Eigentlich hätte Gerhard S. (44) aus Schwechat seinen Termin am Landesgericht schon früher absolvieren sollen, aber da wollte er nicht. Für den Richter war er telefonisch unerreichbar. Eine unbestimmte Erkrankung hat ihm ein komplettes K.O. beschert. Seine Spontanerkrankung ließ er sich dann nachträglich durch einen Arzt bestätigen. Telefonisch. Behauptete er jetzt vor dem Richter, der so seine Zweifel hatte und später dann, am 21. Februar 23, die Polizei ausrücken ließ, die S. dann mit der Hitler-Kaffeetasse begegnete.
Dem Hitler-Häferl folgte die Festnahme mit anschließender Untersuchungshaft, die – spezielle Einlage – durch eine vierstündige Ersatzhaftstrafe unterbrochen wurde. Also nicht Freisetzung, sondern Festsetzung während der Haft. Und wofür? S. war nicht nur ein eifriger Wiederbetätiger, sondern auch ein fleißiger Corona-Maßnahmengegner. Weil er bei einer Demo in den strengen Lockdown-Zeiten ohne Maske erwischt wurde, setzte es eine Verwaltungsstrafe, und weil er diesem Staat kein Geld geben will, als Ersatz eben eine Ersatzhaft während der U‑Haft.

Zu Beginn der Verhandlung fragt der Vorsitzende Richter zunächst einmal die Personalia ab und dann auch, ob S. schon Vorstrafen habe. „Wahrscheinlich schon, keine Ahnung“, versuchte der es ausweichend, worauf ihm der Richter seine sieben Vorstrafen vorliest: schwerer Diebstahl, Einbruchsdiebstahl, eine Körperverletzung, ein versuchter Diebstahl und eine Bedingte (18 Monate) nach dem Verbotsgesetz (2004) sind darunter. Einmal hat er versucht, eine Überwachungskamera in einer BAWAG-Filiale abzumontieren. Bei laufender Kamera ….
Die Verurteilung nach dem Verbotsgesetz im Jahr 2004 hat er übrigens kassiert, weil er – Häferlvariante – Polizisten den Hitlergruß gezeigt hat. Und weil er gepostet hat: „Machts doch etwas gegen die Ausländer, die gehören alle umgebracht.“ S. ist nicht bloß Nazi, sondern auch besonders widerlich.
Als der Staatsanwalt zu Beginn der Verhandlung einige Punkte der Anklage vorträgt, schüttelt S. immer wieder ziemlich unmerklich den Kopf. Das passt so gar nicht zu den Ausführungen seines Verteidigers, der davon spricht, dass er die Schuld eingestehen und sein Leben ändern würde. „Teilweise schuldig“, korrigiert Gerhard S. dann in seinem Statement, weil fast immer unzurechnungsfähig durch Alkoholisierung. Da der Tatzeitraum sich aber über mehr als zehn Jahre erstreckt, geht der Richter nicht von durchgehender Alkoholisierung aus. Der Gerhard übrigens auch nicht. Als der Richter den Gerhard nach der Bedeutung der Grußformel „88“ bzw. „88/14“ in Dutzenden seiner Facebook-Postings fragt und dafür „Heil Hitler“ und „Fourteen Words“ vorschlägt, widerspricht der energisch. Die Zahlen stünden für eine Uhrzeit und den Bezirk des von ihm vorgeschlagenen Treffpunkts.

An dieser Stelle muss man dem Vorsitzenden ein großes Lob aussprechen: Er macht ganz ruhig weiter mit der Befragung, zerpflückt die behauptete Daueralkoholisierung und weist den Angeklagten bestimmt, aber nicht autoritär darauf hin, dass er in diesem Saal die Fragen stellt.
Am 20.4.21 hat S. nämlich ein Eiernockerl-Foto online gestellt. Warum, fragt ihn der Richter, ausgerechnet am 20. April? „Weil ich sie gerne esse – ist das verboten?“. Der Vorsitzende lässt nicht locker: „Wissen Sie, was am 20.4. ist?“, worauf der Gerhard antwortet „Wahrscheinlich schon, aber das wissen Sie doch selber?!“
Die beisitzende Richterin weist den Angeklagten dann in die Schranken. Ihr ist schon von Beginn an das unmerkliche Kopfschütteln des Angeklagten zu den Vorwürfen des Staatsanwaltes aufgefallen, sie bezeichnet seine Haltung als pampig und provokant und fragt ihn direkt, ob er den Rechtsstaat ernst nimmt. Diese Frage überfordert S. zwar, führt aber dazu, dass der Verteidiger auf die Stopp-Taste drückt und um eine Sitzungsunterbrechung bittet. Nach der Pause erklärt er unter stillem Nicken des Angeklagten, dass der seine Verantwortung von teilschuldig auf vollschuldig ändere.
Wir können uns die detaillierte Aufzählung der anderen Delikte, Teilungen von Nazi-Songs, Hakenkreuze, SMS und Chats mit Dutzenden 88 sparen. Das volle Schuldbekenntnis bezieht sich auf die Wiederbetätigung, nicht auf die schwere Körperverletzung, präzisiert der Angeklagte. Die hat er laut Anklage seiner damaligen Freundin zugefügt, was er aber bestreitet. Beide waren etwas alkoholisiert, gerieten in Streit, weil die Freundin noch in die Disco wollte, er aber nicht. Das Ergebnis: ein massiver Bruch des Nasenbeins der Freundin, weil sie S. an den Haaren zog und mit voller Wucht gegen eine Autokarosserie drosch. Die Folgen: Krankenhaus, mehre Wochen Krankenstand und natürlich starke Schmerzen. „Hundertprozentig hat sie gelogen“, erklärt der Angeklagte. Eine geduldige, aber intensive Befragung der Freundin, die in einem anderen Zimmer einvernommen wird, ergibt, dass die Freundin von sich aus überhaupt keine Schritte unternommen hat, um S. anzuzeigen. Sie fordert auch jetzt kein Schmerzensgeld von ihm. Obwohl sie sich von ihm getrennt hat, ist ihr, dem Opfer, der Vorfall noch immer peinlich, im Gegensatz zu ihm, dem Täter.

Elf Hauptfragen mit zahlreichen Unterfragen an die Geschworenen werden für die Beratung der Geschworenen formuliert. Das Ergebnis ist so deutlich wie die Strafe. Schuldig, 30 Monate, aber diesmal unbedingt. Es ist unklar, ob das Urteil auch schon rechtskräftig ist.
P.S.: Der Staatsanwalt weist den Angeklagten im Schlussplädoyer darauf hin, dass die Odalrune, die sich S. auf den Handrücken tätowieren ließ, nach der Verhandlung ein neues Delikt der Wiederbetätigung begründen könne, wenn sie sich S. nicht entfernen ließe. Das müsste eigentlich auch für die zahlreichen Grüße mit 88 und 88/14 sowie die Sharings von Rechts- bzw. Nazi-Songs gelten, die noch immer auf einem der Facebook-Accounts des Gerhard S. zu finden sind.
