Der freiheitliche Personalvertreter …
Herwig Jedlaucnik ist – so wie das ISS selbst – nicht unbedingt einer breiten Öffentlichkeit bekannt. An die hat er sich aber im Februar 2023 gewandt, als er als freiheitlicher Personalvertreter im Verteidigungsministerium gegen die Bestellung von Christian Ortner zum neuen Leiter des ISS protestierte, an dessen inhaltlicher Eignung zweifelte und „Postenkorruption und Amtsmissbrauch“ vermutete. Nun ja, den Christian Ortner haben wir als Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) in der Vergangenheit oft genug kritisiert und einen bescheidenen Beitrag zu seiner Ablösung geleistet – aber das ist ein anders Kapitel.
An der harschen Kritik des Freiheitlichen Jedlaucniks irritierte, dass sich der freiheitliche Vorsitzende des Landesverteidigungsausschusses im Nationalrat, der FPÖ- Abgeordnete Reifenberger, klar für Ortner ausgesprochen hat – wohl wegen inhaltlicher Nähe. Ortner scheint jedenfalls noch immer nicht als Leiter des ISS auf. Das ISS spielte offensichtlich auch bei der Erstellung des erst jüngst präsentierten Risikobildes 2024 „Welt aus den Fugen“ des Verteidigungsministeriums keine Rolle.
Dafür durfte Herwig Jedlaucnik zuletzt in der „Österreichischen Militärischen Zeitschrift“ (ÖMZ), einer offiziellen Publikation des Verteidigungsministeriums, seine Position zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausbreiten.
… erzählt das russische Narrativ
Unter dem bezeichnenden Titel „Der Weg des westlichen Liberalismus in den Ukrainekrieg“ (Teil 1, ÖMZ 4/2023) breitet er eine Analyse über die Ursachen des Krieges aus, an der Putin Gefallen finden dürfte. Das beginnt schon damit, dass er verspricht, nicht die regionale Ebene des Konflikts, sondern nur die globale, also Westen gegen Russland, zu analysieren, und dabei auch Russland auszublenden: „Deshalb wird in dieser Arbeit Russlands Politik und sein Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht detailliert analysiert.“ (ÖMZ, S. 439)
Nachdem derart das russische Narrativ vom Angriff des Westens, also der USA bzw. der NATO, erfolgreich implementiert wurde, macht sich Jedlaucnik gleich an die Arbeit, die wahren Aggressoren vor den Vorhang zu bitten. Sowohl im Text als auch in einer ausführlichen Fußnote versucht er zu untermauern, dass westliche Politiker bei verschiedenen Gelegenheiten sowjetischen Politikern zugesichert hätten, nicht an einer Ausweitung der NATO interessiert zu sein und die sowjetischen Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Miete. Im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung gab es solche mündlichen Zusicherungen, die aber vom Westen auch klar zurückgenommen wurden. Die detaillierten Arbeiten der Historikerin Mary Elise Sarotte sind 2023 in einem Buch erschienen und sollten Jedlaucnik eigentlich bekannt sein.
In den verschiedenen Verträgen der 90er-Jahre, etwa dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, findet sich nichts von den mündlichen Zusicherungen. Ganz im Gegenteil: Sowohl die Sowjetunion als auch Nachfolger Russland hatten keine Einwände gegen die Erweiterung der NATO. Russland war – wie auch Österreich – sogar Partner der NATO „Partnership for Peace“, die NATO-Russland-Grundakte von 1997 hielt ausdrücklich fest: „Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker selbst zu wählen.“
Verträge und Fakten kümmern Jedlaucnik anscheinend wenig. Stattdessen will er wissen, dass sich Russland als Schutzmacht für die Russen außerhalb seines Territoriums kümmert: „Dennoch strebt Russland grundsätzlich keine Veränderung dieses territorialen Status quo an.“ Wie bitte? Warum dann der Angriffskrieg gegen die Ukraine, bevorzugt mit Bombardements der russisch-sprachigen Gebiete?
Nicht nur geopolitisch, sondern auch und vor allem weltanschaulich bedingt sieht er den grundlegenden Konflikt und packt dabei richtig aus gegen den Westen, dem er vorwirft, „aus Sicht einer scheinbaren moralisch ideologischen Überlegenheit des demokratisch-liberalen Systems“ (S. 441) andere Staaten nicht nur maßregeln, sondern durch Unterstützung oppositioneller Gruppen aktiv beeinflussen und „sogar destabilisieren“ zu wollen.
