Seit Herbert Kickl die FPÖ-Führung übernommen hat, gibt es nicht einmal mehr den kosmetischen Versuch einer Abgrenzung von der sogenannten „Identitären Bewegung“. So waren bei deren letzter Demonstration, die am 29. Juli unter dem Motto „Remigration“ durch Wien zog, bereits im Vorfeld FPÖ-Funktionäre der Parteijugend involviert und als Redner angekündigt. Bei der Demo kam es zu Anzeigen, darunter zwei wegen Wiederbetätigung – „Stoppt die Rechten“ liegen zudem zahlreiche Fotos von Teilnehmern mit verbotenen NS-Symbolen vor.
FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker hat wenige Tage nach der Demo dem identitären Online-Medium „heimatkurier.at“ ein Interview zu dem Thema gegeben. Dort bekundet er offen Sympathie für die Identitären („Die FPÖ hat nicht den geringsten Grund, sich von völlig legitimen und aus unserer Sicht auch politisch unterstützenswerten Forderungen zu distanzieren“), er hält die Slogans „Bevölkerungsaustausch“ und „Remigration“ für legitim („Auf jeden Fall, denn es handelt sich dabei gerade für die Jugend um das entscheidende Zukunftsthema“), und er spricht umgekehrt von einer erfolgreichen „Unterwanderungsstrategie“ des „Linksextremismus“ in Medien, Wissenschaft, Bildung und sogar der Polizei. Vor dem Hintergrund dieses offensiven Zuspruchs von ganz oben verwundert auch das erst vergangenen Sonntag via FPÖ-TV veröffentlichte Propagandavideo der „Freiheitlichen Jugend“ nicht mehr: Dort werden prominente Antifaschist*innen als Feinde markiert und die faschistischen Ahnherren der „Neuen Rechten“ unverblümt als Vorbilder abgefeiert. Das skandalöse Video bekam ein entsprechendes mediales Echo (siehe etwa Standard, 28.8.23).
Eine weitere Entwicklung in diesem Zusammenhang verlief bisher aber eher unter dem Medien-Radar: Das Freiheitliche Bildungsinstitut (FBI) schult den Parteinachwuchs seit heuer ganz direkt in identitärer Propaganda. Das Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes (DÖW) betitelt eine kürzlich erschienene Einschätzung dieser Tatsache präzise: „,Neurechte‘ Kaderbildung mit öffentlichen Geldern“. So bildet die im März gestartete Veranstaltungsreihe „Metapolitik-Akademie“ die jüngste unter den inzwischen sechs hauseigenen „Akademien“, die FBI-Präsident Axel Kassegger als Ausdruck einer zunehmenden Professionalisierung sehen will (profil.at, 11.7.23). „Metapolitik“ bezeichnet nichts anderes als das propagandistische Kernkonzept der Identitären. Es bedarf daher einer genaueren Beleuchtung.
„Metapolitik”
Die Identitären sind lediglich der gegenwärtig bekannteste Teil einer Szene, die sich verharmlosend als „Neue Rechte“ bezeichnet. Dieser geht es seit den 1970er-Jahren – und stark inspiriert von ihrem französischen Vorbild, der „Nouvelle Droite“ – um eine Modernisierung von völkischer Ideologie, die insbesondere vom Stigma der NS-Verbrechen gereinigt werden sollte.
Das Konzept der „Metapolitik“ spielte und spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es bezeichnet eine umfassende Einflussstrategie, die das „kulturelle Vorfeld“ von (exekutiver, legislativer und judikativer) Politik adressiert; rechtsextreme Begriffe, Chiffren und Framings sollen in der politischen Kultur nachhaltig platziert, verbreitet und normalisiert werden. „Metapolitik“ in diesem Sinn geht auf den rechtsextremen Philosophen und Vordenker der „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist, zurück, der das Konzept wiederum der Hegemonietheorie des italienischen Kommunisten und Philosophen Antonio Gramsci entnommen hat. Benoist bezieht sich auf dessen grundlegende Einsicht, wonach stabile Herrschaft nicht auf einem simplen Gewaltverhältnis beruhen kann, sondern eines gesellschaftlichen Konsenses bedarf, dessen relative Verfestigung Gramsci als „kulturelle Hegemonie“ bezeichnete.
Bei Benoist ist eben das – die Herstellung einer rechten kulturellen Hegemonie – das Ziel von „metapolitischer“ Einflussnahme. In seinem Werk „Kulturrevolution von rechts“ (1985), eine Art Bibel der Szene, benennt er die manipulative Stoßrichtung seiner Konzeption ganz offen. Etwa, wenn er erklärt, eine „metapolitische Botschaft“ würde umso besser aufgenommen werden, als „ihr direktiver und suggestiver Charakter nicht klar als solcher erkannt wird und folglich nicht auf dieselben rationalen und bewußten Widerstände stößt wie eine Botschaft mit einem direkt politischen Charakter“ (Benoist 1985, S. 49).
Das Konzept ist auch heute noch allgegenwärtig bei „neurechten“ und identitären Aktivisten. Ein gutes Beispiel für seinen Einsatz, ist der erwähnte Demo-Slogan „Remigration“. Dabei handelt es sich um eine euphemistische Wortschöpfung, die die Konsequenzen ihrer Forderung bewusst ausblendet und dadurch anschlussfähig an öffentliche Debatten machen möchte. „Remigration“ klingt zwar harmlos, meint aber nichts anderes als das aktive „Rückgängigmachen“ von Migration – also die Forderung nach einer massenhaften Deportation von Menschen, was freilich niemals ohne massive Gewaltanwendung gehen könnte. Kurz: Begriffliche Schönfärbungen wie „Remigration“ (statt Deportation) oder „ethnokulturell homogen“ (statt „rassisch rein“) sind bewusst verwendete Bestandteile „metapolitischer“ Strategien.
