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Rückblick KW 40/23 (I)

Ver­fas­sungs­schutz bezieht Stel­lung, Antisemit*innen fei­ern die Hamas, Bur­schis löschen ihre „Todes­ru­ne“, und ein Neo­na­zi muss sein Gast­haus abtre­ten – dazu: drei Ver­ur­tei­lun­gen. Ferlach/K und Kol­sass-Inns­bruck: Brau­ne Fotos aus dem Par­ty­kel­ler und „Vui­gas” Salz­burg: Haft­stra­fe für wie­der­hol­te NS-Wie­der­be­tä­ti­gung Hol­la­brunn-Kor­neu­bur­g/NÖ: Rechts­kräf­ti­ge Ver­ur­tei­lung wegen Ter­ror-Pro­pa­gan­da Wien: Ver­fas­sungs­schutz posi­tio­niert sich zur „Neu­en Rech­ten“ Wien: Kund­ge­bun­gen für anti­se­mi­ti­schen Hamas-Ter­ror Krems/NÖ: […]

9. Okt 2023

Ferlach/K und Kolsass-Innsbruck: Braune Fotos aus dem Partykeller und „Vuigas”
Salzburg: Haftstrafe für wiederholte NS-Wiederbetätigung

Hollabrunn-Korneuburg/NÖ: Rechtskräftige Verurteilung wegen Terror-Propaganda
Wien: Verfassungsschutz positioniert sich zur „Neuen Rechten“
Wien: Kundgebungen für antisemitischen Hamas-Terror
Krems/NÖ: Lokale Verbindung im Visier der Behörden
Thüringen/D: Aus für Tommy Frencks „Goldenen Löwen“?

Ferlach/K und Kolsass-Innsbruck: Braune Fotos aus dem Partykeller und „Vuigas”

Fotos aus einem Par­ty­kel­ler, auf dem glatz­köp­fi­ge Jugend­li­che und zu einem Haken­kreuz dra­pier­te Bier­do­sen zu sehen sind, ein Foto vom Ange­klag­ten in Hit­ler­gruß-Pose sowie Whats­App-Nach­rich­ten eben­falls mit Haken­kreu­zen – die WA-Grup­pe nann­te sich „Vui­gas” – waren die Ankla­ge­punk­te am Lan­des­ge­richt Inns­bruck am 2. Okto­ber. Ver­ant­wor­ten muss­te sich der erst 22-jäh­ri­ge Flo­ri­an H., der im Zuge sei­ner Büch­sen­ma­cher-Leh­re in einem Inter­nat in Fer­lach unter­ge­bracht war – dort sind zwi­schen 2015 und 2017 auch die Par­ty­kel­ler-Fotos ent­stan­den. Die sehr früh gestar­te­te brau­ne Kar­rie­re erklär­te H. mit viel Alko­hol und psy­chi­schen Pro­ble­men – auch Dro­gen­de­lik­te waren im Spiel. Der Ver­weis des Ver­tei­di­gers, der Ange­klag­te iden­ti­fi­zie­re sich weder mit der NS-Ideo­lo­gie noch mit Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus bewahr­te Tiro­ler nicht vor einer Ver­ur­tei­lung. Er erhielt mit dem Schuld­spruch zwölf Mona­te haft bedingt auf drei Jah­re. Ob das Urteil rechts­kräf­tig ist, ist uns nicht bekannt. Über den Bur­schen wur­de auch ein Waf­fen­ver­bot verhängt.

Wir dan­ke für die Prozessbeobachtung!

Salzburg: Haftstrafe für wiederholte NS-Wiederbetätigung

Ein 39-jäh­ri­ger Salz­bur­ger wur­de von einem Geschwo­re­nen­ge­richt wegen des Ver­bre­chens nach § 3g Ver­bots­ge­setz noch nicht rechts­kräf­tig zu drei Jah­ren unbe­ding­ter Haft ver­ur­teilt. Das rela­tiv har­te Urteil, gegen das der Ange­klag­te Beru­fung ankün­dig­te, hat einen Hin­ter­grund: Er wur­de davor bereits zwei Mal wegen NS-Wie­der­be­tä­ti­gung ver­ur­teilt: 2020, weil er 2020 vor Polizist*innen „Sieg Heil“ geschrie­nen und den Hit­ler­gruß gezeigt hat­te. Zudem wur­de er ins­ge­samt elf wei­te­re Male für diver­se ande­re Straf­ta­ten verurteilt.

