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Kriminalität : Die Implosion des Herrn Wurm

Seit 2013 sitzt Peter Wurm für die FPÖ im Natio­nal­rat und kann noch immer Sta­tis­ti­ken nicht rich­tig lesen. Viel­leicht will er das auch gar nicht ? Schließ­lich lebt er bzw. sei­ne Par­tei ganz gut damit, dass die „Aus­län­der“, die „Migran­ten“, die „Asyl­wer­ber“ für die „Explo­si­on der Kri­mi­na­li­tät“ ver­ant­wort­lich gemacht wer­den. Aber wenn es die „Explo­si­on“ […]

10. Dez 2015

Blut ist dicker als Was­ser, erklärt der FPÖ-Abge­ord­ne­te auf sei­ner Home­page, und meint damit die „Bluts­ban­de“, also die fami­liä­ren Bezie­hun­gen. Schon da liegt er falsch, denn das Sprich­wort meint eigent­lich das Gegen­teil. Wich­ti­ge Ver­trä­ge wur­den in alten Zei­ten mit Blut besie­gelt. Die­se mit Blut unter­mal­ten ver­trag­li­chen Bezie­hun­gen gal­ten als wich­ti­ger als das Geburts-oder Tauf­was­ser. Erst spä­ter wur­de dar­aus das Gegen­teil, die beson­de­re Bedeu­tung von Bluts­ver­wandt­schaft von Völ­kern, wobei bei letz­te­ren das Was­ser im Bild ziem­lich in der Luft hängt.

Über die Sache mit dem Blut sind wir sowie­so unter­schied­li­cher Mei­nung mit den Blau­en, aber bei Zah­len über die Kri­mi­na­li­tät und ihre Ent­wick­lung, da soll­te man doch die Fak­ten spre­chen lassen!

Auf sei­ner Home­page schreibt Wurm schon im September:

“Jetzt haben wir es schwarz auf weiß. Die Anzahl der straf­fäl­lig gewor­de­nen Frem­den ist in Tirol im ers­ten Halb­jahr 2015 gera­de­zu explo­diert“.

Die Kro­nen­zei­tung (Aus­ga­be Tirol, 7.9.15) über­nimmt die­sen gewich­ti­gen Satz und fügt noch hin­zu: „Unter den Straf­ta­ten waren auch 83 Mor­de – 45 von Aus­län­dern“.

Das wäre tat­säch­lich eine Explo­si­on, denn 2014 gab es 38 Fäl­le voll­ende­ter vor­sätz­li­cher Tötung. In ganz Öster­reich! Im gesam­ten Jahr! Inlän­der und Aus­län­der zusam­men! Nimmt man die Mord­ver­su­che noch dazu, dann gab es ins­ge­samt 107 Fäl­le, also auch 69 Mord­ver­su­che. Zum Mit­schrei­ben für frei­heit­li­che Igno­ran­ten: 80 % davon fan­den im Fami­li­en- bzw. Bekann­ten­kreis statt (Quel­le: Sicher­heits­be­richt 2014).

Aber das mit den Mor­den war ja weni­ger die Behaup­tung des Herrn Wurm, son­dern die der „Kro­ne“. Wurm will etwas ande­res fest­ge­stellt haben: die Explo­si­on der Anzahl der straf­fäl­lig gewor­de­nen Frem­den in Tirol im ers­ten Halb­jahr 2015.

Nun fra­gen unge­dul­di­ge FPÖ –Abge­ord­ne­te schon seit Jah­ren nach die­sen Zah­len für das jeweils ers­te Halb­jahr. Und erhal­ten neben den Zah­len auch immer den war­nen­den Hin­weis des Innenministeriums:

„Es wird aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Exper­ten aus der Wis­sen­schaft im Rah­men des Pro­jek­tes „Kri­mi­nal­sta­tis­tik­neu“ fest­ge­stellt haben, dass Aus­sa­gen über die Sicher­heits­la­ge und die Kri­mi­na­li­täts­be­las­tung aus quar­tals­mä­ßi­gen und halb­jähr­li­chen Zah­len­wer­ten nicht mög­lich sind, weil dar­aus gezo­ge­ne Schlüs­se einer wis­sen­schaft­li­chen Über­prü­fung nicht stand­hal­ten“.

Tja, das Innen­mi­nis­te­ri­um ist halt ein biss­chen blau­äu­gig! Was inter­es­siert denn einen gestan­de­nen Blau­en schon eine wis­sen­schaft­li­che Über­prü­fung, wenn es auch anders geht? Aber immer­hin ste­hen dank der zap­peln­den Blau­en auch die Ver­gleichs­da­ten vom Vor­jahr zur Verfügung.

Und sie­he da, die Innen­mi­nis­te­rin schreibt in ihrer Ant­wort zu Fra­ge 1:

„Im ers­ten Halb­jahr 2014 konn­ten 124.010 Tat­ver­däch­ti­ge ermit­telt wer­den“.

Und zu Fra­ge 2:

„Im ers­ten Halb­jahr 2014 konn­ten 43.099 frem­de Tat­ver­däch­ti­ge ermit­telt wer­den“.

