Graz: Probleme mit dem NS
Kleindiex-Klagenfurt: Drei Verlobte und ein Gerichtsfall
Innviertel/OÖ: Ganz geheim: Rechtsextremes Stelldichein
Krems/NÖ: Ganz schön arg: der ÖAAB-/ÖVP-Funktionär im Schwimmbad
Chemnitz/D: Ganz schön blöd: Rechtsextreme schlagen falschen Alarm
Bayern/D: Ganz schön braun: das Aiwanger-Flugblatt
Graz: Probleme mit dem NS
Ob der jetzt in Graz nach dem Verbotsgesetzt angeklagte Manuel G. (39) schon vor zehn Jahren jenes wild antisemitische und neonazistische Facebook-Profil betrieben hat, das wir damals gesichert haben, bleibt unklar. Sicher ist, dass er schon 2014 wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht gestanden hatte und damals neun Monate abkassiert hat. Auch sonst fehlt es ihm nicht an Vorstrafen (elf Stück) und einschlägigen Neigungen. Diesmal musste er sich vor Gericht verantworten, weil er sein Facebook-Profil mit den biographischen Angaben Wohnort Mauthausen, Herkunft Judendorf, Vater Heinrich Himmler so prägnant markiert hat, dass man gleich wusste, woran man bei ihm ist.
In seiner Wohnung eine Hakenkreuzfahne und die Reichskriegsflagge (ohne Hakenkreuz), auf seiner Brust ein Hakenkreuz-Tattoo. Widersprüchlich blieben die Aussagen der Zeugen, ob die Fahnen in der Wohnung sichtbar aufgehängt waren. Deshalb gab es in dieser Frage von den Geschworenen keinen Schuldspruch. Eindeutig einschlägig dagegen das Hakenkreuz auf der Brust, das er in der Grazer Innenstadt öffentlich präsentiert hatte. Einer der Polizisten, die nach einer Beschwerde von Gästen des nahen Cafes am Platz erschienen, beschreibt als Zeuge seinen Einsatz so: „Als wir ankamen, hat er versucht, sein Shirt anzuziehen. Er war aber vermutlich so alkoholisiert, dass er das nicht mehr rechtzeitig geschafft hat.“
Warum sich Manuel G. dieses Tattoo stechen ließ, daran will er sich nicht mehr erinnern können. Vor dem Geschworenengericht fällt ihm aber passenderweise ein, dass es für „schreckliche Gräueltaten“ steht. Mit dem Nationalsozialismus habe er nur Probleme. Dem Richter ist das zu wenig, dem Verteidiger ist es viel zu viel: Mit dem Verbotsgesetz werde mit Kanonen auf Spatzen geschlossen, das Tattoo zeige das Hakenkreuz verkehrt, der Angeklagte sei Alkoholiker.
Hat nichts genützt – mit Ausnahme der Fahnenfrage wurde die Schuldfrage von den Geschworenen mehrheitlich bejaht: zwei Jahre Freiheitsstrafe (noch nicht rechtskräftig; ob bedingt oder unbedingt ist dem Bericht nicht zu entnehmen).
Wir danken prozess.report und „VON UNTEN — Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki“ für die Prozessbeobachtung!
Kleindiex-Klagenfurt: Drei Verlobte und ein Gerichtsfall
Ende Februar flog bei einem Rettungseinsatz das riesige Waffenlager auf einem Messie-Hof in Kleindiex (Gemeinde Ruden im Bezirk Völkermarkt) auf. Zigtausende Schuss Munition, siebzig Waffen, diverse Chemikalien, TNT (1,5 kg), Schwarzpulver (8,5 kg), Zünder und vier verdächtige Bewohnerinnen. Für die Nachbarn war anderes wichtiger: „Sie lebten sehr zurückgezogen. Gegrüßt wurde aber immer.” (kleinezeitung.at, 2.3.23)
Wenige Monate später – man staunt – kam dann schon die Hauptverhandlung wegen Vorbereitung eines Verbrechens nach § 175 StGB. Die hat es allerdings trotz einiger bühnenreifer Einlagen nicht in sich.
