doch nicht, denn Vizekanzler Strache hat das Schreibverbot bald darauf schon wieder relativiert und dabei nicht darauf verzichtet, einen infamen und relativistischen Vergleich herzustellen: „Wenn ein freiheitlicher Funktionär beim Falter schreibt, hat er auch kein Karriereende.“ – siehe Videoclip der Kleinen Zeitung).
Warum also musste die traditionsreiche „Aula“ weichen? Das Fass zum überlaufen brachte ein Artikel der Mai-Ausgabe 2018, in dem der Songcontest-Teilnehmer Cesár Sampson als „ORF-Quotenmohr“ bezeichnet wurde. Prompt distanzierten sich FPÖ-Politiker von ihrem ideologischen Flaggschiff, und Generalsekretär Vilimsky ließ via Kronenzeitung verkünden, Strache wolle Cesár zur Entschuldigung auf Kaffee und Kuchen einladen. Die rassistische Diffamierung eines Publikumslieblings ging offenbar zu weit. Dass diese Distanzierung bestenfalls als scheinheilig und selektiv einzuschätzen ist, kann eindrucksvoll anhand eines Artikels des DÖW über die publizistischen Umtriebe der Aula im Jahr 2017 nachvollzogen werden. Darin wird die ziemlich aktuelle rechtsextreme Normalität von „Aula“ mit zahlreichen Zitaten belegt:
So will etwa Wolf Borkin „Menschen anderer Rasse“ nicht „im eigenen Land haben“ (Jänner 2017, S. 19); Thomas Seifert fantasiert davon, dass der „Globalismus“ „rassisch gemischte Individuen zur Folge“ habe (Februar 2017, S. 44); „Völker und Rassen“ drohen, Gerhoch Reisegger zufolge, abgeschafft zu werden (ebd., S. 50); und Gustaf Horn spricht sogar von „Massenmigration und Blutsvermischung“ als Instrumente des gehassten „Globalismus“ (ebd., S. 59). Aber nicht nur diesen offenen Rassismus (mit fließenden Übergängen zu Verschwörungstheorien), sondern auch den wahrlich ausufernden Antisemitismus von „Aula“ belegt das DÖW: Siegfried Borgelt fantasiert von „zionistischen Netzwerken“, die „deutsche Schuldkomplexe“ instrumentalisieren (Jänner 2017, S. 44); der katholische Fundamentalist Gerhoch Reisegger vermutet hinter dem Protestantismus „die ‚Synagoge des Satans’ und deren Herlfershelfer, die freimaurerischen Logen“ (März 2017, S. 53); die russische Oktoberrevolution sei, Longin Mendo zufolge, „vom angloamerikanischen Establishment als sozialistisches Experiment gestartet“ und auch wieder beendet worden (August 2017, S. 18); Thomas Seifert bestimmt den Autor Robert Menasse, der „auf seine jüdische Herkunft stolz“ sei, gemäß des antisemitischen Stereotyps der Heimat- und Wurzellosigkeit: „‚Intellektuelle’ wie ein Menasse leben natürlich hier und da und nirgendwo wirklich, sie spüren keine Verbundenheit zu einem Volk.“ (Mai/Juni 2017, S. 26) Auch über offene NS-Sympathie kann man in den „Aula“-Ausgaben des Jahres 2017 stoßen: Das DÖW zitiert etwa einen ehemaligen deutschen Bundeswehroberst (Mai/Juni 2017, S. 9–13), der von der „Menschlichkeit“ und „große[n] Ritterlichkeit“ der Wehrmacht schwärmt. (1)
Distanzierungen von alldem seitens der FPÖ gab es keine, was nicht überrascht, denn die folgte auch schon beim Allerschlimmsten nicht: Im Sommer 2015 veröffentlichte der Burschenschafter Fred Duswald einen Artikel mit dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ in der „Aula“. Darin werden die aus dem KZ befreiten Menschen als „Landplage“ und „Massenmörder“ bezeichnet. Dass die „Aula“ soweit ging, einen Artikel abzudrucken, in dem Shoah-Überlebende verhöhnt und verächtlich gemacht werden, hat ein bis heute andauerndes gerichtliches Nachspiel und war ein Skandal, der auch außerhalb von Österreich vernommen wurde (siehe etwa taz). Auch wir haben dazu ausführlich berichtet: Februar 2016, Juli 2016, September 2016, Februar 2017 und zuletzt im Mai 2018.