In ihrer Ant­wort für 2015 for­mu­liert sie kei­ne Sät­ze mehr, son­dern eine Tabel­le, der wir fol­gen­de Zah­len entnehmen:

2015 gab es 120.027 Tat­ver­däch­ti­ge, davon waren 44.804 „frem­de Tat­ver­däch­ti­ge“. Das wür­de einen leich­ten Rück­gang bei den Tat­ver­däch­ti­gen ins­ge­samt und einen leich­ten Anstieg bei den „frem­den“ bedeu­ten. Von Explo­si­on kei­ne Spur – weder in die eine noch die ande­re Richtung!

Jetzt schreibt aber der FPÖ-Abge­ord­ne­te, dass die Explo­si­on in Tirol statt­ge­fun­den haben soll?! Armer Wurm! In Tirol gab es 2014 5.936 frem­de Tat­ver­däch­ti­ge und 2015 waren es 5.457 – das wäre sogar ein erheb­li­cher Rück­gang! Die Explo­sio­nen spie­len sich nur im Kopf von Wurm ab, nicht in der Wirk­lich­keit. Da implo­die­ren die blau­en Seifenblasen!

Übri­gens, die größ­te Grup­pe unter den frem­den Tat­ver­däch­ti­gen kommt aus Deutsch­land: 4.819 waren es im ers­ten Halb­jahr 2015, wäh­rend die Tür­kei mit nur 3.080 regel­recht abstinkt dagegen!

Der Wurm lässt aber nicht locker! Im Mil­ser Dorf­blatt ( Okto­ber 15) greift er sich die Asyl­wer­be­rIn­nen heraus:

„…allein im ers­ten Halb­jahr 2015 (wur­de) jeder vier­te Asyl­wer­ber in Tirol kri­mi­nell“.

Jetzt ist ver­mut­lich der rich­ti­ge Zeit­punkt gekom­men, um den Herrn Wurm ein biss­chen auf­zu­klä­ren: tat­ver­däch­tig zu sein bedeu­tet noch nicht, dass man’s gewe­sen ist. Da gibt’s noch eine Instanz, die nach den poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen dar­über ent­schei­det, ob jemand schul­dig ist. Wenn also die Anfra­ge­be­ant­wor­tung für Tirol 2015 (1. Halb­jahr) 777 tat­ver­däch­ti­ge Asyl­wer­be­rIn­nen aus­weist, dann bedeu­tet das gera­de bei Tirol nicht, dass sich die­se Per­so­nen alle noch in Tirol auf­hal­ten. Wesent­li­cher ist ver­mut­lich, dass unter den Asyl­wer­bern aus bekann­ten Grün­den Män­ner stark über­wie­gen und zwei­tens sich die­se Män­ner in den beson­ders gefähr­de­ten Alters­grup­pen befin­den (auch gro­ße Lager tra­gen erheb­lich dazu bei – sie­he Leo­ben):

Für das ers­te Halb­jahr 2014 lie­gen kei­ne Ver­gleichs­zah­len vor, für das gan­ze Jahr 2014 wur­den für Tirol 1.379 tat­ver­däch­ti­ge Asyl­wer­be­rIn­nen aus­ge­wie­sen. Ange­sichts der stark stei­gen­den Zah­len von Geflüch­te­ten im Jahr 2015 deu­tet das nicht auf einen Anstieg von Kri­mi­na­li­tät in die­ser Grup­pe hin. Außer­dem ist unklar, wer – neben den offi­zi­ell in Öster­reich bzw. in Tirol gemel­de­ten Asyl­wer­be­rIn­nen — zu die­ser Grup­pe gerech­net wird. Auch die Aus­sa­ge, wonach jeder vier­te Asyl­wer­ber in Tirol kri­mi­nell wur­de, ist daher so nicht richtig.

Wie sehr die Blau­en dane­ben­lie­gen bei der Kri­mi­na­li­tät von Flücht­lin­gen, zei­gen auch die Zah­len, die Elmar Pod­gor­schek, mitt­ler­wei­le Lan­des­rat in Ober­ös­ter­reich, in der Ant­wort auf sei­ne Anfra­ge zur „über­bor­den­den Kri­mi­na­li­tät durch Flücht­lin­ge“ im Erst­auf­nah­me­zen­trum Thal­ham (OÖ) erhal­ten hat. Von 251 für den gan­zen Bezirk ange­zeig­ten Fäl­len von Dieb­stahl wur­den 17 Asyl­wer­bern zuge­rech­net. „Gar nichts zu tun hat­ten Flücht­lin­ge mit schwe­rer Kör­per­ver­let­zung (sie­ben Fäl­le), Rauf­han­del (acht Fäl­le), sexu­el­ler Beläs­ti­gung (sechs Fäl­le), gefähr­li­cher Dro­hung (22 Fäl­le) oder Geld­fäl­schung (18 Fäl­le)“ (Kurier, 12.11.2015).

Stark gestie­gen sind dage­gen nach Anga­ben des Innen­mi­nis­te­ri­ums im Jahr 2015 frem­den­feind­lich und ras­sis­tisch moti­vier­te Straf­ta­ten. Auch bei ande­ren Delik­ten gibt es einen Anstieg an Kri­mi­na­li­tät gegen­über Flücht­lin­gen. So ermit­telt etwa die Staats­an­walt­schaft Wien gegen meh­re­re Ver­mie­ter wegen Miet­be­trugs an Dut­zen­den Flücht­lin­gen (APA, 11.11.2015).

Gute Ana­ly­sen zum The­ma lie­fern Stan­dard und SOS Mit­mensch.