Wien: Ungewohntes Gericht
Hinterbrühl-Wiener Neustadt/NÖ: Zwei Jahre bedingt für Hitler-Bilder
Linz: Verurteilung eines NS- und IS-Fans
Linz: Ehrung eines rechtsextremen Blauen
Feldbach/Stmk: Wieder ein blauer Blauer
Wolfsberg/K: NS-Devotionalien in Wohnung gefunden
Textingtal/NÖ: Dollfuß-Museum wird „konstruktiv aufgelöst“
Wien: Vilimsky arbeitet mit antisemitischen Codes in „Im Zentrum“
Deutschland: Verbot der Neonazi-Gruppe „Hammerskins“
Wien: Ungewohntes Gericht
Er wird dort und da als „Spitzenkoch“ bezeichnet, der sich ab und an auch für karitative Zwecke an den Herd stellt, um dort diverse Gerichte zuzubereiten: jener Mann, der am 19.9. allerdings mit einer ihm wohl ungewohnten Form eines Gerichts zu tun hatte. Er musste vor einem Wiener Geschworenengericht erklären, warum er vor etlichen Jahren an den bereits nach dem Verbotsgesetz verurteilten Kurt D. fünf ekelhafte Chatnachrichten geschickt hatte. Eine Kostprobe: Hitler als Weihnachtsmann verkleidet, darunter der Text: „ho-ho-holocaust”.
Er habe mit D. bei einem Messeaufbau gearbeitet und D. sei guter Freund seiner Partnerin, er selbst habe jedoch fast keinen Kontakt zu ihm. Er bemerke auch aktuell, dass solche Dateien auch in „ganz normalen Gruppen“ verschickt würden – fragt sich unter diesen Umständen, was der Angeklagte unter „normal“ versteht.
Am Ende entschieden sich die Geschworenen in allen fünf Anklagepunkten dennoch mehrheitlich für einen Freispruch. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!
Hinterbrühl-Wiener Neustadt/NÖ: Zwei Jahre bedingt für Hitler-Bilder
Ein 25-Jähriger aus dem Bezirk Mödling stand vor Gericht, weil er 159-mal Hakenkreuz- und Hitler-Bilder, inklusive NS-verherrlichender und ‑verharmlosender Fotomontagen, an Bekannte verschickt hatte. Mit dem Nationalsozialismus wollte er dennoch nichts zu haben und schätzte sich selbst vor Gericht sogar als eher links, denn rechts ein. In seiner Familie sei der Nationalsozialismus auch nie ein Thema gewesen, sagte der Mann. Das überrascht, denn Mitglieder seiner Familie waren immer unter den Adressaten der Sendungen, und zudem hatte sein Vater erst kürzlich ein einschlägiges Verfahren.
Dass das Verbotsgesetz auch bei WhatsApp gilt, sei dem Angeklagten nicht bewusst gewesen. Dafür wusste er auf Nachfrage des Richters wie aus der Pistole geschossen, dass Hitler am 20. April zur Welt kam. Er wurde zu 24 Monaten bedingter Haft verurteilt (nicht rechtskräftig). Der Angeklagte war geständig, bestritt aber jede „böse“ Absicht hinter den Sendungen. Seine Amtsverteidigerin erklärte, dass er die Bilder einfach hirnlos weitergeleitet habe und sich nichts dabei gedacht hätte.
Wir danken der Person, die den Prozess beobachtet und uns den Bericht übermittelt hat!
Linz: Verurteilung eines NS- und IS-Fans
15 Monate bedingte Haft, nicht rechtskräftig, war das Geschworenenurteil im Verfahren um eine 20-jährige Linzerin mit bosnischem Familienhintergrund, die auf Instagram und WhatsApp Propaganda für den sogenannten „Islamischen Staat“ (darunter ein Hinrichtungsvideo) sowie antisemitische, NS- und Hitler-verherrlichende Bilder gepostet hatte. Die Zahnarztassistentin im dritten Lehrjahr war teilweise geständig: hinsichtlich der Postings, aber nicht bezüglich des Vorwurfs, andere überzeugen zu wollen. Sie habe diese Inhalte verbreitet, weil sie auch mal „cool sein“ wollte. Wegen ihrer antisemitischen Posts wurde sie auf Instagram gesperrt. Zudem wurde eine Google-Anfrage auf ihrem Rechner gefunden: „Wie komme ich nach Syrien“.
Das ideologische Nahverhältnis zwischen IS und NS besteht neben dem zentralen und offensiv propagierten Vernichtungsantisemitismus auch in einer rigiden Geschlechterordnung, Hass auf LGBTIQ+-Personen, männlichem Gewaltkult sowie einem gegenaufklärerischen, autoritären und antiindividualistischen Gemeinschaftsdünkel. Beide Ideologien sind vereint in dem Heilsversprechen nach einer (Ur-)Gemeinschaft, aus der sämtliche Widersprüche und Zumutungen der Moderne exorziert wurden, daher sind beide auf permanente Mobilisierung gegen äußere und innere „Feinde“ angewiesen.
