Stefan Magnet erfuhr seine Politisierung im Neonazi-Milieu, er war Führungskader beim neonazistischen „Bund freier Jugend“ (BfJ). Heute betreibt er mit dem Online-TV-Projekt „AUF1“ ein rechtsextremes Desinformationsprojekt. Ideologisch bewegt sich Magnet weiterhin im Nahbereich des Neonazismus: Sei es hinsichtlich eines offen artikulierten biologistischen Rassismus, sei es hinsichtlich seines antisemitisch kodierten Verschwörungswahns oder auch hinsichtlich einer freundlichen Stimmung gegenüber dem hyperautoritären Holocaustleugner-Regime im Iran. FPÖ-Chef Kickl setzte sich mit dem rechtsextremen Aktivisten im März 2022 zu einem einstündigen Interview zusammen und im September 2023 nochmal gemeinsam mit AfD-Chefin Alice Weidel.
Im Juni 2023 erschien ein Text von Magnet auf der Website des rechtsextremen Magazins „Info-Direkt“, das von Michael Scharfmüller – wie Magnet einst Kader beim neonazistischen BfJ – herausgegeben wird. In dem Text mit dem wirren Titel „Sie wollen uns nicht schwuler machen, sondern töten!“ treibt Magnet seine verschwörungsideologischen Behauptungen an eine wahnhafte Spitze und hetzt dabei zugleich gegen LGBTIQ+-Personen.
Wüste Hetze gegen LGBTIQ+-Personen
Beim „totalitär verordnete[n] LGBTQ-Monat“ gehe es „nicht nur darum, uns mehr ‚queer‘, mehr gender, mehr homo zu machen“, sondern um „Menschheitsreduktion“ (1). Magnet unterstellt hier dem jährlich stattfindenden „Pride Month“, dessen Anliegen bekanntlich die Sichtbarkeit und die Rechte von LGBTIQ+-Personen sind, eine bösartige konspirative Agenda, bei der es letztlich um Ausrottung gehe. Alles folge „einer klaren Agenda“. Deren treibende Kraft, da ist der Verschwörungsideologe unmissverständlich, soll die LGBTIQ+-Bewegung sein: „Die gesamte Queer- und LGBTQ-Bewegung baut vor: Für eine nahe Zukunft, in der die Menschheit ‚queer‘ und unfruchtbar ist.“ Hinter dieser Agenda stehe Magnet zufolge eine mächtige Elite, die er mal als „Globalisten“, mal als „Transhumanisten“ bezeichnet und deren Verschwörungsplan die „Unfruchtbarkeit der weißen Welt“ zum Ziel hätte.
Die Falschbehauptung, dass queere und homosexuelle Menschen unfruchtbar seien, kommt in dem Text mehrfach vor: „[N]icht nur Homosexuelle und Transvestiten sind unfruchtbar: Künftig sollen alle unfruchtbar sein, geht es nach den Globalisten.“ Magnet bedient hier ein hetzerisches Bild, das nicht-heterosexuelle Menschen als mangelhaft und zugleich als maligne darstellen soll. Mit dem Wort „Globalist“ kommt ein beliebter antisemitischer Code hinzu.
Magnet missbraucht für seine Verschwörungserzählung auch echte Wissenschaft. So behauptet er, die US-Forscherin Shanna Swan habe vorausgesagt: „Im Jahr 2045 wird die weiße Menschheit unfruchtbar sein und mittels natürlicher Fortpflanzung keine Kinder mehr bekommen können.“ Dabei handelt es sich um eine perfide Umdeutung von Swans Studienergebnissen, die die schwindende Fertilität – konkret jene der Männer – vorrangig auf Umwelteinflüsse zurückführen. Magnets rassistische Halluzinationen spielen darin freilich keine Rolle, ebenso wenig eine Verschwörung von nicht-heterosexuellen Menschen. Swans Studie in den Kontext der LGBTQ-Bewegung zu stellen und zu suggerieren, diese verursache und betreibe die Ausrottung der „weißen Menschheit“, ist also aus wissenschaftlicher Sicht völlig unzulässig und dient offenkundig dem alleinigen Zweck, Magnets Hetze gegen die queere Community pseudo-wissenschaftlich zu verbrämen.
Der Text kulminiert in einem dystopischen Angstbild, das die üblichen Untergangsszenarien der extremen Rechten an Wahnhaftigkeit übersteigt:
Wenn dann sich dann (sic!) Europa nicht mehr fortpflanzt, wird es nicht nur überrannt mit afroarabischen Einwanderern. Die Oberschicht wird sich mittels Kinder aus dem Gen-Labor fortpflanzen. Auf Bestellung, aus dem Katalog. Doch auch völlig abhängig von eben jenen Konzernen, die das Saatgut anbieten. Damit üben die transhumanistischen Globalisten die finale Kontrolle über die Menschen aus.
Projektion
Magnets Behauptungen eignen sich zur Illustrierung eines Konzepts, das zum Verständnis der extremen Rechten notwendig ist: die Projektion. Der Begriff entstammt der Psychoanalyse und wurde von den Sozialphilosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer für ihre Theorie des Antisemitismus adaptiert. Projektion bezeichnet die Verfolgung des eigenen verdrängten Wunsches in einem feindlich markierten Anderen. Adorno/Horkheimer schreiben: „Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.“ (2011, S. 196) Einer präzisen Formulierung der Schweizer Literaturwissenschaftlerin Sylvia Sasse zufolge beruht Projektion „auf einer Subjekt-Objekt-Verkehrung“, die „externalisiert, was selbst unterdrückt wird.“ (2022, S.101)
Magnet bedient sich einer solche Verkehrung. Als Kader einer neonazistischen Organisation hing er der Ideologie einer politischen Bewegung an, die tatsächlich das umgesetzt hat, was er nun der LGBTIQ+-Community und sogenannten „Globalisten“ vorwirft: elitäre Verschwörung, Menschenvernichtung, medizinisch-biopolitische Experimente zur Beeinflussung der Fruchtbarkeit und der Versuch einen spezifischen Menschentypus zu „züchten“. All dies projiziert Magnet nun u.a. auf eine Gruppe, die in der Vergangenheit Opfer des NS-Terrors war und die zudem ein prospektives Opfer wäre, würden Leute wie Magnet an die Macht kommen.
Der Begriff Projektion ist deshalb so brauchbar, weil er zwischen Psyche und Gesellschaft vermittelt – konkreter: weil er zugleich eine paranoide politische Form und ein psycho-soziales Bedürfnis fasst. Ersteres kommt in der (stets antisemitisch untermalten) Hetze gegen Gruppen, die als mächtig imaginiert werden, zum Ausdruck. Letzteres besteht in einer umfassenden subjektiven Entlastung, die es ermöglicht, aggressive Affekte auf andere zu projizieren und damit eine angenehme Selbstinszenierung als Opfer bzw. als Rebell zu ermöglichen.
Magnet ist ein besonders schrilles Beispiel für eine solche Täter-Opfer-Umkehr, die bekanntlich auch zu den rhetorischen Dauerbrennern von FPÖ und AfD gehört.
Fußnoten:
1 Die folgenden Zitate stammen aus: „Sie wollen uns nicht schwuler machen, sondern töten!“ von Stefan Magnet, erschienen am 18.6.23 und online abrufbar auf der Website von „Info-Direkt“; zuletzt eingesehen am 23.2.2024.
Literatur:
Adorno, Theordor W./Horkheimer, Max (1944/2011): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main: Fischer
Sasse, Sylvia (2022): Verkehrungen ins Gegenteil. Über Subversion als Machttechnik. Matthes & Seitz: Berlin.