Lesezeit: 8 Minuten

„Freilich“ identitär: Das unscheinbare „Sellner-Fanmagazin“

SOS-Mit­­mensch skan­da­li­siert zurecht die Nähe von FPÖ und AfD zu dem rechts­extre­men Maga­zin „Info-Direkt“. Das­sel­be müss­te auch für „Frei­lich“ gel­ten: Das Aula-Nach­­fol­­ge­­ma­­ga­­zin ist ein wah­res Sam­mel­be­cken für Neo­fa­schis­mus der Mar­ke „Iden­ti­tär“, es läuft aber weit­ge­hend unter dem Radar einer kri­ti­schen Öffent­lich­keit. In einer Pres­se­aus­sendung vom 18.1. fin­det die Men­sch­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on SOS-Mit­­mensch deut­li­che Wor­te zu dem rechtsextremen […]

30. Jan 2024

In einer Pres­se­aus­sendung vom 18.1. fin­det die Men­sch­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on SOS-Mit­mensch deut­li­che Wor­te zu dem rechts­extre­men Des­in­for­ma­ti­ons- und Pro­pa­gan­da-Blatt „Info-Direkt“:

in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren [haben] sowohl die AfD als auch die FPÖ regel­mä­ßig iden­ti­tä­re Krei­se rund um das Maga­zin „Info direkt“ unter­stützt. Sowohl AfD-Poli­ti­ker als auch die FPÖ haben das iden­ti­tä­re Maga­zin, das als Fan­blatt des Rechts­extre­mis­ten Mar­tin Sell­ner auf­tritt und laut dem Doku­men­ta­ti­ons­ar­chiv des Öster­rei­chi­schen Wider­stan­des „sei­ne Wur­zeln im orga­ni­sier­ten Neo­na­zis­mus“ hat, mehr­fach mit­tels Inse­rat­schal­tun­gen finan­zi­ell geför­dert. (ots.at, 18.01.24)

Die­se Skan­da­li­sie­rung im Nach­hall des Pots­da­mer Tref­fens, bei dem Sell­ner sei­nen „Mas­ter­plan“ für Mas­sen­de­por­ta­tio­nen vor Mit­glie­dern der AfD und der Wer­te­uni­on refe­rie­ren durf­te, ist zu begrü­ßen. Hin­zu­zu­fü­gen ist aber, dass es in ideo­lo­gi­scher wie per­so­nel­ler Hin­sicht noch ein „Sell­ner-Fan­ma­ga­zin“ in Öster­reich gibt: „Frei­lich“, das Nach­fol­ge­ma­ga­zin der „Aula“. Die­ses hat einen ande­ren – weni­ger bou­le­var­desk-vul­gä­ren – Auf­tritt als „Info-Direkt“, bedient aber das­sel­be Kli­en­tel und ver­brei­tet die­sel­be Ideologie.

„Freilich“ Blau

„Frei­lich“ ledig­lich als „FPÖ-nahe“ zu bezeich­nen, wäre eine Unter­trei­bung. Das Maga­zin gehört groß­teils dem „Frei­heit­li­chen Aka­de­mi­ker­ver­band Stei­er­mark“, der Eigen­tü­mer des klei­ne­ren Anteils ist der „Frei­heit­li­che Aka­de­mi­ker­ver­band Salz­burg“. Geschäfts­füh­rer ist der Ex-FPÖ-Poli­ti­ker Hein­rich Sickl, der seit lan­gem eng mit Sell­ners „Iden­ti­tä­rer Bewe­gung“ (IB) ver­ban­delt und zu einem der frü­hen und rele­van­tes­ten Unter­stüt­zer der Gra­zer Iden­ti­tä­ren zu zäh­len ist.

Frei­lich-Chef­re­dak­teur ist der ehe­ma­li­ge RFJ-Obmann Ste­fan Juritz, der im Jahr 2007 gemein­sam mit Gott­fried Küs­sel am „Som­mer­camp“ des neo­na­zis­ti­schen „Bund frei­er Jugend“ (BfJ) teil­ge­nom­men hat, im Jahr 2010 wegen des Ver­dachts auf NS-Wie­der­be­tä­ti­gung und schwe­rer Kör­per­ver­let­zung vor Gericht stand, spä­ter als IB-Kader aktiv war und vor sei­ner Anstel­lung bei „Frei­lich“ die iden­ti­tä­re Des­in­for­ma­ti­ons-Web­site „Tages­stim­me“ betrie­ben hat­te. Inzwi­schen hat die „Tages­stim­me“ mit „Frei­lich“ fusioniert.

Stefan Juritz (li) bei der Identitären-Demo am 6.6.15 in Wien als Megaphon-Halter für Martin Sellner (Foto: https://recherchegraz.noblogs.org/post/2016/02/24/ganz-normale-rechtsextreme-und-ihr-lambda)
Ste­fan Juritz (li) bei der Iden­ti­tä­ren-Demo am 6.6.15 in Wien als Mega­phon-Hal­ter für Mar­tin Sell­ner (Foto: recherchegraz.noblogs.org)

