Lesezeit: 3 Minuten

Burschenschaftliche Abgründe

Es sind Abgrün­de, die sich da rund um eine pen­na­le Bur­schen­schaft in Wien auf­tun. Lie­der­bü­cher mit wider­wär­ti­gen Tex­ten, die dort und da her­um­lie­gen, sind eine Sache, einen „Bun­des­bru­der“ zu decken, der mut­maß­lich ein Kind miss­braucht hat, ist noch­mals eine ande­re. Den­noch zie­hen sich logi­sche Lini­en von den Tex­ten der Bur­schen­lie­der bis zur Nibe­lun­gen­treue eines Männerbundes. […]

9. Nov 2019
Bernhard Weidinger (DÖW) über das Liederbuch des Corps Austria Knittelfeld: "Das zählt (…) tatsächlich mit zum Ekelhaftesten, was ich in den vielen Jahren meiner Beschäftigung mit rechtsextremen Texten lesen durfte oder musste."
Bernhard Weidinger (DÖW) über das Liederbuch des Corps Austria Knittelfeld: "Das zählt (…) tatsächlich mit zum Ekelhaftesten, was ich in den vielen Jahren meiner Beschäftigung mit rechtsextremen Texten lesen durfte oder musste."

Vor­ne­weg: Hier geht’s nicht dar­um, die Jus­tiz zu erset­zen und ein Urteil zu spre­chen. Aber allei­ne der Vor­wurf, dass ein Bur­schen­schaf­ter sei­ne sie­ben­jäh­ri­ge Schwes­ter miss­braucht haben soll, wiegt der­ma­ßen schwer, dass die Ver­bin­dung schon bei Kennt­nis des blo­ßen Ver­dachts reagie­ren hät­te müs­sen. Immer­hin wur­de der Vor­fall vom Lebens­ge­fähr­ten der Betrof­fe­nen, bis dort­hin selbst Ange­hö­ri­ger der besag­ten Ver­bin­dung, in einer Ver­samm­lung vor­ge­tra­gen. Da greift die ansons­ten blitz­ar­tig vor­ge­brach­te Aus­re­de des „Anpat­zens“ von außen nicht mehr. Auch nicht, mann hät­te davon nichts gewusst.

Dass hier nichts getan wur­de, dass, wie „Der Stan­dard“ nach Berich­ten des Lebens­ge­fähr­ten schreibt, die betrof­fe­ne Frau, das Opfer sogar noch ver­höhnt wur­de, dass der Beschul­dig­te Jugend­li­che der Bur­schen­schaft wei­ter betreut und Vor­stands­mit­glied blei­ben konn­te, mutet schlicht­weg atem­be­rau­bend an. Es zeigt, so die Vor­wür­fe auch nur eini­ger­ma­ßen stim­men, nicht nur die mora­li­sche Ver­kom­men­heit der Betei­lig­ten, son­dern legt zugleich viel von der struk­tu­rel­len Ver­fasst­heit die­ser Kor­po­ra­ti­on, aber gleich­zei­tig auch ande­rer Män­ner­bün­de offen.

Die lebens­lan­ge Treue der Ver­bin­dungs­brü­der unter­ein­an­der wird von allen Bur­schen­schaf­ten beschwo­ren. Es ist eine Nibe­lun­gen­treue, die im vor­lie­gen­den Fall der Wie­ner Kor­po­ra­ti­on bis zur Uner­träg­lich­keit reicht. Mit Blick dar­auf, dass es sich um eine pen­na­le Bur­schen­schaft, also eine Schü­ler­ver­bin­dung, han­delt, in der 14- bis 18-Jäh­ri­ge nach aus der Zeit gefal­le­nen männ­lich­keits­do­mi­nier­ten Prin­zi­pi­en geprägt wer­den, ver­schärft sich der Befund noch­mals: Wir sind mit einer abge­schirm­ten, oft rechts­extrem aus­ge­rich­te­ten Par­al­lel­ge­sell­schaft kon­fron­tiert, in der sich Jugend­li­che einer strik­ten Law-and-Order-Erzie­hung zu unter­wer­fen haben.

