Vernetzung mit Neonazis, Identitären und Burschenschaftern
Auch wenn es im Prozess keine bedeutende Rolle spielte: Der bald 22-jährige Moritz D. war in Österreich in rechtsextremen Kreisen vernetzt. Die erste Hausdurchsuchung bei D. am 17. Mai 2023 in Floridsdorf förderte schon einiges hervor, was im Neonazi-Repertoire üblich ist: Waffen, einschlägige Devotionalien und Kleidung und auch ein „Anti-Antifa“-T-Shirt aus dem neonazistischen Wikingerversand. Ähnliche oder gleiche Shirts, darunter solche mit dem Aufdruck „Division Ostmark“, wurden in einer zeitgleich durchgeführten Razzia auch bei seinem Nachbarn, Roman P., sichergestellt. P. stand bereits im April 2024 vor Gericht und kassierte die gleiche Strafhöhe wie am letzten Montag sein Freund Moritz D., mit dem er regelmäßig Kontakt pflegte: 24 Monate Haft, davon acht unbedingt.
![Funde bei FKD-Mitglied Moritz D.: Waffen und Munition, NS-Devotionalien, Militärkleidung, Gasmaske, Patches, "Divison Ostmark"- und "Anti-Antifa"-T-Shirt (Foto: DSN)](https://www.stopptdierechten.at/wp-content/uploads/2023/06/Funde-FKD-Wiener-DSN-5.2023-300x217.png)
Der Begriff Anti-Antifa bezeichnet einerseits eine Strategie von Rechtsextremen, andererseits Gruppierungen, die dieser Strategie folgen. Ziel ist das Ausspähen, Bedrohen oder tatsächliche Angreifen von vermeintlichen politischen Gegnern. Anti-Antifa-Aktivisten bezwecken vornehmlich eine Verunsicherung dieser Personen oder der breiten Öffentlichkeit. Die Selbstbezeichnung „Anti-Antifa“ drückt die Opposition zu linken Antifa-Gruppen aus. Das Anti-Antifa-Konzept ist fester Bestandteil neonazistischer Aktionsformen. Es wurde erstmals 1992 von dem bekannten Hamburger Neonazi Christian Worch in der rechtsextremen Zeitschrift „Index” propagiert. (Bundeszentrale für politische Bildung)
P. war ein Beifang aus mehreren Ermittlungssträngen; in einem bei Moritz D. überwachten Telefonat fiel der Gruß „Heil“. Mit dem am 17. Juni 24 zu vier Jahren unbedingt verurteilten Mario F. verbanden P. einige Anklagepunkte, darunter Fotos mit einschlägigen Symbolen wie eine Hakenkreuz-Armbinde, die bei F.s Besuchen in Floridsdorf entstanden. Mario F. wiederum war bis in den neonazistischen Küssel-Umkreis hinein verbunden. Auch zur immer wieder auffällig gewordenen Wiener Burschenschaft Germania sei D. über Roman P. gekommen, der dort – im Gegensatz zu D. – kein Mitglied war.
P. taucht ebenfalls auf Fotos bei mindestens einem identitären Stammtisch im Jahr 2021 auf. Bereits im August 2020 war es auf dem Wiener Migazziplatz zu einem folgenreichen Zusammenstoß zwischen identitären Stammtischbesuchern und Antifaschist*innen gekommen, im Zuge derer der ebenfalls anwesende Moritz D., damals noch Schüler einer HTL, einen „Tactical Pen“ gezückt hatte. Mehrere antifaschistische Personen mussten sich ab April 2022 bei einem größeren Prozess, der auch andere Vorfälle zum Inhalt hatte, verantworten. Die Verteidigung kritisierte die überbordenden Maßnahmen seitens Verfassungsschutz und Polizei hart: Während Hinweisen aus dem Ausland zum späteren Wiener Attentäter aus Ressourcengründen nicht nachgegangen worden sei, hatte das LVT Wien gegen die Antifaschisten aufwendig ermitteln lassen. „Im aktuell verhandelten Fall hätten sich die Identitären lediglich ‚ein paar Watschen‘ eingefangen. ‚Auf jedem Zeltfest geht es wilder zu‘” (derstandard.at, 25.4.22) monierte der Verteidiger Matej Zenz.
Moritz D. als Zeuge gegen Antifaschisten und Bundesheersoldat
Was Zenz damals allerdings nicht wusste: Als Zeuge gegen die Angeklagten wurde ein Mann aufgeboten, dem der Verfassungsschutz besser auf die Finger schauen hätte sollen: Moritz D., der ab 2020 erfolglos gesucht und dem ein Jahr nach dem Antifa-Prozess, im Mai 2023, besondere Gefährlichkeit attestiert wurde.
Der sich in rechtsterroristischen Kreisen bewegende D. konnte am 27. April 2022 im Wiener Landesgericht nicht nur unbehelligt gegen Antifaschisten aussagen, sondern kurze Zeit später beim Bundesheer bewaffnet vor jüdischen Einrichtungen patrouillieren.