Drei der Angeklagten bezeichnen sich als miteinander verlobt, eine von ihnen (69) entblößte sich bis auf den BH, um mit dem Pulli ihr Gesicht zu verdecken, die andere (68) stellte sich zunächst taub, hörte dann aber doch gut genug, um die Verhandlung immer wieder zu unterbrechen. „Sie beschimpfte nicht nur lautstark das Gericht, sondern wollte auch auf einen Verteidiger losgehen, weshalb Sicherheitspersonal beigezogen wurde.“ (kleinezeitung.at, 22.8.23). Der Hofbesitzer, der 68-jährige Brite Richard M., gab sich so auffällig, dass bis zum nächsten Verhandlungstag ein psychiatrisches Gutachten über seinen Geisteszustand eingeholt werden soll. Die Verhandlung wurde vertagt, auch um weitere Gutachten einzuholen, etwa, ob die gefundenen Materialien geeignet sind, um daraus Bomben bauen zu können. Eine gute Verhandlungsvorbereitung sieht anders aus!
Dann gab es noch einen vierten Angeklagten, Daniel L.. Auf Facebook schmückt er sich mit dem Zusatz „Thrasher“. In der Verhandlung versuchte er sich klein zu machen: sozusagen nur Beobachter der „tiefen Abgründe“ (heute.at, 22.8.23) bzw. der „kruden Gedankenwelt“ (kurier.at, 22.8.23) seiner Mitbewohner*innen. Wobei: Seine eigene Gedankenwelt ist auch nicht ohne! Vorstrafe wegen Körperverletzung, auf seinem Handy fanden sich anscheinend Fotos von Hitler und Mussolini. „Stoppt die Rechten“ liegen auch Hinweise vor, dass er auch schon einmal bei einer monarchistischen Verbindung angedockt hat. „Es hat im Haus immer getschindert. Gedacht habe ich mir dabei aber nichts”, wird er im „Kurier“ zitiert. Wer schon denkt sich denn dabei was? Auch der Hausbesitzer, Richard M., will nichts mitbekommen haben. Eine Ansammlung von ahnungslosen Personen also, die nicht wissen, dass sie auf einem riesigen Waffenlager sitzen – mit Ausnahme der Britin.
Was wir damit sagen wollen: Die Verhandlung hat bislang gar nichts aufhellen, geschweige denn aufklären können. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass die Verständigung zwischen Angeklagten, Dolmetsch und Richter fast flüsternd abgewickelt wurde. Die Verhandlung wurde unterbrochen, um die bereits erwähnten Gutachten einzuholen.
Innviertel/OÖ: Ganz geheim: Rechtsextremes Stelldichein
Der Stolz, dass das Treffen stattgefunden hat, überwog dann doch alle Einwände bezüglich Vertraulichkeit. Das rechtsextreme „Info-Direkt“ jubelte: „So eine Podiumsdiskussion gab es bisher noch nie!“
Warum? Schon vorher war bekannt, dass sich der vollidentitäre Martin Sellner, Joachim Aigner (Landtagsabgeordneter der MFG), der Korporierte Thomas Grischany, der – Fauxpas von „Info-Direkt! – als Mitglied der Burschenschaft (sic!) Hansea-Alemannia angekündigt wurde (die ist ein Corps, aber immerhin: ziemlich rechtsaußen) und die Linzer Wirtin Alexandra Pervulesko mit einem namentlich nicht genannten Vertreter der FPÖ in der Nähe von Ried, also an einem geheimen Ort gegen einen Eintrittspreis von 18,48 Euro (sehr beziehungsreich!) auf einem Podium am 24. August unterhalten würden. Worüber? Über den Aktionsplan der oberösterreichischen Landesregierung gegen den Extremismus. Sehr originell! Rechtsextreme sehen sich nicht als Rechtsextreme, sondern bejammern sich wieder einmal als Opfer.