„Freilich“ präsentiert sich „diskursneugierig“
„Freilich“ kommt auf den ersten Blick auftrumpfend daher; großformatig, insgesamt 100 Seiten (etwa ein Drittel mehr als „Aula“), sehr viele, teilweise seitenfüllende Bilder (die das dazugewonnen Drittel vermutlich gänzlich ausmachen). Man gönnt sich diesmal, im Gegensatz zur altbackenen Aula, sogar eine Onlinepräsenz (2). Dort verspricht Eigentümervertreter Sickl „hochwertige Inhalte“ für alle, „egal welcher politischen Couleur“, man sei „locker und diskursneugierig, sozusagen entspannt.“ Chefredakteur Ulrich Novak bleibt nicht beim „dirskursneugierigen“ Frohlocken, sondern positioniert sich inhaltlich schon etwas deutlicher – sozusagen völkisch: „Der kulturelle Aspekt unserer Themen verweist auf die Gemeinsamkeiten unserer historisch gewachsenen deutschsprachigen Schicksalsgemeinschaft, wobei wir auch in die Länder schauen wollen, in denen das Volk wieder seine Stimme erhebt und sich seiner Rechte als Souverän besinnt und diese sich auch endlich wieder selbstbewusst nimmt.“ In dem Satz übersieht man vor lauter Weltoffenheit beinahe, dass Novak den Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ auf das „Volk“ anwendet; die Verbindung von „Schicksal“ und „Volk“ war ein wichtiger Bestandteil der NS-Kriegspropaganda und ist ein zentrales Element völkischer Weltanschauung.
Bereits in der Online-Selbstdarstellung klingt also an, dass der kosmetischen Runderneuerung keine inhaltliche gegenübersteht. Hier kann man tatsächlich lediglich von einer Oberflächenpolitur sprechen, oder wie das DÖW formuliert: „Freilich“ präsentiere sich „stilistisch und inhaltlich zurückhaltender als sein – teilweise die Grenze zum Neonazismus berührender – Vorgänger.“
Obwohl „Freilich“ im Ton zurückhaltender ist, bleiben die Feindbilder völlig unverändert: Es geht gegen Liberalismus, „Globalismus“ und internationale Eliten, gegen „Massenmigration“ und einen durchgehend als links imaginierten Medienmainstream.
„Neue Rechte“ – neuer Ton, neue Personen, alte Inhalte
Wie bereits erwähnt: Mit dem Relaunch positioniert sich das ehemalige Flaggschiff der extremen Rechten (inhaltlich sowie personell) stärker „neurechts“ als zuvor. Ob dieser Trend ein langfristiger ist, lässt sich zwar noch nicht sagen, aber die Entwicklung kommt nicht aus heiterem Himmel: So gibt es eine inzwischen regelmäßig stattfindende Kooperation des FAV Steiermark mit dem „neurechten“ deutschen Institut für Staatspolitik (IfS) (3) – die „Herbstakademie“ im steirischen Semriach. Das IfS ist ein wichtiger Baustein im Netzwerk der bundesdeutschen „Neuen Rechten“ und zentral für deren Entwicklung seit der Jahrtausendwende (vgl. Salzborn 2017, S. 45–52). Die prominenteste Figur in dem Netzwerk heißt Götz Kubitschek. Wir haben über diese Zusammenhänge bereits bezüglich der Tätigkeit von Vizekanzler Straches Pressesprecher, Konrad Weiß, berichtet (stopptdierechten, November 2018). Dieser schreibt immer wieder für die Zeitschrift „Sezession“ (die sozusagen der publizistische Arm des IfS ist) und wollte bei der letzten „Herbstakademie“ als Referent auftreten, hat dann aber doch abgesagt.