Seit Jahren betreibt das Putin-System massiv hybride Kriegsführung, versucht Wahlen in wichtigen westlichen Ländern zu beeinflussen, unterstützt rechte und rechtsextreme Gruppen und Parteien, eliminiert Oppositionelle und kritische Journalist*innen – aber Jedlaucnik hat seinen moralischen Zeigefinger gegen den Westen ausgestreckt. Wie soll die Formulierung von der „scheinbaren moralisch ideologischen Überlegenheit des demokratisch-liberalen Systems“interpretiert werden? Eh nur ein Schmäh?
Gewaltsamer Umsturz, illegale Machtergreifung?
Am deutlichsten wird Jedlaucniks Standpunkt aber dort, wo er sich mit den entscheidenden Momenten in der ukrainischen Geschichte des Jahres 2014 auseinandersetzt. Die Demonstrant*innen am Maidan in Kiev sind für ihn nur „Staffage für einen bewaffneten Regimewechsel gegen eine legale und gewählte Regierung“, die einen „gewaltsamen Umsturz“, die „gewaltsame und illegale Machtergreifung einer in die NATO drängenden und ‚russophoben‘ Regierung“ (S. 448) eingeleitet haben.
Das kann man so sehen, wenn man Putins Rechtfertigung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine nacherzählen will. Mit der Realität hat es allerdings nur wenig zu tun. Richtig ist, dass der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch am 21. Februar 2014 ein Abkommen getroffen hatte, das die Bildung einer Übergangsregierung und Neuwahlen noch im gleichen Jahr beinhaltete. Die Demonstrierenden vom Maidan lehnten das Abkommen ab, und Janukowitsch selbst vereitelte die Umsetzung durch seine Flucht am nächsten Tag und seine Erklärung, die Vereinbarung nicht umsetzen zu wollen.
Die ukrainische Verfassung kannte keine Bestimmung für den Fall, dass sich ein Präsident durch Flucht seinem Amt entzieht und so kam es dazu, dass das Parlament mit Zweidrittelmehrheit (328 von insgesamt 450 Stimmen) zunächst feststellte, „dass der Präsident der Ukraine, V. Janukowitsch, sich in verfassungswidriger Weise der Ausführung der verfassungsmäßigen Befugnisse selbst enthoben hat und somit seine Pflichten nicht erfüllt“ (faz.net, 24.2.15) und Oleksandr Turtschynow zum Interimspräsidenten wählte. Sogar ein großer Teil der prorussischen „Partei der Regionen“, also der Janukowitsch-Partei, hat diese Beschlüsse mitgetragen! Die reguläre Präsidentschaftswahl, bei der Petro Poroschenko zum neuen Präsidenten der Ukraine gewählt wurde, fand am 25. Mai 2014 statt.
Da Jedlaucnik auch die Putinsche Erzählung von den „rechtsextremistischen Kräften“, die die Proteste am Maidan bestimmt hätten, und von „gewaltsamem Umsturz“, „Maidan-Putsch“ und „faschistischem Staatsstreich“ übernimmt, hier noch die Fakten: In der „Werchowna Rada“, dem ukrainischen Parlament, hielt die rechtsextreme Partei „Swoboda” im Februar 2014 rund zehn Prozent der Stimmen, stürzte bei der Neuwahl im April 2014 aber auf 3,5 Prozent ab. Der Kandidat von „Swoboda” bei der Präsidentschaftswahl, ihr Parteivorsitzender, schaffte im Mai 2014 gar nur knapp über ein Prozent der Stimmen. Die rechtsextreme Partei FPÖ, der Jdelaucnik als freiheitlicher Personalvertreter jedenfalls nahesteht, hätten wir gerne bei diesen Prozentsätzen! Bei den monatelangen Protesten gegen das Janukowitsch-Regime am Maidan spielten rechtsextreme Organisationen tatsächlich eine Rolle, die allerdings, wie die späteren Wahlergebnisse zeigten, auch überschätzt wurde.
Gewaltsame Okkupation oder Selbstbestimmung?
