Der Bundestrend
Die rechtsextremen Tathandlungen (1) haben im Vergleich zu 2019 abgenommen. Nach einem Höchststand von 2016 mit 1.313 Tathandlungen ist die Zahl 2019 erstmals seit 2014 mit 922 unter die Tausendermarke gesunken. Anders verhält es sich bei den Anzeigen: Die sind seit 2018 leicht gestiegen (von 1.622 auf 1.667) und haben sich somit auf einem etwa gleichbleibend hohen Niveau eingependelt. Erstmals auf eine Marke über 1.000 sind die Anzeigen nach dem Verbotsgesetz geklettert: Sie sind von 877 (2018) auf 1.037 angestiegen. Das kann auf eine erhöhte Sensibilität und Anzeigebereitschaft der Bevölkerung hinweisen, aber auch auf einen Anstieg der Taten. Diese Unklarheit ist ein Hinweis darauf, dass es in Österreich keine systematische forschungsgestützte Interpretation dieser Zahlen gibt. Der im Regierungsübereinkommen avisierte Aktionsplan gegen Rechtsextremismus und die Einrichtung einer Forschungsstelle im DÖW harren ihrer Umsetzung – genauso wie die Überarbeitung des Verbotsgesetzes.
Die Bundesländer: Salzburg einsame Spitze
Im Vergleich der Bundesländer sticht – gemessen an der Anzahl der Einwohner*innen – einmal mehr Salzburg heraus; 2019 noch deutlicher als in den Jahren davor. Hier sind die Zahlen in allen Kategorien hinaufgeschnellt: Die Tathandlungen sind pro Einwohner*in um 36% gestiegen (von 14 auf 19 pro 100.000 Ew.), die Anzeigen gesamt um 41% (von 22 auf 31 pro 100.000 Ew.) und die Anzeigen nach dem Verbotsgesetz um fast 92% (von 12 auf 23 pro 1000.000 Ew.). Der bemerkenswerte Anstieg dürfte wenigstens teilweise auf eine Massentat zurück zu führen sein: Im Dezember 2019 flog ein 19-jähriger Tennengauer mit 182 angezeigten Straftaten und weiteren 38 Beschuldigten mit 241 Delikten nach dem Verbotsgesetz auf. Hinter Salzburg rangiert verlässlich Oberösterreich an zweiter Stelle, wo ebenfalls ein – wenn auch leichter – Anstieg in allen Kategorien zu verzeichnen ist.
Im Langzeitschnitt (2013 bis 2019) liegen bei den Tathandlungen Salzburg, Oberösterreich und die Steiermark über dem bundesweiten Durchschnitt, bei den Anzeigen gesamt Salzburg und Niederösterreich und bei den Anzeigen nach dem Verbotsgesetz Salzburg und Oberösterreich.
Die Hotspots des Rechtsextremismus sind also klar definiert: Salzburg und Oberösterreich. Salzburg schweigt sich dazu aus: Es gibt dort – im Gegensatz zu Oberösterreich – keine maßgeblichen zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Initiativen, die sich laut zu Wort melden würden, und auch von den politischen Verantwortlichen sind keinerlei Aktivitäten bekannt. In allen Kategorien sticht auch das Burgenland heraus: Es weist die niedrigsten Zahlen auf, und das sehr deutlich.
NS-Meldestelle: ein Rätsel
Mysteriös sind jene Zahlen, die in den diversen Anfragebeantwortungen zu den Hinweisen an die NS-Meldestelle angegeben werden und zur Anzahl der daraus resultierenden Anzeigen (2):
2013: 63 | 2014: 158 | 2015: 238 | 2016: 274 |
2017: keine Daten | 2018: 164 | 2019: 68 |
Die Entwicklung der Zahlen ist überraschend: Nachdem im Jahr 2016 ein Höchststand an Anzeigen vermeldet wurde, ist fürs Jahr 2019 ein abrupter Abfall zu konstatieren. Da jedoch das allgemeine Anzeigenniveau nur gering abgenommen hat, stellt sich die Frage, warum jenes bei der NS-Meldestelle im Vergleich zum Jahr davor um fast 60% abgefallen ist.
Aber es wird noch rätselhafter: In der Beantwortung der Anfrage von David Stögmüller, wie viele Hinweise auf rechtsextreme Aktivitäten österreichweit bei der Internet-Meldestelle für NS-Wiederbetätigung im Jahr 2019 eingegangen sind, kam die Antwort: „Im Jahr 2019 bezogen sich 95 Hinweise auf Österreich. Daraus resultierten bis Jahresende 68 Anzeigen.“ Im Verfassungsschutzbericht 2019 lesen wir jedoch: „Bei der Internet-Meldestelle ‚NS-Wiederbetätigung‘ sind im Jahr 2019 insgesamt 3.081 Hinweise davon 964 relevante Sachverhalte eingegangen (2018: 3.176 Eingänge – 1.440 relevant).“ Demnach hätten sich fast alle Hinweise aufs Ausland bezogen, was nicht nachvollziehbar ist.
Noch einige Zahlen zu Anklagen und Verurteilungen:
Laut Justizministerium wurden seit 2011 insgesamt 2033 Personen nach dem Verbotsgesetz angeklagt. 2011 waren es 137, 2020 bereits 321 Anklagen. In 919 Fällen erfolgte eine Verurteilung. Auch hier stieg die Zahl von 2011 (44) bis 2020 (127) deutlich. Mit Stand 14. Dezember befanden sich 33 Personen im Gefängnis bzw. Maßnahmenvollzug. (Salzburger Nachrichten, 16.12.20, S. 21)
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➡️ Rechtsextreme Straftaten 2018: Entwicklung, Bundesländervergleich und eine Frage
➡️ Rechtsextrem motivierte Straftaten im Jahres- und Bundesländervergleich
1 Tathandlungen können aus mehreren Delikten bestehen: z.B. bei einer NS-Schmiererei Sachbeschädigung und Wiederbetätigung
2 Bei den Anfragen 2013–2016 und 2018 wurden ausschließlich die Anzahl der Hinweise, die zu Anzeigen führten, bekannt gegeben, nur für 2019 die Anzahl der HInweise und jene der Anzeigen.
Anfragebeantwortungen des Innenministeriums, die den hier dargelegten Zahlen zugrunde liegen:
2019: Anfrage/Beantwortung Stögmüller: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00737/index.shtml
Anfrage/Beantwortung Schatz:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00513/index.shtml
2018: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/AB-BR/AB-BR_03352/imfname_746617.pdf
2017: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_00356/imfname_691641.pdf
2016: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_11453/imfname_630786.pdf
2015: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2014: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_03782/imfname_404559.pdf
2013: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_00369/fname_342212.pdf