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FPÖ-Schulung in identitärer Propaganda

Das Frei­heit­li­che Bil­dungs­in­sti­tut (FBI) lehrt den Par­tei­nach­wuchs das zen­tra­le Stra­­te­­gie- und Pro­pa­gan­da­kon­zept der „Neu­en Rech­ten“: „Meta­po­li­tik“. Dazu wer­den Refe­ren­ten aus der Sze­ne geholt, dar­un­ter einer der ideo­lo­gisch Rohs­ten aus dem „neu­rech­ten” Spek­trum – der schon auch mal mit Neo­na­zis auf­tritt. Seit Her­bert Kickl die FPÖ-Füh­rung über­nom­men hat, gibt es nicht ein­mal mehr den kos­me­ti­schen Versuch […]

31. Aug 2023
Beim Identitärenkeller in der Wiener Ramperstorffergasse (Ausschnitt von Foto "Margareten gegen Rechts")
Beim Identitärenkeller in der Wiener Ramperstorffergasse (Ausschnitt von Foto "Margareten gegen Rechts")

Seit Her­bert Kickl die FPÖ-Füh­rung über­nom­men hat, gibt es nicht ein­mal mehr den kos­me­ti­schen Ver­such einer Abgren­zung von der soge­nann­ten „Iden­ti­tä­ren Bewe­gung“. So waren bei deren letz­ter Demons­tra­ti­on, die am 29. Juli unter dem Mot­to „Remi­gra­ti­on“ durch Wien zog, bereits im Vor­feld FPÖ-Funk­tio­nä­re der Par­tei­ju­gend invol­viert und als Red­ner ange­kün­digt. Bei der Demo kam es zu Anzei­gen, dar­un­ter zwei wegen Wie­der­be­tä­ti­gung – „Stoppt die Rech­ten“ lie­gen zudem zahl­rei­che Fotos von Teil­neh­mern mit ver­bo­te­nen NS-Sym­bo­len vor.

FPÖ-Gene­ral­se­kre­tär Chris­ti­an Hafenecker hat weni­ge Tage nach der Demo dem iden­ti­tä­ren Online-Medi­um „heimatkurier.at“ ein Inter­view zu dem The­ma gege­ben. Dort bekun­det er offen Sym­pa­thie für die Iden­ti­tä­ren („Die FPÖ hat nicht den gerings­ten Grund, sich von völ­lig legi­ti­men und aus unse­rer Sicht auch poli­tisch unter­stüt­zens­wer­ten For­de­run­gen zu distan­zie­ren“), er hält die Slo­gans „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ und „Remi­gra­ti­on“ für legi­tim („Auf jeden Fall, denn es han­delt sich dabei gera­de für die Jugend um das ent­schei­den­de Zukunfts­the­ma“), und er spricht umge­kehrt von einer erfolg­rei­chen „Unter­wan­de­rungs­stra­te­gie“ des „Links­extre­mis­mus“ in Medi­en, Wis­sen­schaft, Bil­dung und sogar der Poli­zei. Vor dem Hin­ter­grund die­ses offen­si­ven Zuspruchs von ganz oben ver­wun­dert auch das erst ver­gan­ge­nen Sonn­tag via FPÖ-TV ver­öf­fent­lich­te Pro­pa­gan­da­vi­deo der „Frei­heit­li­chen Jugend“ nicht mehr: Dort wer­den pro­mi­nen­te Antifaschist*innen als Fein­de mar­kiert und die faschis­ti­schen Ahn­her­ren der „Neu­en Rech­ten“ unver­blümt als Vor­bil­der abge­fei­ert. Das skan­da­lö­se Video bekam ein ent­spre­chen­des media­les Echo (sie­he etwa Stan­dard, 28.8.23).

