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Verfassungsschutzbericht (Teil 1): Die offenen Widersprüche

Die FPÖ wird im deut­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt im Kapi­tel „Rechts­extre­mis­mus“ erwähnt. Der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt des Lan­des Nor­d­rhein-Wes­t­­fa­­len hat die FPÖ wegen ihrer Kon­tak­te zu den diver­sen rechts­extre­men PRO-Bewe­­gun­­gen in der BRD auf dem Radar. Im öster­rei­chi­schen bleibt die FPÖ aus­ge­spart, so, als ob es das Pro­blem FPÖ und Rechts­extre­mis­mus gar nicht gäbe. Das führt zu pein­li­chen Verrenkungen. […]

22. Aug 2011

Schon beim Bemü­hen, die in der Sta­tis­tik erfass­ten rechts­extre­men Delik­te Per­so­nen bzw.politischen Kate­go­rien zuzu­ord­nen, sind Unschär­fen zu erkennen:

„Von den ange­zeig­ten Per­so­nen konn­ten 12 der Skin­head­sze­ne, zwei der Neo­na­zi­sze­ne, 39 einer sons­ti­gen rechts­extre­men Sze­ne, 25 einer über­schnei­den­den oder ande­ren Sze­ne (z.B. Fuß­ball­hoo­li­gans, Stu­den­ten­ver­bin­dung) zuge­ord­net wer­den. 327 Per­so­nen waren kei­ner ein­schlä­gi­gen Sze­ne zuor­den­bar oder es war deren Zuge­hö­rig­keit unbe­kannt.“ (Bericht, S. 21)

Wir kön­nen nur mut­ma­ßen, zu wel­chen Orga­ni­sa­tio­nen bzw. „Sze­nen“ sich Per­so­nen häu­fig zuge­hö­rig füh­len, die hin­ter der Chif­fre „sons­ti­ge rechts­extre­me Sze­ne“ bzw. „über­schnei­den­de oder ande­re Sze­ne“ oder gar unter „unbe­kannt“ abge­la­gert wer­den. Tau­chen da des Öfte­ren die FPÖ, der RFJ oder Bur­schen­schaf­ter auf? Unter den Ange­zeig­ten im Jahr 2010 müss­ten sich ja bei­spiels­wei­se jene RFJ-Akti­vis­ten fin­den, die in Graz jetzt einen Pro­zess nach dem NS-Ver­bots­ge­setz und wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung zu erwar­ten haben. Oder auch der stei­ri­sche Lan­des­ob­mann der FPÖ, Ger­hard Kurz­mann wegen des Ver­dach­tes der Verhetzung.


Zwei Screen­shots des Spiels

Im zitier­ten Satz wird jedoch  als „über­schnei­den­de” (bzw. „ande­re”) Sze­ne auch „Stu­den­ten­ver­bin­dung“ genannt. Das ist so unprä­zi­se wie falsch: Es gibt katho­li­sche, kon­ser­va­ti­ve und eben auch deutsch­na­tio­na­le Kor­po­ra­tio­nen, dar­un­ter und haupt­säch­lich die Deut­schen Bur­schen­schaf­ten. Nur im wil­den Gestrüpp der deutsch­na­tio­na­len Kor­po­ra­tio­nen wuchert der Rechts­extre­mis­mus und Neo­na­zis­mus, was unse­re hei­mi­schen Ver­fas­sungs­schüt­zer zwar wis­sen, aber seit 2001 nicht mehr schrei­ben dür­fen. Statt­des­sen wird von einer „über­schnei­den­den oder ande­ren Sze­ne“ geschwurbelt.

Was die Verfasser(innen?) des Berichts gerit­ten hat, als sie, um die“ Skin­head­sze­ne“ und ihre Deresscodes zu cha­rak­te­ri­sie­ren, angeb­lich sze­ne­ty­pi­sche Beklei­dungs­mar­ken expli­zit nann­ten (Lons­da­le, Con­sda­p­le, Pit­bull, Fred Per­ry etc.) und dabei ver­ga­ßen, auf „Thor Stei­nar“ und die in Schwaz /Tirol und in Braunau/Inn ange­sie­del­ten „Thor Stei­nar“-Läden hin­zu­wei­sen, die ein Treff- und Aus­gangs­punkt für die ein­schlä­gi­ge Sze­ne sind, ist uns schlei­er­haft. Weder sind Lons­da­le und Fred Per­ry per se rechts­extre­me Mar­ken (bei­de Her­stel­ler distan­zie­ren sich von der Neo­na­zi-Sze­ne und unter­stüt­zen anti­ras­sis­ti­sche Pro­jek­te), noch sind alle Skins Rechts­extre­me (auch wenn die rechts­extre­me Skin­head-Sze­ne mitt­ler­wei­le domi­nie­rend ist).

