Wochenrückblick KW 10 (Teil 1): Eisbergspitzen bei Wiederbetätigung

Während das Innen­min­is­teri­um noch seine Rechen­schieber für die Zäh­lung der recht­sex­tremen Delik­te über­prüft, bele­gen die Dat­en der zurück­liegen­den Kalen­der­woche, dass die NS-Wieder­betä­ti­gung ger­ade so etwas wie eine Kon­junk­tur erlebt. „Gle­ich vier anber­aumte der­ar­tige Ver­fahren in nur ein­er Woche sind doch ungewöhn­lich“, wun­dern sich die „Salzburg­er Nachricht­en“ (6.3.2023). Stimmt! Wenn man dazu noch in Rech­nung stellt, dass auf jedes geführte Strafver­fahren nach dem Ver­bots­ge­setz unege­fähr zehn eingestellte kom­men, dann wird klar, dass die Prozesse nur die Spitze eines braunen Eis­bergs bilden.

Salzburg 1: Nicht jed­er Wieder­betätiger ein (Neo-)Nazi?
Salzburg 2: Ein christlich erzo­gen­er Wiederbetätiger?
Salzburg 3: Hoho – wieder ein­er von der VAPO!
Salzburg 4: „Kam­er­ad Gunar“ aus Freital
Linz: Dies­mal nicht What­sApp, son­dern Facebook
Wels: Mehrfach Wider­lich­es auf WhatsApp
Kla­gen­furt: Hit­ler­gruß bleibt straffrei
Korneuburg: Alko­hol Henne oder Ei?

Salzburg 1: Nicht jed­er Wieder­betätiger ein (Neo-)Nazi?

Sagen wir mal so: Über die Behaup­tung des Staat­san­walts (krone.at, 6.3.23), wonach nicht jed­er Wieder­betätiger ein Nazi sei, ließe sich schon tre­f­flich stre­it­en. Aber juris­tisch stimmt’s auf alle Fälle. Für ein Delikt nach dem Ver­bots­ge­setz, § 3h, ist kein Vor­satz erforder­lich. Für den Salzburg­er (39), der sich am 6.3. als erster von vier in der ver­gan­genen Woche nach dem Ver­bots­ge­setz Angeklagten vor dem Lan­des­gericht ver­ant­worten musste, trifft das eher nicht zu: „Ein 40-jähriger, mit Hak­enkreuz und SS-Runen tätowiert­er Salzburg­er hat laut Anklage in min­destens 100 What­sApp-Post­ings Hitler ver­her­rlicht und NS-Pro­pa­gan­da ver­bre­it­et. In sein­er Woh­nung haben die Ermit­tler auch Hitler-Bilder und mehrere ver­botene Waf­fen gefun­den.“ (salzburg.orf.at, 6.3.23)

Von „Leichtsinn“ sprach sein Vertei­di­ger, der Angeklagte sel­ber von ein­er „irrsin­ni­gen Blöd­heit“. Über die eben­falls angeklagten Delik­te nach dem Waf­fenge­setz war den Medi­en­bericht­en nichts zu ent­nehmen, außer, dass bei der Haus­durch­suchung in der Woh­nung des „lei­den­schaftlichen Sports­chützen“ auch einige ille­gale Waf­fen gefun­den wor­den waren. Verurteilt wurde der Mann jeden­falls nach 3g Ver­bots­ge­setz zu 20 Monat­en Haft auf Bewährung – rechtskräftig.

Salzburg 2: Ein christlich erzo­gen­er Wiederbetätiger?

Im Unter­schied zum Angeklagten vom 6.3. hat­te der Pinz­gauer (40), der am 7.3. vor dem Salzburg­er Lan­des­gericht stand, „nur“ 26 ein­schlägige Post­ings via What­sApp ver­sandt. Staat­san­walt Neher sprach dabei von hitlerver­her­rlichen­den, anti­semi­tis­chen und dunkel­häutige Men­schen als min­der­w­er­tig darstel­lende Nachricht­en“ (sn.at, 7.3.23), während der Vertei­di­ger im Angeklagten einen christlich erzo­ge­nen Men­schen, der alles andere als ein Nazi sei, sehen wollte. Er habe die braunen Nachricht­en außer­dem nur weit­ergeleit­et, so der Anwalt. Der Staat­san­walt dazu: „Für eine Verurteilung reicht es aus, wenn jemand ein­schlägige Nachricht­en ver­schickt und es dabei ern­stlich für möglich hält und sich damit abfind­et, dass er durch sein Han­deln bei anderen als eine dem Nation­al­sozial­is­mus oder Zie­len der Nazis pos­i­tiv aufgeschlossene Per­son wahrgenom­men wird.” (sn.at)

Das Urteil des Geschwore­nen­gerichts in diesem Fall: zwölf Monate bed­ingt wegen Ver­brechen nach dem Ver­bots­ge­setz, § 3g, ist bere­its rechtskräftig.

