Die Wiener Zeitung titelt am 12.2.19: „Ein Vordenker für die Heimat in Straches Ressort. Er arbeitet am noch ausständigen Historikerbericht über die FPÖ-Vergangenheit mit, nun wird er federführend für den Blick in die Zukunft sein. Thomas Grischany, Professor für Geschichte an der privaten Webster Universität in Wien.“ Ob Grischany tatsächlich „Professor“ ist, sei dahingestellt, die Webster Universität führt ihn als Lehrbeauftragten („lecturer“).
Es fragt sich auch, ob Grischany berechtigt ist, den Titel „Dr.“ zu führen, zumal er sein PhD in den USA absolviert hat und eine automatische formale Gleichstellung zwischen dem hiesigen Doktorat und dem amerikanischen PhD nicht existiert.
Das ist jedoch nur ein Nebenschauplatz. Relevant ist, dass Grischany als ein an der Webster Uni lehrender Historiker präsentiert wurde. Was ihn nun speziell dazu qualifiziert, Straches zukunftsreiche Denkwerkstatt im Ministerium zu leiten, erschließt sich uns nicht. Oder doch? Denn Grischany war in der laufenden Legislaturperiode zeitweise parlamentarischer Mitarbeiter des blauen Rechtsaußen-Abgeordneten Martin Graf. Grischany kommt also direkt aus dem Stall der FPÖ, ein Detail, das Strache bislang verschwiegen hatte. Den Mitarbeitern von Martin Graf, der in der vorletzten Legislaturperiode eine parlamentarische Pause einlegen musste, haben wir bereits einige Beiträge gewidmet. Da reiht sich Grischany also in eine bemerkenswerte Riege ein. Aber nicht nur hier.
Grischanys Publikationen
Normalerweise ist jede akademisch tätige Person bestrebt, eine möglichst vollständige Liste ihrer Publikationen anzugeben, denn die sind der wichtigste Ausweis ihres wissenschaftlichen Schaffens. Auf der Liste von Grischanys Publikationen finden sich, beginnend mit seiner Dissertationsschrift 2007, insgesamt sechs Veröffentlichungen, was in zwölf Jahren nicht besonders viel erscheint. Nicht gelistet sind aber Grischanys Beiträge, die er für den freiheitlichen Think Tank, den Atterseekreis, verfasst hat. Warum? Weil sie zu viel Parteinähe aufweisen, weil sich die anderen AutorInnen zwischen rechtsextrem und identitär bewegen, wie etwa in der Nummer Juni 2018, wo Grischany „Über den Untergang des Abendlandes“ philosophiert?
Jedoch fällt Grischany in dieser Publikation keineswegs aus dem ideologischen Rahmen und positioniert sich – ganz im Sinne der FPÖ –, indem er aus seiner äußerst lau begründeten historischen Erzählung der Parteilinie angepasste Schlussfolgerungen zieht und sich so auch von den anderen Beiträgen keinesfalls abhebt. Ausgehend von der religions- und geschichtsphilosophischen Frage, ob sich denn der Weltenlauf linear nach vorne weiterentwickelt oder doch zyklisch wiederholt, scheint Grischany eher der zweiten These anzuhängen und bezieht sich dabei u.a. auf den unter den neuen Rechtsextremen („Neurechten“) nicht zufällig sehr beliebten belgischen Althistoriker David Engels, der glaubt, zwischen der Phase der Zerfallserscheinungen des Römischen Imperiums im ersten vorchristlichen Jahrhundert und dem aktuellen Zustand der Europäischen Union, Parallelitäten ausfindig gemacht zu haben. So ortet David Engels, je nachdem, wo er gerade befragt wird, krisenhafte Erscheinungen in Europa (wozu wir keinen Historiker gebraucht hätten), manchmal jedoch auch vor der europäischen Haustüre stehende bürgerkriegsähnliche Zustände. (1) Das kennen wir.
