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Völkischer Kitsch und „neurechte“ Popkultur

Seit inzwi­schen zwei Jah­ren betreibt die „Iden­ti­tä­re Bewe­gung“ (IB) ein Haus­pro­jekt namens „Cas­tell Auro­ra“ in Steyr­egg nahe Linz. Für den 30. Sep­tem­ber lädt das Pro­jekt zum Kul­tur­fest, woge­gen Wider­stand ange­kün­digt ist. Wir haben uns die Gäs­te­lis­te ange­se­hen. Das iden­ti­tä­re Online-Medi­um „Der Sta­tus“ (5.9.23) ver­spricht ein „[h]ochkarätiges non­kon­for­mes Kul­­tur-Pro­­gramm“ für die ange­kün­dig­te Ver­an­stal­tung in dem seitens […]

28. Sep 2023
Völkisch, martialisch, kitschig: Wenn rechtsextreme Aktivisten sich kulturell modernisieren wollen

Das iden­ti­tä­re Online-Medi­um „Der Sta­tus“ (5.9.23) ver­spricht ein „[h]ochkarätiges non­kon­for­mes Kul­tur-Pro­gramm“ für die ange­kün­dig­te Ver­an­stal­tung in dem sei­tens der Gemein­de abge­lehn­ten Haus­pro­jekt der neo­fa­schis­ti­schen „Iden­ti­tä­ren“. Spoi­ler: Das Pro­gramm ist weder hoch­ka­rä­tig noch non­kon­form, son­dern rechts­extrem bis bräunlich.

Rechtsextreme „Kulturarbeit“

Es gehört zu den zen­tra­len stra­te­gi­schen Zie­len der neo­fa­schis­ti­schen Kader­grup­pe, im Bereich von Kunst und Kul­tur zu reüs­sie­ren. Mit sol­cher Image­ar­beit soll gegen das ver­brei­te­te – und oft genug zutref­fen­de – Kli­schee vom anti­in­tel­lek­tu­el­len und kunst­feind­li­chen Rechts­extre­men oppo­niert wer­den. Gera­de im Bereich von bil­den­der Kunst und Lite­ra­tur erweist sich die­se „meta­po­li­ti­sche“ Stra­te­gie aller­dings wei­ter­hin als wenig erfolgreich.

Ein Blick auf die gela­de­nen Akteu­re (sze­ne­ty­pisch nur Män­ner) führt dies vor Augen, denn es han­delt sich um ledig­lich eine Hand­voll rechts­extre­mer Kul­tur­kämp­fer, die zwar bei ein­schlä­gi­gen Ver­an­stal­tun­gen ger­ne her­um­ge­reicht wer­den, deren Schaf­fen aber über Sze­ne­gren­zen hin­aus kaum Beach­tung findet.

Die Gäste: Kitsch, Blut, Boden und Popkultur

Der ältes­te und – in Öster­reich – bekann­tes­te Gast ist Man­fred „Odin“ Wie­sin­ger, qua­si der Haus- und Hof­ma­ler der FPÖ. Ex-Par­tei­chef Nor­bert Hofer nann­te ihn 2016 gar sei­nen „Lieb­lings­ma­ler“. Wie­sin­ger ist schla­gen­der Bur­schen­schaf­ter bei der Scar­do­nia zu Schär­ding. Sein Werk setzt ganz auf deutsch­na­tio­na­len Bur­schen­schaf­ter- bzw. nor­disch-ger­ma­ni­schen Mytho­lo­gie-Kitsch, dazu kom­men noch Wehr­macht-Roman­tik und Kriegs­ver­herr­li­chung. Fol­ge­rich­tig erschei­nen sei­ne Bil­der immer wie­der in rechts­extre­men Maga­zi­nen, etwa bei „Info-Direkt“ oder vor 2018 auch in dem gesun­ke­nen Flagg­schiff des öster­rei­chi­schen Rechts­extre­mis­mus, der offen anti­se­mi­ti­schen und NS-geschichts­re­vi­sio­nis­ti­schen „Aula“ (die bei gleich­ge­blie­be­ner Eigen­tü­mer­struk­tur und „neu­rech­tem“ Rebran­ding als „Frei­lich“ wie­der­ge­bo­ren wurde).