Laut dem nun­meh­ri­gen (…) Urteil vom Diens­tag hat­te der Ange­klag­te im heu­ri­gen Früh­jahr in einer Bar in der Stadt Salz­burg (wie­der) mehr­fach den Hit­ler­gruß gezeigt und einen Tür­ste­her als „Kana­ken“ beschimpft; zudem soll er zum Tür­ste­her gesagt haben, „unter Hit­ler hät­te es das nicht gege­ben, dass Aus­län­der hier arbei­ten dür­fen“. (sn.at, 4.10.23)

Hollabrunn-Korneuburg/NÖ: Rechtskräftige Verurteilung wegen Terror-Propaganda

18 Mona­ten beding­te Frei­heits­stra­fe, zudem Bewäh­rungs­hil­fe und Dera­di­ka­li­sie­rungs­maß­nah­men – so lau­te­te das rechts­kräf­ti­ge Urteil, das am Lan­des­ge­richt Kor­neu­burg gegen einen 18-Jäh­ri­gen aus­ge­spro­chen wur­de. Er hat­te 260 Bil­der mit Ter­ror-Pro­pa­gan­da des soge­nann­ten „Isla­mi­schen Staa­tes“ ver­brei­tet und wur­de nach den Para­gra­fen 278a und 278b, also wegen der Grün­dung einer kriminellen/terroristischen Ver­ei­ni­gung, ange­klagt. Aller­dings könn­te hier eine Kano­ne der Staats­ge­walt auf einen Spat­zen gerich­tet wor­den sein, so erklär­te der Ver­tei­di­ger die Ver­ge­hen sei­nes, zum Teil in Trä­nen auf­ge­lös­ten, Man­dan­ten mit Lan­ge­wei­le und das Motiv bestün­de bloß in „Dumm­heit“ (noen.at, 4.10.23).

Inhalt­lich dürf­te sich unter dem Pro­pa­gan­da-Mate­ri­al auch Ein­schlä­gi­ges in Rich­tung Anti­se­mi­tis­mus und/oder NS-Glo­ri­fi­zie­rung befun­den haben, denn der jun­ge Mann ist einer „wei­te­ren schwe­ren Ankla­ge nur um ein Haar ent­gan­gen (…), wie der Rich­ter anfangs des Pro­zes­ses erwähnt – näm­lich der Ankla­ge wegen Ver­sto­ßes gegen das Ver­bots­ge­setz und damit einem Geschwo­re­nen­ge­richt“ (noen.at).

Dass IS- und NS-Ideo­lo­gie gut zusam­men­pas­sen, haben wir erst in der Rück­schau KW 38/23 anläss­lich eines ande­ren Gerichts­pro­zes­ses erläutert:

Das ideo­lo­gi­sche Nah­ver­hält­nis zwi­schen IS und NS besteht neben dem zen­tra­len und offen­siv pro­pa­gier­ten Ver­nich­tungs­an­ti­se­mi­tis­mus auch in einer rigi­den Geschlecht­er­ord­nung, Hass auf LGBTIQ+-Personen, männ­li­chem Gewalt­kult sowie einem gegen­auf­klä­re­ri­schen, auto­ri­tä­ren und anti­in­di­vi­dua­lis­ti­schen Gemein­schafts­dün­kel. Bei­de Ideo­lo­gien sind ver­eint in dem Heils­ver­spre­chen nach einer (Ur-)Gemeinschaft, aus der sämt­li­che Wider­sprü­che und Zumu­tun­gen der Moder­ne exor­ziert wur­den, daher sind bei­de auf per­ma­nen­te Mobi­li­sie­rung gegen äuße­re und inne­re „Fein­de“ ange­wie­sen. (stopptdierechten.at, 25.9.23)

Wien: Verfassungsschutz positioniert sich zur „Neuen Rechten“

Die Direk­ti­on Staats­schutz und Nach­rich­ten­dienst (DSN) hat bei einer Ver­an­stal­tung am Mitt­woch in einem Wie­ner Hotel über die soge­nann­te „Neue Rech­te“, ins­be­son­de­re die „Iden­ti­tä­ren“, berich­tet. Die Behör­de attes­tiert der Trup­pe rund um Mar­tin Sell­ner eine „hohe Gewalt­be­reit­schaft“; laut DSN-Abtei­lungs­lei­ter Alex­an­der Figl hät­ten Mit­glie­der der Grup­pe Vor­stra­fen, auch wegen schwe­rer Gewalt­de­lik­te und nach dem Ver­bots­ge­setz, zudem befän­den sich mehr als „120 regis­trier­te Schuss­waf­fen“ unter den Aktivisten.