Zurück zu „Freilich“ (4). Vier Aktivisten aus dem „neurechten“ Spektrum um das IfS schreiben in dieser Erstausgabe. Nur deren Beiträge wollen wir uns genauer ansehen.
Zweimal Chemnitz
Arndt Novak, ein junger IB-Kader und Burschenschafter bei Danubia München (siehe DÖW), hat bereits für das relativ neue, identitäre Medienprojekt „anbruch.info“ geschrieben. Dort plädiert er gegen „multiethnische Gesellschaften“, welche „staatliche Souveränität und soziale Stabilität“ gefährden würden, und für die „konsequente Fortführung der neurechten, konservativ-revolutionären Denktradition“ (5). In „Freilich“ schreibt er über Chemnitz, das inzwischen zur Chiffre des identitären Kulturkampfs geworden ist: Hier kulminieren die beliebten rechten Narrative von der „Lügenpresse“ und einem angeblichen „Täterschutz“. Novak benutzt die Ereignisse in Chemnitz, wie bereits viele IB-Kader vor ihm, um eine Frontlinie zu konstruieren: Elite, Medien und Fremde vs. Volk. Novak schreibt vom „Tiefpunkt der Pressefreiheit“ und einer „nie dagewesenen Medienkampagne“ (S. 33). Er versucht sich in so etwas wie völkischer Selbstironie, wenn er von der „Verschmelzung ökonomischer und politischer Interessen zuungunsten der – horribile dictu – ‚bio-deutschen Urbevölkerung’“ (S. 35) schreibt.
Die Tabuisierung von „Migrantengewalt“ sei ursächlich für ein „Klima der Unfreiheit und der Repression“ (ebd.). Novaks Feindbestimmung lautet „westliche Ideologie“. Er fantasiert von „[i]dentitätspolitische[n] Eingriffe[n] in die Bevölkerungszusammensetzung, die Geschlechterrollen und das Familienbild“ (S. 39). Immer wieder geht die Schleife zurück zu dem Mord, bis zum pathetischen Ende: Die „Blumen und Kerzen auf Deutschlands Straßen“ seien „die stille Anklage eines vergessenen Volkes“ (ebd.). Das bekannte Kalkül hinter der Erzählung: Morde und Einwanderung sollen in eine direkte Verbindung gesetzt werden (der Mord wird dem ungewünschten Kollektiv zugeschrieben und nicht einzelnen Tätern), und zwar vor dem Hintergrund, dass die „Masseneinwanderung“ ein gezielt gesteuertes Elitenprojekt gegen das Volk sei und die offene mediale Debatte darüber (aufgrund ökonomischer und politischer Interessen) verhindert werde.
Ganz ähnliche Töne schlägt Felix Menzel an, der von Arndt Novak für „Freilich“ interviewt wird. Menzel ist Gründer und Herausgeber der „Blauen Narzisse“, einer hauptsächlich online agierenden Jugendzeitschrift, die als „Vorfeldinstitution“ fungiert, um „neurechte Weltanschauung in niedrigschwelliger Weise“ (Salzborn 2017, S. 49) an ein junges Publikum zu vermitteln. Außerdem ist er Autor bei der „Sezession“ und eine Schlüsselfigur der Indentitären Bewegung in Deutschland . Auch Menzel bedient das Narrativ „Elite vs. Volk“ und formuliert das klischeehaft und pointiert: „Der eigentliche Riss in Deutschland verläuft zwischen Patrioten und Deutschlandabschaffern, zwischen Realisten und Gutmenschen sowie zwischen einer globalistischen Elite und bodenständigen Menschen aus dem Volk.“ (S. 41)
Aus dem Feindbild „globalistische Elite“ wird das Furchtbild eines gesellschaftlichen Zerfalls abgeleitet: Zugespitzt in dem Szenario einer „Anpassung des Nordens an den armen Süden durch Überbevölkerung, Massenmigration und vielleicht auch einen daraus resultierenden Weltbürgerkrieg“ (S. 43). Ganz nach Carl Schmitt, dem Nazi-Juristen und Vordenker des NS, klingt es wenn Menzel sagt: „Einigkeit setzt ein Mindestmaß an Homogenität voraus. […] Die Multikulti-Gesellschaft dagegen fördert letztendlich eine unaufhaltsame Fragmentierung.“ (S. 45). Mit der Frontstellung „Homogenität“ vs. „Fragmentierung“ (ein netteres Wort für „Zersetzung“) knüpft Menzel an den völkischen Intellektuellen-Jargon der sogenannten „konservativen Revolution“ an, also an die Weimarer Vordenker des NS.