Während der Verfassungsschutz also nach jenem Täter suchte, der Zeilen wie „du mixt einfach Bleiche mit Ammoniak in einer Flasche, schüttelst es ein bisschen und wirfst es in eine Gruppe von Juden“ formulierte oder mit einem anderen Gruppenmitglied darüber sinnierte, ob es besser sei, Anschläge mit Schusswaffen aus direkter Nähe zu erleben oder doch Chlorgas zu benützen, und im Februar 2020 zur Diskussion stellte, „Wem soll ich zuerst einen Besuch abstatten? Ein Gebet mit den Muslimen sprechen oder soll ich mich jüdischen Menschen bei einem ihrer Treffen anschließen und einen Sprengkörper mitnehmen?“, wurde derselbe Mann 2022 über mehrere Monate hinweg als Bundesheersoldat in die Wiener Leopoldstadt abkommandiert, um dort jüdische Schulen, Kindergärten und Gebetsräume vor Angriffen zu beschützen.
Besondere Gefährlichkeit?
Sein Abgleiten führte D., so in einer vor Gericht verlesenen Erklärung, auf Einsamkeit und Mobbing in der Schule zurück. Es sei ihm aber nur ums Finden von Freunden und nicht um das Teilen von rechten Inhalten gegangen, war im Prozess zu hören. Er habe sich jedoch nach der ersten Hausdurchsuchung im Mai 2023 distanziert. D. sei, so wurde von seinem Verteidiger vorgebracht, aus der Burschenschaft ausgetreten, nehme an einem Deradikalisierungsprogramm teil, sei einkaufen, ins Fitnessstudio und in die Kirche gegangen, habe also durch diese Änderung seines Verhaltens bewiesen, dass er – entgegen der Einschätzung des Verfassungsschutzes – auch vorher nicht gefährlich gewesen sei.
![Moritz D. auf der Anklagebank (Foto: Samuel Winter)](https://www.stopptdierechten.at/wp-content/uploads/2024/07/Prozess-Moritz-D-Samuel-Winter-Anklagebank-1.7.24-300x158.jpg)
Die Geschworenen sprachen Moritz D. am 1.7. in allen 16 Anklagepunkten einstimmig schuldig. Darunter waren nicht nur Nachrichten, die er ab Ende 2019 als Mitglied von Chats der rechtsterroristischen „Feuerkrieg Division“ abgesetzt hatte, sondern auch Tweets und Nachrichten an einzelne Personen oder via WhatsApp in eine Gruppe seiner Burschenschaft Germania. Am radikalsten äußerte sich D. freilich als User „v00rm“ in den FKD-Channels. Dort diskutierte er Anschlagspläne und teilte grauenhafte antisemitische und rassistische Inhalte. Schuldsprüche gab’s nach dem Verbotsgesetz (von einschlägigen Parolen und Codes bis zur Holocaustleugnung), nach dem Verhetzungsparagrafen, wegen Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen und wegen Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung.
Auch White Power-Zeichen verurteilt
D. wurde nach dem Verhetzungsparagrafen auch einstimmig dafür verurteilt, weil er am 9.11.2022 ein Foto „an die WhatsApp-Gruppe der Burschenschaft Germania mit zwölf Mitgliedern [übersendete], auf dem er in einer Uniform des österreichischen Bundesheers zu sehen ist und das Handzeichen ‚O.K.‘ formt, welches in der rechtsextremen Szene für die Abkürzung „WP, White Power“, die die Überlegenheit des weißen Mannes symbolisieren soll, verwendet wird“ (Anklage Hauptfrage 6.). Das ist bemerkenswert, denn es fällt mittlerweile kaum noch auf, wenn Mitglieder der FPÖ ebenfalls mit dem White Power-Zeichen für Fotos posieren.
Während der Angeklagte das Urteil – wenig überraschend – annahm, hatte die Staatsanwaltschaft zu Prozessende keine Erklärung abgegeben, am 4. Juli aber verlautbart, Rechtsmittel angemeldet zu haben. Das bedeutet wohl, dass die Staatsanwaltschaft in den nächsten Wochen Berufung einlegen und vermutlich eine höhere Strafe fordern wird. Damit geht der Fall zur nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht Wien. Anzunehmen ist, dass zur Diskussion steht, ob bei Moritz D. eine besondere Gefährlichkeit vorliegt und deswegen ein höheres Strafmaß zu verhängen wäre. Richter Andreas Hautz hatte am Ende des Prozesses mehr Transparenz bei der Einstufung der Gefährlichkeit durch den Verfassungsschutz gefordert. Die wird der Verfassungsschutz nun wohl nachliefern müssen.
P.S.: Kein Thema im Prozess war jener 15-jährige FKD-Sympathisant aus Österreich, der laut Europol-Terrorismus-Report im Oktober 2022 verhaftet worden sein soll.
Update 16.8.24: Moritz D. wurde vorzeitig enthaftet, weil sich das Gericht bei der Höhe des Strafrahmens geirrt und die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils („Nichtigkeit”) beantragt hat. (s. wien.orf.at, 16.8.24). Die Wiederholung des Prozesses bzw. von Prozessteilen steht also im Raum.
Zum Prozess gegen Moritz D.:
➡️ zeit.de (2.7.24): Ein Rechtsterrorist, der jüdische Einrichtungen bewachte
➡️ meinbezirk.at (1.7.24): Schuldspruch für jungen Neonazi in Wien
➡️ derstandard.at (1.7.24): Zwei Jahre Haft für Neonazi, der mit Waffe vor jüdischen Einrichtungen in Wien stand