Delikte der rechtskräftig verurteilten Identitären (Screenshot ZiB 2, 11.4.19)
Delik­te der rechts­kräf­tig ver­ur­teil­ten Iden­ti­tä­ren (Screen­shot ZiB 2, 11.4.19)

Hin­sicht­lich ihrer Ideo­lo­gie bezeich­ne­te Figl die neo­fa­schis­ti­sche Kader­grup­pe als „geis­ti­ge Brand­stif­ter“, die „mit der Angst und mit dem Tod“ (derstandard.at, 6.10.23) spie­len wür­den. Er bezog sich dabei auf die rechts­ter­ro­ris­ti­schen Atten­tä­ter im Neu­see­län­di­schen Christ­church und in der US-Stadt El Paso, die sich direkt auf die iden­ti­tä­re Ver­schwö­rungs­for­mel vom „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ beriefen.

Der Ver­fas­sungs­schutz sieht auch, dass rechts­extre­me Ideo­lo­gien ver­stärkt in der Mit­te der Gesell­schaft Fuß fas­sen. Die aktu­el­len Kri­sen wie die Pan­de­mie, die Infla­ti­on und der Ukrai­ne­krieg wer­den aus­ge­nutzt, um Stim­mung zu machen und ihr Gedan­ken­gut zu ver­brei­ten. Figl warn­te vor einem „Rechts­extre­mis­mus über die Hin­ter­tür“. (derstandard.at)

Die­se spät geäu­ßer­te Erkennt­nis ist wich­tig, denn die gegen­wär­tig umfra­gen­stärks­te Par­tei FPÖ unter­schei­det sich auf der Ebe­ne des Ideo­lo­gi­schen in nichts mehr von den „Iden­ti­tä­ren“ und ver­tei­digt die Grup­pe ins­be­son­de­re seit der Macht­über­nah­me von Kickl offen­siv. Auch per­so­nel­le Über­schnei­dun­gen wer­den nicht nur wohl­wol­lend gedul­det, son­dern auch geför­dert. Zudem gehört es zur Stra­te­gie der „Neu­en Rech­ten“, eben die­se gesell­schaft­li­che „Mit­te“, also den media­len und kul­tu­rel­len Main­stream, zu errei­chen. Im Sze­ne­jar­gon heißt das ent­spre­chen­de Kon­zept dafür „Meta­po­li­tik“. In die­sem Kon­zept wird inzwi­schen sogar der FPÖ-Par­tei­nach­wuchs im Rah­men eines Ver­an­stal­tungs­pro­gramms am „Frei­heit­li­chen Bil­dungs­in­sti­tut“ (FBI) ganz direkt geschult.

Wien: Kundgebungen für antisemitischen Hamas-Terror

Am 7. Okto­ber über­fie­len Hamas-Ter­ro­ris­ten Städ­te und Dör­fer in Isra­el und ver­üb­ten Mas­sa­ker an Zivilist*innen. Bis­lang ist von mehr als 700 Toten die Rede. Zudem wur­den Tau­sen­de ver­letzt und über hun­dert Men­schen in den Gaza-Strei­fen ent­führt. Kämp­fe mit dem israe­li­schen Mili­tär dau­ern seit­her noch an. Umge­hend nach Bekannt­wer­den die­ses orches­trier­ten Mas­sen­mor­des, fan­den Kund­ge­bun­gen in Wien statt, die den anti­se­mi­ti­schen Ter­ror feierten.

Bereits Sams­tag­nach­mit­tag ver­sam­mel­ten sich Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten mit Paläs­ti­na-Flag­gen auf der Wie­ner Maria­hil­fer Stra­ße und skan­dier­ten „Frei­heit für Paläs­ti­na“. Ein Video, das von dem Jour­na­lis­ten­bünd­nis Kol­lek­tiv Com­mu­ni­que auf X (vor­mals Twit­ter) ver­öf­fent­licht wur­de, zeigt außer­dem pro­pa­läs­ti­nen­si­sche Kund­ge­bun­gen auf dem Ball­haus­platz. (derstandard.at, 8.10.23)

Aus­ge­rech­net vor und auf dem Denk­mal der Ver­folg­ten der NS-Mili­tär­jus­tiz („Deser­teurs­denk­mal“) bekun­de­ten dort am Sams­tag und am Sonn­tag in Paläs­ti­na-Fah­nen gehüll­te Per­so­nen ihre Sym­pa­thie für die ter­ro­ris­ti­schen Taten der Hamas.

