Rechtsextreme Straftaten 2020 – Entwicklung und Bundesländervergleich

Der ehe­ma­lige Grüne Nation­al­ratsab­ge­ord­nete Albert Stein­hauser war der erste, der ab 2013 sys­tem­a­tisiert die Zahlen zu den recht­sex­tremen Straftat­en abge­fragt hat. Sei­ther bilden die Anfrage­beant­wor­tun­gen eine Art Fieberkurve ab, die ten­den­ziell anzeigt, wie rege die recht­sex­treme bzw. neon­azis­tis­che Szene hierzu­lande unter­wegs ist. Es ist dabei jedoch notwendig, die Zahlen genauer anzuse­hen und in eine länger­fristige Entwick­lung zu stellen.

Ins­ge­samt ist es bei den recht­sex­trem motivierten Tathand­lun­gen (1) 2020 im Ver­gle­ich zum Vor­jahr zu einem Rück­gang gekom­men: Mit 853 Tathand­lun­gen ist die ger­ing­ste Anzahl seit 2014 zu verze­ich­nen; der Wert liegt aber noch deut­lich über dem Niveau von vor 2015, jen­em Jahr, als mit der großen Fluchtkrise auch die Zahl der recht­sex­tremen Straftat­en in die Höhe schnellte. Ein Anstieg ist allerd­ings in den Unterkat­e­gorien „rassistisch/fremdenfeindlich“, „anti­semi­tisch“ und „islam­o­phob“ zu verzeichnen.

Rechtsextreme Tathandlungen 2013-20

Recht­sex­treme Tathand­lun­gen 2013–20

Die Sta­tis­tik – gemessen an der Zahl der Einwohner*innen – führen ein­mal mehr die Bun­deslän­der Salzburg und Oberöster­re­ich an. An drit­ter Stelle rei­ht sich die Steier­mark ein. Diese drei Bun­deslän­der liegen auch im Durch­schnitt der let­zten acht Jahre voran.

Tathandlungen 2020

Tathand­lun­gen 2020

Bei Anzeigen nach dem Ver­bots­ge­setz wurde 2019 die Tausen­der­marke über­schrit­ten (1.037), sie viel im let­zten Jahr auf 801– auch hier ist der niedrig­ste Wert seit 2014 zu vermerken.

Anzeigen Verbotsgesetz 2013-20

Anzeigen Ver­bots­ge­setz 2013–20

Auf­fäl­lig dabei ist der deut­liche Rück­gang vor allem in Niederöster­re­ich (von 221 auf 98) und dass Wien und Kärn­ten – hier nur leicht – die einzi­gen Bun­deslän­der sind, in denen ein Anstieg zu verze­ich­nen ist. Bei bei­den allerd­ings auf ein Niveau, das unter den Höchst­werten von 2015 bis 2018 liegt. Voran liegen wie bei den Tathand­lun­gen Salzburg und Oberöster­re­ich. Salzburg verze­ich­net über den Schnitt der let­zten acht Jahre gerech­net die dreifache Anzahl an Anzeigen vom Bur­gen­land, das Bun­des­land mit der ger­ing­sten Zahl.

Anzeigen Verbotsgesetz 2020

Anzeigen Ver­bots­ge­setz 2020

Bei Anzeigen nach dem § 283 StGB (Ver­het­zung) ist wiederum ein deut­lich­er Anstieg zu bemerken, die klet­terten öster­re­ich­weit von 169 auf 224 hin­auf. Hier stechen Oberöster­re­ich, Vorarl­berg und Wien her­vor, wo es jew­eils mehr als eine Ver­dop­pelung gab.

Anzeigen nach dem Abze­ichenge­setz fall­en in die Zuständigkeit­en von Bezirks­be­hör­den. Sie sind sel­ten – für 2020 sind nur sechs Anzeigen ver­merkt – und wer­den, wie es aussieht, nicht ein­mal dann ver­lässlich erfasst, wenn es sie gegeben hat. Im Novem­ber hat die Grüne Nation­al­ratsab­ge­ord­nete Olga Voglauer zwei Ex-Poli­tik­er nach dem Abze­ichenge­setz bei der Bezirk­shaupt­mannschaft Spit­tal an der Drau angezeigt, weil die bei­den auf dem Ein­gangstor zu ihrem Are­al Runen ange­bracht haben – und zwar deut­lich sicht­bar für jede vor­beik­om­mende Per­son. Ein­mal abge­se­hen davon, dass die Runen noch immer dort sind, ist in Neham­mers Sta­tis­tik die Anzeige nicht ver­merkt, denn für Kärn­ten wird die Zahl 0 ausgewiesen.

