Woher der Wind weht bei dem Gutachten, das das Bundesamt für Verfassungsschutz am 28. September 2016 nach Oberösterreich gemeldet hat, wird am deutlichsten durch die folgende Passage:
„Auch die übliche Recherchearbeit des linken Lagers zu Aktivitäten des ideologischen Feindes birgt Brisanz, zumal sich diese über den konkreten Kongresstag und Kongressort hinaus erstrecken und eine Gefahr für die dezentral untergebrachten Veranstaltungsgäste darstellen könnte“. Diese Sätze, die auch aus der Feder von ReferentInnen des Kongresses stammen könnten, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Nicht die Versammlung der Rechtsextremisten, sondern die Recherche über sie ist brisant, weil der Verfassungsschutz eine blühende Phantasie hat und um die Nachtruhe der „dezentral untergebrachten“ Rechtsextremisten besorgt ist!
Versagen in der jüngeren Vergangenheit
- Als in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends immer häufiger Neonazi-Konzerte von Deutschland nach Österreich auswichen, weil sie dort verboten wurden oder auf heftigen Widerstand gestoßen waren, beschuldigte der oberösterreichische Verfassungsschutz seine deutschen Kollegen, dafür verantwortlich zu sein: „Die deutschen Behörden haben es leider erfolgreich geschafft, ihre rechte Szene zu vertreiben und quasi nach Österreich abzuschieben“ (Standard, 14.10.2003).
- Im Dezember 2006 fand in Antiesenhofen (OÖ) wieder so ein Konzert mit Neonazi-Bands und Hunderten Neonazis statt, die aus Deutschland „vertrieben“ worden waren. Als im Jänner 2007 in der ORF-Sendung „Thema“ einige Videosequenzen mit „Sieg Heil“ grölenden Neonazis gezeigt wurden, erschrak zwar die Öffentlichkeit, nicht aber der – oberösterreichische — Verfassungsschutz. Der erklärte in der Sendung „Thema“ vom 22.1.2007:„Wir haben das Ganze wie gesagt vor Ort geprüft, auch rechtlich, und auch aufgrund der Erkenntnisse, die wir von den deutschen Behörden, von den deutschen Kollegen bekommen haben. Wir haben die entsprechenden Überprüfungen durchgeführt vor Ort und dann keine Gründe gefunden, die Veranstaltung aufzulösen“.
- Als 2010 in Henndorf (Salzburg) österreichische Neonazis ein Konzert mit „Kategorie C“ organisieren wollten und AntifaschistInnen darauf aufmerksam machten, dass es sich bei der Band um eine Kultband für Nazi-Hooligans handelt, winkte der Salzburger Verfassungsschutz ab: „In Deutschland war sie früher als rechts-tendenziös eingestuft. Das ist derzeit laut unseren deutschen Kollegen allerdings nicht mehr der Fall. Wir werden uns im Vorfeld noch genau anschauen, was diese Leute aktuell spielen“(ORF Salzburg) . Die Gemeinde löste den Mietvertrag mit den Veranstaltern auf und so blieb dem Verfassungsschutz erspart, dass schon damals linke Rechercheure genauso wie deutscher Verfassungsschutz „Kategorie C“ als gewaltbereite Rechtsextremisten eingestuft haben. Fast alle öffentlichen Auftritte von „Kategorie C“ in Deutschland wurden den letzten Jahren aufgelöst, abgesagt oder verboten.
- Im April 2009 wurde der frühere Ku-Klux-Klan-Mann und internationale Rechtsextremist David Duke in Prag wegen Holocaustleugnung verhaftet und aus Tschechien abgeschoben. Wohin? Nach Österreich (Zell am See/Salzburg) natürlich, von wo er vorher schon über mehrere Jahre hinweg seine rechtsextremen Aktivitäten organisierte. Für den ORF-Report (12.5.2009) formulierte der Chef des Verfassungsschutzes, Peter Gridling, die unglaublichen Sätze: „Die österreichischen Behörden beobachten David Duke nicht, denn wir haben keinen Grund zur Annahme, dass David Duke hier eine Straftat begehen wird, oder dass ein Verdacht einer Straftat vorhanden ist. Für uns ist Herr Duke ein amerikanischer Staatsbürger, der sich in Österreich zurzeit aufhält“. Der deutsche Verfassungsschutz beobachtete schon und nahm David Duke im November 2011 in Köln fest – vor einem geplanten Auftritt bei Neonazis – und schob ihn ab. Wohin? Eh schon klar! Mittlerweile hat Duke zumindest Zell am See verlassen.
