Grazer Neonazi-Prozess: Da passt fast gar nichts!

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Die ers­te Run­de ist vor­bei. Zunächst der Pro­zess gegen eini­ge Neo­na­zi-Schlä­ger im Früh­jahr wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung: acht Ange­klag­te, sechs Haft­stra­fen, zwei Frei­sprü­che. Dann der Pro­zess gegen die glei­chen Neo­na­zi-Schlä­ger wegen der glei­chen Anläs­se, aber dies­mal wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung. Franz Radl und ein ande­rer Kreis von neo­na­zis­ti­schen Delik­ten wur­den hin­zu­ge­fügt. Ergeb­nis: fünf Frei­sprü­che, fünf Haft­stra­fen und eine Rei­he von offe­nen Fragen.

Die ers­te offe­ne Fra­ge: War­um wur­den die bru­ta­len Schlä­ge­rei­en im Cafe Zep­pe­lin (Jän­ner 2010) und beim Public Vie­w­ing am Kar­me­li­ter­platz in Graz erst so spät ver­han­delt – zwei Jah­re danach? Die zwei­te offe­ne Fra­ge: War­um wur­den die Delik­te in getrenn­ten Ver­hand­lun­gen zur Ankla­ge gebracht? Obwohl die Ankla­ge­schrift die bei­den Schlä­ge­rei­en und die NS-Wie­der­be­tä­ti­gung dabei in einem abhan­del­te? Und war­um wur­den die Ankla­ge­punk­te gegen Franz Radl und drei wei­te­re Per­so­nen wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung zur Wie­der­be­tä­ti­gungs-Ankla­ge gegen die Schlä­ger hinzugefügt?


“Gott­fried Küs­sel und Franz Radl jun., hin­ter Git­tern.” (Anti-EU-Demons­tra­ti­on 2008) Quel­le: de.indymedia.org

Zwi­schen den drei Delikt­krei­sen (schwe­re Kör­per­ver­let­zung und NS-Wie­der­be­tä­ti­gung im „Zep­pe­lin“, schwe­re Kör­per­ver­let­zung und NS Wie­der­be­tä­ti­gung am Kar­me­li­ter­platz, NS-Wie­der­be­tä­ti­gung rund um Franz Radl mit Holo­caust­leug­nung und Gerd Hon­sik) gab es zwar ein­zel­ne per­so­nel­le Über­schnei­dun­gen, aber kei­ne Ver­su­che oder gar Bewei­se der ermit­teln­den Behör­den, den zehn Ange­klag­ten einen orga­ni­sa­to­ri­schen oder akti­ons­be­zo­ge­nen Zusam­men­hang nachzuweisen.

Ganz im Gegen­teil: Vor allem die Ankla­ge gegen Franz Radl und drei wei­te­re Beschul­dig­te wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung rund um eine Hon­sik-Pro­pa­gan­da-Home­page, eine „Honsik“-Klebeaktion in etli­chen stei­ri­schen Orten und NS-Pro­pa­gan­da, dar­un­ter eine Hetz-CD mit Holo­caust­leug­nun­gen übels­ter Art, ent­pupp­te sich als offe­ne Bau­stel­le. Radl wur­de ange­klagt, die Hon­sik-Home­page „im Zusam­men­wir­ken mit wei­te­ren noch unbe­kann­ten Tätern“ betrie­ben zu haben. Auch die Ver­tei­lung von „Honsik“-Klebern, wegen der Franz Radl, Mar­kus L. und Ger­hard T. gemein­sam ange­klagt waren, erfolg­te laut Ankla­ge „im Zusam­men­wir­ken mit wei­te­ren noch unbe­kann­ten Tätern“.


Die inzwi­schen nicht mehr exis­ten­te Web­site “gerd-honsik.net” war auch The­ma beim Pro­zess in Graz

Wer sind die wei­te­ren unbe­kann­ten Täter und wo sind sie geblie­ben? Die größ­ten Defi­zi­te der Ermitt­lun­gen offen­bar­ten sich aber nur am Ran­de des Gra­zer Pro­zes­ses. Im Wie­ner Neo­na­zi-Pro­zess gegen Küs­sel und Co. wegen Alpen-Donau wur­de immer deut­li­cher, dass Franz Radl und Richard P. ver­däch­tig sind, zum inne­ren Kern von Alpen-Donau zu gehö­ren: die Alpen-Mur-Abtei­lung sozu­sa­gen. Küs­sel und Co. duns­ten seit den Haus­durch­su­chun­gen im Früh­jahr 2011 in Untersuchungshaft.

Und was ist mit Franz Radl? Spä­tes­tens seit der par­la­men­ta­ri­schen Anfra­ge zu Alpen-Donau im Juli 2010 muss­te die ermit­teln­de Behör­de, der Ver­fas­sungs­schutz, den Vor­wür­fen nach­ge­hen. Eine Tele­fon­über­wa­chung gab es, wur­de im Pro­zess bekannt. Ja eh, aber die Kom­mu­ni­ka­ti­on lief bei den Alpen-Nazis übers Inter­net. Auch Richard P. wur­de in der Anfra­ge genannt. Gegen ihn fand erst im Juni 2012 eine Haus­durch­su­chung statt. Da stand er schon eini­ge Mona­te in Graz vor Gericht.