„Um endlich mit dem dummen Gerücht aufzuräumen, dass Personen, die sich kritisch äußern, automatisch rechtsradikal sind“, zitiert die „Kronen Zeitung“ (27.8.23) ironisch die Wirtin aus Linz. Da passt natürlich der zuvor anonyme Funktionär der FPÖ dazu wie die Faust aufs Auge: Johannes Hübner! Der war nicht nur Abgeordneter der FPÖ im Nationalrat und deren außenpolitischer Sprecher, der gemeinsam mit Johann Gudenus dem tschetschenischen Diktator Ramsam Kadyrow 2012 den Hof gemacht hat, um dann 2017 nach seinen antisemitischen Sagern bei der rechtsextremen „Gesellschaft für freie Publizistik“ auf Pause zu gehen und 2020 sein Comeback im Bundesrat zu feiern (das ihm im Juni 23 der hohe Ausländeranteil in Wien abstoppte). Also kurz und gut: Hübner ist in Sachen Rechtsextremismus natürlich höchst geeignet, ein Experte gewissermaßen. Das verbindet ihn mit den anderen am Podium. Jetzt wissen wir, wer rechtsextrem ist.
P.S.: Der „Krone“-Bericht ist nicht in allen Punkten sattelfest, aber um Klassen besser als das rechtsextreme Weihrauch-Geschreibsel über die rechtsextreme Debatte über Rechtsextremismus.
Die Veranstaltung fand in einem Gasthaus in Rottenbach statt.
Krems/NÖ: Ganz schön arg: der ÖAAB-/ÖVP-Funktionär in Krems
Am Mittwoch der Vorwoche ist es im Freibad Krems zu einer nicht genehmigten Verteilaktion des örtlichen ÖAAB und dadurch zur Verärgerung von Badegästen gekommen. Mehrere Mitglieder des ÖAAB hatten versucht Werbegeschenke zu verteilen und wurden daraufhin des Bades verwiesen. „Als sie des Geländes verwiesen wurden, soll es zu wüsten Beschimpfungen gekommen sein. Ein Kremser NÖAAB-Mitglied soll zu einer Pensionistin sinngemäß gesagt haben, dass „alte Leute eh alle vergast gehören“. (noe.orf.at, 29.8.23)
Der Kremser ÖVP-Obmann verurteilte den widerlichen Sager des ÖAAB-Funktionärs und forderte eine komplette Neuaufstellung des Kremser ÖAAB. Der Kremser ÖAAB wollte keine Stellungnahme abgeben, verwies auf eine (vorläufige) Ruhendstellung der Mitgliedschaft. Vom betroffenen ÖAAB-Funktionär ist keine Stellungnahme, kein Versuch einer Entschuldigung bekannt. Gegen ihn wurde wegen des Verdachtes der NS-Wiederbetätigung und der gefährlichen Drohung Anzeige erstattet. Der Kremser ÖAAB hat in seiner Sondersitzung am 28.8.23 die Neuwahl des Kremser ÖAAB-Vorstandes im Herbst beschlossen. Von einem Ausschluss des Funktionärs wurde nichts gemeldet.
Chemnitz/D: Ganz schön blöd: Rechtsextreme schlagen falschen Alarm
Mitte August in Chemnitz (Sachsen): In einer Parkanlage wird der polizeibekannte Neonazi Alexander W.) von schwarz bekleideten Vermummten überfallen. Mit einer Machete wurden ihm drei Finger abgehackt. Für Alexander W. ist klar: Er wurde von Linksautonomen überfallen. Die Polizei sucht nach Spuren, vor allem nach den abgehackten Fingern im Park, findet aber keine. Erste Zweifel bei den Ermittler*innen wegen des Verletzungsbildes: Die drei Finger müssen mit einem sehr gezielten Schlag abgetrennt worden sein. Dafür braucht man Zeit und Ruhe, die bei einem Überfall wohl kaum gegeben sind. Dafür schießen die wildesten Verdächtigungen bei den Rechtsextremen ordentlich ins Kraut. In Österreich beteiligen sich unter anderen sofort „unzensuriert“ und „report24“ mit Ferndiagnosen: „Linke Gewalt in Deutschland immer mehr legitimiert: jetzt sogar Macheten-Angriff“, orakelt report24 und unzensuriert echot: „Linksextremisten immer brutaler: Patrioten drei Finger abgehackt.“ Als Zugabe: der Neonazi ein Patriot!