Den Faden der zyklischen Wiederkehr von historischen Epochen greift Grischany auf und warnt vor dem Heraufdämmern eines neuen Mittelalters, „wo es zwar keine Nationen mehr gibt, aber auch weder Christentum noch Säkularismus, stattdessen jedoch sehr wohl religiös motivierte Intoleranz und Gewalt, die mit der ungebremsten Einwanderung von Moslems zur Hintertür wieder hereinkommen könnten“. Das ist nicht nur ein ahistorischer, weil äußerst verengter Blick aufs Mittelalter – als ob es damals eine ungebremste Einwanderung von Moslems gegeben hätte und religiös motivierte Intoleranz und Gewalt nicht gerade auch ein Merkmal des Christentums gewesen wären –, sondern zugleich blankes rechtsextremes Agendasetting.
Parteilinientreu hält Grischany denn auch ein „Wiedererstarken des Nationalen“ als „wünschenswert“. Zuvor fragt er in seinen Betrachtungen über den Lauf der Menschheitsgeschichte, ob denn ein neuer Faschismus eine zyklische Wiederkehr oder eine lineare Entwicklung sei, in der „die Zeit zwischen 1922 und 1945 nur einen ‚Probelauf‘ darstellte und die echte Herrschaft des Faschismus erst bevorsteht“. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: „die echte Herrschaft des Faschismus“, als ob jene von Mussolini keine „echte“ gewesen wäre – und das aus der Feder eines Historikers!
Aber, jetzt wird es richtiggehend skurril, es müsse „freilich die Frage erlaubt sein, ob der neue Faschismus nicht auch wie ein falscher Prophet unter dem Deckmantel des ‚Antifaschismus‘ daherkommen könnte“. Ein, wie auch immer gearteter, wissenschaftlicher Beleg dafür fehlt zwar, aber wir kennen das in den sozialen Medien unter rechten bis neonazistischen Kreisen äußerst beliebte Zitat, „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘“, das ohne jeglichen Nachweis dem antifaschistischen Widerstandskämpfer Ignazio Silone untergejubelt wurde. Hier knüpft Grischany unterschwellig an, ohne sich darauf explizit zu beziehen. (2)
Als Tiefpunkt in Grischanys Ausführungen ist folgender Absatz einzuordnen: „Nach 1945, während die Westler in Freiheit schrittweise die europäische Einigung unter gleichzeitiger Besudelung oder Entsorgung ihrer nationalen Geschichten betreiben konnten, mussten die ‚Višegrad-Länder’ die sowjetische Diktatur ertragen, wobei sie Religion, Nationalstolz und die Sehnsucht nach Freiheit aufrechthielten. Deshalb empfinden sie heute ihre Staaten — genauso wie es im nationalliberalen 19. Jahrhundert gedacht war — als Beschützer ihrer Nation vor ‚EU-Diktatur‘ und der Zwangsbeglückung mit kulturfremden Migranten.“
Hier zeigt Grischany ganz im Sinne der Deutung der Kriegsniederlage und des Ende des Nationalsozialismus durch das Dritte Lager ideologisch Flagge, ohne konkret zu werden, aber für die einschlägigen Kreise, die sich Schriften wie den „Attersee Report“ zu Gemüte führen, ziemlich eindeutig codiert: Mit der „Besudelung“ der nationalen Geschichten referenziert er wohl auf jene Staaten, die sich von ihrer nationalsozialistischen bzw. faschistischen Vergangenheit distanziert hatten – anders ist das kaum zu deuten. (3) Dem stellt er fast idealtypisch, mit ins Klischeehafte verzerrten Zuschreibungen die „Višegrad-Länder“ gegenüber: Er überspringt nicht nur galant deren hausgemachte autoritäre Regime der Vorkriegszeit, sondern auch die nationalsozialistische Besatzung samt ihrem Terrorregime, auf das die europäische Einigung schließlich eine Antwort war. Mit dem Widerspruch, dass in all diesen Staaten mit ihrer angeblich stolzen, freiheitsliebenden Bevölkerung dem Beitritt zur „EU-Diktatur“, um in Grischanys Diktion zu bleiben, eine Volksabstimmung vorangegangen ist, hält sich Grischany erst gar nicht auf, denn das würde seinen Erzählstrang empfindlich stören.
