Warum Bleiburg ein Mythos ist
Laut dem revisionistischen „Mythos Bleiburg“ sollen auf dem Loibacher Feld tausende Kroat*innen von jugoslawischen Partisan*innen hingerichtet worden sein. Dass am Loibacher Feld Massenerschießungen stattgefunden haben sollen, ist jedoch falsch: Bleiburg steht symbolisch für die Weigerung der britischen Armee die Kapitulation der vor den Partisan*innen flüchtenden Kolonne kroatischer Streitkräfte, Ustaša und teils Zivilist*innen anzuerkennen. Am Loibacher Feld haben höchstens einige hochrangige Armeeangehörige Selbstmord begangen um der Vergeltung der Widerstandskämpfer*innen zu entkommen. Die nach Jugoslawien zurückgedrängten Zivilist*innen wurden großteils ins Landesinnere transportiert und nicht, wie das revisionistische Narrativ behauptet, massenhaft in Bleiburg ermordet. Die Personen, an denen die Partisan*innen Vergeltung übten, waren hauptsächlich Kriegsverbrecher der kroatischen Armee und Ustaša bzw. allgemein kroatische Streitkräfte, die sich dem faschistischen NDH-Staat verpflichtet fühlten. Trotz dieser erwiesenen Tatsachen werden die Geschehnisse auf eine Art und Weise dargestellt, die es den Ustaša-Sympatisant*innen ermöglicht, die Ermordeten – und im Umkehrschluss auch sich selbst – als Opfer zu betrachten. Dass es sich beim NDH-Staat um ein mit den Nationalsozialist*innen kollaborierendes, faschistisches Regime handelte und, dass in diesem das einzige von den Nazis unabhängige KZ Jasenovac betrieben wurde, wird dadurch in den Hintergrund gerückt, verharmlost und teils schlicht gutgeheißen.
Dieses verkehrte Geschichtsverständnis ermöglicht in weiterer Folge die Dämonisierung der Partisan*innen und die gleichzeitige Relativierung und teils auch Rehabilitierung der faschistischen Ustaša und deren Verbrechen an Romnja und Roma sowie Jüd*innen und Serb*innen. Mittels der Täter*innen-Opfer-Umkehr geht eine ideologische Umdeutung vonstatten, die den positiven Bezug auf den NDH-Staat ermöglicht. Das Regime der Ustaša wird so im revisionistischen Narrativ schlicht als erster unabhängiger kroatischer Staat verklärt und so als Vorbild für den aktuellen Staat herangezogen.
Vom Minister bis zum Bischof
Anlässlich des runden Jubiläums versammelten sich Jahr 2015 in Bleiburg/Pliberk um die 30.000 Personen, während es 2016 ca. „nur“ 15.000 waren und in diesem Jahr ist die Besucher*innenanzahl laut Polizeiangabe auf ca. 10.000 gesunken. Das strukturtragende Element der Gedenkveranstaltung besteht in einer Grabweihung am Loibacher Friedhof mit anschließender religiösen Prozession und einer Messe, die von einem, am Feld erbauten, Altar aus gelesen und durch politische Reden abgerundet wird. An dieser Messe nehmen neben Lai*innen auch eine Vielzahl hoher religiöser Würdenträger, Priester und Nonnen teil.
Räumlich getrennt vom religiösen Teil des Treffens versammeln sich auch eine Vielzahl rechter, rechtsextremer, neonazistischer Besucher*innen und Neo-Ustaša, die um einiges weniger um die Verhüllung bzw. Verklausulierung ihrer Gesinnung bemüht sind — im Vergleich zu jenen Personen, die ausschließlich an den religiösen Riten teilnehmen. Die Zurschaustellung von Symbolen, die in Kroatien teils verboten sind und die Ustaša und den NDH-Staat verherrlichen, unterstreichen dies und und zeigen, worum es am Treffen eigentlich geht: Von historischen faschistischen Uniformen, Kleidungsstücken mit den Symbolen der Ustaša und des NDH-Staates bis hin zu Symbolen wie Hakenkreuze etc., findet sich fast die gesamte Bandbreite rechtsextremer Symbolik. So darf es nicht überraschen, dass auch Neonazis aus dem Spektrum des Netzwerks „Blood and Honour“ wie Gregor T. oder Markus F. regelmäßig teilnehmen und das Treffen als Möglichkeit zur Vernetzung mit Gleichgesinnten nutzen.