Eine wei­te­re Ent­wick­lung in die­sem Zusam­men­hang ver­lief bis­her aber eher unter dem Medi­en-Radar: Das Frei­heit­li­che Bil­dungs­in­sti­tut (FBI) schult den Par­tei­nach­wuchs seit heu­er ganz direkt in iden­ti­tä­rer Pro­pa­gan­da. Das Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des öst. Wider­stan­des (DÖW) beti­telt eine kürz­lich erschie­ne­ne Ein­schät­zung die­ser Tat­sa­che prä­zi­se: „,Neu­rech­te‘ Kader­bil­dung mit öffent­li­chen Gel­dern“. So bil­det die im März gestar­te­te Ver­an­stal­tungs­rei­he „Meta­po­li­tik-Aka­de­mie“ die jüngs­te unter den inzwi­schen sechs haus­ei­ge­nen „Aka­de­mien“, die FBI-Prä­si­dent Axel Kas­seg­ger als Aus­druck einer zuneh­men­den Pro­fes­sio­na­li­sie­rung sehen will (profil.at, 11.7.23). „Meta­po­li­tik“ bezeich­net nichts ande­res als das pro­pa­gan­dis­ti­sche Kern­kon­zept der Iden­ti­tä­ren. Es bedarf daher einer genaue­ren Beleuchtung.

„Metapolitik”

Die Iden­ti­tä­ren sind ledig­lich der gegen­wär­tig bekann­tes­te Teil einer Sze­ne, die sich ver­harm­lo­send als „Neue Rech­te“ bezeich­net. Die­ser geht es seit den 1970er-Jah­ren – und stark inspi­riert von ihrem fran­zö­si­schen Vor­bild, der „Nou­vel­le Droi­te“ – um eine Moder­ni­sie­rung von völ­ki­scher Ideo­lo­gie, die ins­be­son­de­re vom Stig­ma der NS-Ver­bre­chen gerei­nigt wer­den sollte.

Das Kon­zept der „Meta­po­li­tik“ spiel­te und spielt dabei eine wesent­li­che Rol­le. Es bezeich­net eine umfas­sen­de Ein­fluss­stra­te­gie, die das „kul­tu­rel­le Vor­feld“ von (exe­ku­ti­ver, legis­la­ti­ver und judi­ka­ti­ver) Poli­tik adres­siert; rechts­extre­me Begrif­fe, Chif­fren und Framings sol­len in der poli­ti­schen Kul­tur nach­hal­tig plat­ziert, ver­brei­tet und nor­ma­li­siert wer­den. „Meta­po­li­tik“ in die­sem Sinn geht auf den rechts­extre­men Phi­lo­so­phen und Vor­den­ker der „Nou­vel­le Droi­te“, Alain de Benoist, zurück, der das Kon­zept wie­der­um der Hege­mo­nie­theo­rie des ita­lie­ni­schen Kom­mu­nis­ten und Phi­lo­so­phen Anto­nio Gramsci ent­nom­men hat. Benoist bezieht sich auf des­sen grund­le­gen­de Ein­sicht, wonach sta­bi­le Herr­schaft nicht auf einem simp­len Gewalt­ver­hält­nis beru­hen kann, son­dern eines gesell­schaft­li­chen Kon­sen­ses bedarf, des­sen rela­ti­ve Ver­fes­ti­gung Gramsci als „kul­tu­rel­le Hege­mo­nie“ bezeichnete.

Bei Benoist ist eben das – die Her­stel­lung einer rech­ten kul­tu­rel­len Hege­mo­nie – das Ziel von „meta­po­li­ti­scher“ Ein­fluss­nah­me. In sei­nem Werk „Kul­tur­re­vo­lu­ti­on von rechts“ (1985), eine Art Bibel der Sze­ne, benennt er die mani­pu­la­ti­ve Stoß­rich­tung sei­ner Kon­zep­ti­on ganz offen. Etwa, wenn er erklärt, eine „meta­po­li­ti­sche Bot­schaft“ wür­de umso bes­ser auf­ge­nom­men wer­den, als „ihr direk­ti­ver und sug­ges­ti­ver Cha­rak­ter nicht klar als sol­cher erkannt wird und folg­lich nicht auf die­sel­ben ratio­na­len und bewuß­ten Wider­stän­de stößt wie eine Bot­schaft mit einem direkt poli­ti­schen Cha­rak­ter“ (Benoist 1985, S. 49).

