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„Neurechter“ Abenteuer- und Kulturabend

Am 15. Sep­tem­ber fei­er­ten Akteu­re der „Neu­en Rech­ten“ die „3. Pata­go­ni­sche Nacht“ in Wien: Ein Sze­ne­treff im Andenken an den ras­sis­ti­schen Apo­ka­lyp­ti­ker und Roya­lis­ten Jean Ras­pail, der in der extre­men Rech­ten als Pro­phet gefei­ert wird. Nein, es geht hier nicht um die rea­le Regi­on Pata­go­ni­en, im äußers­ten Süden des ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents, son­dern um einen Fan­ta­sie­staat. Oder […]

22. Sep 2023
Rechte Abenteuerromantik: Sehnsuchtsort Königreich „Patagonien“

Nein, es geht hier nicht um die rea­le Regi­on Pata­go­ni­en, im äußers­ten Süden des ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents, son­dern um einen Fan­ta­sie­staat. Oder prä­zi­ser: Um die lite­ra­ri­sche Ver­ar­bei­tung eines Fan­ta­sie­staa­tes. In sei­nem 1981 erschie­ne­nen Roman „Moi, Antoine de Tounens, roi de Pata­go­nie“ schil­dert der fran­zö­si­sche Autor Jean Ras­pail (1925–2020) die – gelin­de gesagt – miss­glück­te Pri­vat­mis­si­on des fran­zö­si­schen Pro­vinz­an­walts Oré­lie-Antoine de Tounens (1825–1878). Die­ser war im Jahr 1860 nach Pata­go­ni­en auf­ge­bro­chen, um dort ein König­reich zu grün­den. Was man im 19. Jahr­hun­dert eben so macht als wei­ßer, rei­cher Mann aus Europa.

Der katho­li­sche Reak­tio­när und Anti­de­mo­krat Ras­pail hat mit sei­nem Roman und zudem mit sei­ner Behaup­tung, er habe am Grab von De Tounens die Beru­fung ver­nom­men, das Erbe Pata­go­ni­ens wei­ter­zu­füh­ren, einen klei­nen Mythos geschaf­fen, der seit­her von lite­ra­tur­be­geis­ter­ten Rech­ten tra­diert wird und zu Aben­teu­er­kitsch mit kolo­nia­lem Anstrich einlädt.

Wenn „Neurechte“ ihr „inneres Kind“ entdecken

Die „3. Pata­go­ni­sche Nacht“ fand am baro­cken Wie­ner Fer­di­nan­di­hof statt und bot Ras­pail-Lesun­gen, Chan­sons und Ker­zen­licht­at­mo­sphä­re. Micha­el Scharf­mül­ler, Her­aus­ge­ber des rechts­extre­men Maga­zins „Info-Direkt“ (1), war mit der Kame­ra vor Ort und hat eini­gen der anwe­sen­den Her­ren in Abend­ro­be Kurz­in­ter­views (2) abge­run­gen. Dar­un­ter war etwa der „Vize­kon­sul von Pata­go­ni­en zu Wien“, der in die Kame­ra schwärm­te, Pata­go­ni­en sei ein „Ersatz-Vater­land in Zei­ten, wo die eigent­li­chen Vater­län­der einem immer weni­ger Freu­de berei­ten“. Bei dem Mann han­delt es sich um Kon­rad M. Weiß, der in der Rea­li­tät den „neu­rech­ten“ Wie­ner „Karo­lin­ger Ver­lag“ betreibt und kurz­zei­tig als Pres­se­spre­cher von Ex-Vize­kanz­ler Heinz Chris­ti­an Stra­che tätig war. In die­se Zeit fällt auch ein Text von ihm, der in Götz Kubit­scheks Maga­zin „Sezes­si­on“ (April 2018) erschien und in dem Weiß in sei­nem deutsch­na­tio­na­len Ser­mon das NS-Befrei­ungs­jahr 1945 als „Kata­stro­phe bezeichnet.