Die regelmäßige Teilnahme hoher Politiker*innen wie z.B. der führenden Angehörigen der zur Zeit regierenden Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) und anderen Mitgliedern der Regierung neben Persönlichkeiten wie dem Zagreber Bischof zeigt, dass das Treffen keinesfalls nur in der extremen Rechten Anklang findet, sondern weit in der Gesellschaft Kroatiens verankert ist, und fast wie ein Nationalfeiertag zu werten ist. Dieses Jahr nahmen u.a. folgende namhafte kroatische Politiker*innen am Treffen teil: der Abgesandte der Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic (HDZ) und Minister für Staatseigentum Goran Maric (HDZ); der Gesundheitsminister Milan Kujudznic (HDZ); stellvertretend für den Premier Andrej Plenkovic (HDZ) der Veteranenminister Tomo Medved (HDZ); der Parlamentspräsident und ehemalige Außenminister Gordan Jandrovic (HDZ) als Vertreter des kroatischen Parlamentes, das auch dieses Jahr die Schirmherrschaft über das Bleiburger Treffen übernommen hat; der ehemalige rechtsextreme Kulturminister Zlatko Hasanbegovic (HDZ). Darüber hinaus reiste auch das Mitglied des Bosnischen Staatspräsidium Dragan Covic (Kroatische Demokratische Union in Bosnien und Herzegowina) zu dem Treffen an. Für die Katholische Kirche war als höchster Würdenträger der Erzbischof der Erzdiözese Djakovo-Osijek Djuro Hranic anwesend, der auch als Leiter der Gedenkfeier im Vordergrund stand.
Nur ein Gottesdienst?
Die Geschehnisse auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung haben einmal mehr gezeigt, dass die Trennung zwischen den Gläubigen am Feld und Rechtsextremen in den Festzelten nur eine augenscheinliche ist. Während der gesamten Messe wehten inmitten der Gläubigen drei riesige Fahnen der Neo-Ustaša-Partei HSP (Kroatische Partei des Rechts) und zahlreiche Personen mit einschlägigen Symbolen und Aufschriften waren zudem überall in der Menschenmasse zu erkennen. Spätestens am Ende der Messe wurde der wahre Charakter der gesamten Veranstaltung offensichtlich: nachdem der Chor und die Besucher*innen die Kroatische Hymne gesungen hatten, hob eine große Anzahl an Personen auf dem Feld unverhohlen die Hand zum Hitlergruß. Hier handelte es sich keineswegs nur um eindeutig Rechtsextreme, sondern schlicht um „ganz normale“ Gläubige. Dadurch zeigt sich einmal mehr, dass es nicht möglich ist, den faschistischen Ton der Veranstaltung vom religiösen zu trennen, wie es die Kärntner Diözese in einer fragwürdigen Presseaussendung gemacht hat.
