Es ist durchaus als Knaller zu bezeichnen, was heute vom Standard (24.5.23) veröffentlich wurde – da scheint selbst die Liederbuch-Affäre der Germania Wiener Neustadt dagegen zu verblassen. „Fotos von uniformierten Nazis mit NS-Symbolen im Kaminzimmer, Erzählungen über einen ‚alten Nazi‘, der heimlich auf dem Dachboden lebe und sich so der Strafverfolgung entziehe, sowie ein Buch mit Hakenkreuz auf dem Einband“ (derstandard.at), Liederbücher mit Verbotenem, Männer mit Hakenkreuz-Jacken und dann auch noch geflüchtete Ukrainerinnen, die dort leben sollen und über die eine Belastungszeugin sagt: „‚Ich bin mir nicht sicher, was mit diesen Frauen passiert‘ und ob sie ausgenützt würden.“ Guggenbichlers Anwalt meint zum Standard, die Vorwürfe seien haltlos, nichts dergleichen gäbe es bei der Albia. „Es handle sich um Guggenbichlers persönlichen Lebensbereich, nicht um sein politisches Wirken.“
Udo Guggenbichler ist Wiener FPÖ-Gemeinderat und wirkt in der Tat auch außerhalb dieser Funktion. Er ist Alter Herr der Albia Wien und auch Mitglied in drei weiteren Verbindungen: in der Grazer akademischen Burschenschaft Arminia sowie in zwei pennalen Verbindungen, der technischen Verbindung Hollenburg (Ferlach) und der Schülerverbindung Gothia (Meran). Der Multi-Korporierte organisiert nicht nur den rechtsextremen „Wiener Akademikerball“, sondern leitet auch seit mehr als 20 Jahren den „Österreichischen Pennäler Ring“ (ÖPR).
Der ÖPR
Gleich auf der Startseite der karg gehaltenen ÖPR-Webpage prangt das Logo des Bundeskanzleramtes entgegen. Dort ist mit dem Familien- und Jugendministerium auch ein Fördergeber des ÖPR beheimatet. Gelder aus dem Jugendtopf fließen seit Schwarz-Blau I an die Korporierten: Rechtsextremismusbericht abschaffen, dafür staatliches Geld für rechtsextreme Organisationen, war 2001 das Motto.
Die letzte bekannte Zahl stammt aus 2018: Da hatte der ÖPR 38.000 Euro aus der Jugendförderung erhalten – auch bereits in den Jahren zuvor, wie aus parlamentarischen Anfragebeantwortungen hervorgeht. Keine der mehrfachen „Einzelfälle“ aus den rund 60 Mitgliederverbänden des ÖPR, die an die Öffentlichkeit gekommen sind, hatte bislang dazu geführt, dem ÖPR die staatlichen Gelder zu entziehen. Hier eine Auswahl der Vorfälle:
Da wäre etwa ein Gschnas der Germania Wien, wo sich lustige Burschen in eine Wehrmachts- oder SS-Uniform geworfen (die Germania legte Wert auf die Feststellung, es sei nur die Uniform eines alten Wiener Polizisten gewesen), Kutten des Ku-Klux-Klan übergezogen hatte (auch da gab’s dann eine andere Erklärung), und einer trat auch noch als orthodoxer Jude verkleidet auf. Weil das ganze so unterhaltsam war, stellten die Germanen Fotos davon online und dann wieder offline.
Da wäre weiters eine andere Germania, nämlich die in Ried – die hatte 2017 braunen Besuch aus Deutschland (vielleicht bei den Germanen auch „Altreich“ genannt). Der Neonazi-Barde Fylgien durfte in der Germanen-Bude trällern, davor stand noch eine Exklusivführung zu Hitlers Geburtshaus in Braunau auf dem Programm.
Die Germanen aus Wiener Neustadt haben im Jänner 2018 mit ihrem Liederbuch für einen wahren Paukenschlag gesorgt – ohne strafrechtliche Konsequenzen wie auch bei den zuvor genannten Fällen.
Ein anderes Liederbuch war im Oktober 2019 beim „Corps Austria zu Knittelfeld“ aufgetaucht, das ein Geschenk der Grazer Cherusken an die Knittelfelder war. „Neben NS-Verherrlichung ist auch Antisemitismus im Buch zu finden: ‚Rothschild hat das meiste Geld. Schließlich muss in jedem Fache einer doch der Größte sein, und so ist auch ohne Zweifel festgestellt das größte Schwein.‘“ (krone.at, 30.10.23) Diese Melange samt widerlichsten Sexismus titulierte das Corps-Mitglied Andreas Mölzer als harmlose Sammlung von Schmähliedern, und damit war dann alles wieder gut.
Apropos Cherusken: Nicht bei den Grazer, aber bei den Wiener Cherusken waren 2010 die Behörden zu Gast – im Rahmen einer Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung nach einer anonymen Anzeige, in der behauptet worden ist, dass auf der Bude der „Franko Cherusker“ verbotene (NS-)Symbole zu finden seien. Die Durchsuchung blieb erfolglos.
Eine „burschenschaftliche NS-Koketterie“ nannte das DÖW im April 2019 ein mit NS-Anspielungen versetztes Video auf der Website der „Tigurina Feldkirchen”.
Dass eine deutschnationale Mittelschulverbindung so unverblümt Anleihen beim Neonazismus macht, überrascht angesichts der Vergangenheit zumindest eines ihrer Führungskader wenig: Der bis heute aktive Tigurine gehörte noch in den 1990er-Jahren zum inneren Kreis der österreichischen Neonaziszene unter Gert Honsik, Franz Radl jun. und Gottfried Küssel. (DÖW)
Die „Tigurina” entfernte das Video und bedankte sich beim DÖW mit dem Link zu einer Presseaussendung der rechtsextremen „Aula”.
Ausnahmsweise nicht durch Wiederbetätigung, sondern durch Untätigkeit ist im November 2019 eine andere pennale Wiener Verbindung in die Medien gelangt. Wie der „Standard“ berichtete, soll ein Bursche, damals Jugendbeauftragter der Verbindung, Jahre zuvor seine jüngere Schwester missbraucht haben. Als der Lebensgefährte der Frau, bis dorthin selbst Mitglied dieser Verbindung, den Fall in seiner Burschenschaft vorgetragen und Konsequenzen gefordert hatte, soll er Verhöhnung geerntet haben – der Lebensgefährte hat die Burschenschaft verlassen.
Update 11.10.23: Die Ermittlungen gegen Udo Guggenbichler wurden eingestellt.
➡️ Albia und Guggenbichler im braunen Sumpf? (Teil 2): Das große Schweigen
Reaktionen:
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