Über den Dollfuß gestolpert

Bis vor kurzem kan­nte ver­mut­lich kaum jemand den Ort Tex­ing­tal in Niederöster­re­ich und auch nicht das dor­tige Doll­fuß-Muse­um. Es ist dem neuen Innen­min­is­ter und Tex­ing­taler Bürg­er­meis­ter Karn­er zu ver­danken, dass die Mostviertler Ortschaft samt Muse­um ins Kreuzfeuer ger­at­en ist. Und mit ihm der Innen­min­is­ter selb­st samt seinem Ver­hält­nis zu ein­er Dik­tatur und zum Anti­semitismus. Doch Tex­ing­tal ist nur ein Beispiel von vie­len, wo dem Dik­ta­tor und Arbeit­er­mörder Doll­fuß gehuldigt wird.

Kaum war bekan­nt, dass der langjährige ÖVP-Poli­tik­er Ger­hard Karn­er zum Nach­fol­ger von Karl Neham­mer als Innen­min­is­ter auf­steigen würde, rauscht­en schon die ersten Mel­dun­gen zum Tex­ing­taler Doll­fuß-Muse­um durch die Sozialen Medi­en. Und wie sich recht schnell her­ausstellte, zurecht! Das „Dr. Engel­bert Doll­fuß Muse­um“ wurde 1998 in dessen Geburtshaus errichtet – samt geschichtsvergessen­er Huldigungstafel. 

Tafel am Texingtaler Dollfuß-Museum: "Geburtshaus unseres grossen Bundeskanzlers und Erneuerer Österreichs Dr. Engelbert Dollfuss" (Bild Twitter Otto III.)

Tafel am Tex­ing­taler Doll­fuß-Muse­um: „Geburtshaus unseres grossen Bun­deskan­zlers und Erneuer­er Öster­re­ichs Dr. Engel­bert Doll­fuss” (Bild Twit­ter Otto III.)

Die His­torik­erin und Doll­fuß-Exper­tin Lucile Drei­de­my zum Muse­um: „Es ist als muse­ale Gedenkstätte über den Umweg eines Muse­ums gedacht gewe­sen. Bei der Grün­dung führte der dama­lige Bürg­er­meis­ter an, es gehe um die Über­win­dung des bish­er man­gel­nden Mutes, sich zu Doll­fuß zu beken­nen.“ (zit. nach derstandard.at, 6.12.21) Den Mut hat Karn­er als Bürg­er­meis­ter und damit auch als Betreiber des Muse­ums offen­bar aufge­bracht, wiewohl ihn der jet­zt etwas ver­lassen hat.

Bere­its 2018 war in den Niederöster­re­ichis­chen Nachricht­en (NÖN) zu lesen, die Gemeinde Tex­ing­tal wolle das Repub­lik­sju­biläums- und Anschluss-Gedenk­jahr 2018 nützen, um sich „auch kri­tisch mit dem Erbe von Engel­bert Doll­fuß auseinander[zu]setzen. (…) Das 20. Jubiläum der Eröff­nung [des Muse­ums] will VP-Bürg­er­meis­ter Ger­hard Karn­er auch als Anlass nehmen, sich mit der umstrit­te­nen Per­son Doll­fuß auseinan­derzuset­zen und sein Wirken aber­mals zu beleucht­en.“ Wie die Beleuch­tung aus­ge­se­hen hat, kann erah­nt wer­den. Im Doll­fuß-Muse­um, lässt Karn­er aus­richt­en, werde „das His­torische gut erar­beit­et und kri­tisch behan­delt“. Das sieht nicht nur die His­torik­erin Drei­de­my deut­lich anders, son­dern auch der Schrift­steller Lud­wig Laher, der sich bei seinem Besuch 2018 in ein­er „originale[n] Wei­h­estätte aus den 30ern, die der Naz­izeit getrotzt“ (derstandard.at, 7.12.21) habe, wäh­nte. Nun, just als dem neuen Innen­min­is­ter Muse­um und Aus­sagen dazu um die Ohren geflo­gen sind, hören wir, dass eine Über­ar­beitung bere­its seit Mai 2021 geplant sei.