Identitären-Ideologe Semlitsch als Referent
Unter den Referenten bei der „Metapolitik“-Schulung im FBI waren einige „neurechte“ Szenegrößen: etwa der Publizist („Blaue Narzisse“) und Burschenschafter Felix Menzel, der Geschäftsführer des „neurechten“ Thinktank „Institut für Staatspolitik“ (IfS) Erik Lehnert und sogar die graue Eminenz der Szene, der „Junge-Freiheit“-Kolumnist Karlheinz Weißmann. Allesamt Deutsche. Der ideologisch rohste unter ihnen ist aber mit Sicherheit der Wiener Szene-Autor Martin Semlitsch „Lichtmesz“.
Semlitsch hat sich als Vordenker der Identitären einen Namen gemacht und jenes Buch übersetzt, das die Quelle für deren zentralsten Slogan bildete: „Revolte gegen den Großen Austausch“ (2016) von Renaud Camus. Das Nachwort hat übrigens der Chef der österreichischen Identitären persönlich beigesteuert, mit dem Semlitsch erst im Vorjahr ein weiteres Buch mit dem vielsagenden Titel „Bevölkerungsaustausch und Great Reset“ (2022) veröffentlichte. Beide Machwerke sind im „Antaios“-Verlag von Götz Kubitschek erschienen. Für dessen Magazin „Sezession“ ist Semlitsch auch Stammautor und häufiger Redner bei Veranstaltungen von Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ (IfS). Das IfS, das mit einem universitären Institut freilich nichts zu tun hat, wird vom deutschen Verfassungsschutz seit Oktober 2021 als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.
Semlitsch ist in dieser neofaschistischen Szene seit Jahren ein außerordentlich aktiver Wortspender – und ein außerordentlich extremer. So posaunt er seinen pseudointellektuell verbrämten Rassismus immer wieder erstaunlich offen heraus, wie etwa in einem „Sezession“-Text von 2019 über den russischen Faschisten Alexander Dugin:
Es gibt aber insofern kein Entrinnen aus dem “Rassismus”, als sich jeder Kulturkreis, der etwas auf sich hält und sein So-Sein verteidigt, in irgendeiner Weise für höherwertig als andere hält. Niemand, der eine “Mission” zu haben meint, wie Dugin es selbst ausdrückt, denkt im Ernst, daß alle anderen genauso recht hätten oder soviel wert seien wie er. (…) Ein konsequenter “Ethnopluralismus”, der jedes “Anderssein” gleichermaßen respektiert und keine Wertungen abgibt, ist eine anthropologische Unmöglichkeit – es sei denn, man wolle den Menschen zu einem Schrebergartenwesen reduzieren und domestizieren. (1)
Diese Kostprobe (2) veranschaulicht, wie lächerlich die von „Neurechts“ kolportierte Behauptung, es handle sich bei „Ethnopluralismus“ nicht um Rassismus, ist.
Dass Semlitsch auch keine Berührungsängste mit ganz Braun hat, ist vor diesem Hintergrund naheliegend. Das beweist u.a. eine Reise nach Skandinavien, wo er 2019 bei Konferenzen mit Neonazis und Antisemiten aufgetreten ist. Zudem hat er ein Faible für gewaltbereiten Hypermaskulinismus – so hat er Jack Donovans „Der Weg der Männer“ (2012) für den „Antaios“-Verlag übersetzt, in dem es laut Verlagshomepage „um eine Reconquista maskuliner Ideale und um eine Re-Polarisierung der Geschlechter“ gehe. Das klingt schon schlimm genug, aber dass es noch viel deutlicher geht, zeigt Donovan bei einem von Semlitsch anmoderierten und über YouTube abrufbaren IfS-Vortrag mit dem Titel „Violence is Golden“ (dt.: „Gewalt ist Gold“). Der Vortrag ist eine völlig unverblümte und grotesk Testosteron-strotzende Verherrlichung von männlicher Gewalt, wie man sie sonst eher nur bei deklarierten Neonazis finden wird.
Nicht erst seit er als „Metapolitik“-Lehrer von der FPÖ engagiert wird, hat Semlitsch guten Kontakt zum nahen Umfeld der Partei. So schreibt er etwa seit dessen Gründung im Jahr 2018 für das FPÖ-nahe „Aula“-Nachfolgemagazin „Freilich“. Dort hat er eine Kolumne, die nicht ganz unpassend „Das Letzte“ heißt.
Fußnoten
1 Lichtmesz, Martin (2014): „Alexander Dugin – Der postmoderne Antimoderne (2)“, erschienen im Blog der „Sezession“, zuletzt eingesehen: 14.8.23
(Dieselbe Textstelle wurde auch in einem Tweet (21.2.19) von dem Journalisten Robert Wagner dokumentiert)
2 Wem das noch nicht aussagekräftig genug ist, hier eine Textstelle aus Semlitschs Büchlein „Ethnopluralismus“ (2020, S. 167):
Der Weiße wird zum Universal-Sündenbock schwarzen Versagens gemacht. Eine realistische, faktenorientierte Betrachtung wird hingegen aufzuzeigen versuchen, daß die Ursachen der sozialen Minder- und Fehlleistungen der schwarzen Bevölkerung in ihrem eigenen Verhalten und ihren eigenen ethnokulturellen und biologischen Dispositionen zu suchen sind – also daß hier horribile dictu eine reale Ungleichheit vorliegt, die sich nicht therapeutisch, sozi-ökonomisch und sozialtechnisch behandeln läßt. (Twitter-Thread von Robert Wagner, 25.7.21)