Danke an prozess.report für die Prozessbeobachtung!
Linz: Ehrung eines rechtsextremen Blauen
Der rote Linzer Bürgermeister Klaus Luger hat ausgerechnet den mittlerweile verstorbenen FPÖ-Gemeinderat Manfred Pühringer mit dem „Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Humanität“ ausgezeichnet, wie der Standard (24.9.23) berichtete. Das Stichwort „Humanität“ wirkt im Zusammenhang mit Pühringer wie ein geschmackloser Witz. Er war u.a. wegen seiner rassistischen Ausfälle immer wieder in den Medien. 2014 bezeichnete Pühringer den ermordeten SPÖ-Politiker Zlatko Novakovic in einem Facebook-Posting als „Handgranaten-Tschusch“. Im selben Jahr trat er als Spitzenkandidat der freiheitlichen Arbeitnehmer mit einem Neonazi und weiteren auffälligen Personen auf seiner Liste an. Dazu passt inhaltlich der bräunliche Spruch, den Pühringer sich 2011 auf den Bauch tätowieren lassen hatte: „Ehre, Treue, Vaterland“.
Der SPÖ-Bürgermeister Luger ist erst vor kurzem hinsichtlich seiner Offenheit für Rechtsextreme aufgefallen und in die Kritik geraten, als er den FPÖ-Rechtsaußen Ulrich Püschel zum neuen Direktor für den städtischen Geschäftsbereich Gesundheit und Sport in Linz ernannte.
Feldbach/Stmk: Wieder ein blauer Blauer
Gegen den Feldbacher FPÖ-Landtagsabgeordneten Herbert Kober läuft derzeit ein Verfahren, weil er Anfang September in alkoholisiertem Zustand einen Sachschadenunfall verursacht und Fahrerflucht begangen haben soll. (orf.at, 19.9.23)
Der 49-Jährige fügt sich damit in eine auffällig lange Liste von blauen Blauen hinter dem Steuer. Obwohl dieses Delikt für sich keine ideologische Schlagseite hat, ist die Häufung just bei jener Partei doch erwähnenswert, die einen aggressiven Fossil-Populismus betreibt, gegen die Klimabewegung hetzt und bei anderen Delikten – insbesondere, wenn die in rassistische Narrative passen – stets auf die Härte des Gesetzes pocht.
Wolfsberg/K: NS-Devotionalien in Wohnung gefunden
Im Rahmen einer freiwilligen Nachschau in der Wohnung eines 39-Jährigen Wolfbergers fand die Polizei eine Sammlung von NS-Devotionalien: „Sichergestellt wurden eine Hakenkreuzflagge, ein Stahlhelm, Reichsorden, Münzen, ein Dolch mit SS-Gravur sowie ein Schlagring. Gegen den Mann wurde ein vorläufiges Waffenverbot ausgesprochen. Er wird nach dem Verbotsgesetz angezeigt.“ (kurier.at, 19.9.23)
Textingtal/NÖ: Dollfuß-Museum wird „konstruktiv aufgelöst“
Seit 1998 betrieb die Gemeinde Textingtal ein Huldigungs-Museum für den austrofaschistischen Diktator Engelbert Dollfuß. Mit der Ernennung des damaligen Bürgermeisters Gerhard Karner zum Innenminister (Dezember 2021) geriet es in den Fokus von berechtigter Kritik. Seit Sommer 2022 ist es geschlossen, der Verein „MERKwürdig. Zeithistorisches Zentrum Melk“ wurde mit der Arbeit an einer Neukonzeption beauftragt. Nun gab es Medienberichte, wonach es stattdessen zu einer endgültigen Schließung des Museums kommen soll. Dies wurde allerdings Mitte der Woche von der Projektleitung dementiert bzw. richtiggestellt, die offizielle Präsentation des Konzepts steht aber noch aus:
Im Team der Kuratorinnen und Kuratoren heißt es auf STANDARD-Anfrage, dass (…) das Konzept ein „konstruktives Auflösen“ vorsehe. Es wird also keine Neukonzeption des (…) Museums im kleinen Geburtshaus des austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß geben. Anstatt dessen sollen Exponate im Einvernehmen mit deren Besitzern in zeithistorische Institutionen übersiedeln. Diese Übergangszeit könnte Jahre dauern, in ein paar Jahren läuft auch der Pachtvertrag für das Museum aus. (derstandard.at, 20.9.23)
Mit fachkundiger Begleitung von Historiker*innen soll das Haus in dieser Übergangszeit weiterhin besucht werden können.
Wien: Vilimsky arbeitet mit antisemitischen Codes in „Im Zentrum“
Im sonntäglichen ORF-Diskussionsformat „Im Zentrum“ (17.9.23) durfte der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky zum Thema der Asylkrise auf Lampedusa ordentlich loslegen: Zu der üblichen rassistisch-apokalyptischen Rhetorik (Vilimsky halluziniert eine „Völkerwanderung gigantischen Ausmaßes“, die „invasorenhaften Charakter“ habe) kam ein unverblümter Aufgriff der antisemitischen Hetze gegen den jüdischen US-Milliardär George Soros.