Salzburg 3: Hoho – wieder ein­er von der VAPO!

Am Don­ner­stag, 9.3. ging’s dann weit­er mit den Ver­bot­sprozessen in Salzburg – mit zwei par­al­lel geführten Ver­hand­lun­gen. Wir begin­nen mit Wolf­gang E. (55), einem alten Bekan­nten aus den 90er-Jahren. Im Büch­lein eines anderen Neon­azi, Wolf­gang N., wird er nicht ger­ade vorteil­haft als Zeuge im Prozess gegen den Salzburg­er VAPO „Gauleit­er“ Gün­ther Reinthaler im Jahr 1993 beschrieben:

Ver­schiedene Rechte sind als Zeu­gen geladen. Einen von ihnen, Wolf­gang E. [Name durch SdR abgekürzt] , wer­fen sie gle­ich wieder hin­aus, weil er stockbe­sof­fen und ohne den Richter zu grüßen in den Zeu­gen­stand kommt. (…) Als ihn der Richter fragt, ob er Aktivist der Neon­azis ist, sagt er nur „Was geht denn Sie das an?“

Nun ja. Ging ihn schon was an. 1994 kassierte Wolf­gang E. näm­lich eine Strafe wegen Wieder­betä­ti­gung bzw. sein­er Mit­glied­schaft in der VAPO. Von dieser Strafe wis­sen wir aber nur, weil Thomas Witz­gall die Prozess­beobach­tung über­nom­men und für von „End­sta­tion Rechts“ berichtet hat. Seit dieser Zeit haben sich laut orf.at 18 Vorstrafen bei ihm angesammelt.

Dies­mal stand auf seinem Speise­plan neben dem Vor­wurf der Kör­per­ver­let­zung auch die Wieder­betä­ti­gung: zum Beispiel durch 17 ein­schlägige What­sApp-Post­ings. Sein Hin­weis auf What­sApp, er wäh­le nur noch die FPÖ, weil seine eigentliche Wun­sch­partei seit 1945 ver­boten ist, war auch sehr ein­deutig. Witz­gall lieferte zudem eine ziem­lich umfassende Beschrei­bung sein­er braunen Tat­toos: „Blood & Hon­our“ auf dem Bauch, die „Schwarze Sonne“, einen Thor­sham­mer und eine „88“ am Rück­en. Ob das schon alles ist? Wer weiß! Der Wolf­gang wollte jeden­falls nicht wis­sen, dass die „Schwarze Sonne“ straf­bar ist und für seine „88“ hat­te er eine beson­ders „orig­inelle“ Erk­lärung. Zweimal der achte Buch­stabe im Alpha­bet ste­ht bei ihm für „Hap­py Hour“! Wir hät­ten dem Wolf­gang für diesen dümm­lichen Witz noch einen Zuschlag gegeben, aber das Geschwore­nen­gericht war gnädig und fer­tigte ihn dafür und für 17 ein­schlägige What­sApp-Nachricht­en mit gün­sti­gen (aber von der Zahlenkom­bi­na­tion her für einen notorischen Neon­azi passenden) 18 Monat­en bed­ingt und ein­er Geld­strafe von 5.400 Euro ab. Die „SN“ (9.3.23) schreiben in ihrem knap­pen Prozess­bericht, dass dieses Urteil bere­its recht­skräftig ist.

Salzburg 4: „Kam­er­ad Gunar“ aus Freital 

Gunar H. (50) verbindet mit Wolf­gang E. nicht nur die Par­al­lelver­hand­lung, son­dern auch eine ein­schlägige What­sApp-Nachricht. Man ken­nt einan­der. Im direk­ten Ver­gle­ich bringt’s der Gunar allerd­ings auf 24 ein­schlägige What­sApp-Post­ings, dafür ange­blich nur auf acht Vorstrafen. Dem Sach­sen Gunar gefällt’s hier in den Salzburg­er Lan­den bess­er als in Fre­ital, obwohl dort bekan­nter­maßen auch viele Nazis weilen. Angeklagt ist er, weil er

zwis­chen Ende 2019 und Ende 2021 immer wieder die „88“ in What­sApp-Nachricht­en ver­wen­det [hat], dazu Bilder Hitlers, ein­mal mit der Aus­sage „Das macht den Papi glück­lich“, dazu Hak­enkreuze und eine Reich­skriegs­flagge, Tatzenkreuze (eine Abwand­lung des Eis­er­nen Kreuzes), Parolen wie „Frei sozial nation­al“ und die (…) What­sApp-Gruppe „Das Dritte Reich(t)“ gegrün­det hat“ (endstation-rechts.de, 10.3.23).