Sol­che dif­fu­sen, unprä­zi­sen bzw. schlam­pi­gen Zuord­nun­gen sind ärger­lich. Pro­ble­ma­tisch wird es dort, wo gene­ra­li­sie­ren­de Aus­sa­gen getrof­fen wer­den: „Eine gene­rell zuneh­men­de Gewalt­be­reit­schaft bei den bekannt gewor­de­nen Tat­hand­lun­gen war im Berichts­jahr nicht fest­zu­stel­len.“ Immer­hin wur­de das Jahr 2010 „eröff­net“ mit dem bru­ta­len Über­fall einer offen­sicht­lich ver­ab­re­de­ten Grup­pe von Neo­na­zis auf eine Geburts­tags­fei­er in einem Gra­zer Lokal (mehr­fa­che schwe­re Kör­per­ver­let­zung) und fort­ge­setzt mit der schwe­ren Kör­per­ver­let­zung beim Public Vie­w­ing zur Fuß­ball-WM im Juni.

In das Berichts­jahr 2010 fal­len auch zwei Brand­an­schlä­ge auf ein Wohn­heim mit Migran­tIn­nen in Flo­rids­dorf /Wien im Juli, bei denen es nur zufäl­lig kei­ne schwer­wie­gen­den Fol­gen gege­ben hat. Der rechts­extre­me Hin­ter­grund war ein­deu­tig – die Täter konn­ten nach unse­ren Infos bis heu­te nicht aus­fin­dig gemacht wer­den. Bei dem Spreng­stoff­an­schlag auf ein Asyl­heim im Sep­tem­ber 2010 in Graz ist ein rechts­extre­mer Hin­ter­grund wahr­schein­lich — auch hier wur­den die Täter bis heu­te nicht ausgeforscht.

Der Brand­an­schlag von Schär­ding im Okto­ber 2010 und der Spreng­stoff­an­schlag von Horn im Dezem­ber (I, II) wur­den zwar von Per­so­nen aus­ge­führt, bei denen eine rechts­extre­me Ideo­lo­gie oder Hal­tung vor­han­den, aber mög­li­cher­wei­se von ande­ren Ein­flüs­sen (psy­chi­sche Erkran­kung) über­la­gert ist. Mög­lich, dass die Zahl der rechts­extre­men Delik­te bzw. Täter, bei denen Kör­per­ver­let­zung, Brand­stif­tung und ande­re ver­wand­te Delik­te im Spiel waren, 2010 nicht gestie­gen ist. Die Sta­tis­tik des Berich­tes ist bei den Rechts­extre­men bemer­kens­wert ober­fläch­lich: Für das Jahr 2010 weist sie 304 Anzei­gen für „sons­ti­ge Delik­te“ nach dem Straf­ge­setz (z.B. Sach­be­schä­di­gung, Kör­per­ver­let­zung, gefähr­li­che Dro­hung) aus. 2009 waren es 253 Anzei­gen. Weil für bei­de Jah­re nicht dif­fe­ren­ziert wird zwi­schen Gewalt­ta­ten und Sach­schä­den, gibt die Sta­tis­tik trotz der Stei­ge­rung um fast 20% wenig her. .

Es gibt aber auch Bemer­kun­gen im Bericht, die nicht nur rich­tig sind, son­dern gera­de­zu dar­auf hin­wei­sen, dass unter der Ober­flä­che der Sta­tis­tik eini­ges brodelt:

Nach wie vor ist bei rechts­extre­men Tat­hand­lun­gen – zumin­dest bei den Kör­per­ver­let­zungs­de­lik­ten- von einer nicht näher quan­ti­fi­zier­ba­ren Dun­kel­zif­fer aus­zu­ge­hen. Die Opfer wer­den oft ein­ge­schüch­tert und haben Angst vor Repres­sa­li­en, da z.B. mit aus­wär­ti­gen „Kame­ra­den“ gedroht wird, wel­che sich an Per­so­nen, die Anzei­gen bei der Poli­zei erstat­ten, rächen wür­den. (S. 34)

Bei Pas­sa­gen wie die­ser hat man den Ein­druck, die Ver­fas­sungs­schüt­zer könn­ten noch eini­ges mehr erzäh­len, blei­ben aber lie­ber bei unbe­stimm­ten Andeu­tun­gen. Das gilt vor allem für eini­ges, was im Kapi­tel „Kon­fron­ta­ti­ons­po­ten­zia­le im Bereich Links- und Rechts­extre­mis­mus“ erzählt wird.

➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 2): Was erzählt der Bericht nicht?
➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 3): Ein bemer­kens­wer­ter Vorfall
➡️ Ver­fas­sungs­schutz­be­richt (Teil 4): Die Sta­tis­tik und ihre Probleme