Zu mehr öffent­li­cher Auf­merk­sam­keit kam Wie­sin­ger, als er 2019 von der FPÖ in den Lan­des­kul­tur­bei­rat Ober­ös­ter­reichs ent­sandt wur­de. In die­ser Zeit geriet auch sein Logo in den media­len Fokus:

Sei­nen Künst­ler­na­men Odin (nach dem nor­di­schen Göt­ter­va­ter) erhielt Wie­sin­ger in der Bur­schen­schaft (…). Als Logo führt er eine sti­li­sier­te Otha­la- bzw. Odal-Rune, die in der Waf­fen-SS und spä­ter bei Neo­na­zis (u. a. bei der ver­bo­te­nen Wiking-Jugend) Ver­wen­dung fand. Wie­sin­ger sieht in sei­nem Logo hin­ge­gen ein harm­lo­ses Mono­gramm aus sei­nen inIn­itia­len „O“ und „W“. (der­stan­dard, 13.5.19)

„Stoppt die Rech­ten“ erstat­te­te damals wegen die­ses offen­kun­di­gen Spiels mit ver­bo­te­nen NS-Sym­bo­len Anzei­ge gegen Wie­sin­ger. Zu einer Ver­ur­tei­lung kam es nicht.

Der Gra­fi­ker Wolf PMS, des­sen Arbei­ten vom „neu­rech­ten“ Dresd­ner Comic-Ver­lag „Hydra“ ver­trie­ben wer­den, steht eben­so auf dem Fly­er für das „Kul­tur­fest“, wie der erst 2020 gegrün­de­te Ver­lag selbst. Bei­de waren ver­gan­ge­nen April zu Gast in Wien bei einem Sze­ne-Ver­lags­tref­fen, von dem „Stoppt die Rech­ten“ berich­tet hat.

Hin­ter „Hydra“ steht das Netz­werk „Ein Pro­zent“ von Phil­ip Stein, das seit April die­sen Jah­res auch vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz als gesi­chert rechts­extre­mis­ti­sche Bestre­bung ein­ge­stuft wird. Geschäfts­füh­rer des Ver­lags ist Micha­el Schä­fer, der auf eine Kar­rie­re im Neo­na­zi-Milieu zurück­blickt. Er war sogar eini­ge Jah­re Bun­des­vor­sit­zen­der der NPD-Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on „Jun­ge Natio­na­lis­ten“ (JN), bevor er sich in Rich­tung der „Iden­ti­tä­ren“ ori­en­tier­te (1). Der „Hydra“-Grafiker Wolf PMS, auf der Ver­lags­web­site als „eines der wich­tigs­ten Nach­wuchs­ta­len­te der non­kon­for­men Kunst­sze­ne“ geprie­sen, setzt auf pla­ka­tivs­te völ­ki­sche Blut-und-Boden-Ästhe­tik. Zur Ent­schlüs­se­lung sei­ner Kal­li­gra­fien ist kon­tem­pla­ti­ve Ver­sen­kung nicht nötig, denn zu ein­schlä­gig sind die Schrift-Bil­der in ihrem NS-Stil, die u.a. abge­wan­del­te Runen, Frak­tur­schrift, Blut­sprit­zer und Sprü­che wie „Ewi­ge Hei­mat“ beinhal­ten.

Ein wei­te­rer ange­kün­dig­ter Gast ist der Roman-Autor Vol­ker Zier­ke und des­sen Ver­lag „Jun­g­eu­ro­pa“, der eben­so zu Phil­ip Steins „Ein Prozent“-Netzwerk gehört und in Dres­den ange­sie­delt ist. Der Ver­lag kon­zen­triert sich auf älte­re sowie neue (neo-)faschistische euro­päi­sche Lite­ra­tur, im Pro­gramm fin­det sich etwa der Vor­den­ker der fran­zö­si­schen „Nou­vel­le Droi­te“ Alain de Benoist oder auch der fran­zö­si­sche Anti­se­mit und NS-Kol­la­bo­ra­teur Pierre Drieu la Rochel­le. Die­se bei­den und eini­ge ande­re aus dem Ver­lags­pro­gramm – zeit­ge­nös­sisch etwa der Ex-Neo­na­zi und Sze­ne-Poli­to­lo­ge Bene­dikt Kai­ser – waren erst vor kur­zem auch in einem Pro­pa­gan­da­vi­deo der „Frei­heit­li­chen Jugend“ als Bezugs­grö­ßen ange­führt, was die bekann­te enge Ver­flech­tung zwi­schen FPÖ und „neu­rech­ten“ Neo­fa­schis­ten nur ein wei­te­res Mal unter­streicht. Zier­ke, der bis­lang zwei Roma­ne bei „Jun­g­eu­ro­pa“ her­aus­ge­bracht hat und als New­co­mer in der Sze­ne gehan­delt wird, war – sehr pas­send zum Ver­lags­pro­gramm – gemein­sam mit Phil­ip Stein 2019 in Rom, bei einer dort jähr­lich statt­fin­den­den Gedenk­ver­an­stal­tung der offen faschis­ti­schen Kul­tur­be­we­gung „Casa­Pound“.