- Seit 1966 finden jährlich die Politischen Akademien der Aktionsgemeinschaft für Politik (AfP) statt. Über die AfP und ihre Treffen liefen die wichtigsten Formierungsprozesse der Neonazis: von der Wehrsportgruppe Trenck über den Bund Freier Jugend und das Heimatschutz-Forum bis hin zu Küssels Alpen-Donau-Nazis. Trotzdem erklärte der Verfassungsschutz jahrelang: wir wissen Bescheid, beobachten und schreiten ein, wenn die gegen das Verbotsgesetz verstoßen. 2010 kündigte die AfP ihre Akademie nicht öffentlich an – Antifaschisten waren trotzdem dort, nicht aber der Verfassungsschutz. Daraufhin angesprochen, erklärte der schon erwähnte Peter Gridling, „die AFP sei eine Partei, und es sei nicht üblich, Parteiveranstaltungen zu beobachten“ (Standard, 10.11.2010).
- Anfang Oktober 2010 marschierten in Oberwart im Burgenland mit Karabinern bewaffnete ungarische Rechtsextremisten in Uniform auf. Diese Veranstaltung war sogar angemeldet und wurde – angeblich – vom Verfassungsschutz überwacht. Da die ungarischen Rechtsextremisten aber – wie zu erwarten war- Ungarisch sprachen, konnten sie nicht feststellen, ob das Strafrecht verletzt wurde.
- Als Anfang März 2016 in Vorarlberg die ungarische Neonazi-Band „Indulat“ in Vorarlberg statt in Thüringen für die Neonazi-Szene aus dem Dreiländereck aufspielt, ist der völlig überraschte Verfassungsschutz noch Tage danach ahnungslos, wo das Konzert stattgefunden hat. Wo genau das Konzert stattgefunden hat, wissen wir zwar auch nicht, dafür, wo die Neonazis ihre Schießübungen abgehalten haben.
Es gäbe noch andere Beispiele aus den letzten Jahren, mit denen man die Versager und das Versagen des Verfassungsschutzes belegen könnte . Wer sonst trägt etwa die Verantwortung dafür, dass selbst heute – fünf Jahre nach Stilllegung der Seite „Alpen-donau.info“ – noch immer nicht alle Verantwortlichen vor Gericht stehen?
Noch einmal zurück zur „Gefährdungseinschätzung“ für die Linzer Veranstaltung. Damit sich Veranstalter und TeilnehmerInnen des Forums genauso wenig wie der Landeshauptmann und sein Koalitionspartner FPÖ ärgern müssen über die Einschätzungen des Verfassungsschutzes, hat sich der einiges einfallen lassen an Argumenten:
„Die öffentliche Ankündigung und mediale Bewerbung der Veranstaltung „Kongress: Verteidiger Europas“ sprechen trotz der zumindest teilweise aus dem rechtsextremistischen Lager zu erwartenden Teilnehmer nicht grundsätzlich dafür, dass es sich um eine per se strafrechts- bzw. verbotsrechtswidrige Veranstaltung handelt, der mit behördlichen Maßnahmen bereits im Vorhinein entgegenzutreten wäre“.
Was für ein Satz! Was für eine Begründung! Das ist halt schon ganz was anderes mit den Rechten als mit den „gewaltbereiten Linksextremisten“ und auch dem „gemäßigten Protestspektrum“ von GegendemonstrantInnen, das — laut Verfassungsschutz — für „Blockaden, Störungen jeder Art, verbale und körperliche Konfrontationen, bis hin zum Versuch der Veranstaltungsverhinderung“ steht. Schwups! Mit einem Nebensatz kriminalisiert der Verfassungsschutz das „gemäßigte Protestspektrum“, während etwa die ReferentInnen des rechtsextremen Kongresses zu „ExpertInnen zu diversen einschlägig rechtstendenziösen Themen“ geadelt werden.
Besonders wertvoll: das Prädikat einer dem „demokratisch legitimierten Bereich zuzuordnenden Jugendorganisation“, das der Verfassungsschutz einem nicht näher genannten Aussteller beim rechtsextremen Kongress verliehen hat. Wen meint der Verfassungsschutz damit? Obwohl wir uns der „Brisanz“ unserer Recherche bewusst sind: wenn der Verfassungsschutz nicht die Burschenschaft „Germania“ aus Marburg meint, dann bleibt eigentlich nur der RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) übrig, also die politische Vertretung von deutschvölkischen Korporierten und ihrer SympathisantInnen an den Hochschulen. 2,46 % der Stimmen erhielt der RFS bei den ÖH-Wahlen!
[edit, 31.10.2016: Wir haben das Bild vom Schießtraining in Feldkirch durch ein anderes ersetzt]