Geht’s nach dem Innenminister, dann ist aktuell die Szene der Staatsverweigerer und Reichsbürger in Österreich stark geschwächt. Glaubt man den von ihm veröffentlichten Zahlen, dann ist aber das Gegenteil der Fall. Rund 4.000 Personen aus der Szene seien laut Innenminister und DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) im Jahr 2022 namentlich bekannt gewesen. Dazu kommen noch Tausende weitere, die nicht bekannt sind und Sympathisant*innen.
In der Beschreibung und Analyse durch Staatsschutz und Innenministerium ist auch ein deutlicher Trend zur Entpolitisierung der Szene erkennbar. Im Verfassungsschutzbericht 2016 erkannte man noch „Zugänge in die rechtsextreme Szene“ und eine größere Gewaltbereitschaft. Davon ist jetzt gar nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht (für 2021) versteigt man sich zu der kühnen Prognose, dass für die Zukunft „nicht von einer zunehmenden Gewalttätigkeit auszugehen“ sei.
Der starke Hang zu Verschwörungserzählungen, verbunden mit Antisemitismus, die Waffenfunde bei Staatsverweigerern und Reichsbürgern, die es in den letzten Jahren auch in Österreich immer wieder gegeben hat, die engen Verbindungen zum Rechtsextremismus, die durch die Corona-Pandemie getriggert wurden, all das kommt in den Darstellungen von DSN und BMI nicht oder nur beiläufig vor. Die jüngste Antwort von Innenminister Karner auf eine Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz zu den Aktivitäten von Staatsverweigerern im Jahr 2022 ist ein Dokument der völligen Ignoranz.
Das muss vorausgeschickt werden, um den Strafprozess gegen den Funktionär des „Staatenbundes“ Josef L. (70) einigermaßen einordnen bzw. verstehen zu können. Er war ein führendes Mitglied dieser seltsamen Gruppe – mit der Mitgliedsnummer 8. Als im April 2017 die Führung des „Staatenbundes“ ausgehoben wurde, war auch Josef L. von einer Hausdurchsuchung betroffen. Warum er sich erst am 14. April 2023 vor einem Grazer Geschworenengericht wegen Bestimmung zum Amtsmissbrauch, führender Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung (§ 246 StGB) und Erpressung verantworten musste, bleibt so unklar wie vieles andere auch.
Josef L. aus Hartberg hat sich sehr früh dem Staatenbund der Monika Unger angeschlossen, war, so der Staatsanwalt, Mitglied des Versammlungsrates, also im inneren Kreis, hat an Personalentscheidungen mitgewirkt und gemeinsam mit Monika Unger, der „Präsidentin“, den Brief an Wladimir Putin verfasst, in dem Putin um Intervention in Österreich gegen die „Hochverräter“ der Republik und Freilassung aller Staatenbündler ersucht wurde. 2017 war das, nachdem Unger und die wichtigsten Mitglieder des Staatenbundes verhaftet worden waren.
Natürlich klingt das alles ziemlich irre, und Josef L. kann sich und dem Gericht 2023 nicht mehr wirklich erklären, warum er das damals gemacht und auch unterschrieben hat: Sein größter Fehler sei das gewesen, aber der Charakter Putins sei ja damals noch nicht absehbar gewesen. Nicht absehbar? 2014 haben russische „Spezialkräfte“ die Krim und den Donbass überfallen und den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Josef L., der „Staatsbeauftragte des Weisenrates“, will aber geglaubt haben, Putin würde Österreich friedlich befreien, ein paar Gesetzesänderungen für die Staatenbündler vornehmen, obwohl in dem Schreiben auch eine Militärintervention angedacht worden war.
Zum Staatenbund sei er, so der Angeklagte, über die Esoterik gekommen. Bereits 15 Jahre vor seiner Pensionierung, also etwa um die Jahrtausendwende, habe er begonnen, sich mit der „Esoterik“ zu beschäftigen. Nun aber habe er ihr abgeschworen. Er wollte nur Menschen helfen, weil Menschen Hilfe brauchen – auch seelische. Das habe ihm an Monika Unger gefallen: „Menschen, die Probleme mit Zahlungen und Bürokratie haben, sollte geholfen werden. Er kann nicht sagen, wer die Schulden bezahlen hätte sollen, die durch die Verweigerung nicht getilgt worden wären. Er war nicht komplett informiert – nur am Rande“ (Protokoll Prozessbeobachtung).
Der „Staatsbeauftragte des Weisenrates“ mit der Mitgliedsnummer 8 will also nur ein kleines Rädchen gewesen sein, ein Hascherl. Das kauften ihm Richterin und Beisitzerin jedoch nicht ab; auch die Geschworenen nicht, die ihn in allen drei Anklagepunkten schuldig sprachen. Zuvor erklärte Josef L. aber noch, dass es ihm leid tue, nicht alles gelesen zu haben, was er unterschrieben habe, auch die Drohschreiben an die Finanz und andere Behörden nicht. Aber das komme in der Versicherungsbranche, in der Josef L. vor seiner Pensionierung tätig war, ja auch öfter vor …
Der einstimmige Schuldspruch der Geschworenen in allen drei Anklagepunkten wurde durch eine sehr milde Strafe ergänzt: sieben Monate bedingt, davon wurden drei Monate wegen der langen Verfahrensdauer abgezogen.
Über Strukturen und Ideologie des Staatenbundes, auch über seine zeitweise Attraktivität für doch einige Tausend Menschen hat auch dieser Prozess wenig bis gar keine Aufklärung gebracht. Das wäre auch eher vom Innenminister bzw. der DSN zu erwarten. Aber dort gibt es – zumindest nach außen – noch weniger Information als bei Josef L..
Wir danken prozess.report und „VON UNTEN — Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki“ für die Prozessbeobachtung!