Rechtsextrem motivierte Straftaten im Jahres- und Bundesländervergleich

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Letz­te Woche erhielt der ober­ös­ter­rei­chi­sche Lan­des­haupt­mann Tho­mas Stel­zer Post von Akti­vis­tIn­nen, die gegen Rechts­extre­mis­mus auf­tre­ten, von Holo­cau­st­über­le­ben­den und von zahl­rei­chen Pro­mi­nen­ten aus ver­schie­de­nen Fel­dern. Ange­krei­det wer­den dar­in die man­geln­den Initia­ti­ven sei­tens des Lan­des Ober­ös­ter­reich, um den Rechts­extre­mis­mus zu bekämp­fen, obwohl in Ober­ös­ter­reich bun­des­weit die meis­ten rechts­extrem moti­vier­ten Straf­ta­ten zu ver­zeich­nen sei­en. Doch ist das über­haupt rich­tig? Wir haben die Bun­des­län­der­da­ten von fünf Jah­ren ver­gli­chen. Die Ant­wort: Es stimmt nur bedingt, dass Ober­ös­ter­reich an der Spit­ze bei rechts­extre­men Straf­ta­ten liegt. Ein Hand­lungs­be­darf ist nicht nur in Ober­ös­ter­reich, son­dern auch in ande­ren Bun­des­län­dern gegeben.

Seit Jah­ren wer­den Daten zu rechts­extrem moti­vier­ten Straf­ta­ten abge­fragt: Ab dem Jahr 2013 hat das der ehe­ma­li­ge Grü­ne Jus­tiz­spre­cher Albert Stein­hau­ser mit detail­lier­ten par­la­men­ta­ri­schen Anfra­gen an das Innen- und Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um gemacht, seit dem Raus­fall der Grü­nen aus dem Natio­nal­rat hat die SPÖ-Abge­ord­ne­te Sabi­ne Schatz die Anfra­gen fortgeführt.

Grund­sätz­li­che Para­me­ter zu Daten und deren Inter­pre­ta­ti­on wur­den im Grü­nen Rechts­extre­mis­mus­be­richt 2016 von der Juris­tin Ange­li­ka Ade­nsa­mer in einem Arti­kel (Ent­wick­lun­gen und Ana­ly­se von Anzei­gen- und Ver­ur­tei­lungs­zah­len 2010–2015; S. 13–21) erör­tert. Dar­in hält Ade­nsa­mer fest, dass die vom Innen­mi­nis­te­ri­um gelie­fer­ten Zah­len nur bedingt aus­sa­ge­kräf­tig sind: „Erst muss eine Straf­tat fest­ge­stellt wer­den, dann wird von den Sicher­heits­be­hör­den eine mög­li­che Moti­va­ti­on eru­iert, die schließ­lich vom Ver­fas­sungs­schutz über­prüft wird. Da in ers­ter Linie die Poli­zei dafür ver­ant­wort­lich ist, rechts­extre­me Moti­va­tio­nen auf­zu­neh­men, ist zu ver­mu­ten, dass es dazu kei­ne ein­heit­li­che Pra­xis gibt und dass in vie­len Fäl­len eine mög­li­che rechts­extre­me Moti­va­ti­on nicht erkannt wird.“ (S. 14)

Ein Anstei­gen der Anzei­gen kön­ne immer auf meh­re­re Fak­to­ren zurück­ge­führt wer­den und sei „kei­ne ver­läss­li­che Quel­le, um die tat­säch­li­che Ent­wick­lung von Straf­ta­ten zu beur­tei­len: Die Dun­kel­zif­fer ist hoch, und ein Anstieg an Anzei­gen kann immer auch auf eine erhöh­te Sen­si­bi­li­tät der Zivil­ge­sell­schaft hin­wei­sen.“ (ebda.)

Mehr Aus­sa­ge­kraft misst Ade­nsa­mer der Zahl der erfass­ten Tat­hand­lun­gen (die aus meh­re­ren Delik­ten bestehen kön­nen) zu: „Die Zahl der doku­men­tier­ten Tat­hand­lun­gen ist aller­dings schon inso­fern berei­nigt, als sie nur jene Hand­lun­gen auf­zeigt, denen sei­tens der Sicher­heits­be­hör­den straf­recht­li­che Rele­vanz zuge­schrie­ben wor­den ist. (vgl. Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Inne­res Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2015, S. 17) Eine Anzei­ge ohne jeg­li­chen Beweis, dass tat­säch­lich ein Delikt began­gen wur­de, wür­de somit wahr­schein­lich kei­nen Ein­gang in die Sta­tis­tik fin­den.“ (S. 15)