Vilimsky imaginierte eine „Einflussnahme von George Soros über die NGOs auf den ganzen Migrationseffekt“, und er unterstellte ein „Interesse Europa zu destabilisieren“. Damit bediente er einen von Blau bis Braun beliebten antisemitischen Code für die verschwörungsideologische Behauptung, es stünden jüdische Strippenzieher hinter Migrationsbewegungen. Der Widerspruch auf Vilimskys antisemitische Anwürfe blieb eher verhalten.
Deutschland: Verbot der Neonazi-Gruppe „Hammerskins“
Am Dienstag wurde die international agierende neonazistische Organisation „Hammerskin Nation“ (HSN), sowie ihre Unterstützergruppe „Crew 38“, in Deutschland verboten. Die entsprechende Verbotsverfügung durch das Bundesinnenministerium datiert zwar bereits auf den 1. September, die öffentliche Bekanntgabe wurde jedoch allem Anschein nach mit den am letzten Dienstag stattgefundenen Hausdurchsuchungen bei 28 mutmaßlichen Führungspersonen in zehn verschiedenen Bundesländern akkordiert. Darunter war auch die Wohnung von Malte Redeker, der als Deutschlandchef und Europasekretär des Männerbundes gilt und zudem als Veranstalter in der Szene agiert (Rechtsrock- und Kampfsport-Events). (belltower.news, 19.9.23)
In einer Aussendung des Ministeriums heißt es, bei den Razzien
wurden neben Bargeld erhebliche Mengen an rechtsextremistischen Devotionalien beschlagnahmt: u.a. Waffen, sehr große Mengen an Kleidungsstücken mit Emblemen der „Hammerskins Deutschland”, große Mengen Tonträger und Fahnen (u.a. mit Hakenkreuzen), Wimpel und Embleme. (bmi.bund.de, 19.9.23)
Die Gruppe ist eine der ältesten Neonazi-Organisationen in Deutschland:
Das seit über 30 Jahren bestehende Netzwerk versteht sich als eine „Bruderschaft“ und „Elite“ der Neonazi-Szene. Ihre straffe Organisation ist Teil einer international eingeschworenen Gemeinschaft, die sich „Hammerskin Nation“ (HSN) nennt und hauptsächlich in Europa, in den USA und Neuseeland aktiv ist. „Hammerskin Nation“ heißt auch das Ziel der Gruppierung und meint eine „rassisch reine“ weltweite Gemeinschaft aus „weißen, nationalen“ Kräften. (belltower.news, 19.9.23)
Die „Hammerskins“ haben sich dem Stillschweigen und dem Terrorkonzept des „Leaderless Resistance“ (dt. „führerloser Widerstand“) verpflichtet. Es gab enge Verbindungen zwischen der Gruppe und dem NSU. Eine ausführliche Darstellung und Analyse von der Plattform „EXIF – Recherche und Analyse“ beschrieb die Gewaltgeschichte der Gruppe, ihre Strukturen und ihr Selbstverständnis bereits im Jahr 2021. Auch auf die aktuellen Hausdurchsuchungen und das Verbot reagierte „EXIF“ prompt mit einer Einschätzung und Aktualisierung – und diese fällt mitunter sehr kritisch gegenüber den Behörden aus:
Angesichts der Organisationsgröße von ca. 140 Vollmitgliedern und Anwärtern scheint die Zahl der Durchsuchungen gering. Zwar galt eine der polizeilichen Maßnahmen in den Morgenstunden dem „European Secretary“ der HSN, Malte Redeker, doch andere führende Personen blieben in manchen Regionen vollkommen verschont. (…) Die Darstellungen der heutigen Maßnahmen wirken widersprüchlich. Denn bei den durchsuchten Hammerskins soll es sich um Führungsfiguren innerhalb der Organisation gehandelt haben. Einige der betroffenen Personen gehören der Bruderschaft allerdings erst wenige Jahre an. Es ist nicht glaubhaft, dass diese Personen in der Kürze der Zeit in der Hirarchie (sic!) der HSN so schnell aufgestiegen sein können. Und auch das Vertriebsnetzwerk – und damit Vereinsvermögen – der Hammerskins blieb weitgehend unangetastet. (…)
Über 30 Jahre hat das Innenministerium dieses Netzwerk in Deutschland gewähren lassen. So konnten Strukturen aufgebaut werden, denen es wohl gelingen wird, das Verbotsinstrument faktisch zur Formalie verkommen zu lassen. (exif-recherche.org, 19.9.23)
Erwähnenswert ist, dass diverse Chapter-Mitglieder in einer Hütte am Hochkaiser (Salzburg) jährlich ein Wintercamp abhalten konnten – völlig ungestört übrigens!