„Hallo! Wie können wir dir helfen?”, ist auf der ziemlich leeren Website der Grazer FPÖ zu lesen. Dabei sollte sie eigentlich eine andere Frage stellen: „Hallo, kannst du uns helfen?” Denn der blaue Gemeinderatsklub ist Geschichte, und wie es mit der Stadtpartei weitergeht, ist völlig ungewiss.
Der für heute geplante und gestern am Abend abgesagte Stadtparteitag, an dem die personellen Weichen für die Zukunft gestellt werden sollten, und die Hausdurchsuchungen der vergangenen Woche dürften die Zerfallsdynamik beschleunigt haben: Neben Ex-Parteiobmann Mario Eustacchio, Ex-Klubchef Armin Sippel, Ex-Finanzreferent Matthias Eder und dem inzwischen fraktionslosen Gemeinderat Roland Lohr bekamen zwei weitere Personen sowie diverse Vereine und Burschenschaften Besuch von der Polizei. Die durchsuchten Vereine und Burschenschaften dürften in diesem Umfeld zu finden sein:
- Hausverein Studierender Marburg/Drau, stellv. Kassier 2015–2021 Matthias Eder = Adresse Burschenschaft Allemannia Graz et Nibelungia, Mitglieder Mario Eustacchio und Matthias Eder
- Grazer Schüler- und Studentenunterstützungsverein (GSSV) = alte Adresse der Burschenschaft Marko-Germania,Obmann 2015–2019 Armin Sippel
- Akademischer Hausverein Steiermark,Obmann Matthias Eder = Adresse Akademische Burschenschaft Stiria, Mitglieder Mario Eustacchio und Matthias Eder
- Steirischer Verlagsverein (aufgelöst Okt. 2021), Obmann 2017–2021 Matthias Eder; 2012–2020 war Armin Sippel Angestellter
- Verein zur Förderung fortschrittlicher Gemeindepolitik: Obmann 2015–2019 Matthias Eder
Kolportiert wird mittlerweile zudem, dass 1,8 Millionen Euro verschwunden sein sollen und dass auch der steirische Parteichef Mario Kunasek in die seltsamen Überweisungen des früheren FPÖ-Gemeinderatsklubs involviert gewesen sei, wie Claudia Schönbacher behauptete:
Im direkten Gespräch habe Lohr sogar angedeutet, dass Altparteichef Peter Weinmeister und Landesparteichef Mario Kunasek auch von Geldflüssen an die Vereine gewusst hätten, die wiederum an den damaligen FPÖ-Klubchef Armin Sippel ausbezahlt worden seien. All das habe man der Staatsanwaltschaft mitteilen müssen. (kleinezeitung.at, 18.10.22)
Ein halbes Jahr zuvor wurde die juristische Aufarbeitung des FPÖ-Finanzskandals der Grazer Staatsanwaltschaft wegen Befangenheit entzogen und nach Klagenfurt verlagert, nachdem zwei Staatsanwälte aus Graz mit einem Beschuldigten – gemeint war wohl Burschenschafter Eustacchio – verbandelt sind.
Ausschlüsse und Zerfall des FPÖ-Klubs
Ab September folgte der völlige Zerfall der Grazer FPÖ: Zuerst hatte der Gemeinderatsklub Roland Lohr ausgeschlossen, worüber sich die Spitzen der Landespartei not amused zeigten. Es folgte die Aufforderung an den blauen Gemeinderatsklub, Lohr wieder aufzunehmen, was der Klub mehrheitlich ablehnte. Daraufhin wurden von Mario Kunasek zuerst Klubchef Alexis Pascuttini, dann von Bundesparteiobmann Herbert Kickl höchstpersönlich die Stadträtin und Grazer Parteichefin Claudia Schönbacher aus der Partei geworfen. In einem Grande Finale folgten die Gemeinderäte Michael Winter, der noch knapp zuvor Grazer Parteichef werden wollte, und Astrid Schleicher. Vom Ausschlussreigen verschont geblieben ist mittlerweile nur noch Gemeinderat Günter Wagner. Mit einem respektablen Unterhaltungswert spricht der Landesparteichef Mario Kunasek an der Spitze des Trümmerhaufens nun davon, dass „die Weichen für eine gute Zukunft der FPÖ Graz gestellt“ (APA, 20.10.22) seien.
Die Konfliktlinie zieht sich durch zwei Lager: jenes rund um die Landespartei, zu der auch der beim letzten Parteitag zum geschäftsführenden Grazer Parteiobmann bestellte Nationalratsabgeordnete Axel Kassegger zählt, das der Seite von Eustacchio und Sippel zugerechnet wird und das zweite, dem die von der FPÖ ausgeschlossenen Schönbacher, Pascuttini, Winter und Schleicher angehören, die einen Schnitt mit dem alten Personal verlangen.
Wie es nun weitergeht, ist ungewiss. Schönbacher will jedenfalls Stadträtin bleiben, da sie nur vom (parteimäßig gesehen nicht mehr existenten) FPÖ-Klub abgesetzt werden könnte. Die anderen drei bilden derweilen einen Klub, der nicht mehr der FPÖ angehört, aber weiter entsprechende Mittel von der Stadt erhalten wird. Die von der Partei Ausgeschlossenen kündigten nun an, der Staatsanwaltschaft Akten zum Finanzskandal übermitteln zu wollen. Ein Prüfbericht des Jahres 2021 sei negativ ausgefallen, weil mitten im noch laufenden Wirtschaftsjahr Belege verschwunden seien.
Die FPÖ steht nun völlig blank da: Mit nur einem Gemeinderatsmitglied sind die Förderungen weg. Eines ist damit garantiert: Gelder können nicht auf dubiose Weise verschoben werden, da es keine mehr gibt.
Ja. Die Wahl der Stadträtin bleibt gültig. Sie kann nur vom Freiheitlichen Klub geändert werden. Wenn der Klubstatus erlischt, kann sie meiner Meinung nach nicht abgewählt werden. Nur bei Bürgermeisterin und Vize möglich.
— Franz Parteder (@FranzParteder) October 21, 2022