Selbst­ver­ständ­lich stel­len Zah­len aus einem ein­zi­gen Jahr auch kei­nen ver­läss­li­chen Para­me­ter für die Ent­wick­lun­gen in einer Regi­on dar, da es durch Grup­pen­de­lik­te immer wie­der zu Aus­reis­sern kom­men kann. So ist etwa der deut­li­che Anstieg der Anzei­gen in Ober­ös­ter­reich von 2015 (254) auf 2016 (312) auch auf das Auf­flie­gen der 2015 gegrün­de­ten Face­book-Grup­pe „Neu­eröff­nung Maut­hau­sen !!!“ zurück­zu­füh­ren, aus der 24 von 29 Anzei­gen im Bezirk Rohr­bach resul­tier­ten: „Ansons­ten sei die Zahl der rechts­extre­men oder frem­den­feind­li­chen Delik­te im Bezirk Rohr­bach nicht unge­wöhn­lich hoch und von einem Auf­kei­men die­ser kön­ne kei­ne Rede sein, heißt es vom Bezirks­po­li­zei­kom­man­do Rohr­bach.“ (tips.at, 1.5.17Das ist nun doch zu hin­ter­fra­gen, da ein­zel­ne Pro­po­nen­ten aus der Grup­pe bereits über Jah­re zuvor ein­schlä­gig auf­fäl­lig waren, was offen­bar von den Behör­den igno­riert wur­de. Erst durch eine Beob­ach­tung und die Anzei­ge vom SdR-Obmann Karl Öllin­ger begann die Staats­an­walt­schaft zu ermit­teln. „’Es gibt in Rohr­bach offen­bar ein Nest von Rechts­extre­men, dem bis­her viel­leicht zu wenig Beach­tung geschenkt wor­den ist’, glaubt Öllin­ger. Sei­ner Ansicht nach befin­den sich auch Per­so­nen dar­un­ter, denen ein Brand­an­schlag [gemeint ist der Brand­an­schlag auf die Flücht­lings­un­ter­kunft Alten­fel­den, des­sen Urhe­ber bis heu­te nicht gefun­den wur­den; Anmk. SdR] durch­aus zuzu­trau­en wäre: ‚Von ihrer öffent­lich demons­trier­ten Ein­stel­lung her wären man­che ver­mut­lich dazu imstan­de.’“ (kurier.at, 10.6.16)

Im ZiB 2‑Beitrag vom 31.1.19 mein­te David Furt­ner von der LPD Ober­ös­ter­reich zu den rechts­extre­men Straf­ta­ten in sei­nem Bun­des­land befragt, es hand­le sich um Ein­zel­tä­ter: „Fakt ist, dass die aktu­el­len Straf­ta­ten in den Sozia­len Medi­en eigent­lich nur von Ein­zel­tä­tern began­gen wer­den. Hier erken­nen wir kei­nen struk­tu­rier­ten Rechts­extre­mis­mus, und dar­über sind wir auch froh.“ Tie­fe­re Recher­chen las­sen jedoch ande­res ver­mu­ten: Zual­ler­erst ist fest­zu­hal­ten, dass der poli­zei­lich erfass­te Rechts­extre­mis­mus kei­nes­falls haupt­säch­lich aus Tat­hand­lun­gen besteht, die im Inter­net ver­übt wer­den. Von den für Ober­ös­ter­reich regis­trier­ten 192 Tat­hand­lun­gen aus dem Jahr 2017 wur­den nur 53 aus dem Inter­net kom­mend erfasst, also knapp ein Vier­tel. Öster­reich­weit wur­den von 1.063 Tat­hand­lun­gen im Jahr 2017 298 dem Inter­net zugeordnet.

rechtsextreme Tathandlungen Oberösterreich 2013-2017 (ZiB 2 vom 31.1.2019)

rechts­extre­me Tat­hand­lun­gen Ober­ös­ter­reich 2013–2017 (ZiB 2 vom 31.1.2019)

Wer sich die Mühe macht, die jewei­li­gen Face­book-Accounts von Tat­ver­däch­ti­gen genau­er anzu­se­hen, erkennt in der Regel viel­fäl­ti­ge Ver­net­zun­gen aus den Beob­ach­tun­gen, wer mit wem kom­mu­ni­ziert, wer mit wem „befreun­det“ ist, wer likt, wer teilt, wer kom­men­tiert und auf wel­chen ande­ren Pro­fi­len, Grup­pen, Sei­ten sind die Per­so­nen zusätz­lich aktiv. Das hat auch der Fall der Rohr­ba­cher Face­book-Grup­pe deut­lich gezeigt.