Zurück zu Grischanys Biographie: Die Angaben zu seiner Personalie im „Attersee Report“ fokussieren auf seine Ausbildung, auf seine frühere Beschäftigung im Außenministerium und seine Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Webster Universität. Beim Identitären Siegfried Waschnig, der sich in dieser Nummer des „Attersee Reports“ gleich mit zwei Beiträgen verewigen durfte, erfahren wir zum Autor, dass er „Parlamentarischer Mitarbeiter in Wien“ ist. Bei Grischany wird das einmal mehr verschwiegen. Jedenfalls fügt sich auch Grischany als Mitglied der FPÖ-Historikerkommission nahtlos ins Bild, das der Historiker Robert Knight gezeichnet hat:
„STANDARD: Die FPÖ hat eine eigene Historikerkommission beauftragt, um die Parteigeschichte zu erforschen. Wie sehen Sie das?
Knight: Die freiheitliche Historikerkommission ist ein Witz. Der Vorsitzende Wilhelm Brauneder ist doch ein ehemaliger FPÖ-Nationalratspräsident? Und er soll eine objektive Kommission leiten? Überspitzt gesagt: Das wäre, als ob US-Präsident Donald Trump statt Robert Mueller seinen Schwiegersohn beauftragt hätte, die Verdachtsmomente gegen ihn zu untersuchen. Wenn es so ins Geheime gehüllt ist, kann man berechtigte Zweifel hegen. Ich habe große. Wäre es ernst gemeint, hätte das außerhalb der Partei durch einen transparenten Ernennungsprozess stattfinden müssen. So ist es plump und nur eine PR-Aktion.” (derstandard.at, 4.5.19)
Fußnoten
1 In einem Artikel in der „Kronen Zeitung“ (2.2.17) wird Engels so zitiert: „‚Ich rechne mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, welche eine grundlegende gesellschaftliche und politische Neuformierung Europas erzwingen werden, ob wir das wollen oder nicht, ganz nach dem Vorbild der verfallenden Römischen Republik im ersten Jahrhundert vor Christus‘, ist Engels im Gespräch mit der ‚Huffington Post’ überzeugt.“ In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk (18.6.18) hört sich das etwas abgemilderter an: „Nicht Bürgerkrieg, denke ich, im Sinne der späten republikanischen Bürgerkriege, dafür ist unsere Gesellschaft nicht militarisiert genug, dass sich da Armeen gegenüberstehen könnten.“
2 Als Ironie des Schicksals ist zu interpretieren, dass direkt auf Grischanys Beitrag im „Attersee Report“ ausgerechnet jener des identitären-nahen AfD-Mannes John Hoewer folgt, der seine Sympathie mit Neofaschisten u.a. dadurch zum Ausdruck brachte, indem er mehrfach nach Rom pilgerte, um an Veranstaltungen und Aufmärschen der neofaschistischen CasaPound teilzunehmen. Bei Hoewer und seinen Gesinnungskameraden ist keine Gefahr, dass sie unter dem Deckmantel des Antifaschismus daherkommen.
3 Nicht ganz so eindeutig in der Tonalität, aber inhaltlich in dieselbe Kerbe schlägt Grischany bereits in einem Presse-Kommentar aus dem Jahr 2016, wo er über die deutsche Vergangenheitsbewältigung schwurbelt: „Das allein kann mittlerweile nervig genug sein. So wurde schon vor Jahren im angelsächsischen Raum gewitzelt, dass ein Deutscher sich umgehend für den Holocaust entschuldigt, wenn man ihm bei der Bushaltstelle versehentlich auf die Zehen steige.“
Quelle
Thomas Grischany, Über den Untergang des Abendlandes. Geschichtsphilosophische Betrachtungen, in: „Occidens sol“, Attersee-Report Nr. 15, Juni 2018, S. 8–11.