Seit Jahren werden Daten zu rechtsextrem motivierten Straftaten abgefragt: Ab dem Jahr 2013 hat das der ehemalige Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser mit detaillierten parlamentarischen Anfragen an das Innen- und Justizministerium gemacht, seit dem Rausfall der Grünen aus dem Nationalrat hat die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz die Anfragen fortgeführt.
Grundsätzliche Parameter zu Daten und deren Interpretation wurden im Grünen Rechtsextremismusbericht 2016 von der Juristin Angelika Adensamer in einem Artikel (Entwicklungen und Analyse von Anzeigen- und Verurteilungszahlen 2010–2015; S. 13–21) erörtert. Darin hält Adensamer fest, dass die vom Innenministerium gelieferten Zahlen nur bedingt aussagekräftig sind: „Erst muss eine Straftat festgestellt werden, dann wird von den Sicherheitsbehörden eine mögliche Motivation eruiert, die schließlich vom Verfassungsschutz überprüft wird. Da in erster Linie die Polizei dafür verantwortlich ist, rechtsextreme Motivationen aufzunehmen, ist zu vermuten, dass es dazu keine einheitliche Praxis gibt und dass in vielen Fällen eine mögliche rechtsextreme Motivation nicht erkannt wird.“ (S. 14)
Ein Ansteigen der Anzeigen könne immer auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden und sei „keine verlässliche Quelle, um die tatsächliche Entwicklung von Straftaten zu beurteilen: Die Dunkelziffer ist hoch, und ein Anstieg an Anzeigen kann immer auch auf eine erhöhte Sensibilität der Zivilgesellschaft hinweisen.“ (ebda.)
Mehr Aussagekraft misst Adensamer der Zahl der erfassten Tathandlungen (die aus mehreren Delikten bestehen können) zu: „Die Zahl der dokumentierten Tathandlungen ist allerdings schon insofern bereinigt, als sie nur jene Handlungen aufzeigt, denen seitens der Sicherheitsbehörden strafrechtliche Relevanz zugeschrieben worden ist. (vgl. Bundesministerium für Inneres Verfassungsschutzbericht 2015, S. 17) Eine Anzeige ohne jeglichen Beweis, dass tatsächlich ein Delikt begangen wurde, würde somit wahrscheinlich keinen Eingang in die Statistik finden.“ (S. 15)
Selbstverständlich stellen Zahlen aus einem einzigen Jahr auch keinen verlässlichen Parameter für die Entwicklungen in einer Region dar, da es durch Gruppendelikte immer wieder zu Ausreissern kommen kann. So ist etwa der deutliche Anstieg der Anzeigen in Oberösterreich von 2015 (254) auf 2016 (312) auch auf das Auffliegen der 2015 gegründeten Facebook-Gruppe „Neueröffnung Mauthausen !!!“ zurückzuführen, aus der 24 von 29 Anzeigen im Bezirk Rohrbach resultierten: „Ansonsten sei die Zahl der rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Delikte im Bezirk Rohrbach nicht ungewöhnlich hoch und von einem Aufkeimen dieser könne keine Rede sein, heißt es vom Bezirkspolizeikommando Rohrbach.“ (tips.at, 1.5.17) Das ist nun doch zu hinterfragen, da einzelne Proponenten aus der Gruppe bereits über Jahre zuvor einschlägig auffällig waren, was offenbar von den Behörden ignoriert wurde. Erst durch eine Beobachtung und die Anzeige vom SdR-Obmann Karl Öllinger begann die Staatsanwaltschaft zu ermitteln. „’Es gibt in Rohrbach offenbar ein Nest von Rechtsextremen, dem bisher vielleicht zu wenig Beachtung geschenkt worden ist’, glaubt Öllinger. Seiner Ansicht nach befinden sich auch Personen darunter, denen ein Brandanschlag [gemeint ist der Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft Altenfelden, dessen Urheber bis heute nicht gefunden wurden; Anmk. SdR] durchaus zuzutrauen wäre: ‚Von ihrer öffentlich demonstrierten Einstellung her wären manche vermutlich dazu imstande.’“ (kurier.at, 10.6.16)
Im ZiB 2‑Beitrag vom 31.1.19 meinte David Furtner von der LPD Oberösterreich zu den rechtsextremen Straftaten in seinem Bundesland befragt, es handle sich um Einzeltäter: „Fakt ist, dass die aktuellen Straftaten in den Sozialen Medien eigentlich nur von Einzeltätern begangen werden. Hier erkennen wir keinen strukturierten Rechtsextremismus, und darüber sind wir auch froh.“ Tiefere Recherchen lassen jedoch anderes vermuten: Zuallererst ist festzuhalten, dass der polizeilich erfasste Rechtsextremismus keinesfalls hauptsächlich aus Tathandlungen besteht, die im Internet verübt werden. Von den für Oberösterreich registrierten 192 Tathandlungen aus dem Jahr 2017 wurden nur 53 aus dem Internet kommend erfasst, also knapp ein Viertel. Österreichweit wurden von 1.063 Tathandlungen im Jahr 2017 298 dem Internet zugeordnet.