Wie sehen nun die offi­zi­el­len Zah­len des Innen­mi­nis­te­ri­ums im Bun­des­län­der­ver­gleich tat­säch­lich aus?

rechtsextrem motivierte Tathandlungen 2013-2017

rechts­extrem moti­vier­te Tat­hand­lun­gen 2013–2017

Den abso­lu­ten Zah­len nach ist es kor­rekt, dass Ober­ös­ter­reich seit 2015 die Sta­tis­tik der Tat­hand­lun­gen anführt. Rech­net man die Fäl­le rela­tiv zur Bevöl­ke­rungs­zahl, ergibt sich jedoch ein ande­res Bild: Hier liegt das Bun­des­land Salz­burg vor­an und zwar sehr deut­lich. Von 2013 bis 2017 wur­den 78 Tathandlungen/100.000 Ein­woh­ne­rIn­nen Salz­burg zuge­ord­net, Ober­ös­ter­reich liegt zusam­men mit der Stei­er­mark mit 57 Tathandlungen/100.000 Ew. an der zwei­ten Stelle.

Noch dras­ti­scher sind die Zah­len zu den Anzeigen:

Anzeigen rechtsextreme Straftaten 2013-2017

Anzei­gen rechts­extre­me Straf­ta­ten 2013–2017

Bei den gesam­ten Anzei­gen mit rechts­extre­mem Hin­ter­grund liegt Salz­burg mit 134 Anzeigen/100.000 Ew. ein­sam an der Spit­ze, an zwei­ter Stel­le fin­det sich Wien mit 85 Anzeigen/100.000 Ew., Ober­ös­ter­reich nimmt im Ran­king den vier­ten Platz ein.

Anzeigen nach dem Verbotsgesetz 2013-2017

Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz 2013–2017

Mit Blick auf Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz liegt Salz­burg wie­der deut­lich mit 70 Anzeigen//100.000 Ew. vor­an, Ober­ös­ter­reich ran­giert mit 49 Anzeigen//100.000 Ew. an zwei­ter Stel­le vor Wien mit 45 Anzeigen//100.000 Ew.

Kei­ne Ent­war­nung für Ober­ös­ter­reich – Hand­lungs­be­darf für Salzburg

Ober­ös­ter­reich hat ins­ge­samt kei­nen Grund sich zurück­zu­leh­nen, das ein­gangs erwähn­te Schrei­ben an LH Stel­zer ist zwei­fels­oh­ne berech­tigt. Aku­ten Hand­lungs­be­darf hat jeden­falls zumin­dest auch Salz­burg. An den dor­ti­gen Lan­des­haupt­mann wäre das nächs­te Schrei­ben zu richten.

Was ist dar­aus zu fol­gern, was wäre zu tun? 

Vor­ne­weg: Wir ver­fü­gen über kei­ner­lei evi­denz­ba­sier­te Erklä­rungs­mo­del­le, war­um sich ein­zel­ne Bun­des­län­der so deut­lich von ande­ren abhe­ben. Bis auf Ober­ös­ter­reich haben wir auch kei­ne Zah­len zu ein­zel­nen Bezir­ken, um nach­zu­prü­fen, ob es regio­na­le Hot­spots gibt, und – falls ja – wo die lie­gen. Dar­aus wird bereits ein Defi­zit ersicht­lich: Es gibt in ganz Öster­reich kei­ne ein­zi­ge an einer Hoch­schu­le oder Uni­ver­si­tät ange­sie­del­te For­schungs­stel­le, die sich mit der Mate­rie kon­ti­nu­ier­lich wis­sen­schaft­lich beschäf­ti­gen wür­de. Mit dem Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öster­rei­chi­schen Wider­stands haben wir eine über­aus kom­pe­ten­te, aber küm­mer­lich aus­ge­stat­te­te Insti­tu­ti­on, die mit gerings­ten Per­so­nal­res­sour­cen für For­schung, Beob­ach­tung, Doku­men­ta­ti­on und Dera­di­ka­li­sie­rungs­work­shops in Schu­len zustän­dig ist, und trotz der aller­höchs­ten Anstren­gun­gen nicht ein­mal ansatz­wei­se das leis­ten kann, was eigent­lich not­wen­dig wäre.

