Vor allem zu Beginn der Pandemie wurden Fotos und Videos von leeren Krankenhaus-Stationen im Netz herumgereicht, um die Fotos aus Italien und New York zu entkräften: Schaut her, es gibt gar keine Pandemie, keine Schwerkranken, keine Toten, kein Virus! Die Massivität der Pandemie macht mittlerweile neue Lügenerzählungen notwendig. Die Existenz des Virus wird nicht mehr so deutlich bestritten, das Geraune kreist mehr um die angeblichen Manipulationen von Medien, Wissenschaft und Politik.
Die Puppenlüge
Ein schönes Beispiel dafür liefert ein Foto, das ein deutscher QAnon-Fan auf Facebook gestellt hat. Es zeigt einen zunächst unbekannten Menschen gestikulierend vor Krankenhausbetten. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass in den Betten keine Menschen liegen, sondern Puppen. Zum Foto kommt noch der knappe Kommentar: „Er redet mit Puppen.“ Das FB-Posting wird innerhalb kürzester Zeit fast eintausend Mal geteilt – viele Kommentare, Likes und Teilungen stammen auch aus Österreich.
Das Foto ist kein Fake, sondern lebt – zusammen mit dem Kommentar – von der Unterstellung, dass da einer versucht, uns Puppen als Kranke unterzujubeln, indem er so tut, als spreche er mit ihnen. Die alte Lügenerzählung (keine Pandemie, kein Virus, keine überfüllten Stationen usw.) lebt mit dem Foto wieder auf, obwohl sie gar nicht direkt angesprochen wurde. Dazu kommt aber jetzt einer, der uns ein volles Krankenzimmer mit Puppen vortäuschen will! Wer ist er?
In den Kommentaren unter dem Post klärt jemand auf, dass es sich um Alain Berset, ein Mitglied der Schweizer Bundesregierung, handelt. Alle, die das Post des QAnon-Fans aus Schwerin teilen, liken oder kommentieren, verstehen die Botschaft des Posts auch so, wie sie der Poster verstanden wissen will: So sollen wir manipuliert werden, aber wir durchschauen das! „Wahnsinn!“, „Ach krass …“, „Unfassbar“, so einige der Kommentare.
Wir haben deshalb bei Alain Berset nachgefragt, wie das Bild entstanden bzw. zu verstehen ist und dazu folgende Erklärung seines Pressesprechers erhalten:
Zu Hintergrund und Kontext des Bildes, das die Bildagentur Keystone-SDA gestern aufgenommen und publiziert hat, können wir Folgendes sagen: Nach seinem Treffen mit Mitarbeitenden des Spitals in Neuchâtel hat Bundesrat Alain Berset gestern Mittwoch auch der Fachhochschule Arc Santé einen Besuch abgestattet. Dort – und nicht im Spital – ist das Foto entstanden. Bei den Puppen handelt es sich um Simulatoren für Pflegefachkräfte. Sie werden in der Ausbildung eingesetzt, damit die Studenten möglichst realistisch üben können. An ihnen wird zum Beispiel eine Intubation oder eine Wiederbelebung mit dem Defibrillator geübt.
Die Boulevardzeitung „Blick“ hat das Foto veröffentlicht, allerdings in einem Bildausschnitt, bei dem einige der Begleitpersonen weggeschnitten sind und der Kontext so nicht erkennbar ist bzw. erklärt wird. Ist das absichtlich passiert, um den Politiker vorzuführen? „Blick“ hat – immerhin – mit einer Richtigstellung reagiert; da war das Foto allerdings schon hundertfach viral unterwegs.
Die Lüge über den vermeintlichen „Hochstapler“ Drosten
Christian Drosten ist nicht nur einer der bekanntesten Virologen im deutschsprachigen Raum, er hat mit seinen Prognosen und Warnungen zu Covid-19 leider auch sehr oft Recht behalten. Wie untergräbt man die Glaubwürdigkeit eines anerkannten Wissenschafters? Nachdem schon vor Monaten ein Versuch der „Bild“-Zeitung, Drosten unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vorzuhalten, krachend gescheitert ist, versuchen es die Corona-Heinis noch einige Stufen tiefer. Drosten, so der Vorwurf, habe gar kein gültiges Doktorat, daher auch keinen Titel, daher, so darf man dann schlussfolgern, seien auch seine wissenschaftlichen Arbeiten und Warnungen wertlos, oder? Auch das rechtsextreme aus Österreich gespeiste Internet-Medium „Unser Mitteleuropa“ hat sich – so wie auch einige Plagiatsjäger – erfolglos darin versucht, Drosten wegen der angeblich fehlenden Auffindbarkeit seiner Doktorarbeit ans Bein zu pinkeln. Der Zweck der Übung: eine Diskreditierungskampagne nach dem Muster, wirf mit Dreck, irgendetwas bleibt schon hängen! Aufklärung liefert einmal mehr „correctiv“.
Die Cola-Corona-Lüge
Natürlich! Die neueste Leuchte der FPÖ, ihr Generalsekretär Schnedlitz (das ist der, der die „liebe identitäre Bewegung“ in seiner Heimatstadt so freudig begrüßt hat und nun für seine Partei ein Ende der Distanzierei von den Identitären eingeläutet hat), inszeniert im Nationalrat das, was er für die große Corona-Testlüge hält: Er schüttet Cola auf den Teststreifen für den Corona-Antigen-Test. Der Teststreifen reagiert positiv – für Schnedlitz der ultimative Beweis, dass die Tests so untauglich sind wie die Bundesregierung. Die FPÖ feiert ihren Chefvirologen und dessen waghalsigen „Test“ sogar mit einer eigenen Presseaussendung. Der blaue „Wochenblick“ assistierte eifrig und lobte die „feurige Parlamentsrede“ von Schnedlitz.
Anscheinend aber hat der blaue Chefvirologe noch nie einen Antigen-Test gemacht. Sonst wüsste er nämlich, dass man die Testsubstanz nicht direkt auf den Teststreifen aufträgt, sondern zunächst in eine Pufferlösung einbringen muss. Details dazu liefert auch hier der Faktencheck von „correctiv“. Eine vereinfachte, aber sehr brauchbare Variante des Faktenchecks bietet Barbara Neßler, Abgeordnete der Grünen, in einem kurzen Video an: Cola färbt auch einen Schwangerschaftstest positiv ein. Sie erntete damit eine, zum Teil aus Deutschland orchestrierte, Flut an wüsten Beschimpfungen.
In diversen Corona-Kanälen und von der Chefvirologin der rechtsextremen AfD, Alice Weidel, wird Schnedlitz hymnisch gefeiert und durchgereicht. Mit seinem Cola-Test hat es Schnedlitz auch in die internationalen Medien geschafft. Die beurteilen dessen Intelligenz allerdings ohne Cola eher negativ.
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