Wer sich die Mühe macht, die jeweiligen Facebook-Accounts von Tatverdächtigen genauer anzusehen, erkennt in der Regel vielfältige Vernetzungen aus den Beobachtungen, wer mit wem kommuniziert, wer mit wem „befreundet“ ist, wer likt, wer teilt, wer kommentiert und auf welchen anderen Profilen, Gruppen, Seiten sind die Personen zusätzlich aktiv. Das hat auch der Fall der Rohrbacher Facebook-Gruppe deutlich gezeigt.
Wie sehen nun die offiziellen Zahlen des Innenministeriums im Bundesländervergleich tatsächlich aus?
Den absoluten Zahlen nach ist es korrekt, dass Oberösterreich seit 2015 die Statistik der Tathandlungen anführt. Rechnet man die Fälle relativ zur Bevölkerungszahl, ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Hier liegt das Bundesland Salzburg voran und zwar sehr deutlich. Von 2013 bis 2017 wurden 78 Tathandlungen/100.000 EinwohnerInnen Salzburg zugeordnet, Oberösterreich liegt zusammen mit der Steiermark mit 57 Tathandlungen/100.000 Ew. an der zweiten Stelle.
Noch drastischer sind die Zahlen zu den Anzeigen:
Bei den gesamten Anzeigen mit rechtsextremem Hintergrund liegt Salzburg mit 134 Anzeigen/100.000 Ew. einsam an der Spitze, an zweiter Stelle findet sich Wien mit 85 Anzeigen/100.000 Ew., Oberösterreich nimmt im Ranking den vierten Platz ein.
Mit Blick auf Anzeigen nach dem Verbotsgesetz liegt Salzburg wieder deutlich mit 70 Anzeigen//100.000 Ew. voran, Oberösterreich rangiert mit 49 Anzeigen//100.000 Ew. an zweiter Stelle vor Wien mit 45 Anzeigen//100.000 Ew.
Keine Entwarnung für Oberösterreich – Handlungsbedarf für Salzburg
Oberösterreich hat insgesamt keinen Grund sich zurückzulehnen, das eingangs erwähnte Schreiben an LH Stelzer ist zweifelsohne berechtigt. Akuten Handlungsbedarf hat jedenfalls zumindest auch Salzburg. An den dortigen Landeshauptmann wäre das nächste Schreiben zu richten.
Was ist daraus zu folgern, was wäre zu tun?
Vorneweg: Wir verfügen über keinerlei evidenzbasierte Erklärungsmodelle, warum sich einzelne Bundesländer so deutlich von anderen abheben. Bis auf Oberösterreich haben wir auch keine Zahlen zu einzelnen Bezirken, um nachzuprüfen, ob es regionale Hotspots gibt, und – falls ja – wo die liegen. Daraus wird bereits ein Defizit ersichtlich: Es gibt in ganz Österreich keine einzige an einer Hochschule oder Universität angesiedelte Forschungsstelle, die sich mit der Materie kontinuierlich wissenschaftlich beschäftigen würde. Mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands haben wir eine überaus kompetente, aber kümmerlich ausgestattete Institution, die mit geringsten Personalressourcen für Forschung, Beobachtung, Dokumentation und Deradikalisierungsworkshops in Schulen zuständig ist, und trotz der allerhöchsten Anstrengungen nicht einmal ansatzweise das leisten kann, was eigentlich notwendig wäre.