Good Prac­ti­ce Liechtenstein

Nach­dem im Fürs­ten­tum Liech­ten­stein eine sehr akti­ve rechts­extre­me Sze­ne kon­sta­tiert wor­den war, reagier­te das Land und ergriff eine Rei­he von Maß­nah­men: Zwi­schen 2010 und 2015 wur­de vom „Liech­ten­stein-Insti­tut“ jähr­lich ein Rechts­extre­mis­mus-Moni­to­ring­be­richt ver­öf­fent­licht, seit 2016 ein all­ge­mei­ner Extre­mis­mus-Bericht. Die Gewalt­schutz­kom­mis­si­on der Regie­rung leg­te einen Maß­nah­men­ka­ta­log vor, der auf exter­ne Stu­di­en basier­te, die das Land bei der Fach­hoch­schu­le Nord­west­schweiz in Auf­trag gege­ben hat­te. „Teil des Maß­nah­men­ka­ta­logs ist die Schaf­fung einer Anlauf­stel­le für von Rechts­extre­mis­mus Betrof­fe­ne. Per­so­nen, die vom Phä­no­men Rechts­extre­mis­mus betrof­fen sind, sol­len bei der Fach­grup­pe Rechts­extre­mis­mus kon­struk­ti­ve und schnel­le Unter­stüt­zung erhal­ten. Die Fach­grup­pe steht Per­so­nen, die in irgend­ei­ner Form mit dem Phä­no­men Rechts­extre­mis­mus kon­fron­tiert sind, als nie­der­schwel­li­ge Anlauf- und Bera­tungs­stel­le zur Verfügung.“

Bereits im Jahr 2013 ver­mel­de­te der Direk­tor des Liech­ten­stein-Insti­tuts Erfol­ge„’Noch vor ein paar Jah­ren muss­ten wir über Mas­sen­schlä­ge­rei­en und Brand­an­schlä­ge berich­ten’, sag­te Wil­fried Mar­xer, Direk­tor des Liech­ten­stein-Insti­tuts, bei der gest­ri­gen Prä­sen­ta­ti­on des Moni­to­ring­be­richts Rechts­extre­mis­mus 2013. Der Bericht, der seit 2010 erscheint, beob­ach­tet alle rechts­extre­men Akti­vi­tä­ten, die in irgend­ei­ner Form öffent­lichs­wirk­sam wer­den – durch Medi­en­be­rich­te, Inter­net­sei­ten, Pla­ka­te, Flug­blät­ter etc. Im Jahr 2013 konn­te so ein Rück­gang rechts­extre­mer Akti­vi­tä­ten ver­zeich­net wer­den. ‚Wir befin­den uns zur­zeit in ruhi­ge­rem Fahr­was­ser.’ (…) Das sei ein gutes Zei­chen: ‚Die vie­len Medi­en­be­rich­te schre­cken Rechts­extre­me ab. Sie wol­len nicht nament­lich genannt wer­den und agie­ren vor­sich­ti­ger.’“ 2015 hieß es im letz­ten Rechts­extre­mis­mus-Moni­to­ring­be­richt„Gewalt­vor­fäl­le mit rechts­extre­mem Hin­ter­grund sind nicht bekannt gewor­den und auch ent­spre­chen­de Gerichts­fäl­le sind im Jahr 2014 kei­ne zu ver­zeich­nen.“ Im Jah­res­be­richt 2017 der Poli­zei Liech­ten­stein ist ver­merkt: „Wie in den Jah­ren zuvor kann auch das Jahr 2017 im Bereich des Rechts­extre­mis­mus als ruhi­ges Jahr bezeich­net wer­den. Seit vie­len Jah­ren sind in Liech­ten­stein weder grös­se­re Gewalt­vor­fäl­le noch straf­recht­lich rele­van­te Ereig­nis­se mit rechts­extre­mem Hin­ter­grund zu ver­zeich­nen. Für die Lan­des­po­li­zei gilt in Bezug auf jede Form von Extre­mis­mus ein Null-Toleranz-Ansatz.“

Anfra­ge­be­ant­wor­tun­gen des Innen­mi­nis­te­ri­ums, die den hier dar­ge­leg­ten Zah­len zugrundeliegen:
2017: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00356/imfname_691641.pdf
2016: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_11453/imfname_630786.pdf
2015: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2014: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2013: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_00369/fname_342212.pdf   

Die Zah­len zu den ein­zel­nen ober­ös­ter­rei­chi­schen Bezir­ken fragt seit 2015 jähr­lich der Grü­ne Bun­des­rats­ab­ge­ord­ne­te David Stög­mül­ler ab, zu den ande­ren Bun­des­län­dern gibt es hier­zu kei­ne öffent­lich vor­lie­gen­den Zahlen.