Das Kon­zept ist auch heu­te noch all­ge­gen­wär­tig bei „neu­rech­ten“ und iden­ti­tä­ren Akti­vis­ten. Ein gutes Bei­spiel für sei­nen Ein­satz, ist der erwähn­te Demo-Slo­gan „Remi­gra­ti­on“. Dabei han­delt es sich um eine euphe­mis­ti­sche Wort­schöp­fung, die die Kon­se­quen­zen ihrer For­de­rung bewusst aus­blen­det und dadurch anschluss­fä­hig an öffent­li­che Debat­ten machen möch­te. „Remi­gra­ti­on“ klingt zwar harm­los, meint aber nichts ande­res als das akti­ve „Rück­gän­gig­ma­chen“ von Migra­ti­on – also die For­de­rung nach einer mas­sen­haf­ten Depor­ta­ti­on von Men­schen, was frei­lich nie­mals ohne mas­si­ve Gewalt­an­wen­dung gehen könn­te. Kurz: Begriff­li­che Schön­fär­bun­gen wie „Remi­gra­ti­on“ (statt Depor­ta­ti­on) oder „eth­no­kul­tu­rell homo­gen“ (statt „ras­sisch rein“) sind bewusst ver­wen­de­te Bestand­tei­le „meta­po­li­ti­scher“ Strategien.

Identitären-Ideologe Semlitsch als Referent

Unter den Refe­ren­ten bei der „Metapolitik“-Schulung im FBI waren eini­ge „neu­rech­te“ Sze­ne­grö­ßen: etwa der Publi­zist („Blaue Nar­zis­se“) und Bur­schen­schaf­ter Felix Men­zel, der Geschäfts­füh­rer des „neu­rech­ten“ Thinktank „Insti­tut für Staats­po­li­tik“ (IfS) Erik Leh­nert und sogar die graue Emi­nenz der Sze­ne, der „Junge-Freiheit“-Kolumnist Karl­heinz Weiß­mann. Alle­samt Deut­sche. Der ideo­lo­gisch rohs­te unter ihnen ist aber mit Sicher­heit der Wie­ner Sze­ne-Autor Mar­tin Sem­lit­sch „Licht­mesz“.

Das Freiheitliche Bildungsinstitut über seine "Metapolitik"-Referenten (Screenshot FB, 19.6.23)
Das Frei­heit­li­che Bil­dungs­in­sti­tut über sei­ne „Metapolitik”-Referenten (Screen­shot FB, 19.6.23)

Sem­lit­sch hat sich als Vor­den­ker der Iden­ti­tä­ren einen Namen gemacht und jenes Buch über­setzt, das die Quel­le für deren zen­trals­ten Slo­gan bil­de­te: „Revol­te gegen den Gro­ßen Aus­tausch“ (2016) von Renaud Camus. Das Nach­wort hat übri­gens der Chef der öster­rei­chi­schen Iden­ti­tä­ren per­sön­lich bei­gesteu­ert, mit dem Sem­lit­sch erst im Vor­jahr ein wei­te­res Buch mit dem viel­sa­gen­den Titel „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch und Gre­at Reset“ (2022) ver­öf­fent­lich­te. Bei­de Mach­wer­ke sind im „Antaios“-Verlag von Götz Kubit­schek erschie­nen. Für des­sen Maga­zin „Sezes­si­on“ ist Sem­lit­sch auch Stamm­au­tor und häu­fi­ger Red­ner bei Ver­an­stal­tun­gen von Kubit­scheks „Insti­tut für Staats­po­li­tik“ (IfS). Das IfS, das mit einem uni­ver­si­tä­ren Insti­tut frei­lich nichts zu tun hat, wird vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz seit Okto­ber 2021 als „gesi­chert rechts­extrem“ ein­ge­stuft.

Sem­lit­sch ist in die­ser neo­fa­schis­ti­schen Sze­ne seit Jah­ren ein außer­or­dent­lich akti­ver Wort­spen­der – und ein außer­or­dent­lich extre­mer. So posaunt er sei­nen pseu­do­in­tel­lek­tu­ell ver­bräm­ten Ras­sis­mus immer wie­der erstaun­lich offen her­aus, wie etwa in einem „Sezession“-Text von 2019 über den rus­si­schen Faschis­ten Alex­an­der Dugin:

Es gibt aber inso­fern kein Ent­rin­nen aus dem “Ras­sis­mus”, als sich jeder Kul­tur­kreis, der etwas auf sich hält und sein So-Sein ver­tei­digt, in irgend­ei­ner Wei­se für höher­wer­tig als ande­re hält. Nie­mand, der eine “Mis­si­on” zu haben meint, wie Dugin es selbst aus­drückt, denkt im Ernst, daß alle ande­ren genau­so recht hät­ten oder soviel wert sei­en wie er. (…) Ein kon­se­quen­ter “Eth­no­plu­ra­lis­mus”, der jedes “Anders­sein” glei­cher­ma­ßen respek­tiert und kei­ne Wer­tun­gen abgibt, ist eine anthro­po­lo­gi­sche Unmög­lich­keit – es sei denn, man wol­le den Men­schen zu einem Schre­ber­gar­ten­we­sen redu­zie­ren und domes­ti­zie­ren. (1)

Die­se Kost­pro­be (2) ver­an­schau­licht, wie lächer­lich die von „Neu­rechts“ kol­por­tier­te Behaup­tung, es hand­le sich bei „Eth­no­plu­ra­lis­mus“ nicht um Ras­sis­mus, ist.