Die NS-Meldestelle im BVT

Inter­es­sant wird es auch bei der Antwort zur Frage nach den Kenn­zahlen zur im BVT behei­mateten NS-Meldestelle. Im Jahr 2019 gin­gen (laut Ver­fas­sungss­chutzbericht 2019) ins­ge­samt 3.081 Mel­dun­gen an die Stelle ein. Laut Anfrage­beant­wor­tung wur­den daraus 95 Ver­dachtsmeldun­gen raus­ge­filtert und an die jew­eils zuständi­gen Lan­desämter für Ver­fas­sungss­chutz weit­ergeleit­et. 68 führten schließlich zu Anzeigen. Das waren die Zahlen, die in der Beant­wor­tung zur Anfrage über den Zeitraum 2019 seit­ens des BMI bekan­nt­gegeben wur­den. Nun schreibt der Innen­min­is­ter, dass zudem „59 Anzeigen und 50 Berichte gem. § 100 Abs. 3a StPO an die zuständi­gen Staat­san­waltschaften über­mit­telt“ (2) wor­den seien.

Wie ergibt sich nun die gewaltige Dif­ferenz zwis­chen den ein­ge­langten Mel­dun­gen und jenen, die, wie oben beschrieben, weit­er­be­han­delt wer­den? Dazu der Innen­min­is­ter: „In weit­er­er Folge wur­den die Eingänge gesichtet und irrel­e­vante Mel­dun­gen (beispiel­sweise Spam-Nachricht­en) aus­sortiert bzw. Dop­pel- bzw. Mehrfach­mel­dun­gen zusammengeführt.“

Im Jahr 2020 führten die Mel­dun­gen zwar zu deut­lich mehr als ein­er Ver­dop­pelung der Ver­dachtsmeldun­gen gegenüber 2019 (216), die daraus resul­tieren­den Anzeigen blieben allerd­ings auf dem exakt gle­ichen Stand wie 2019, näm­lich bei 68.

Anzeigen aus Mel­dun­gen an die NS-Meldestelle:

2013: 632014: 1582015: 2382016: 274
2017: keine Daten2018: 1642019: 682020: 68

Das alles wirft Fra­gen zur Effizienz der NS-Meldestelle auf, bei der nur via E‑Mail (oder per Post) Mel­dun­gen eingegeben wer­den kön­nen. Das Innen­min­is­teri­um liefert auch kein­er­lei Anhalt­spunk­te, wie diese Mel­dun­gen ausse­hen soll­ten, was dabei zu beacht­en ist. Im Jahr 2021 wäre eine Eingabe über ein Online­for­mu­lar – auch in anonymer Form – eine Min­destanforderung, die der Staatss­chutz bieten sollte. Es ist zu hof­fen, dass das Innen­min­is­teri­um im Zuge der Reformierung des BVT sich auch in dem Bere­ich zeitgemäß(er) aufstellt.

➡️ Recht­sex­treme Straftat­en 2019 – Entwick­lung und Bundesländervergleich
➡️ Recht­sex­treme Straftat­en 2018: Entwick­lung, Bun­deslän­derver­gle­ich und eine Frage
➡️ Recht­sex­trem motivierte Straftat­en im Jahres- und Bundesländervergleich

1 Tathand­lun­gen kön­nen aus mehreren Delik­ten beste­hen: z.B. bei ein­er NS-Schmier­erei Sachbeschädi­gung und Wiederbetätigung
2 100 Abs. 3a StPO: Die Krim­i­nalpolizei hat der Staat­san­waltschaft auch zu bericht­en, wenn aus ihrer Sicht kein Anfangsver­dacht vor­liegt, oder sie Zweifel hat, ob ein Anfangsver­dacht vor­liegt, zu dessen Aufk­lärung sie berechtigt und verpflichtet wäre, Ermit­tlun­gen zu führen.

Anfrage­beant­wor­tun­gen des Innen­min­is­teri­ums, die den hier dargelegten Zahlen zugrunde liegen:
2020: Anfrage/Beantwortung Stög­müller: 
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_04895/index.shtml
2020: Anfrage/Beantwortung Schatz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_04833/index.shtml
2019: Anfrage/Beantwortung Stög­müller: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00737/index.shtml

2019: Anfrage/Beantwortung Schatz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00513/index.shtml
2018: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/AB-BR/AB-BR_03352/imfname_746617.pdf
2017: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00356/imfname_691641.pdf
2016: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_11453/imfname_630786.pdf
2015: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2014: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2013: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_00369/fname_342212.pdf