Verfolgungswahn & Kriegsrhetorik
Der wichtigste und bekannteste „neurechte“ Aktivist, der in „Freilich“ zu Wort kommt, ist Götz Kubitschek: Mitbegründer des IfS, Geschäftsführer des rechtsextremen Verlags Antaios und Chefredakteur der „Sezession“. In seinem „Freilich“-Beitrag attestiert Kubitschek der „Zivilgesellschaft“ (womit er offensichtlich seine KritikerInnen, bzw. AntifaschistInnen im Allgemeinen meint) ein „pathologisches Verhalten“ (S. 48), zu dessen Symptomen „ein missionarischer Drang zur totalen geistigen Hygiene“ (ebd.) gehöre. Die Pathologisierung von KritikerInnen ist seit jeher ein beliebtes Mittel rechtsextremer Demagogie. Kubitschek weiß das im polemischen Ton eines intellektuellen Essayisten zu raunen, aber das ändert nichts an der Tatsache: Er erklärt seine GegnerInnen pauschal als krank. Dazu sei der zivilgesellschaftliche „Moralismus“ ein „Totalangriff auf die Mündigkeit“ des Bürgers. „Die ‚Zivilgesellschaft‘ […] ist insgesamt moralistisch infiziert.“ (ebd.)
Kubitschek bleibt aber nicht beim Pathologisieren von Kritik, sondern übersetzt das ganze Thema (ohne verständlichen Übergang) in die Terminologie des Krieges. Wenig überraschend bezieht er sich dazu (neben Peter Sloterdijk) auf Carl Schmitt und schreibt in dessen militaristischer Freund/Feind-Rhetorik: „Wenn der niedergerungene Gegner kein besiegter Gegner mehr ist, sondern aufgrund eines moralistischen und damit diskriminierenden Kriegsbegriffs der zwar militärisch Besiegte, aber noch immer böse Feind, endet der Krieg erst, wenn die Umerziehung dieses Feindes weg von seiner bösen Vergangenheit und seinem verwerflichen Lebensgesetz vollzogen ist.“ (S. 51) Interessant an dieser martialischen Wende in Kubitscheks Text ist mitunter, dass er sich damit selbst in eine Traditionslinie setzt, in der das, was er vertritt bereits militärisch besiegt wurde. Ist das ein offenes Eingeständnis der NS-Kontinuität seines Lagers?
Vor dem Hintergrund dieses Kriegsbegriffs sieht Kubitschek jedenfalls die „Säuberungsaktion […] einer moralisch geimpften (oder infizierten) Weltinnenraumpolizei“ (ebd.) am Werk. Schwindelerregend absurd wird die Kriegsrhetorik, wenn er eine Analogie zur gezielten Tötung von Osama Bin Laden herstellt (wobei er wieder Sloterdijk zitiert – S. 51). Als müssten rechtsextreme Möchtegernrebellen in Deutschland fürchten, Opfer von staatlichen Mordaktionen zu werden.