Fan­ta­sie-Vize­kon­sul Kon­rad M. Weiß im Gespräch mit „Info-Direkt” (You­Tube, 17.9.23)

Apro­pos Kubit­schek: Auch er war bei der Pata­go­ni­en-Fei­er und sprach ähn­lich ver­träumt in Scharf­mül­lers Kame­ra: Mit sol­chen Roma­nen habe man „durch fast kind­li­che Wün­sche und Hoff­nun­gen eine Art Welt­erklä­rung (…), die kein Sach­buch leis­ten“ kön­ne. Kubit­scheks Wün­sche und Hoff­nun­gen ver­dich­ten sich bekannt­lich in sei­nem Thinktank „Insti­tut für Staats­po­li­tik“ (IfS), der der wich­tigs­te Ver­net­zungs­ort der deutsch­spra­chi­gen „neu­rech­ten“ Sze­ne ist und seit April vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz als „gesi­chert rechts­extre­mis­ti­sche Bestre­bung“ ein­ge­stuft wird.

Auch der „Identitären“-Führer und ideo­lo­gi­sche Zieh­sohn von Kubit­schek, Mar­tin S., war da und erklär­te im typi­schen Jar­gon sei­ner Kader­trup­pe, dass es mehr sol­che „dis­si­den­te Salons“ brau­che, wo sich „rech­te Gegen­kul­tur“ for­men kön­ne. Und der hyper­re­ak­tio­nä­re deut­sche Autor Micha­el Klo­novs­ky, der an dem Abend auch eige­ne Tex­te vor­las, fand es hilf­reich, bei Ras­pail sein „inne­res Kind“ zu entdecken.

Auch wenn die­se Koket­te­rie mit kolo­nia­len Aben­teu­ern – Kubit­schek spricht von „Spiel­trieb“ und „Scha­ber­nack“ – beim „neu­rech­ten“ Kul­tur­abend für rote Bäck­chen sorg­te, ist es doch ein ande­res Werk von Ras­pail, das sei­ne Bedeu­tung für die extre­me Rech­te haupt­säch­lich begrün­det. Klo­novs­ky ver­wies im Inter­view dar­auf: Ras­pail habe mit sei­nem Roman „Heer­la­ger der Hei­li­gen“ (1973) „unglaub­lich hell­sich­tig“ beschrie­ben, „was spä­ter pas­siert“ sei – er nennt Ras­pail gar einen „Pro­phe­ten“.

Der rassistische „Prophet“

Der Roman „Heer­la­ger der Hei­li­gen“ (1973) bil­det die direk­te Umkeh­rung des „Patagonien“-Abenteuers: Hier zieht kein wei­ßer Mann hin­aus in die Welt, son­dern die­se Welt kommt zurück zum wei­ßen Mann. Und zwar in Form ver­elen­de­ter, nicht-wei­ßer Mas­sen aus dem glo­ba­len Süden, die, gemäß dem bekann­ten rech­ten Nar­ra­tiv von einem deka­den­ten Euro­pa ohne sol­da­ti­schem Selbst­be­haup­tungs­wil­len, ein­fach in den Kon­ti­nent gelas­sen wer­den, was letzt­lich zu des­sen Unter­gang führt. Ras­pails Dys­to­pie wur­de, ins­be­son­de­re im Gefol­ge der Flucht­jah­res 2015, zum Kult­buch der „Neu­en Rech­ten“. Das wun­dert nicht, denn es bie­tet eine Art lite­ra­ri­sche Blau­pau­se um Geflo­he­ne in Inva­so­ren umzu­deu­ten. Zudem fährt es mit einer inzwi­schen all­zu bekann­ten Spra­che auf, die Geflüch­te­te ent­lang von Natur­ka­ta­stro­phen-Meta­phern zu anony­men Kör­pern ent­mensch­licht. Kostprobe:

