Rechtsextreme Straftaten 2019 – Entwicklung und Bundesländervergleich

Erst Ende Novem­ber kam er: Still und lei­se wur­de der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019 online gestellt. Dem im Sep­tem­ber 2019 ein­stim­mig getrof­fe­nen Beschluss des Natio­na­len Sicher­heits­heits­ra­tes, dass das Innen­mi­nis­te­ri­um auch wie­der einen sepa­ra­ten Rechts­extre­mis­mus­be­richt – und den bereits für 2019 – vor­le­gen möge, wur­de nicht Rech­nung getra­gen. Aber wir haben uns die Zah­len 2019 zu den rechts­extrem moti­vier­ten Straf­ta­ten genau­er ange­se­hen und die lang­jäh­ri­gen Ent­wick­lun­gen dargestellt.

Der Bun­des­trend

Die rechts­extre­men Tat­hand­lun­gen (1) haben im Ver­gleich zu 2019 abge­nom­men. Nach einem Höchst­stand von 2016 mit 1.313 Tat­hand­lun­gen ist die Zahl 2019 erst­mals seit 2014 mit 922 unter die Tau­sen­der­mar­ke gesun­ken. Anders ver­hält es sich bei den Anzei­gen: Die sind seit 2018 leicht gestie­gen (von 1.622 auf 1.667) und haben sich somit auf einem etwa gleich­blei­bend hohen Niveau ein­ge­pen­delt. Erst­mals auf eine Mar­ke über 1.000 sind die Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz geklet­tert: Sie sind von 877 (2018) auf 1.037 ange­stie­gen. Das kann auf eine erhöh­te Sen­si­bi­li­tät und Anzei­ge­be­reit­schaft der Bevöl­ke­rung hin­wei­sen, aber auch auf einen Anstieg der Taten. Die­se Unklar­heit ist ein Hin­weis dar­auf, dass es in Öster­reich kei­ne sys­te­ma­ti­sche for­schungs­ge­stütz­te Inter­pre­ta­ti­on die­ser Zah­len gibt. Der im Regie­rungs­über­ein­kom­men avi­sier­te Akti­ons­plan gegen Rechts­extre­mis­mus und die Ein­rich­tung einer For­schungs­stel­le im DÖW har­ren ihrer Umset­zung – genau­so wie die Über­ar­bei­tung des Verbotsgesetzes.

rechtsextrem motivierte Tathandlungen 2013-2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

rechts­extrem moti­vier­te Tat­hand­lun­gen 2013–2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

Anzeigen rechtsextreme Straftaten 2013-2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

Anzei­gen rechts­extre­me Straf­ta­ten 2013–2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

Anzeigen nach dem Verbotsgesetz 2013-2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz 2013–2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

Die Bun­des­län­der: Salz­burg ein­sa­me Spitze

Im Ver­gleich der Bun­des­län­der sticht – gemes­sen an der Anzahl der Einwohner*innen – ein­mal mehr Salz­burg her­aus; 2019 noch deut­li­cher als in den Jah­ren davor. Hier sind die Zah­len in allen Kate­go­rien hin­auf­ge­schnellt: Die Tat­hand­lun­gen sind pro Einwohner*in um 36% gestie­gen (von 14 auf 19 pro 100.000 Ew.), die Anzei­gen gesamt um 41% (von 22 auf 31 pro 100.000 Ew.) und die Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz um fast 92% (von 12 auf 23 pro 1000.000 Ew.). Der bemer­kens­wer­te Anstieg dürf­te wenigs­tens teil­wei­se auf eine Mas­sen­tat zurück zu füh­ren sein: Im Dezem­ber 2019 flog ein 19-jäh­ri­ger Ten­nen­gau­er mit 182 ange­zeig­ten Straf­ta­ten und wei­te­ren 38 Beschul­dig­ten mit 241 Delik­ten nach dem Ver­bots­ge­setz auf. Hin­ter Salz­burg ran­giert ver­läss­lich Ober­ös­ter­reich an zwei­ter Stel­le, wo eben­falls ein – wenn auch leich­ter – Anstieg in allen Kate­go­rien zu ver­zeich­nen ist.

Im Lang­zeit­schnitt (2013 bis 2019) lie­gen bei den Tat­hand­lun­gen Salz­burg, Ober­ös­ter­reich und die Stei­er­mark über dem bun­des­wei­ten Durch­schnitt, bei den Anzei­gen gesamt Salz­burg und Nie­der­ös­ter­reich und bei den Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz Salz­burg und Oberösterreich.