Kubitschek imaginiert seine KritikerInnen als Verfolger, als „Jäger“ und als „moralistische Treiber“, die mit „subtile[n] Formen sozialer Hinrichtung“ (ebd.) operieren. Den Höhepunkt erreichen diese Projektionen wenn er zum letzten Mal Sloterdijk zitiert, und zwar mit dem Satz: „Wer verstehen möchte, warum im 20. Jahrhundert der politische Moralismus mehr Opfer forderte als der politische Biologismus, sollte auf das gute Böse achten, das seinen Agenten die Pflicht zur Auslöschung des Feindes einflüstert.“ (Sloterdijk zitiert nach Kubitschek, S. 51)
Dieses „gute Böse“ bleibt in Kubitscheks Text weitgehend unbestimmt: Mal wird angedeutet, es sei die Zivilgesellschaft, mal wird suggeriert es seien die Eliten oder der mediale Mainstream. Die Art, wie er das Zitat einsetzt, macht aber jedenfalls klar, dass es sich dabei um etwas handeln muss, das mehr Opfer gefordert hat, als der „politische Biologismus“, dessen extremste Ausformung bekannterweise der NS war. Kurzum: Er rückt die Beweggründe seiner KritikerInnen in die Nähe einer menschenverachtenden Ideologie. Er zieht den Vergleich nicht direkt, sondern lässt ihn aus der Konstruktion seines Textes bzw. der Platzierung seiner Zitate hervortreten. Aber die Message ist eindeutig: Wir werden gejagt und „vernichtet“ von einer Mehrheit, die „infiziert“ ist von einer Ideologie, die mehr Menschen getötet hat als der Nationalsozialismus.
Um im medizinisch-biologistischen Jargon zu bleiben: Kubitschek verabreicht sich und den Seinen mit diesem Text eine große Dosis Immunisierung gegen jede Kritik. Denn die Tatsache, dass völkische und rechtsextreme Positionen aus politischen Debatten weitgehend ausgeschlossen werden, ist nicht schwerer zu erklären, als etwa die Tatsache, dass zu Meteorologie-Kongressen keine Leute eingeladen werden, die von der Existenz von Chemtrails phantasieren. Dies bedeutet aber bekanntlich nicht, dass VertreterInnen solcher Verschwörungstheorien „gejagt“ und „subtil hingerichtet” werden.
Kubitschek fasst in Theorie-Begriffe, was sich durch die gesamte Ausgabe von „Freilich“ zieht: Die Selbstinszenierung als politisch Verfolgte.
Volkssuizid & internationale Eliten
Martin Lichtmesz (eigentlich Martin Semlitsch mit richtigem Namen) – Wiener Indentitären-Ideologe, Hauptautor der „Sezession“ und Buchautor bei Kubitscheks rechtsextremem Antaios-Verlag – hält auf Seite 99 das Schlusswort. Es geht gegen den vielgescholtenen UN-Pakt. Titel: „Worüber man nicht sprechen soll, darüber darf man nicht schweigen.“ Womit sich schon die Halluzination eines Tabus ankündigt, das man angeblich bricht, obwohl das Thema von rechter Seite medial lanciert wurde und anschließend eine öffentliche Debatte darüber stattfand. Lichtmesz schreibt, es handle sich bei dem Pakt um „eine offene Agenda internationaler Eliten“, die „über das Schicksal ganzer Völker und Kontinente entscheiden“ wollen. Es sei ein „Suizidpakt“; aber zum Glück hätte sich daran einmal mehr „die Macht alternativer, unabhängiger Medien und Netzwerke erwiesen“ – diese „Gegenöffentlichkeit“ müsse weiter ausgebaut werden, bis „die Armin Wolfs und Georg Restles epileptische Anfälle bekommen“.
Was diese Beiträge eint ist eine dreifache Selbstinszenierung: Als Rebell (wenn es um übermächtige Eliten geht), als Opfer (wenn es um Kritiker und Abgrenzung von Rechtsextremismus geht) und als Retter des Abendlandes (wenn es die beliebten Untergangsphantasien geht). Diese Motive ziehen sich wie blaue Fäden durch die ganze Ausgabe von „Freilich“ und sind zugleich wesentliche Momente von „metapolitischen“ Diskursstrategien der „Neuen Rechten“.
„Metapolitik“
Samuel Salzborn, der ein Buch über die bundesdeutsche „Neue Rechte“ geschrieben hat, bezeichnet es als wesentliches Moment von „Strategien rechter Hegemoniegewinnung […], die öffentliche Sagbarkeitsgrenze zu verschieben“. (2017, S. 12) Das Paradoxe an der Aula-Wiedergeburt „Freilich“ ist hingegen, dass hier das Anknüpfen an „neurechte“ Strategien offenbar das Gegenteil bewirken soll: Man möchte zurückrudern, weil die „Aula“ diese Sagbarkeitsgrenze mehrfach allzu deutlich überschritten hat. Wie passt das zusammen?