Mit einem Schlag hat­ten sich die Decks mit Män­nern, Frau­en, Kin­dern gefüllt, die seit der Abfahrt in einer Kloa­ke aus Dreck und Schei­ße mari­niert wor­den waren; mit einem Schlag kotz­ten die geöff­ne­ten Luken eine Mas­se ins Son­nen­licht. (…) Wie eine end­lo­se Kas­ka­de aus flüs­sig gewor­de­nen Kör­pern. Die Schif­fe quol­len über wie vol­le Bade­wan­nen. Die Drit­te Welt trat über die Ufer, und der Wes­ten dien­te ihr als Abfluss­ka­nal. (Ras­pail zit. nach spiegel.de, 17.1.18)

Kubit­scheks „Antaios“-Verlag brach­te das Buch treff­si­cher im Jahr 2015 neu her­aus, in einer neu­en Über­set­zung von dem Wie­ner „Identitären“-Ideologen Mar­tin Sem­lit­sch (Künst­ler­na­me: „Licht­mesz“).

Die Bezug­nah­me auf Ras­pails Roman geht aller­dings weit über „neu­rech­te“ Ses­sel­krei­se mit Intel­lek­tua­li­sie­rungs­mis­si­on hin­aus: Mari­ne Le Pen und Ste­ve Ban­non berie­fen sich auf das Buch, Michel Hou­el­le­becq nann­te Ras­pail als Inspi­ra­ti­on für sei­nen Roman „Unter­wer­fung“ und sogar Ste­phen Mil­ler, der ehe­ma­li­ge Immi­gra­ti­ons­be­ra­ter von Ex-US-Prä­si­dent und Hor­ror­clown Donald Trump, bezog sich posi­tiv auf den Text.

Die „wahre und gesunde Frau

Bei der „3. Pata­go­ni­schen Nacht“ fiel dem inter­view­en­den Akti­vis­ten Scharf­mül­ler trotz des bübi­schen Aben­teu­er­fie­bers auf, dass vie­le Frau­en anwe­send sei­en. Auch Mar­tin S. freu­te sich dar­über und bot eine Erklä­rung, bei der er neo­fa­schis­ti­sches Bil­dungs­dün­kel und Sexis­mus geschickt in einem Satz ver­schal­te­te: „Offen­bar zie­hen genau sol­che Ver­an­stal­tun­gen, wenns mal nicht um Heid­eg­ger, Speng­ler oder irgend­wel­che poli­ti­schen Fra­gen geht, son­dern um Kul­tur, Musik und eben Chan­sons (…) auch mehr Frau­en an.“ Dar­an konn­te der leicht lal­len­de Gast­ge­ber Ronald F. Schwar­zer gut anschlie­ßen, indem er den Sexis­mus um eine Umdre­hung nach oben schraub­te: „Genau, denn die wah­re und gesun­de Frau sehnt sich nach dem männ­li­chen Mann.“ Gefragt wur­de sie übri­gens nicht, die „wah­re und gesun­de Frau“, denn Scharf­mül­ler inter­view­te trotz der vie­len Damen nur Män­ner. Rech­ter Aben­teu­er­kitsch ist eben Männerkitsch.

Fuß­no­ten

1 Das Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öst. Wider­stan­des (DÖW) cha­rak­te­ri­siert „Info-Direkt“ folgendermaßen:

Die Zeit­schrift klei­det klas­sisch rechts­extre­me Welt­an­schau­ung (…) in ein moder­nes Gewand und lotet ins­be­son­de­re in Form von omni­prä­sen­tem Anti­se­mi­tis­mus, Volks­ge­mein­schafts­dün­kel, einer teils offen ver­tre­te­nen anti­de­mo­kra­ti­schen Stoß­rich­tung und qua­si-revo­lu­tio­nä­rem Impe­tus die Gren­ze zum Neo­na­zis­mus aus, was auch der poli­ti­schen Vita zen­tra­ler Akteu­re ent­spricht.“ (doew.at)

2 Alle Zita­te von dem Pata­go­ni­en-Abend stam­men von dem Video, das unter dem Titel „Drit­te Pata­go­ni­sche Nacht: Ein Fest für kon­ser­va­ti­ve Frei­geis­ter“ am 17.9.23 auf der Web­site von „Info-Direkt“ ver­öf­fent­lich wur­de. Zuletzt ein­ge­se­hen: 21.9.23