Die Freude über den Vorwurf der vermeintlichen Brutalität von Linksextremen war nur von kurzer Dauer, denn die Geschichte vom schwer misshandelten Nazi-Patrioten stimmt so offensichtlich nicht:
zwei Wochen später ist sich das LKA sicher: Das stimmt so nicht. Stattdessen ermitteln die Beamt*innen jetzt wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Straftat. Die Ermittlungen richten sich gegen den schwer verletzten Neonazi selbst, aber auch gegen eine weitere Person. Diese wird einer schweren Körperverletzung verdächtigt. Bereits in der vergangenen Woche wurden die Wohnungen der beiden Männer durchsucht. (l‑iz.de, 28.8.23)
Und es kommt noch dicker:
Die Wohnungen der beiden Beschuldigten wurden am 24. August 2023 durch Einsatzkräfte des Landeskriminalamtes Sachsen, der Bereitschaftspolizei sowie der Polizeidirektion Chemnitz durchsucht und Beweismittel gesichert. Dabei wurden auch Zufallsfunde, u.a. Stehlgut aus einem vorausgegangenen Wohnungseinbruch, sichergestellt. (medienservice.sachsen.de , 28.8.23)
Bayern/D: Ganz schön braun: das Aiwanger-Flugblatt
Hubert Aiwanger ist der Chef der rechtsoffenen „Freien Wähler“ in Bayern und stellvertretender Ministerpräsident in einer Koalition mit der CSU. In einer umfangreichen Recherche wies die „Süddeutsche Zeitung“ jetzt nach, dass Aiwanger in seiner Schulzeit in eine besonders widerliche antisemitische Flugblatt-Affäre verwickelt war. In seiner Schultasche waren mehrere Exemplare dieses Flugblatts gefunden worden. Hat er sie damals verteilt? Weiß er heute nicht mehr. Hat er das Flugblatt damals selbst geschrieben? Damals ist der 17-Jährige jedenfalls für das Flugblatt zur Verantwortung gezogen worden: „Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat mit mehreren Personen gesprochen, die sagen, Aiwanger sei als Urheber dieses Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden. Nach deren Angaben traf sich wegen des Flugblatts damals der Disziplinarausschuss der Schule, Aiwanger sei bestraft worden.“ (sueddeutsche.de, 25.8.23)
Heute bestreitet Hubert Aiwanger jede Verantwortung. Zunächst drohte er mit rechtlichen Schritten und gab an, den tatsächlichen Verfasser zu kennen, dann bekannte sich sein Bruder dazu, das Pamphlet verfasst zu haben. Die „Süddeutsche“ hat allerdings auch die Typenmerkmale der Schreibmaschine, mit der das Flugblatt damals getippt wurde, mit den Typen einer Geschichtsarbeit von Hubert Aiwanger in einem Gutachten analysieren lassen. Dabei wurde festgestellt, dass beides auf der gleichen Schreibmaschine verfasst wurde. Von Hubert? Oder von Helmut, seinem Bruder?
Die „Süddeutsche“ hatte schon einige Tage vor ihrer Veröffentlichung Aiwanger einen Fragenkatalog zu dem Flugblatt geschickt. In seiner Antwort hatte Hubert Aiwanger alle Vorwürfe zu dem Flugblatt zurückgewiesen, aber auch keinen Hinweis auf einen anderen Verfasser gegeben. Jetzt muss sich Aiwanger in einer Sondersitzung des bayerischen Koalitionsausschusses verantworten, erklärte Florian Herrmann, der Chef der Staatskanzlei:
„Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten”, sagte Herrmann. „Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt.“ Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus umfassend erklären. „Es geht um das Ansehen Bayerns”, sagte Herrmann. (zeit.de, 28.8.23)
Die @SZ berichtet, dass Hubert Aiwanger wahrscheinlich Urheber dieses widerlichen antisemitischen Flugblatts ist. pic.twitter.com/FC8jORoL6l
— Krsto Lazarević (@Krstorevic) August 25, 2023