Good Practice Liechtenstein
Nachdem im Fürstentum Liechtenstein eine sehr aktive rechtsextreme Szene konstatiert worden war, reagierte das Land und ergriff eine Reihe von Maßnahmen: Zwischen 2010 und 2015 wurde vom „Liechtenstein-Institut“ jährlich ein Rechtsextremismus-Monitoringbericht veröffentlicht, seit 2016 ein allgemeiner Extremismus-Bericht. Die Gewaltschutzkommission der Regierung legte einen Maßnahmenkatalog vor, der auf externe Studien basierte, die das Land bei der Fachhochschule Nordwestschweiz in Auftrag gegeben hatte. „Teil des Maßnahmenkatalogs ist die Schaffung einer Anlaufstelle für von Rechtsextremismus Betroffene. Personen, die vom Phänomen Rechtsextremismus betroffen sind, sollen bei der Fachgruppe Rechtsextremismus konstruktive und schnelle Unterstützung erhalten. Die Fachgruppe steht Personen, die in irgendeiner Form mit dem Phänomen Rechtsextremismus konfrontiert sind, als niederschwellige Anlauf- und Beratungsstelle zur Verfügung.“
Bereits im Jahr 2013 vermeldete der Direktor des Liechtenstein-Instituts Erfolge: „’Noch vor ein paar Jahren mussten wir über Massenschlägereien und Brandanschläge berichten’, sagte Wilfried Marxer, Direktor des Liechtenstein-Instituts, bei der gestrigen Präsentation des Monitoringberichts Rechtsextremismus 2013. Der Bericht, der seit 2010 erscheint, beobachtet alle rechtsextremen Aktivitäten, die in irgendeiner Form öffentlichswirksam werden – durch Medienberichte, Internetseiten, Plakate, Flugblätter etc. Im Jahr 2013 konnte so ein Rückgang rechtsextremer Aktivitäten verzeichnet werden. ‚Wir befinden uns zurzeit in ruhigerem Fahrwasser.’ (…) Das sei ein gutes Zeichen: ‚Die vielen Medienberichte schrecken Rechtsextreme ab. Sie wollen nicht namentlich genannt werden und agieren vorsichtiger.’“ 2015 hieß es im letzten Rechtsextremismus-Monitoringbericht: „Gewaltvorfälle mit rechtsextremem Hintergrund sind nicht bekannt geworden und auch entsprechende Gerichtsfälle sind im Jahr 2014 keine zu verzeichnen.“ Im Jahresbericht 2017 der Polizei Liechtenstein ist vermerkt: „Wie in den Jahren zuvor kann auch das Jahr 2017 im Bereich des Rechtsextremismus als ruhiges Jahr bezeichnet werden. Seit vielen Jahren sind in Liechtenstein weder grössere Gewaltvorfälle noch strafrechtlich relevante Ereignisse mit rechtsextremem Hintergrund zu verzeichnen. Für die Landespolizei gilt in Bezug auf jede Form von Extremismus ein Null-Toleranz-Ansatz.“
Anfragebeantwortungen des Innenministeriums, die den hier dargelegten Zahlen zugrundeliegen:
2017: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00356/imfname_691641.pdf
2016: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_11453/imfname_630786.pdf
2015: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2014: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2013: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_00369/fname_342212.pdf
Die Zahlen zu den einzelnen oberösterreichischen Bezirken fragt seit 2015 jährlich der Grüne Bundesratsabgeordnete David Stögmüller ab, zu den anderen Bundesländern gibt es hierzu keine öffentlich vorliegenden Zahlen.