Im Bericht von „End­sta­tion Rechts“ zeigt sich auch, was die Qual­ität von (antifaschis­tis­ch­er) Prozess­beobach­tung aus­machen kann. Da gibt es span­nende „his­torische“ Dat­en zu Gunar und als Bonus einen inter­es­san­ten Abgle­ich der Rechtssys­teme Deutsch­lands und Öster­re­ichs im Hin­blick auf NS-Umtriebe. Eine Empfehlung!

Das bere­its recht­skräftige Urteil: „Das Urteil nach dem ein­stim­mi­gen ‚Schuldig‘-Votum der Geschwore­nen beläuft sich auf 15 Monate Haft auf Bewährung und ein­er Geld­strafe von 4.680 Euro (180 Tagessätze). H. nahm das Urteil nach kurz­er Bedenkzeit an.

Linz: Dies­mal nicht What­sApp, son­dern Facebook

Schon die Befra­gung zur Per­son lässt in Kom­bi­na­tion mit den Vor­wür­fen der Anklage erah­nen, dass der Angeklagte Ger­hard G. ein gröberes Prob­lem hat. Drei Kinder, geschieden, mehrmals vorbe­straft und Schulden (Ali­mente) ste­hen ein­er Anklage wegen NS-Wieder­betä­ti­gung, gewerb­smäßigem Betrug und Verge­hen nach dem Waf­fenge­setz gegenüber. Auf Insta­gram stellt er sich in Beziehung zum Bik­erk­lub MC Gremi­um, der auch durch Verbindun­gen in die rechte Szene bekan­nt ist. Über Face­book hat er NS-Devo­tion­alien zum Verkauf ange­boten (Dolch mit Hak­enkreuz, Ring mit SS-Runen usw.). Ohne Fotos dazu, wie er betont. Die hat er erst auf Drän­gen eines Käufers nachgere­icht – und da wird es heikel. Der Käufer heißt näm­lich so wie ein bekan­nter Neon­azi-Waf­fend­eal­er, dürfte aber nicht mit ihm ident sein. Aus der Haft zur Ver­hand­lung vorge­führt wurde näm­lich nur der Angeklagte, der sich nicht schuldig beken­nt. Wed­er habe er die ihm vorge­wor­fene Wieder­betä­ti­gung (Parolen rufen, braune Lieder sin­gen und braune Tat­toos herzeigen) began­gen noch beim Verkauf seines Nazi-Klumperts get­rickst. Er habe die bestellte Ware als Paket aufgegeben, warum sie nicht angekom­men sei, wisse er nicht. Bezahlt wurde sie aber, was den Ver­dacht des Betrugs genährt und zur Anzeige durch den poten­ziellen Käufer geführt hat. Das Urteil ist ziem­lich gün­stig: zehn Monate Haft und eine Entschädi­gung an den Käufer.

Wir danken für die Prozessbeobachtung!

Wels: Mehrfach Wider­lich­es auf WhatsApp

Der Angeklagte ist im drit­ten Lehr­jahr, ihm wirft die Anklage neben der NS-Wieder­betä­ti­gung auch noch einen Ver­stoß gegen das Waf­fenge­setz und das Verge­hen der pornografis­chen Darstel­lung Min­der­jähriger vor. Bei der Kom­bi­na­tion von NS-Wieder­betä­ti­gung mit dem Miss­brauchs­darstel­lun­gen von Min­der­jähri­gen sind wir beson­ders hell­hörig, weil sich diese Ankla­gen häufen. Im Feb­ru­ar musste die Ver­hand­lung gegen den jugendlichen Angeklagten vertagt wer­den und damit auch die von uns alarmierte Prozess­beobach­tung unver­richteter Dinge wieder nach Hause.

