Zur Anzeige kam es, weil damals ein Journalist den Vorfall filmte. Zufällig, wie er betonte, denn eigentlich hatte er es auf eine Gruppe von Pegida-Aktivisten abgesehen, die sich am Rand der Abschlusskundgebung gesammelt hatten. Dann stand aber wenige Meter vor ihm ein Mann während Straches Rede auf, reckte seine rechte Hand in die Höhe und brüllte „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Mehrmals innerhalb von 20 Minuten. Der Journalist sah, dass in knappem Abstand hinter ihm bzw. dem Hitler-Grüßer eine Gruppe Polizisten stand, steuerte auf die zu und fragte, ob sie den Vorfall gesehen hätten. Hätten sie nicht, sagte der Kommandant, weil sie streng nach vorne zur Bühne geblickt hätten – sozusagen über den Vorfall hinweggeschaut.
Der Journalist zeigte das Video und erstattete Anzeige. Noch am Tatort wurde auch der Angeklagte, Wolfgang K. (49), einvernommen. Er gestand und meinte dabei: „Das war es mir irgendwie wert, irgendwie aber auch nicht.” Vor Gericht wollte er vom Wert seiner Hitler-Parolen nichts mehr wissen, antwortete auf die geduldigen Fragen der Richterin, ob er ein Problem mit der derzeitigen Politik habe, dass eh alles passe, dass es blöd war und dass er kein Problem mit Ausländern habe: Er gehe ja selbst in Lokale, wo auch Ausländer verkehren.

Viel war nicht rauszubekommen aus K.. Nur die Dinge, die ganz klar waren: Alter, Adresse, Beruf (Rauchfangkehrer), Einkommen, Alimente, Schulbildung (acht Jahre Sonderschule). Zu seinen Delikten behauptete er ein komplettes Blackout. Beim Nationalsozialismus war es so ähnlich: „Ich habe mich nie damit befasst, es hat mich nicht interessiert“, das ist so ziemlich alles, was er über den Nationalsozialismus wissen wollte. Über TV-Sendungen hatte er immerhin mitbekommen, wie der Hitlergruß gezeigt wird und dass der heutzutage nicht mehr o.k. sei.
Ein Freund von ihm wurde als Zeuge aufgerufen. Seine Entlastungsaussage geriet fast zum Fiasko. Im Unterschied zu Wolfgang K. will er nicht wissen, „wie der Hitlergruß geht“. Nicht nur die Richterin war erstaunt, weil der Zeuge zuvor gerade ausgesagt hatte, dass er den Arm von Wolfgang runtergedrückt habe, als der einen seiner Hitlergrüße performte. Der beste Freund von Wolfgang beharrte aber darauf, er wisse zwar nicht, wie ein Hitlergruß gezeigt wird, aber den Arm habe er runtergedrückt, damit der Wolfgang keine Schwierigkeiten bekommt – „als Vorsichtsmaßnahme“. Als er seine argumentative Lücke erkannte, murmelte er seitwärts: Er werde da wohl wegen der FPÖ in die Enge getrieben.
Dabei gaben sich die vorsitzende Richterin Sonja Weis und auch die Beisitzer jede Mühe, nicht arrogant, bevormundend oder besserwisserisch zu agieren. Aus dem Zeugen holte die Richterin noch raus, dass es noch einen zweiten Hitlergrüßer gegeben habe, der zwar auch zum Freundeskreis von K. gehört. Der zweite, Alfred H., war auf den Videoeinspielungen klar als Hitlergrüßer zu erkennen und wird sich in einem eigenen Prozess verantworten müssen. Aus den Untertönen von Zeugen Werner ist deutlich erkennbar, dass er Alfred H. im Unterschied zu K. für einen überzeugten Hitler-Fan hält.
Was aber ist mit dem Angeklagten? Dass sein angebliches Blackout auf „locker über 10 Spritzer“ in eineinhalb Stunden zurückzuführen sei, wurde durch die diversen Befragungen nicht glaubwürdiger. Trotzdem mochte man dem Angeklagten, dem ausgerechnet von seinem Pflichtverteidiger jede Würde genommen wurde („betrunkener Prolet“), fast glauben, dass er nicht wusste, wie er zu den Nazi-Parolen gekommen ist.
Nach den Zeugenbefragungen wurden die Unterlagen für das Protokoll aufgerufen und geordnet, darunter auch die Auskünfte über die Vorstrafen des Angeklagten. Die sind zwar alle schon getilgt, zum Großteil Körperverletzungen, aber eine war darunter, die das mühsam erzählte Bild des Angeklagten gehörig ins Wanken brachte. Sein Gegenüber hatte er als „Kanaken“ beschimpft, bevor er ihn niedergeschlagen hatte. Das passte nicht so ganz zum Selbstbildnis des Ausländerfreundes.
Die Geschworenen befanden ihn jedenfalls für schuldig im Sinne der Anklage. Die Strafe von 18 Monaten bedingt nahm der Angeklagte ohne Widerspruch an. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Bedenkzeit und Einspruch, damit ist das Urteil rechtskräftig. Was einen Menschen wie Wolfgang K. dazu bringt, sich während einer der üblichen Strache-Ansprachen so sehr zu vergessen, dass er völlig enthusiasmiert mehrere Male „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ brüllte, das ist die eigentlich spannende Frage. Die kann aber kaum von einem Gericht geklärt werden.