Dass Sem­lit­sch auch kei­ne Berüh­rungs­ängs­te mit ganz Braun hat, ist vor die­sem Hin­ter­grund nahe­lie­gend. Das beweist u.a. eine Rei­se nach Skan­di­na­vi­en, wo er 2019 bei Kon­fe­ren­zen mit Neo­na­zis und Anti­se­mi­ten auf­ge­tre­ten ist. Zudem hat er ein Fai­ble für gewalt­be­rei­ten Hyper­mas­ku­li­nis­mus – so hat er Jack Dono­vans „Der Weg der Män­ner“ (2012) für den „Antaios“-Verlag über­setzt, in dem es laut Ver­lags­home­page „um eine Recon­quis­ta mas­ku­li­ner Idea­le und um eine Re-Pola­ri­sie­rung der Geschlech­ter“ gehe. Das klingt schon schlimm genug, aber dass es noch viel deut­li­cher geht, zeigt Dono­van bei einem von Sem­lit­sch anmo­de­rier­ten und über You­Tube abruf­ba­ren IfS-Vor­trag mit dem Titel „Vio­lence is Gol­den“ (dt.: „Gewalt ist Gold“). Der Vor­trag ist eine völ­lig unver­blüm­te und gro­tesk Tes­to­ste­ron-strot­zen­de Ver­herr­li­chung von männ­li­cher Gewalt, wie man sie sonst eher nur bei dekla­rier­ten Neo­na­zis fin­den wird.

 

Gewaltprediger Donovan, von Lichtmesz übersetzt und anmoderiert (YouTube, 13.3.17)
Gewalt­pre­di­ger Dono­van, von Sem­lit­sch übersetzt und anmo­de­riert (You­Tube, 13.3.17)

Nicht erst seit er als „Metapolitik“-Lehrer von der FPÖ enga­giert wird, hat Sem­lit­sch guten Kon­takt zum nahen Umfeld der Par­tei. So schreibt er etwa seit des­sen Grün­dung im Jahr 2018 für das FPÖ-nahe „Aula“-Nachfolgemagazin „Frei­lich“. Dort hat er eine Kolum­ne, die nicht ganz unpas­send „Das Letz­te“ heißt.

Fußnoten

1 Licht­mesz, Mar­tin (2014): „Alex­an­der Dugin – Der post­mo­der­ne Anti­mo­der­ne (2)“, erschie­nen im Blog der „Sezes­si­on“, zuletzt ein­ge­se­hen: 14.8.23
(Die­sel­be Text­stel­le wur­de auch in einem Tweet (21.2.19) von dem Jour­na­lis­ten Robert Wag­ner dokumentiert)
2 Wem das noch nicht aus­sa­ge­kräf­tig genug ist, hier eine Text­stel­le aus Sem­lit­schs Büch­lein „Eth­no­plu­ra­lis­mus“ (2020, S. 167):

Der Wei­ße wird zum Uni­ver­sal-Sün­den­bock schwar­zen Ver­sa­gens gemacht. Eine rea­lis­ti­sche, fak­ten­ori­en­tier­te Betrach­tung wird hin­ge­gen auf­zu­zei­gen ver­su­chen, daß die Ursa­chen der sozia­len Min­der- und Fehl­leis­tun­gen der schwar­zen Bevöl­ke­rung in ihrem eige­nen Ver­hal­ten und ihren eige­nen eth­no­kul­tu­rel­len und bio­lo­gi­schen Dis­po­si­tio­nen zu suchen sind – also daß hier hor­ri­bi­le dic­tu eine rea­le Ungleich­heit vor­liegt, die sich nicht the­ra­peu­tisch, sozi-öko­no­misch und sozi­al­tech­nisch behan­deln läßt. (Twit­ter-Thread von Robert Wag­ner, 25.7.21)