Über­ar­beitungs­be­darf haben jedoch auch jede Menge Ortschaften, aus denen nicht ger­ade ein Innen­min­is­ter kommt – sehr oft im kirch­lich-katholis­chen Zusam­men­hang. Da wäre etwa in Wien die Christkönigskirche, auch als „Seipel-Doll­fuß-Gedächt­niskirche“ beze­ich­net. Das Bun­des­land mit den meis­ten Doll­fuß-Verehrun­gen ist zweifel­los Niederöster­re­ich. In Press­baum ste­ht die „Doll­fuß-Gedächt­niskirche hl. There­sia vom Kinde Jesu“. In ein­er Google-Rezen­sion ist zu lesen, dass es dort eine Döner­bude mit einem „Kebab in der Dol­fußedi­tion“ zu erwer­ben gäbe – „ein Gau­men­schmaus“, find­et der Rezensent. Ob das nur eine zarte Form der Widerrede ist oder Real­ität, ist uns nicht bekannt.

Google-Rezension zur Dollfuß-Gedächtniskirche: "Kebab in der Dollfussedition"

Google-Rezen­sion zur Doll­fuß-Gedächt­niskirche: „Kebab in der Dollfussedition”

In der Gemeinde Stoll­hof ist die „Engel­bertkirche Hohe Wand“ samt Doll­fuß-Gedächt­nis­stätte zu bestaunen. „Auch an der Kapelle in Noden­dorf, gle­ich neben dem Ein­gang, ist eine entsprechende Ehrentafel ange­bracht. Ini­ti­iert wurde das damals vom Noden­dor­fer Gemein­der­at: ‚Dem Führer und Heldenkan­zler, gewid­met in Treue‘, ste­ht auf der Tafel. (noen.at, 14.12.21) Diskus­sion gäbe es keine, weiß der Bürg­er­meis­ter den NÖN zu bericht­en: „Das ist ein Relikt aus ver­gan­gener Zeit, das keine Aktu­al­ität mehr hat. (…) An der Ort­skapelle von Geitzen­dorf (Bezirk Korneuburg) wur­den vom dama­li­gen Bürg­er­meis­ter über dem Ein­gangstor die ange­blich let­zten Worte Doll­fuß‘ ‚Ich wollte ja nur den Frieden. Den anderen möge der Her­rgott vergeben. † am 25. Juli 1934 mein Oester­re­ich‘ ange­bracht.“ (noen.at)

Nicht ganz so friedlich wie in Noden­dorf ist die Diskus­sion in Hein­richs bei Weitra (Gemeinde Unser­frau Altweitra) ver­laufen, wo eine beim Ein­gangstor zur Kirche ange­brachte Tafel Doll­fuß, dem „Erneuer­er Öster­re­ichs“ samt Porträt und Kruck­enkreuz gewid­met ist. Allerd­ings kam die Aufre­gung von außen, näm­lich durch den „Stan­dard“, der sich 2014 erfrecht hat­te, über die unsägliche Geschicht­serin­nerung zu berichten.

Bürg­er­meis­ter Otmar Kowar [war] entsprechend aufge­bracht: „Wenn in Wien eine Straße umbe­nan­nt wird, mis­chen wir uns auch nicht ein”, sagt er. (…) Seit dem Ende des Zweit­en Weltkriegs wird hier Doll­fuß’ gedacht, hin­ter­fragt hat die Gedenk­tafel bish­er nie­mand. „Sie war so lange dort und hat nie jeman­den gestört”, sagt Kowar, der nun seine Bürg­er über den Grund für diese Helden­verehrung informieren will. Schließlich sei ja „das Wis­sen über diese Zeit mar­gin­al”. (derstandard.at, 9.4.14)

