Verfassungsschutzbericht (Teil 2): Was erzählt der Bericht nicht?

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Der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 2011 für das Jahr 2010 darf offen­sicht­lich bestimm­te Berei­che des orga­ni­sier­ten Rechts­extre­mis­mus nicht dar­stel­len: die FPÖ und mit ihr ver­bun­de­ne oder vor­ge­la­ger­te Orga­ni­sa­tio­nen (z.B. die Frei­heit­li­chen Aka­de­mi­ker­ver­bän­de) und Publi­ka­tio­nen („Aula“). Auch die deutsch­na­tio­na­len Bur­schen­schaf­ten blei­ben aus­ge­spart. Aber da war doch was?

Am 12.3.2010 fand in der Lounge des Pour Pla­tin ein Red Room Club­bing der Bur­schen­schaft Sile­sia statt. Schon die Ein­la­dung gibt eini­ges her: ein jun­ger Bur­schen­schaf­ter, umringt von zwei sich ihm hin­rä­keln­den Schön­hei­ten, zwei täto­wier­te Secu­ri­ty-Brö­ckerl wachen fins­ter über das Gesche­hen. Der umgarn­te Jung­bur­schen­schaf­ter ist der Sohn eines dama­li­gen Ver­fas­sungs­schüt­zers.

Silesia-Einladung zum Red Room Clubbing ins Pour Platin (12.3.2010)

Sile­sia-Ein­la­dung zum Red Room Club­bing ins Pour Pla­tin (12.3.2010)

Beim Club­bing selbst dann die schon aus­rei­chend beschrie­be­ne Schlä­ge­rei und danach noch die Her­bei­ho­lung von Gott­fried Küs­sel durch Eli­sa­beth K., damals Sekre­tä­rin im FPÖ-Klub bzw. bei Stra­che. Über die pikan­ten Details, die aus­rei­chend dar­ge­stellt wur­den, hin­aus­ge­hend fällt dabei auf:

  • Ein­zel­ne Bur­schen­schaf­ter haben offen­sicht­lich inten­si­ve Kon­tak­te in die Rot­licht-Sze­ne (und damit sind nicht Bor­dell-Besu­che gemeint)
  • Zwi­schen ein­zel­nen Bur­schen­schaf­tern und deren Ange­hö­ri­gen gibt es offen­sicht­lich bes­te Kon­tak­te zur Neonazi-Szene
  • Der Sohn eines Ver­fas­sungs­schüt­zers bewegt sich da mittendrin

Für uns waren der zwei­te und drit­te Punkt so wesent­lich, dass wir ihn indi­rekt in eine umfang­rei­che par­la­men­ta­ri­sche Anfra­ge pack­ten. Das Resul­tat: die Ver­set­zung des Ver­fas­sungs­schüt­zers und die Behaup­tung der Innen­mi­nis­te­rin, der Tätig­keits­be­reich des Ver­fas­sungs­schüt­zers habe nichts mit dem Rechts­extre­mis­mus zu tun gehabt. Nun wäre es ver­mut­lich zu viel ver­langt, eine Auf­ar­bei­tung die­ses Kapi­tels im Bericht zu ver­lan­gen. Was aber ist mit den Bezie­hun­gen von Bur­schen­schaf­tern zur Neo­na­zis-Sze­ne? Was mit den Bezie­hun­gen zum Rot­licht-Bereich? War­um wird im Bericht nicht expli­zit dar­auf Bezug genom­men, dass in Graz Anfang 2010 bei einer schwe­ren Atta­cke auf Fei­ern­de RFJ-Funk­tio­nä­re betei­ligt waren? Weil nichts über den RFJ im Zusam­men­hang mit Rechts­extre­mis­mus geschrie­ben wer­den darf? Weil der RFJ sonst kei­ne Bun­des- oder Lan­des­för­de­run­gen erhal­ten würde?

Ger­ne hät­ten wir etwas mehr erfah­ren über die rechts­extre­men Sze­nen inner­halb der Fan­clubs von Fuß­ball und Eis­ho­ckey, denn ein­zel­ne Vor­fäl­le deu­ten doch dar­auf hin, dass allein mit poli­zei­li­chen Mit­teln („weit­ge­hend erfolg­reich“) den Neo­na­zis in die­sen Sze­nen nicht bei­zu­kom­men ist. Völ­lig aus­ge­spart bleibt im Bericht die Nazi-Musik-Sze­ne, obwohl sich quer über die Gen­res hier auch in Öster­reich eini­ges tut und das auch im „Berichts­jahr“. Auch über „Objekt 21“, den Ver­such von Neo­na­zis, sich am Land in Ober­ös­ter­reich im Jahr 2010 eine Sze­ne zu schaf­fen, getarnt als Kul­tur­ver­ein, fin­det sich nichts im Bericht.

Über die Akti­vi­tä­ten von Neo­na­zis in Inter­net und sozia­len Netz­wer­ken liest man nur eine fak­ti­sche Kapi­tu­la­ti­ons­er­klä­rung: „Die Sicher­heits­be­hör­den sind zuneh­mend mit dem Pro­blem kon­fron­tiert, dass durch die unüber­schau­ba­re Men­ge offen zugäng­li­cher ein­schlä­gi­ger Inhal­te eine inten­si­ve und lau­fen­de Kon­trol­le von Inter­net­ak­ti­vi­tä­ten de fac­to nicht mög­lich ist.“ Und an ande­rer Stel­le: „In wel­chem Aus­maß Rekru­tie­run­gen via Inter­net erfolg­reich sind, kann nicht beur­teilt werden.“

Bevor man – ange­sichts knap­per Res­sour­cen und fal­scher Prio­ri­tä­ten – dafür so etwas wie Ver­ständ­nis auf­bringt, sei hier der Ver­weis auf das Gut­ach­ten von Univ. Prof. Dr. Jan­ko zum NVP-Ver­bot gestat­tet. Auch die „Beob­ach­tung“ der AfP-Aka­de­mie in Offen­hau­sen oder des Job­bik-Auf­mar­sches in Ober­wart waren 2010 nicht gera­de Ruh­mes­blät­ter für den Ver­fas­sungs­schutz. Wenn aber der Ver­fas­sungs­schutz selbst im ganz tra­di­tio­nel­len Bereich der Obser­va­ti­on von rechts­extre­mis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen „nur wenig brauch­ba­re Infor­ma­tio­nen“ lie­fern kann, was macht er dann eigentlich?

➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 1): Die offe­nen Widersprüche
➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 3): Ein bemer­kens­wer­ter Vorfall
➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 4): Die Sta­tis­tik und ihre Probleme