Salzborn zufolge lässt sich die Zielsetzung der „Neuen Rechten“ unter „zwei Schlagworten zusammenfassen: die Intellektualisierung des Rechtsextremismus durch die Formierung einer intellektuellen Metapolitik und die Erringung einer (rechten) ‚kulturellen Hegemonie’“ (2018, S. 75). Der Begriff „Metapolitik“ geht auf Alain de Benoist zurück, einen Vordenker der französischen Rechten (nouvelle droite), der es wiederum der Hegemonietheorie des italienischen Philosophen Antonio Gramsci entnommen hat. Das Konzept bezeichnet die gezielte Einflussnahme auf den vorpolitischen, zivilgesellschaftlichen Raum: Die „politische Software“ (vgl. Goetz 2017, S. 104), also die oft diffusen aber gesellschaftlich wirkmächtigen und mobilisierungsfähigen Ideen davon, was etwa Gemeinschaft, Identität, Freiheit, „Volk“, etc. bedeuten.
„Metapolitik“ bezeichnet also den Kampf um das kulturelle Vorfeld von (exekutiver, legislativer und judikativer) Politik. Die gezielte Einwirkung auf den gesellschaftlichen Mainstream soll diesen eben „nicht in Detailfragen […] verändern, sondern […] grundlegende Denkrichtungen einer Gesellschaft […] prägen und […] bestimmen, um so den Bereich der (politischen) Kultur zu besetzen“ (Salzborn 2018, S. 76). Auf einer intellektuellen Ebene soll dementsprechend rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig an feuilletonistische und universitäre Diskurse werden. Dabei wird die geistes- und ideengeschichtliche Fundierung durch den Bezug auf die „konservative Revolution“ besorgt: Die völkische Rebellion von Intellektuellen wie Carl Schmitt oder Ernst Jünger gegen die junge Weimarer Republik vor dem NS.
Das Konzept der „Metapolitik“ ist inzwischen zu einem allgegenwärtigen Begriffsfetisch bei „neurechten“ und identitären Aktivisten geworden. Als Beispiele für „metapolitische Erfolge“ der Rechtsextremen um Kubitschek gelten nicht nur gelungene Provokationen (etwa bei der Frankfurter Buchmesse), sondern beispielsweise auch medienwirksame Vermittlungen „neurechter“ Inhalte durch Persönlichkeiten außerhalb der Szene. Als aktuelles Beispiel kann der Autor Uwe Tellkamp gelten, der einen offenen Brief gegen den „Moralismus“ im Kunst- und Kulturbetrieb in Kubitscheks „Sezession“ veröffentlicht hat und der Zeitschrift damit weiteres Medienecho besorgt hat (siehe etwa Die Zeit). Das Ziel ist stets die Verschiebung und Aufweichung der Grenzen in Richtung Mainstream. Dies gilt auch für die „neurechte“ und identitäre Besetzung der Ereignisse in Chemnitz. Hier bot sich die Möglichkeit, rechtsextreme Denkmuster nah an den Mainstream zu bringen: Das hochgradig emotionalisierte Thema wurde sofortig beschlagnahmt und in das rechtsextreme Narrativ übersetzt: Fremde, Medien und Elite vs. Das Volk.
„Metapolitik“ meint sowohl den rechten „Kulturkampf“ um Deutungshoheit und Themensetzung, als auch die Re-Intellektualisierung der rechtsextremer Weltanschauung. Die Strategie kann aber nicht funktionieren, wenn die Grenzen zu früh und allzu eindeutig überschritten werden. Daher der identitäre und „neurechte“ Eiertanz: Man spricht nicht über „Rasse“, sondern über Identität; man ist nicht deutschnational, sondern ethnopluralistisch ausgerichtet; man redet nicht offen von der „zionistischen Weltverschwörung“, sondern belässt es vorerst bei „globalistischen Eliten“, etc.