Die Kirche beteiligt sich entgegen der Behauptungen der Diözese oder der Vertreter der Kroatischen Kirche selbst nicht nur trotz sondern auch wegen der faschistoiden Zügen des Gedenkens am Treffen. Es war schließlich der faschistische kroatische Priester Vilim Cecelja, eine zentrale Figur in der Rattenlinie für die flüchtigen Kader der Ustaša-Bewegung und des NDH-Staates nach der Kapitulation, der sich nach 1945 in Salzburg niederließ, sich erfolgreich für die Erhaltung der Bleiburger Gedenkfeier und für die Einführung der Messe während des Treffens einsetzte. Auch während der Weihung des Erzbischofs eines Grabes im Loibacher Friedhof – das der Erinnerung an gefallene Ustaša-Soldaten dient – zeigte, dem Augenzeugen und Vice-Journalisten Paul Donnerbauer zufolge, ein Mann in Ustaša-Uniform unter einem Kreuz sitzend wiederholt den Hitlergruß, ohne negative Reaktionen bei anderen Personen zu erzeugen. Dass der in Sichtweite stehende Verfassungsschutz darauf nicht reagierte, ist nicht überraschend. (1)
Reibungsloser Ablauf
Wie mehrere Augenzeug*innen berichteten, ließ sich das diesjährige Aufgabengebiet der anwesenden Verfassungsschützer*innen und Polizeibeamt*innen nach kürzester Zeit auf einen Haupttätigkeitsbereich eingrenzen: der Schutz der faschistischen Gedenkfeier vor kritischen Journalist*innen und anderen nichtfaschistischen Besucher*innen. Das wiederholte Tätigen von Hitlergrüßen und Zeigen von Hakenkreuzen und anderen verbotenen Symbolen in Bleiburg nahm in diesem Jahr insofern eine ganz andere Dimension an, als es vor den Augen einiger weniger Journalist_innen sowie den Behörden geschah. Bisher von einer kritischen Öffentlichkeit verschont, hat sich das Treffen zu einem faschistischen Karneval entwickelt, in dem die Beamt*innen ausschließlich für den reibungslosen Ablauf des Spektakels zuständig zu sein scheinen. Mehr nicht. Das belegt vor allem die völlige Inaktivität der anwesenden Polizist*innen gegenüber den dutzenden Hitlergrüßen, die über den gesamten Tag hinweg getätigt wurden. Auch das Tragen von T‑Shirts mit der Aufschrift „Panzer Division“, „Afrika Korps“, dem Ustaša‑U oder dem Bild eines KZs, schienen niemanden zu stören. Einige Beamt*innen hatten auch kein Problem mit Mitgliedern des faschistischen Ustaša-Ritterorden „H.V.R Čuvari Domovine“ für ein Foto zu posieren.
Reaktionen
Nur langsam bildet sich von verschiedenen Verbänden und Organisationen Widerstand gegen das revisionistische Treffen. Während im Jubiläumsjahr 2015 trotz der 30.000 Besucher*innen das Treffen kaum kritisch beleuchtet wurde und die Berichterstattung in nicht-kroatischer Medien weitgehend ausblieb, zeichnet sich dieses Jahr ein völlig anderes Bild: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), die Gewerkschaftsfraktion AUGE-UG und die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) machten mit der Forderung zur Untersagung der Bleiburger Gedenkfeier auf sich aufmerksam. Hinzu kam ein Appell mit knapp 30 unterzeichnenden Organisationen. Schließlich gab es von Seiten verschiedenen Medien schon im Vorfeld sowie in der Nachbereitung eine weit regere Berichterstattung als es in den vergangenen Jahren je der Fall war. (2)
Diese zunehmend kritische Berichterstattung zeigt schon Wirkung. Neben recht unbeholfenen Distanzierungsversuchen von einzelnen Behördenvertreter*innen hat sich auch die Ulrichsberggemeinschaft, die seit Jahrzehnten das größte SS-Veteranentreffen Österreichs am Ulrichsberg organisiert, zu Wort gemeldet: In einer Presseaussendung bekundete sie gegenüber dem „Bleiburger Ehrenzug“ ihre Solidarität. So kommt erneut zusammen, was zusammen gehört: unter dem medialen Druck rücken die Organisator*innen zweier revisionistischer Gedenkveranstaltungen mit neonazistischer bzw. neo-Ustaša Beteiligung, näher zusammen und offenbaren die enge Verwandtschaft ihrer Gesinnung und Aktivitäten.
Trotz der wachsenden Kritik an der revisionistischen Gedenkfeier hat sich auch dieses Jahr gezeigt, dass diese einerseits weiterhin ihren Charakter als größtes faschistisches Treffen Europas unbestritten beibehält und ihr andererseits immer noch große Bedeutung in der kroatischen Innenpolitik zukommt. Bevor dieses Treffen wie das am Ulrichsberg in die Unbedeutsamkeit verbannt werden kann, bedarf es noch an zahlreicher Initiativen und eine deutlich größeren kritischen Öffentlichkeit. Dennoch kann zumindest die kritische Berichtserstattung österreichischer Tageszeitungen als positive Entwicklung gesehen werden.
Verweise
1 Paul Donnerbauer für Vice am 15.05.2017, Link.
2 Vgl. ORF Kärnten am 13.05.2017, Link. Anja Melzer in News am 18.05.2017, Link. Tanja Malle im Standard am 19.05.2017, Link.