Schon beim Bemühen, die in der Statistik erfassten rechtsextremen Delikte Personen bzw.politischen Kategorien zuzuordnen, sind Unschärfen zu erkennen:
„Von den angezeigten Personen konnten 12 der Skinheadszene, zwei der Neonaziszene, 39 einer sonstigen rechtsextremen Szene, 25 einer überschneidenden oder anderen Szene (z.B. Fußballhooligans, Studentenverbindung) zugeordnet werden. 327 Personen waren keiner einschlägigen Szene zuordenbar oder es war deren Zugehörigkeit unbekannt.“ (Bericht, S. 21)
Wir können nur mutmaßen, zu welchen Organisationen bzw. „Szenen“ sich Personen häufig zugehörig fühlen, die hinter der Chiffre „sonstige rechtsextreme Szene“ bzw. „überschneidende oder andere Szene“ oder gar unter „unbekannt“ abgelagert werden. Tauchen da des Öfteren die FPÖ, der RFJ oder Burschenschafter auf? Unter den Angezeigten im Jahr 2010 müssten sich ja beispielsweise jene RFJ-Aktivisten finden, die in Graz jetzt einen Prozess nach dem NS-Verbotsgesetz und wegen schwerer Körperverletzung zu erwarten haben. Oder auch der steirische Landesobmann der FPÖ, Gerhard Kurzmann wegen des Verdachtes der Verhetzung.
Im zitierten Satz wird jedoch als „überschneidende” (bzw. „andere”) Szene auch „Studentenverbindung“ genannt. Das ist so unpräzise wie falsch: Es gibt katholische, konservative und eben auch deutschnationale Korporationen, darunter und hauptsächlich die Deutschen Burschenschaften. Nur im wilden Gestrüpp der deutschnationalen Korporationen wuchert der Rechtsextremismus und Neonazismus, was unsere heimischen Verfassungsschützer zwar wissen, aber seit 2001 nicht mehr schreiben dürfen. Stattdessen wird von einer „überschneidenden oder anderen Szene“ geschwurbelt.
Was die Verfasser(innen?) des Berichts geritten hat, als sie, um die“ Skinheadszene“ und ihre Deresscodes zu charakterisieren, angeblich szenetypische Bekleidungsmarken explizit nannten (Lonsdale, Consdaple, Pitbull, Fred Perry etc.) und dabei vergaßen, auf „Thor Steinar“ und die in Schwaz /Tirol und in Braunau/Inn angesiedelten „Thor Steinar“-Läden hinzuweisen, die ein Treff- und Ausgangspunkt für die einschlägige Szene sind, ist uns schleierhaft. Weder sind Lonsdale und Fred Perry per se rechtsextreme Marken (beide Hersteller distanzieren sich von der Neonazi-Szene und unterstützen antirassistische Projekte), noch sind alle Skins Rechtsextreme (auch wenn die rechtsextreme Skinhead-Szene mittlerweile dominierend ist).
Solche diffusen, unpräzisen bzw. schlampigen Zuordnungen sind ärgerlich. Problematisch wird es dort, wo generalisierende Aussagen getroffen werden: „Eine generell zunehmende Gewaltbereitschaft bei den bekannt gewordenen Tathandlungen war im Berichtsjahr nicht festzustellen.“ Immerhin wurde das Jahr 2010 „eröffnet“ mit dem brutalen Überfall einer offensichtlich verabredeten Gruppe von Neonazis auf eine Geburtstagsfeier in einem Grazer Lokal (mehrfache schwere Körperverletzung) und fortgesetzt mit der schweren Körperverletzung beim Public Viewing zur Fußball-WM im Juni.
In das Berichtsjahr 2010 fallen auch zwei Brandanschläge auf ein Wohnheim mit MigrantInnen in Floridsdorf /Wien im Juli, bei denen es nur zufällig keine schwerwiegenden Folgen gegeben hat. Der rechtsextreme Hintergrund war eindeutig – die Täter konnten nach unseren Infos bis heute nicht ausfindig gemacht werden. Bei dem Sprengstoffanschlag auf ein Asylheim im September 2010 in Graz ist ein rechtsextremer Hintergrund wahrscheinlich — auch hier wurden die Täter bis heute nicht ausgeforscht.
Der Brandanschlag von Schärding im Oktober 2010 und der Sprengstoffanschlag von Horn im Dezember (I, II) wurden zwar von Personen ausgeführt, bei denen eine rechtsextreme Ideologie oder Haltung vorhanden, aber möglicherweise von anderen Einflüssen (psychische Erkrankung) überlagert ist. Möglich, dass die Zahl der rechtsextremen Delikte bzw. Täter, bei denen Körperverletzung, Brandstiftung und andere verwandte Delikte im Spiel waren, 2010 nicht gestiegen ist. Die Statistik des Berichtes ist bei den Rechtsextremen bemerkenswert oberflächlich: Für das Jahr 2010 weist sie 304 Anzeigen für „sonstige Delikte“ nach dem Strafgesetz (z.B. Sachbeschädigung, Körperverletzung, gefährliche Drohung) aus. 2009 waren es 253 Anzeigen. Weil für beide Jahre nicht differenziert wird zwischen Gewalttaten und Sachschäden, gibt die Statistik trotz der Steigerung um fast 20% wenig her. .
Es gibt aber auch Bemerkungen im Bericht, die nicht nur richtig sind, sondern geradezu darauf hinweisen, dass unter der Oberfläche der Statistik einiges brodelt:
Nach wie vor ist bei rechtsextremen Tathandlungen – zumindest bei den Körperverletzungsdelikten- von einer nicht näher quantifizierbaren Dunkelziffer auszugehen. Die Opfer werden oft eingeschüchtert und haben Angst vor Repressalien, da z.B. mit auswärtigen „Kameraden“ gedroht wird, welche sich an Personen, die Anzeigen bei der Polizei erstatten, rächen würden. (S. 34)
Bei Passagen wie dieser hat man den Eindruck, die Verfassungsschützer könnten noch einiges mehr erzählen, bleiben aber lieber bei unbestimmten Andeutungen. Das gilt vor allem für einiges, was im Kapitel „Konfrontationspotenziale im Bereich Links- und Rechtsextremismus“ erzählt wird.
➡️ Verfassungsschutzbericht (Teil 2): Was erzählt der Bericht nicht?
➡️ Verfassungsschutzbericht (Teil 3): Ein bemerkenswerter Vorfall
➡️ Verfassungsschutzbericht (Teil 4): Die Statistik und ihre Probleme