Zu den Gäs­ten zählt laut Ein­la­dungs­fly­er auch ein Akteur, der ohne­hin bereits dort wohnt: Das Soft­ware­un­ter­neh­men „Kvlt­ga­mes“ des iden­ti­tä­ren Akti­vis­ten Roland Moritz, das sei­nen Fir­men­sitz im iden­ti­tä­ren Haus­pro­jekt hat. Bereits im Som­mer 2021 fiel Moritz ein­schlä­gig auf, weil er ein Jump-and-Run-Spiel voll plum­per anti­se­mi­ti­scher und homo-feind­li­cher Codes ver­öf­fent­lich­te (die Spiel­fi­gu­ren kämp­fen gegen „Glo­ba­lis­ten“ und ein „Glo­bo Homo“-Regime). Das Spiel wur­de in Deutsch­land von der Bun­des­zen­tra­le für Kin­der- und Jugend­me­di­en­schutz auf den Index gesetzt. (derstandard.at, 30.7.21)

Außer­dem wird das erst im März 2023 in Dres­den gegrün­de­te Iden­ti­tä­ren-nahe Pop­kul­tur-Online­ma­ga­zin „Thy­mos“ erwar­tet. Dort wer­den v.a. Fil­me aus „neu­rech­ter“ Per­spek­ti­ve rezen­siert, vor­ran­gig bereits älte­re, damit nicht immer bloß „die nächs­te ‚woke‘ Serie“ auf Net­flix beklagt wer­den muss, wie es auf der Home­page heißt. Das in milieu­ty­pi­schem Heid­eg­ger-Deutsch erklär­te Ziel ist es, an der Pop­kul­tur das „Wah­re, Schö­ne und Gute zu ent­ber­gen“. Dazwi­schen darf aber auch der öster­rei­chi­sche Iden­ti­tä­ren-Chef Mar­tin S. zum Inter­view kom­men und erzäh­len, wie es ist Vater zu wer­den. „Thymos“-Herausgeber Cars­ten Jung rich­tet sich in sei­nem Ver­ständ­nis von „Neu­rechts“ nach dem rechts­extre­men You­Tube-Het­zer Chris­ti­an „Out­door“ Ill­ner und hal­lu­zi­niert im ers­ten Arti­kel auf der Web­site (2), dass die Nazis „heh­re Zie­le“ hat­ten, bevor sie die „Stra­te­gien der Kom­mu­nis­ten“ über­nah­men. Wie so oft kommt die ver­meint­li­che „neu­rech­te“ Moder­ni­sie­rung nicht ohne eine gro­be Rela­ti­vie­rung des NS aus.

Eben­falls aus Dres­den kommt das „Film­kunst­kol­lek­tiv“, das sich auf pathe­ti­sche Trai­ler für rechts­extre­me Demons­tra­tio­nen spe­zia­li­siert hat – frei­lich mit Schwer­punkt auf den iden­ti­tä­ren Aktivismus.

Außer­dem vor Ort: Der Tiro­ler Ex-FPÖ-Regio­nal­po­li­ti­ker Ben­ja­min Kranzl, des­sen „Kul­tur­schaf­fen“ sich in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung bis­lang dar­auf beschränkt hat, bei der Schweins­kopf-Affä­re des RFJ Schwaz, des­sen Obmann er damals war, ver­wi­ckelt gewe­sen zu sein.

Die Gemeinde wehrt sich

Die Gemein­de Steyr­egg ist mit dem rechts­extre­men Pro­jekt nicht glück­lich und wehrt sich. Bereits 2021 wur­de als Zei­chen für Plu­ra­lis­mus und eine offe­ne Gesell­schaft ein Schutz­weg in den Far­ben des Regen­bo­gens vor dem Haus auf­ge­malt. Es feh­le, laut Bür­ger­meis­ter Hint­rin­ger, aller­dings an gesetz­li­cher Hand­ha­be um kon­kre­te Schrit­te gegen die kom­men­de Zusam­men­kunft ein­zu­lei­ten. Die Initia­ti­ve „Steyr­egg ist bunt“ ver­an­stal­tet am kom­men­den Sams­tag als Gegen­pro­test ein „Pick­nick für Viel­falt und Tole­ranz“ im Stadt­gar­ten. Zudem ist eine anti­fa­schis­ti­sche Demons­tra­ti­on ist für 11:45 Uhr angekündigt.

Fußnoten

1 zur Per­son Micha­el Schä­fer sie­he aus­führ­li­cher: endstation-rechts.de, 27.11.20
2 Der Arti­kel trägt den Titel „Dar­um sind wir ‚Neu­rechts‘“ (23.3.23), hier der NS-rela­ti­vie­ren­de Aus­schnitt als Screenshot:

NS-Rela­ti­vie­rung bei „Thy­mos” (Screen­shot Website)