Vorneweg: Hier geht’s nicht darum, die Justiz zu ersetzen und ein Urteil zu sprechen. Aber alleine der Vorwurf, dass ein Burschenschafter seine siebenjährige Schwester missbraucht haben soll, wiegt dermaßen schwer, dass die Verbindung schon bei Kenntnis des bloßen Verdachts reagieren hätte müssen. Immerhin wurde der Vorfall vom Lebensgefährten der Betroffenen, bis dorthin selbst Angehöriger der besagten Verbindung, in einer Versammlung vorgetragen. Da greift die ansonsten blitzartig vorgebrachte Ausrede des „Anpatzens“ von außen nicht mehr. Auch nicht, mann hätte davon nichts gewusst.
Dass hier nichts getan wurde, dass, wie „Der Standard“ (8.11.19) nach Berichten des Lebensgefährten schreibt, die betroffene Frau, das Opfer sogar noch verhöhnt wurde, dass der Beschuldigte Jugendliche der Burschenschaft weiter betreut und Vorstandsmitglied bleiben konnte, mutet schlichtweg atemberaubend an. Es zeigt, so die Vorwürfe auch nur einigermaßen stimmen, nicht nur die moralische Verkommenheit der Beteiligten, sondern legt zugleich viel von der strukturellen Verfasstheit dieser Korporation, aber gleichzeitig auch anderer Männerbünde offen.
Die lebenslange Treue der Verbindungsbrüder untereinander wird von allen Burschenschaften beschworen. Es ist eine Nibelungentreue, die im vorliegenden Fall der Wiener Korporation bis zur Unerträglichkeit reicht. Mit Blick darauf, dass es sich um eine pennale Burschenschaft, also eine Schülerverbindung, handelt, in der 14- bis 18-Jährige nach aus der Zeit gefallenen männlichkeitsdominierten Prinzipien geprägt werden, verschärft sich der Befund nochmals: Wir sind mit einer abgeschirmten, oft rechtsextrem ausgerichteten Parallelgesellschaft konfrontiert, in der sich Jugendliche einer strikten Law-and-Order-Erziehung zu unterwerfen haben.
Das Liederbuch, das die Grazer Cherusken Wolfgang Zanger und seiner pennalen Knittelfelder Verbindung vermacht haben, trieft vor Frauenfeindlichkeit und Sexismus. Noch mehr: Es stellt „Polenmädchen“ und „Judenschicksen“ in eine Reihe mit „Stuten“, die mann – leider? – nicht „besteigen“ dürfe. Das ist vor dem Hintergrund unzähliger Vergewaltigungen von als „minderwertig“ definierten Frauen während des Nationalsozialismus einzuordnen. Der Knittelfeld-Bundesbruder Andreas Mölzer will uns die Sammlung als „Scherzlieder“ verkaufen. Das Lachen bleibt uns dabei im Halse stecken. Erst recht, wenn wir nun zur Wiener Burschenschaft blicken und uns vorstellen, wie im Bierdunst solche Lieder zum Besten gegeben werden.
Wer nun glaubt, es sei nicht zulässig, von der betroffenen Verbindung auf andere zu schließen, irrt, denn die ideologischen Linien, die Frauenverachtung reichen unübersehbar von der Grazer und Knittelfelder Bude bis zu jener in Wien.
Ende September veranstaltete die Dachorganisation der pennalen Verbindungen, der Österreichische Pennäler Ring (ÖPR), ihren jährlich stattfindenden Burschentag in Gmunden. In schwülstigen Wortmeldungen schwärmten etwa die FPÖ-Politiker Manfred Haimbuchner und Walter Rosenkranz, wie sehr man sich der Tradition verpflichtet fühle und dass es die Jugend wert sei, wenn sich die „Alten Herren“ um sie kümmern. Wie sich die Tradition dann in der Praxis ausgestalten kann, erleben wir aktuell über die Liederbuch-Affären bis zum gestern bekannt gewordenen Fall der Wiener Korporation.
Die ist gerade bemüht, ihren mutmaßlichen Vertuschungsversuch als Randereignis zu bagatellisieren. Die Konsequenz kann nur in ihrer Auflösung liegen. Mit ihr sollte sich auch eine Reihe von anderen männerbündlerischen Verbindungen begraben.
➡️ Der Standard: Eigene Schwester wirft Burschenschafter pädophilen Missbrauch vor
➡️ Presseaussendung Ewa Ernst-Dziedzic (Die Grünen)