Die Über­raschung gle­ich zu Beginn: Die Delik­te zu Waf­fenge­setz und pornografis­che Darstel­lung Min­der­jähriger wer­den geson­dert ver­han­delt. Das hat schon was, wenn man weiß, dass sog­ar die Nack­t­fo­tografie ein­er min­der­jähri­gen Per­son durch eine andere min­der­jährige Per­son schon ein Delikt bilden kann. Ob das auch in diesem Fall so oder anders war, wird in einem anderen Ver­fahren erörtert. Was ver­han­delt wurde, sind die braunen What­sApp-Chats, auf die man über die Ermit­tlun­gen wegen der Kinder­pornografie gestoßen ist. Viele braune Chats: 91! Auch solche mit prim­i­tivstem Ras­sis­mus (Stein­schleud­er auf far­biges Kind, unter­titelt mit „Dreckschleud­er“), Hitler­fo­tos, Hak­enkreuze. Der Staat­san­walt plädiert für ein mildes Urteil, dro­ht ihm aber auch eine unbe­d­ingte Haft an, wenn er ihn noch ein­mal auf der Anklage­bank erblick­en würde. Die Geschwore­nen haben ein Ein­se­hen: sechs Monate Haft bed­ingt, das Min­i­mum bei Jugendlichen. Der Angeklagt nimmt das Urteil an.

Wir danken für die Prozessbeobachtung!

Kla­gen­furt: Hit­ler­gruß bleibt straffrei

Auch im Ver­fahren gegen einen jun­gen Kla­gen­furter, der angeklagt war, weil er ein 13 Sekun­den langes Video mit Hit­ler­gruß veröf­fentlicht hat­te, haben die Geschwore­nen Milde wal­ten lassen und die Erk­lärung des Angeklagten, wonach er keine Nazi-Ver­her­rlichung betreiben, son­dern bloß einen Blödsinn machen wollte, akzep­tiert. Zum Freis­pruch beige­tra­gen hat wohl maßge­blich die Aus­sage sein­er Pflege­mut­ter, die laut krone.at vom 8.3.23 ein Plä­doy­er für ihren Schüt­zling gehal­ten hat:

„Er hat Prob­leme, aber ich habe nie rechte Ten­den­zen bei ihm bemerkt“, ver­sicherte auch seine Pflege­ma­ma. Und schildert, dass der Angeklagte kein leicht­es Leben hat­te, bevor sie ihn in ihrer Fam­i­lie aufgenom­men hat: „Die Eltern haben sich heftig gestrit­ten und sich nicht gut um ihn geküm­mert. Das hat ihm als Kind so zuge­set­zt, dass er sich noch heute in der Früh übergibt wie eine schwan­gere Frau und viel krank ist.

Der Freis­pruch erfol­gte knapp (5:3) – ob er recht­skräftig ist, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Korneuburg: Alko­hol Henne oder Ei?

Mit der Frage, was zuerst war, ob die Alko­hol­sucht die NS-Wieder­betä­ti­gung aus­gelöst hat oder ob der recht­en Gesin­nung der Alko­holis­mus nach­fol­gte, hat­te sich das Lan­des­gericht Korneuburg in der Ver­hand­lung gegen den 45-Jähri­gen auseinan­derzuset­zen. Der Angeklagte und sein Vertei­di­ger plädierten heftig für die Schuld des Alko­hols, auch der Titel des NÖN-Beitrags „Alko-Sucht ließ Korneuburg­er nach rechts kip­pen“ sug­geriert diese Kausalität.

Als er im Okto­ber 2021 vor seinem Wohn­haus voll­trunk­en von der Polizei aufge­le­sen wurde, grüßte er die Beamten mit der ein­schlägi­gen Hand­be­we­gung und der Gruß­formel. Zur Ein­ver­nahme bei der Polizei erschien er Monate später eben­falls „mit sat­ten 1,96 Promille“. Seit dem Sep­tem­ber des Vor­jahres befind­et sich der Mann in sta­tionär­er Behand­lung um seine Alko­hol­sucht auszukuri­eren. Vor dem großen Alko­hol­prob­lem gab es aber auch Jahre, die der Angeklagte in der recht­en Hooli­gan-Szene ver­bracht hat­te. Die Kon­tak­te hat er aber samt dazuge­hörigem Handy wegge­wor­fen, um ein neues Leben anz­u­fan­gen. Bei der frei­willi­gen „Nach­schau“ in sein­er Woh­nung wurde aber noch einiges braunes Mate­r­i­al gefun­den. Der Wahrspruch der Geschwore­nen: schuldig. Das recht­skräftige Urteil: ein Jahr bedingt.