Völlig abenteuerlich wird die Erzählung Jedlaucniks dort, wo er die gewaltsame und völkerrechtswidrige Okkupation der Krim und von Teilen der Ostukraine durch russische Truppen als „direkte Konsequenz des NATO-Beitrittsbeschlusses von 2008“ umzudeuten versucht:
2014 wurde jedenfalls, nach der Eskalation der Maidan-Proteste und dem Sturz der politischen Führung in Kiew, die schon 2008 angedrohte Unabhängigkeit der Krim und in weiterer Folge der Anschluss an Russland auch realisiert.
Der antirussische Machtwechsel in Kiew wurde in den Gebieten mit russischer Bevölkerungsmehrheit nicht akzeptiert und mit Unterstützung Russlands das ‚Selbstbestimmungsrecht der Völker‘ genutzt, um sich von der Ukraine abzutrennen. (S. 448)
An dieser Stelle brechen wir die Nacherzählung von Putins Märchen ab und weisen aus gegebenem Grund darauf hin, dass Oberst Herwig Jedlaucnik nicht nur freiheitlicher Personalvertreter, sondern auch „Hauptlehroffizier für Strategie an der Landesverteidigungsakademie“ ist.
Nebenberuflich ist er übrigens Unternehmensberater bzw. Alleingesellschafter und Geschäftsführer der „International Healthcare Solutions & Services GmbH“. Und weil das Österreichische Bundesheer gerade 225 „Pandur“-Radpanzer ankaufen will, fällt uns dazu die alte Geschichte ein, bei der Herwig Jedlaucnik eine wichtige Rolle beim Verkauf von Pandur-Radpanzern gespielt hat. Jedlaucnik, damals noch beim Bundesheer rangmäßig niedriger, nämlich Major, wurde medial als „Steyr-Marketing-Direktor“ bzw. „Projektleiter von Steyr-Daimler Puch-Spezialfahrzeug GmbH“ (Vorgängerin von GDELS) gehandelt und war als solcher in den geplanten Verkauf von 235 Pandur an die Tschechische Republik im Jahr 2005 involviert.
Jedlaucnik stolpert
„Wir stolpern von Firmenrekord zu Firmenrekord“, hatte Jedlaucnik zu diesem Deal erklärt. Da hatte er tatsächlich Recht – mit dem Stolpern. Der Pandur-Deal mit Tschechien zog sich in die Länge und stand bald einmal unter Korruptionsverdacht. 2010, nachdem ihm ein entsprechender Lobbyistenvertrag zugespielt wurde, nahm der tschechische Investigativjournalist Janek Kroupa mit dem Steyr-Projektleiter und Bundesheer-Major Jedlaucnik und einem zweiten Steyr-Manager Kontakt auf – verkleidet als tschechischer Investor. Man traf sich im Wiener Intercontinental-Hotel: „Fast eine Stunde plauderten die drei Herren über den damaligen Deal, über Parteispenden („zwei bis drei Prozent für jede Seite“) und über politische Schlüsselfiguren in Tschechien, die es für die Sache zu gewinnen gelte.“ (falter.at, 24.2.10; Paywall)
Das „Geplaudere“ wurde mit versteckter Kamera gefilmt und löste in Tschechien einen Riesenskandal aus. Die beiden „ertappten Rüstungsspezialisten“ (falter.at) versuchten es mit der Erzählung von einem „bitterbösen Scherz“, mit dem sie den Journalisten hereinlegen wollten. Die Staatsanwaltschaften nahmen laut „Falter“ sowohl in Tschechien als auch in Österreich Ermittlungen auf, die aber im Sand verlaufen sein dürften. Jedenfalls hat der „bitterböse Scherz“ die militärische Karriere von Jedlaucnik nicht nachhaltig beeinträchtigt.
2018 durfte er – anscheinend als Teilnehmer der internationalen Sommerschule an der Moskauer Lomonossow-Universität – die Zentrale Wahlkommission der russischen Föderation besuchen. Möglicherweise hat man ihm dort einen „bitterbösen Scherz“ über die russischen Motive für die „Spezialoperation“ in der Ukraine erzählt. Den zweiten Teil seiner wundersamen Erzählung über den „Weg des westlichen Liberalismus in den Ukraine-Krieg“ ersparen wir uns – uns reicht schon der erste!
➡️ Buchtipp: Mary Elise Sarotte, Nicht einen Schritt weiter nach Osten. Amerika, Russland und die wahre Geschichte der NATO-Osterweiterung. C. H. Beck, München 2023