Die Hot­spots des Rechts­extre­mis­mus sind also klar defi­niert: Salz­burg und Ober­ös­ter­reich. Salz­burg schweigt sich dazu aus: Es gibt dort – im Gegen­satz zu Ober­ös­ter­reich – kei­ne maß­geb­li­chen zivil­ge­sell­schaft­li­chen anti­fa­schis­ti­schen Initia­ti­ven, die sich laut zu Wort mel­den wür­den, und auch von den poli­ti­schen Ver­ant­wort­li­chen sind kei­ner­lei Akti­vi­tä­ten bekannt. In allen Kate­go­rien sticht auch das Bur­gen­land her­aus: Es weist die nied­rigs­ten Zah­len auf, und das sehr deutlich.

rechtsextrem motivierte Tathandlungen 2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

rechts­extrem moti­vier­te Tat­hand­lun­gen 2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

Anzeigen rechtsextreme Straftaten 2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

Anzei­gen rechts­extre­me Straf­ta­ten 2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

Anzeigen nach dem Verbotsgesetz 2019 (absolut und pro 100.000 Ew.)

Anzei­gen nach dem Ver­bots­ge­setz 2019 (abso­lut und pro 100.000 Ew.)

NS-Mel­de­stel­le: ein Rätsel

Mys­te­ri­ös sind jene Zah­len, die in den diver­sen Anfra­ge­be­ant­wor­tun­gen zu den Hin­wei­sen an die NS-Mel­de­stel­le ange­ge­ben wer­den und zur Anzahl der dar­aus resul­tie­ren­den Anzei­gen (2):

2013: 63 2014: 158 2015: 238 2016: 274
2017: kei­ne Daten 2018: 164 2019: 68

Die Ent­wick­lung der Zah­len ist über­ra­schend: Nach­dem im Jahr 2016 ein Höchst­stand an Anzei­gen ver­mel­det wur­de, ist fürs Jahr 2019 ein abrup­ter Abfall zu kon­sta­tie­ren. Da jedoch das all­ge­mei­ne Anzei­gen­ni­veau nur gering abge­nom­men hat, stellt sich die Fra­ge, war­um jenes bei der NS-Mel­de­stel­le im Ver­gleich zum Jahr davor um fast 60% abge­fal­len ist.

Aber es wird noch rät­sel­haf­ter: In der Beant­wor­tung der Anfra­ge von David Stög­mül­ler, wie vie­le Hin­wei­se auf rechts­extre­me Akti­vi­tä­ten öster­reich­weit bei der Inter­net-Mel­de­stel­le für NS-Wie­der­be­tä­ti­gung im Jahr 2019 ein­ge­gan­gen sind, kam die Ant­wort: „Im Jahr 2019 bezo­gen sich 95 Hin­wei­se auf Öster­reich. Dar­aus resul­tier­ten bis Jah­res­en­de 68 Anzei­gen.“ Im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2019 lesen wir jedoch: Bei der Inter­net-Mel­de­stel­le ‚NS-Wie­der­be­tä­ti­gung‘ sind im Jahr 2019 ins­ge­samt 3.081 Hin­wei­se davon 964 rele­van­te Sach­ver­hal­te ein­ge­gan­gen (2018: 3.176 Ein­gän­ge – 1.440 rele­vant).“ Dem­nach hät­ten sich fast alle Hin­wei­se aufs Aus­land bezo­gen, was nicht nach­voll­zieh­bar ist.

Noch eini­ge Zah­len zu Ankla­gen und Verurteilungen:

Laut Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um wur­den seit 2011 ins­ge­samt 2033 Per­so­nen nach dem Ver­bots­ge­setz ange­klagt. 2011 waren es 137, 2020 bereits 321 Ankla­gen. In 919 Fäl­len erfolg­te eine Ver­ur­tei­lung. Auch hier stieg die Zahl von 2011 (44) bis 2020 (127) deut­lich. Mit Stand 14. Dezem­ber befan­den sich 33 Per­so­nen im Gefäng­nis bzw. Maß­nah­men­voll­zug. (Salz­bur­ger Nach­rich­ten, 16.12.20, S. 21)

In eige­ner Sache: Wir brau­chen Euch!
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➡️ Rechts­extre­me Straf­ta­ten 2018: Ent­wick­lung, Bun­des­län­der­ver­gleich und eine Frage
➡️ Rechts­extrem moti­vier­te Straf­ta­ten im Jah­res- und Bundesländervergleich

1 Tat­hand­lun­gen kön­nen aus meh­re­ren Delik­ten bestehen: z.B. bei einer NS-Schmie­re­rei Sach­be­schä­di­gung und Wiederbetätigung
2 Bei den Anfra­gen 2013–2016 und 2018 wur­den aus­schließ­lich die Anzahl der Hin­wei­se, die zu Anzei­gen führ­ten, bekannt gege­ben, nur für 2019 die Anzahl der HIn­wei­se und jene der Anzeigen.

Anfra­ge­be­ant­wor­tun­gen des Innen­mi­nis­te­ri­ums, die den hier dar­ge­leg­ten Zah­len zugrun­de liegen:
2019: Anfrage/Beantwortung Stög­mül­ler: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00737/index.shtml

Anfrage/Beantwortung Schatz:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00513/index.shtml
2018: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/AB-BR/AB-BR_03352/imfname_746617.pdf
2017: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00356/imfname_691641.pdf
2016: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_11453/imfname_630786.pdf
2015: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2014: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2013: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_00369/fname_342212.pdf