Verfassungsschutzbericht (Teil 3): Ein bemerkenswerter Vorfall

Der Ver­fas­sungss­chutz hat ein ganzes Kapi­tel in seinem Bericht dem The­ma „Kon­fronta­tionspoten­ziale im Bere­ich Links- und Recht­sex­trem­is­mus“ gewid­met. Sieht man von der ide­ol­o­gis­chen Aufladung dieses Kapi­tels ab, so ist dabei die Erwäh­nung eines Vor­falls aus dem Jahr 2008 in mehrfach­er Hin­sicht bemerkenswert.

Der Bericht hält dazu fest:

Gewalt­tätige Aktio­nen wer­den von Recht­sex­trem­istin­nen und Recht­sex­trem­is­ten immer wieder disku­tiert und über­legt. In den let­zten Jahren kam es aber nur zu ein­er konkreten Tathand­lung: Im Okto­ber 2008 stürmte eine Gruppe von Recht­sex­trem­is­ten ein der Linksszene zuor­den­bares Vere­inslokal. Die mit Sturmhauben mask­ierten Recht­sex­trem­is­ten beschädigten die Ein­gangstür, war­fen Stüh­le auf die Anwe­senden und ergrif­f­en anschließend die Flucht.

Zum ersten: Gab es „in den let­zten Jahren“ wirk­lich nur eine konkrete recht­sex­treme Tathand­lung, die gegen Linke gerichtet war? Am Fre­itag, 24.10.2008 ver­sucht­en unge­fähr 25 Neon­azis in Brau­nau (OÖ), ein Konz­ert der KJÖ mit Hak­enkreuz­fahne und Sprechchören gewalt­sam zu stürmen.

Am 29.10. 2008 ver­suchte ein Dutzend Neon­azis, eine spon­tane Demon­stra­tion von antifaschis­tis­chen Studieren­den bei der Par­la­mentsrampe gegen den neu gewählten Drit­ten Präsi­den­ten des Nation­al­rates, Mar­tin Graf, gewalt­sam zu stören.


„Sebas­t­ian P. (1.v.l.), Horst P. (3.v.l.), Ben­jamin F. (2.v.r.). Wien, 29. Okto­ber 2008” Bildquelle: kuesselskameraden.wordpress.com

Dazwis­chen lag der Vor­fall vom 25./26.10., bei dem rund 10 Neon­azis das Lokal eines Kul­turvere­ins im ersten Bezirk stürmten und auf die Anwe­senden loszuprügeln began­nen. Das Lokal bzw. die Ver­anstal­tung war an diesem Abend auch von Ver­fas­sungss­chutz und uni­formiert­er Polizei überwacht wor­den. Um Mit­ter­nacht zog der Ver­fas­sungss­chutz ab und einige Minuten später rück­ten die Neon­azis in Zweier­rei­hen, schwarz­er Klei­dung und Sturmhauben über die Roten­turm­straße auf das Lokal vor.

Obwohl die Neon­azis nach ihrer Vertrei­bung und Flucht aus dem Lokal offen­sichtlich von uni­formierten Beamten ange­hal­ten und ihre Per­son­a­lia aufgenom­men wur­den, sprach die Polizei gegenüber der APA am 27.10.08 davon, dass die Täter „bish­er kein­er Gruppe ein­deutig zuor­den­bar“ (APA 27.10.08) seien. Auf­grund der weni­gen vor­liegen­den Infos, so eine Beamtin des Ver­fas­sungss­chutzes, wäre es „abso­lut unser­iös“, die Angreifer ein­er bes­timmten poli­tis­chen Rich­tung zuzuord­nen (Die Presse, 27.10.08). Die „Presse“ weit­er: „Bemerkenswert jedoch ist, dass das LVT entwed­er vorge­warnt, oder zumin­d­est von einem erhöht­en Gefährdungspoten­zial für die Ver­anstal­tung aus­ge­gan­gen war. Mehrmals näm­lich sucht­en die Staatss­chützer an diesem Abend den Ver­anstal­tung­sort in Zivilk­lei­dung auf, zwei Mal mit Unter­stützung von Streifenpolizisten.“

Welche Infos hat­te der Ver­fas­sungss­chutz vor der Ver­anstal­tung, die ihn zu der Obser­va­tion ver­an­lasst haben? Welche Infos hat­te der Ver­fas­sungss­chutz nach dem Sturm auf das Lokal, die ihn zu der Bemerkung bracht­en, die Täter seien nicht ein­deutig ein­er poli­tis­chen Rich­tung zuor­den­bar? Die Neon­azis jeden­falls ver­sucht­en über ihre Foren, den braunen Sturm auf den Kul­turvere­in in eine Auseinan­der­set­zung im („linken“!) Dro­gen­m­i­lieu umzuin­ter­pretieren. Ver­mut­lich, raunt „Prinz Eugen“ auf thiazi.net, sei es um „offene Dro­gen­gelder“ gegan­gen. So lächer­lich dieses Gerücht auch war – warum sprach der Ver­fas­sungss­chutz 2008 davon, dass „in alle Rich­tun­gen“ ermit­telt werde?

Nach unserem heuti­gen Wis­sens­stand dürfte fast der kom­plette Wiener Kreis um die späteren Alpen-Donau-Nazis an der Aktion beteiligt gewe­sen sein. Bemerkenswert ist , dass der Vor­fall aus 2008 jet­zt im Bericht 2011 (für das Jahr 2010) als recht­sex­treme Aktion auf­taucht. Im Bericht für das Jahr 2008 war der Angriff der Neon­azis noch mit keinem Wort erwäh­nt und ver­mut­lich auch in der Sta­tis­tik nicht berück­sichtigt wor­den. Weiß der Ver­fas­sungss­chutz heute mehr bzw. wann darf man mit ein­er Anklage der Täter rechnen?

➡️ Ver­fas­sungss­chutzbericht (Teil 1): Die offe­nen Widersprüche
➡️ Ver­fas­sungss­chutzbericht (Teil 2): Was erzählt der Bericht nicht?
➡️ Ver­fas­sungss­chutzbericht (Teil 4): Die Sta­tis­tik und ihre Probleme