Mit der Diözese habe man sich schließlich geeinigt, „[d]as Kreuz kommt weg, die Inschrift wird durch den Satz ‚Opfer für die Sou­veränität Öster­re­ichs gegen den Nation­al­sozial­is­mus‘ erset­zt“ (derstandard.at, 9.4.14). Nun sind zwar mehr als sieben Jahre ins Land gezo­gen sind, und der dama­lige Bürg­er­meis­ter amtiert noch immer, aber auch die Tafel ist in unverän­dertem Zus­tand geblieben. Es habe trotz vielfach­er Bemühun­gen, so hören wir, auch nicht die damals angekündigte Infor­ma­tion über bzw. Auseinan­der­set­zung über Doll­fuß gegeben.

Auch Tirol hat mit zahlre­ichen Doll­fuß-Gedächt­nis­stät­ten aufzuwarten, einige zählt die Web­site „Inns­bruck News“ in dem Artikel „Totenkult für einen Dik­ta­tor“ auf. 

Über dem Dorf Nöss­lach ragt ein drei Meter hohes Holzkreuz. 

Zu Ehren der bei­den großen Kan­zler Ignaz Seipl – Engel­bert Doll­fuß” ist auf der Tafel ein­graviert, eben­so wie das Krukenkreuz, Sym­bol des Aus­tro­faschis­mus. (…) Ort­san­säs­si­gen ist der Weg 45 von Steinach (Tal­sta­tion Berg­eralm­bahn) zum Kreuz noch als “Doll­fuß-Weg” bekan­nt. (…) Auch an anderen Orten in Tirol ste­hen Gedenkstät­ten, die an Doll­fuß erin­nern sollen, wie etwa das Wegkreuz bei der Walderalm ober­halb von Gnaden­wald oder die Marienkapelle [auch Doll­fuß-Kapelle genan­nt,; Anmk. SdR] in Pet­tnau. In der Pfar­rkirche von St. Jakob in Def­er­eggen (Ost­tirol) ist Doll­fuß im Deck­en­fresko verewigt. (Inns­bruck News)

Einen schw­eren Schick­salss­chlag musste die Sportu­nion Kar­rösten im Bezirk Imst hin­nehmen. Im Jahr 2017 wagte es jemand, eine erst 1984 ange­brachte Doll­fuß-Gedenk­tafel (für den „Heldenkan­zler“) von einem auf fast 2.400 Meter Höhe ste­hen­den Holzkreuz zu ent­fer­nen. Flugs kündigte die das Kreuz betreuende Sportu­nion an, eine Infotafel anbrin­gen zu wollen. Der dama­lige Vere­in­sob­mann „betont, dass man unpoli­tisch sei. ‚Es soll eine Art Muse­um wer­den‘, fak­tenori­en­tiert, ‚jed­er soll sich seine eigene Mei­n­ung bilden‘.“ (tt.com, 28.9.2017) Der Anspruch, Doll­fuß „unpoli­tisch“ aufar­beit­en zu wollen, zeigt ohne­hin schon viel von dem, wie es um die dor­tige Erin­nerungskul­tur bestellt ist: offen­bar nicht gut.

Die Aufre­gung um Innen­min­is­ter Karn­er hat sich inzwis­chen gelegt, und ver­mut­lich wird auch das Doll­fuß-Gedenken in guter öster­re­ichis­ch­er Manier weit­erbeste­hen. Was ist auch schon schlimm an einem, der Öster­re­ich „erneuert” hat, indem er die Demokratie beseit­igt und auf Arbeit­er schießen hat lassen?

➡️ Rück­trittsauf­forderung an Innen­min­is­ter Karn­er wegen anti­semi­tis­ch­er Rhetorik
➡️ Anti­semitismusvor­würfe: Innen­min­is­ter Karn­er bit­tet für Aus­sagen um Entschuldigung