Seit etwa zwei Monaten sitzt ein naher Verwandter des Grazer FPÖ-Chefs und Nationalratsabgeordneten Axel Kassegger in Untersuchungshaft. Er soll Methamphetamin (bekannt als „Crystal Meth“) privat produziert haben, wie der „Standard” (9.7.23) berichtete. Bereits im Jahr 2021 war er nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt worden. Der Mann war selbst Mitglied in der FPÖ, im März 2022 sogar Delegierter zum Stadtparteitag in Graz. Außerdem wohnt er in Kasseggers Haus und war zudem Bundesbruder in derselben Burschenschaft, die in Graz als FPÖ-Kaderschmiede gilt und in der der mutmaßliche Methamphetamin-Produzent bis zuletzt sogar die Funktion des Sprechers, also die Repräsentation nach Außen, innehatte. Er wurde inzwischen per Notverordnung aus der FPÖ ausgeschlossen, auch war davon die Rede, dass für ihn und Axel Kassegger ein „unehrenhafter Ausschluss“ zu erwarten sei.
Blaue Heuchelei?
Die Angelegenheit ist für die Grazer FPÖ und Kassegger selbst nicht nur aufgrund der sehr engen Verflechtungen mit dem mutmaßlichen Drogenproduzenten unangenehm, sondern auch peinlich vor dem Hintergrund der freiheitlichen Drogenpolitik, die wenig anderes tut, als rassistischen Alarmismus zu verbreiten. So hatte Kassegger selbst erst im Mai auf der FPÖ-Steiermark-Homepage kampanisiert: „Das Herz der Steiermark darf nicht zur Drogenhochburg werden!“ und dabei gegen „unkontrollierte Zuwanderung“ gewettert. Ende Juli hat die steirische FPÖ gar „Erziehungskamps“ (sic!) für kriminelle Jugendliche gefordert, wo diese etwa „heimische Werten“ vermittelt bekommen sollten. Derlei autoritäre Fantasien waren bezüglich der Causa des mutmaßlichen Drogenproduzenten aus den eigenen Reihen freilich nicht zu vernehmen. Ganz im Gegenteil: Kassegger verfiel in tiefes Schweigen.

Krypto-Millionenbetrüger
Es kam aber noch dicker: Denn gegen Kasseggers nahen Verwandten und einen ehemaligen Grazer FPÖ-Gemeinderat, der zudem bis vor nicht allzu langer Zeit Kasseggers parlamentarischer Mitarbeiter war, wird auch wegen des Verdachts auf Betrug in Millionenhöhe ermittelt. Die beiden Männer hatten ein Kryptowährungs-Start-up in Graz und einen gleichnamigen Fonds in der Karibik gegründet – und eben dorthin sollen 3,7 Millionen Euro an Investorengeldern verschwunden sein. Die Causa schwelt bereits seit dem Jahr 2018, weil die Grazer Oberstaatsanwaltschaft angibt, nicht an die Firmendaten aus der Karibik zu gelangen. Das Verfahren gegen den Hauptbeschuldigten – Kasseggers nahen Verwandten – wurde dazwischen sogar eingestellt; die Oberstaatsanwaltschaft hat nun aber die Fortsetzung der Ermittlungen beantragt.
Auf eine Nachfrage vom „Standard”, ob Kassegger
etwas mit dem versandeten Start-up zu tun habe, antwortet dieser in Großbuchstaben: „NEIN”. Er wird auch nicht als Beschuldigter geführt. Allerdings gibt es mehrere Bezugspunkte zu den handelnden Personen. Der Firmensitz des Kryptowährungs-Start-ups befindet sich an derselben Adresse wie Axel Kasseggers eigenes Unternehmen; nach der Firmenpleite kaufte Kasseggers Unternehmen seinem ehemaligen Mitarbeiter zwei Wohnungen ab. (derstandard.at, 31.7.23)
Auch das Drogenlabor soll sich an der Adresse des Firmensitzes befunden haben. Ironisch an diesen brisanten Zusammenhängen ist, dass Axel Kassegger erst im Februar diesen Jahres als FPÖ-Chef in Graz angetreten war, um die korruptionsgebeutelte und nach zahlreichen Ausschlüssen, Rauswürfen und Hausdurchsuchungen völlig darniederliegende Grazer FPÖ wieder auf Vordermann zu bringen.
Der umtriebige Ideologe Kassegger
Axel Kassegger ist ein Ideologe, der mediale Aufmerksamkeit erhielt, als er 2017 ins Verhandler*innen-Team der ersten Kurz-Regierung aufgenommen wurde. Damals wurde in mehreren Medien ein Vortrag von ihm zitiert, den er 2015 bei einem Burschenschafterevent hielt und der vor Verschwörungserzählungen strotzte. Da hieß es etwa: „Institutionen wie die UNO zwingen die Völker von oben herab, Dinge zu tun, die sie nicht wollen – Gender Mainstreaming und die ganze Weltethik der Menschenrechte sind Beispiele“. Kassegger schloss mit den Worten „Heil deutsche Burschenschaft!“ (profil.at, 20.11.17)
Zudem gehört Kassegger zu jenen prominenten Blauen, die sich sich seit Jahren für Kreml-Propaganda einspannen lassen. So war er gemeinsam mit der ehemaligen FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz im Jahr 2016 bei einem einem russischen PR-Event auf der annektierten Krim zu Besuch. Einer Recherche der Wochenzeitung profil (3.2.23) zufolge, die sich auf gehackte Unterlagen eines russischen Propaganda-Akteurs bezieht, sollten für den Besuch der blauen Russland-Fans auch satte Honorare geflossen sein, was Kassegger aber vehement bestreitet.
Bei einigen Teilnehmern waren Honorarzahlungen angemerkt – bezüglich Rosenkranz und Kassegger jeweils 4000 Euro. Haben sich die FPÖ-Politiker für ihren viertägigen Trip auf die Krim auch noch fürstlich entlohnen lassen? Ob am Ende des Tages tatsächlich ein Honorar geflossen ist, geht aus den vorliegenden E‑Mails nicht hervor. Auf Anfrage bestreiten sowohl Rosenkranz als auch Kassegger, Geld erhalten zu haben. (profil.at, 3.2.23)
Was sich allerdings nicht bestreiten lässt: Kassegger geriert sich auch seit Kriegsbeginn immer wieder als Putin-freundliches Sprachrohr. Etliche der inzwischen in die Hunderte gehenden FPÖ-Presseaussendungen, die für Russland kampanisieren, stammen aus seiner Feder.
Der umtriebige Burschenschafter Kassegger wurde im Jahr 2021 auch noch zum Präsidenten des Freiheitlichen Bildungsinstituts (FBI) gewählt, wo der Parteinachwuchs ideologisch geschult wird. Dort wird unter seiner Ägide etwa das „neurechte“ Propagandakonzept „Metapolitik“ in Form einer als „Akademie“ titulierten Vortragsreihe gelehrt. Auch das wundert wenig, denn der deutschnationale Putin-Versteher Kassegger hat freilich keine Berührungsängste mit den Identitären; im Gegenteil, sein ehemaliger parlamentarischer Mitarbeiter, Siegfried Waschnig gehörte zu deren engem Umfeld.
Sollten sich die Anschuldigungen gegen seinen nahen Verwandten, Ex-Parteikameraden und Ex-Bundesbruder erhärten, dann findet Kassegger vielleicht bei seiner „Akademie“ ein paar identitäre Rhetorik-Tools, um die freiheitliche Heuchelei hinsichtlich Drogen und Korruption umzudeuten.