Die alte „Aula“ – und damit kommen wir zurück zur oben gestellten Frage zurück – war wohl einfach zu offen rechtsextrem, um mit ihr „Metapolitik“ zu betreiben.
Dennoch: Der Glutkern der „Neuen Rechten“ ist die Volksgemeinschaftsideologie, deren identitätspolitische Agenda zwar nicht mehr offen rassistisch, sehr wohl aber ethnisch argumentiert werden muss. Die kategoriale ethnische Trennung basiert stets „auf einem homogenisierenden und soziobiologischen Differenzdenken, in dem […] Menschen nur in ihrer ethnisch-kulturellen Identität – und nicht in ihrer Subjektivität – gedacht werden“ (Salzborn 2018, S. 78). In dieser Weltanschauung treten Individuen strukturell hinter Kollektive zurück: Daraus folgt der rechtsextreme Antiliberalismus, der grundsätzlich nicht mit einer Demokratie – verstanden als Rechtsstaat, der vom Individuum als Träger von Rechten ausgeht – vereinbar ist. Die rechtsextreme Besetzung von Demokratie läuft in Wahrheit stets auf eine völkische Diktatur hinaus, und da bildet die „Neue Rechte“ keine Ausnahme.
Fazit
„Freilich“ schaltet im Vergleich zur „Aula“ nicht nur einen Gang zurück, sondern unternimmt eine inhaltliche und personelle Neujustierung in Richtung „neue“ und identitäre Rechte. Die neurechte Versuchung ist verständlich: Der identitäre Jargon erlaubt es, inhaltliche Kontinuität zur alten „Aula“ zu bewahren, ohne ständig in den Grenzbereich zum offenen Neonazismus zu rutschen. Es geht offenbar weiterhin darum zentrale Motive des freiheitlichen Narratives intellektuell zu grundieren und ideologisch zu festigen. Dennoch lässt diese erste Ausgabe vermuten, dass man den Echoraum freiheitlicher und korporierter Selbstbespiegelung ein Stück weit erweitern möchte, und sich für „neurechte“ und identitäre Innovationen auch in Zukunft offen zeigen wird.
Die Pointe: Während die FPÖ sich vor einem halben Jahr von den Entgleisungen der „Aula“ abgrenzen musste, muss Strache sich inzwischen von den Identitären abgrenzen, deren Helden nun in der Aula-Wiedergeburt ihr Unwesen treiben. Auch dieses Muster kennen wir von der FPÖ: Oben wird abgeputzt und abgegrenzt, während in den unteren Reihen fleißig an den fließenden Übergängen von freiheitlich zu bräunlich, von Burschi zu IB-Kader, genetzwerkt wird.
Fußnoten
1 Alle Zitate aus der Aula 2017 stammen von dem DÖW-Beitrag: „Die Aula 2017: Gegen „Ostküste“, „Blutsvermischung“ und „parasitäres Großkapital“. Online hier, bzw. hier als pdf
2 Homepage von „Freilich“, zuletzt eingesehen am 04.02.2019
3 Das Institut für Staatspolitik ist ein rechtsextremer Thinktank und hat mit einer Universität nichts zu tun, „Institut“ ist lediglich kein geschützter Begriff. Dem Politikwissenschaftler Samuel Salzborn zufolge verweist die Verwendung des Begriffs durch das IfS auf eine „neurechte Mimikry-Strategie“ (2017, 46), wobei es um das Vortäuschen von universitärem Niveau geht.
4 Alle Zitate stammen von „Freilich. Das Magazin für Selbstdenker“. Ausgabe No. 1/2018, Dez. 2018.
5 Website „anbruch.info“, zuletzt eingesehen am 04.02.2019
Literatur
Goetz, Judith (2017): „…in die mediale Debatte eindringen“ – ‚Identitäre’ Selbstinszenierungen und ihre Rezeption durch österreichische Medien. In: Goetz/Sedlacek/Winkler (Hg.): Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ‚Identitären’. Hamburg: Marta Press, S. 91–112
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten. Weinheim Basel: Beltz Juventa
Salzborn, Samuel (2018): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. 3. Auflage. Baden Baden: Nomos