Das Lie­der­buch, das die Gra­zer Che­rus­ken Wolf­gang Zan­ger und sei­ner pen­na­len Knit­tel­fel­der Ver­bin­dung ver­macht haben, trieft vor Frau­en­feind­lich­keit und Sexis­mus. Noch mehr: Es stellt „Polen­mäd­chen“ und „Juden­schick­sen“ in eine Rei­he mit „Stu­ten“, die mann – lei­der? – nicht „bestei­gen“ dür­fe. Das ist vor dem Hin­ter­grund unzäh­li­ger Ver­ge­wal­ti­gun­gen von als „min­der­wer­tig“ defi­nier­ten Frau­en wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­zu­ord­nen. Der Knit­tel­feld-Bun­des­bru­der Andre­as Möl­zer will uns die Samm­lung als „Scherz­lie­der“ ver­kau­fen. Das Lachen bleibt uns dabei im Hal­se ste­cken. Erst recht, wenn wir nun zur Wie­ner Bur­schen­schaft bli­cken und uns vor­stel­len, wie im Bier­dunst sol­che Lie­der zum Bes­ten gege­ben werden.

Ausschnitte aus dem Liederbuch der Austria Knittelfeld (Kronen Zeitung, 1.11.19)
Aus­schnit­te aus dem Lie­der­buch der Aus­tria Knit­tel­feld (Kro­nen Zei­tung, 1.11.19)

Wer nun glaubt, es sei nicht zuläs­sig, von der betrof­fe­nen Ver­bin­dung auf ande­re zu schlie­ßen, irrt, denn die ideo­lo­gi­schen Lini­en, die Frau­en­ver­ach­tung rei­chen unüber­seh­bar von der Gra­zer und Knit­tel­fel­der Bude bis zu jener in Wien.

Ende Sep­tem­ber ver­an­stal­te­te die Dach­or­ga­ni­sa­ti­on der pen­na­len Ver­bin­dun­gen, der Öster­rei­chi­sche Pen­nä­ler Ring (ÖPR), ihren jähr­lich statt­fin­den­den Bur­schen­tag in Gmun­den. In schwüls­ti­gen Wort­mel­dun­gen schwärm­ten etwa die FPÖ-Poli­ti­ker Man­fred Haim­buch­ner und Wal­ter Rosen­kranz, wie sehr man sich der Tra­di­ti­on ver­pflich­tet füh­le und dass es die Jugend wert sei, wenn sich die „Alten Her­ren um sie küm­mern. Wie sich die Tra­di­ti­on dann in der Pra­xis aus­ge­stal­ten kann, erle­ben wir aktu­ell über die Lie­der­buch-Affä­ren bis zum ges­tern bekannt gewor­de­nen Fall der Wie­ner Korporation.

Die ist gera­de bemüht, ihren mut­maß­li­chen Ver­tu­schungs­ver­such als Rand­er­eig­nis zu baga­tel­li­sie­ren. Die Kon­se­quenz kann nur in ihrer Auf­lö­sung lie­gen. Mit ihr soll­te sich auch eine Rei­he von ande­ren män­ner­bünd­le­ri­schen Ver­bin­dun­gen begraben.

Bernhard Weidinger (DÖW) über das Liederbuch des Corps Austria Knittelfeld: "Das zählt (…) tatsächlich mit zum Ekelhaftesten, was ich in den vielen Jahren meiner Beschäftigung mit rechtsextremen Texten lesen durfte oder musste."
Bern­hard Wei­din­ger (DÖW) über das Lie­der­buch des Corps Aus­tria Knit­tel­feld: „Das zählt (…) tat­säch­lich mit zum Ekel­haf­tes­ten, was ich in den vie­len Jah­ren mei­ner Beschäf­ti­gung mit rechts­extre­men Tex­ten lesen durf­te oder musste.”

➡️ Der Stan­dard: Eige­ne Schwes­ter wirft Bur­schen­schaf­ter pädo­phi­len Miss­brauch vor
➡️ Pres­se­aus­sendung Ewa Ernst-Dzied­zic (Die Grünen)