Die Hamas ist der paläs­ti­nen­si­sche Zweig der Mus­lim­bru­der­schaft und herrscht seit 2007 auto­ri­tär in Gaza. Sie wird vom anti­se­mi­ti­schen Mul­lah-Regime im Iran mas­siv unter­stützt und gilt sowohl in der EU als auch in den USA offi­zi­ell als Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on. Das isla­mis­ti­sche Welt­bild der Hamas ist geprägt von einem offe­nen Ver­nich­tungs­an­ti­se­mi­tis­mus, der auch in der 1988 ver­öf­fent­lich­ten und bis heu­te unver­än­der­ten Grün­dungs­char­ta der Orga­ni­sa­ti­on fest­ge­legt ist.

Krems/NÖ: Lokale Verbindung im Visier der Behörden

Der Kurier (5.10.23) berich­tet, dass sich nach einem Hin­weis ans LVT-Nie­der­ös­ter­reich die Staats­an­walt­schaft ein­ge­schal­tet hat. Der Grund ist ein Insta­gram-Pos­ting der pen­na­len Ver­bin­dung „Wacho­via et Armi­nia“, auf dem die von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­wen­de­te „Todes­ru­ne“ zu sehen ist. Wie „Stoppt die Rech­ten“ eru­ie­ren konn­te, zier­te die­sel­be Rune bereits 2016 die Face­book-Time­line der Bur­schen­schaft. Inzwi­schen sind nicht nur die Pos­tings, son­dern gleich bei­de Accounts verschwunden.

Wachovia et Arminia Krems: Todesrune auf Instagram Sept. 2023 (Screenshot Twitter "korpokritik")
Wacho­via et Armi­nia Krems: Todes­ru­ne auf Insta­gram Sept. 2023 (Screen­shot Twit­ter „kor­po­kri­tik”)
Wachovia et Arminia Krems: Todesrune auf Facebook Jänner 2016 (Screenshot FB; nicht mehr online)
Wacho­via et Armi­nia Krems: Todes­ru­ne auf Face­book Jän­ner 2016 (Screen­shot FB; nicht mehr online)

Thüringen/D: Aus für Tommy Frencks „Goldenen Löwen“?

Aus Deutsch­land erreicht uns eine gute Nach­richt: Der Neo­na­zi Tom­my Frenck muss sein Gast­haus, „Gol­de­ner Löwe“ in Klos­ter Veß­ra (Thü­rin­gen) abge­ben. Als Frenck die Immo­bi­lie gekauft hat­te, mach­te die Gemein­de ein Vor­kaufs­recht gel­tend, das nun nach Jah­ren des Rechts­streits ohne Revi­si­ons­mög­lich­keit durch­ge­setzt wer­den konnte.

Das Gast­haus war unter Frencks Füh­rung seit 2014 zu einem bun­des­weit bekann­ten Treff der ganz har­ten Neo­na­zi-Sze­ne gewor­den – auch ange­feu­ert durch Pro­vo­ka­tio­nen des Betrei­bers, der etwa mit sei­nen „Hit­ler-Schnit­zeln“ wirbt. Seit­her wer­den auch immer wie­der im nahe gele­ge­nen The­mar gro­ße Rechts­rock-Kon­zer­te ver­an­stal­tet. (insuedthueringen.de, 8.10.23)

In Frencks Gast­haus waren auch immer wie­der Öster­rei­cher wie etwa der Aula-Het­zer Fred Dus­wald zu Gast. Am 20. April 2018 wur­de bekannt, dass der dama­li­ge Kabi­netts­mit­ar­bei­ter von Nor­bert Hofer, Arndt Prax­ma­rer, Frencks Face­book-Sei­te mit einem Like ver­se­hen hat­te – just an dem Tag, als Frenck wie all­jähr­lich zu Hit­lers Geburts­tag mit Schnit­zel um 8,88 Euro fürs Gast­haus warb.

MKÖ Einzelfall 94: Arndt Praxmarer, Mitarbeiter von Norbert Hofer, likt den unter Neonazis beliebten und bekannten Gasthof "Goldener Löwe" des verurteilten Neonazis Tommy Frenck
Arndt Prax­ma­rer, Ex-Mit­ar­bei­ter von Nor­bert Hofer, likt den unter Neo­na­zis belieb­ten und bekann­ten Gast­hof „Gol­de­ner Löwe” des ver­ur­teil­ten Neo­na­zis Tom­my Frenck (2018)