Die Vor­wür­fe bzw. Ver­dachts­mo­men­te rund um die Mur-Con­nec­tion von Alpen-Donau spiel­ten in der Gra­zer Ver­hand­lung kei­ne Rol­le. Ob und wann gegen Radl und Co. ein Ver­fah­ren wegen des Ver­dachts der Betei­li­gung an Alpen-Donau statt­fin­den wird, steht in den Sternen.


Richard P. am Cam­pus der Uni Graz bei einem Wahl­standl des RFS

Zurück zum Gra­zer Pro­zess: Trotz der beschrie­be­nen Defi­zi­te der Ankla­ge­schrift im Wie­der­be­tä­ti­gungs­pro­zess war der Vor­wurf der NS-Wie­der­be­tä­ti­gung klar aus­ge­ar­bei­tet und in etli­chen Ein­zel­be­le­gen doku­men­tiert – ein gro­ßer Unter­schied zum Wie­ner Pro­zess! Auch die Ver­hand­lungs­füh­rung durch den Rich­ter, der bei­de Gra­zer Pro­zes­se lei­te­te, war tadel­los. Die Ver­su­che ein­zel­ner Ange­klag­ter, Ver­hand­lungs­füh­rung und Ankla­ge zu dis­kre­di­tie­ren, miss­lan­gen völ­lig. Auch das ist ein deut­li­cher Unter­schied zum Wie­ner Pro­zess, der immer wie­der von Pan­nen durch­zo­gen war – und vor allem schon sehr lan­ge dauert.

Die Ergeb­nis­se der bei­den Gra­zer Ver­hand­lun­gen sind aller­dings mehr als unbe­frie­di­gend. Wegen der schwe­ren Kör­per­ver­let­zung im Zep­pe­lin gab es im ers­ten Ver­fah­ren sechs Schuld- und zwei Frei­sprü­che. Obwohl sich die Ange­klag­ten offen­sicht­lich ver­ab­re­det hat­ten und qua­si uni­for­miert und mit Nazi-Sprü­chen im Lokal auf­ge­tre­ten sind, wur­den alle in die­sem Zusam­men­hang vom Vor­wurf der NS-Wie­der­be­tä­ti­gung freigesprochen.

Zwei der „Zeppelin“-Täter waren am Neo­na­zi-Auf­marsch am Kar­me­li­ter­platz betei­ligt. Sie wur­den wegen der NS-Wie­der­be­tä­ti­gung auch ver­ur­teilt. Immer­hin! Schließ­lich war der Grün-Par­la­men­ta­ri­er Wer­ner Kog­ler, der die Neo­na­zi-Akti­on dort ange­spro­chen und bezeugt hat­te, zunächst von ein­zel­nen Medi­en bezich­tigt wor­den, in eine „Wirts­haus­schlä­ge­rei“ ver­wi­ckelt gewe­sen zu sein. Der Schlä­ger vom Kar­me­li­ter­platz, Hans Peter A. , aber wur­de vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung freigesprochen.

Von den Per­so­nen rund um Franz Radl und deren Delik­te blie­ben Radl und Mar­kus L. mit Haft­stra­fen übrig, wäh­rend Ger­hard T. , der eben­falls am Über­fall im „Zep­pe­lin“ betei­ligt war und wegen Kör­per­ver­let­zung ver­ur­teilt wur­de, vom Vor­wurf der Wie­der­be­tä­ti­gung frei­ge­spro­chen wur­de. Ver­ste­he, wer will! Mar­kus L. wie­der­um war vom Vor­wurf der schwe­ren Kör­per­ver­let­zung im „Zep­pe­lin“ frei­ge­spro­chen wor­den und wur­de nun wegen eines Ein­trags auf MySpace ver­ur­teilt. Der Frei­spruch von D. S. wegen der Betei­li­gung an „Honsik“-Kleberaktionen ist der ein­zi­ge, den man ver­ste­hen kann. Dass das Brü­der­paar Chris­ti­an und Ste­fan J. vom Vor­wurf der NS-Wie­der­be­tä­ti­gung frei­ge­spro­chen wur­de, hin­ge­gen nicht. Man fragt sich, ob die zahl­rei­chen Hin­wei­se und Doku­men­te, die über die Jah­re vor allem von May­day-Graz gesam­melt wur­den, gleich im Papier­korb oder in einer Abla­ge beim Ver­fas­sungs­schutz gelan­det sind.


Rechts im Bild (mit brau­ner Jacke): Ger­hard T.

In den bei­den wich­ti­gen Neo­na­zi-Pro­zes­sen in Wien und in Graz wur­de aus­schließ­lich die NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ange­klagt, die ande­ren Delik­te – gefähr­li­che Dro­hung, üble Nach­re­de, Belei­di­gung, Kör­per­ver­let­zung – blie­ben aus­ge­klam­mert bzw. wur­den in Graz in einem sepa­ra­ten Ver­fah­ren abge­han­delt. War­um eigent­lich? Bei jedem Dorf­na­zi, der schlä­gert, wer­den sie in einem Ver­fah­ren ver­han­delt. Das Delikt der NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ermög­licht es nicht, dass sich Pri­vat­be­tei­lig­te dem Ver­fah­ren anschlie­ßen. Woll­te sich die ermit­teln­de Behör­de nicht über die Schul­ter schau­en las­sen? Wegen Nich­tig­keit und Beru­fung (durch Ange­klag­te und Staats­an­walt­schaft) wird der Pro­zess wohl in eine zwei­te Run­de gehen. Gut so!

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