Inserate von FPÖ und AfD

„Frei­lich“ wird mit Inse­ra­ten der bei­den Rechts­par­tei­en FPÖ und AfD gefüt­tert. Min­des­tens 23 Inse­ra­te (1) schal­te­te die FPÖ in den Aus­ga­ben 1 (Dez. 2018) bis Aus­ga­be 23 (Aug. 2023). Dar­un­ter befin­den sich etli­che ganz­sei­ti­ge Wer­bun­gen der Bun­des-FPÖ, die den jewei­li­gen Chef insze­nie­ren. In Aus­ga­be 11 (Feb. 2021) ist das noch Nor­bert Hofer, in Aus­ga­be 12 (Mai 2021) ist es bereits Her­bert Kickl, der zu die­sem Zeit­punkt zwar noch nicht der blaue Obmann war, aber bereits in den Start­lö­chern scharr­te – was vom rechts­extre­men Medi­en­um­feld der FPÖ offen beju­belt wur­de. Ab Heft 13 (Juli 2021) endet jedes „Freilich“-Heft mit einem ganz­sei­ti­gen Inse­rat der FPÖ, fast immer mit gro­ßem Foto von Kickl.

Die FPÖ-Obers­ten kom­men auch ger­ne zum Inter­view, Kickl erst­mals in Heft Nr. 4, wo er schon im Juni 2019 (!) ganz offen den iden­ti­tä­ren Slo­gan vom „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ pro­pa­gierte. Ein wei­te­res Kickl-Inter­view fin­det sich in Heft 21. FPÖ-Gene­ral­se­kre­tär Chris­ti­an Hafenecker fand drei Mal Zeit für ein eini­ges Gespräch mit einem „neu­rech­ten“ Medi­um (in den Hef­ten 6, 15 und 23).

Die AfD hat zwar weni­ger, aber auch etli­che Inse­ra­te bei „Frei­lich“ geschal­ten – wir zäh­len acht in den Hef­ten 1 bis 23. Fünf davon sind Jobin­se­ra­te in den Hef­ten 6 und 7. In Heft 14 (Sept. 2021) fin­det sich offe­ne AfD-Wer­bung am häu­figs­ten – auch weil es dort, neben einem ganz­sei­ti­gen Inse­rat, ein Inter­view mit den dama­li­gen AfD-Spitzenkandidat*innen für die Bun­des­tags­wahl Ali­ce Wei­del und Tino Chrup­al­la gibt, das von AfD-Wer­be­bil­dern flan­kiert ist. Wei­del und Chrup­al­la bil­den heu­te bekannt­lich das Bundessprecher*innen-Duo der AfD.

Inse­ra­te von FPÖ und AfD in „Freilich“<br /> (Print, Dezem­ber 2018-August 2023 in 22 Nummern)
FPÖ: 23, dar­un­ter: 18 ganzseitig
AfD: 8, dar­un­ter 3 ganz­sei­tig, 5 Jobinserate

 

AfD Jobinserat: "Freilich", Heft 7, S. 42
AfD Jobin­se­rat (Frei­lich, Heft 7, S. 42)
AfD-Werbung als Teil eines Interviews mit Weidel und Chrupalla (Freilich, Heft 14, Sept. 2021, S. 15)
AfD-Wer­bung als Teil eines Inter­views mit Wei­del und Chrup­al­la (Frei­lich, Heft 14, Sept. 2021, S. 15)

Sehr stabil“ rechtsextrem

Bei dem kon­spi­ra­ti­ven Pots­da­mer Tref­fen refe­rier­te neben Sell­ner auch der zwei­fa­che „Freilich“-Autor Mario Mül­ler. Mül­ler ist ein u.a. wegen eines bru­ta­len Gewalt­de­likts (schwe­re Kör­per­ver­let­zung, 2010) ver­ur­teil­ter Rechts­extre­mist. Er wur­de in der nie­der­säch­si­schen Neo­na­zi­sze­ne poli­ti­siert und wird in etli­chen Medi­en bis heu­te als Neo­na­zi bezeich­net. Er war zudem Jah­re lang als Kader der IB aktiv, wobei er u.a. als Betrei­ber eines iden­ti­tä­ren „Haus­pro­jekts“ in Hal­le in Erschei­nung trat.

Mül­ler durf­te zwei­mal für „Frei­lich“ den Aus­lands­re­por­ter spie­len (Heft 17 und 18). In Heft 18 (Okt. 2022) berich­te­te er mit der Ernst-Jün­ger-Fas­zi­na­ti­on eines gewalt­tä­ti­gen Neo­fa­schis­ten über den Ukrai­ne-Krieg. Es dürf­te die­sel­be Rei­se gewe­sen sein, bei der er mit Neo­na­zis des ukrai­ni­schen Asov-Regi­ments posierte.

Seit Sep­tem­ber 2022 ist bekannt, dass Mül­ler als Mit­ar­bei­ter bei dem AfD-Abge­ord­ne­ten Jan Wen­zel Schmidt ange­stellt ist. Am Pots­dam-Tref­fen hat er über das­sel­be The­ma refe­riert, über das sein Chef in einem „Freilich“-Artikel (Heft 23) sin­niert: Die ima­gi­nier­te Bedro­hung durch einen gewalt­tä­ti­gen „Links­extre­mis­mus“. Ein­ge­denk Mül­lers Gewalt­ver­gan­gen­heit ist das eine beacht­li­che Pro­jek­ti­ons­leis­tung, aber mehr noch. Er plä­diert bei dem Tref­fen auch tat­säch­lich für Gewalt: „In sei­nem Vor­trag macht er dies mit einem Bei­spiel anschau­lich: Er habe 2021 den Auf­ent­halts­ort eines deut­schen Anti­fa-Akti­vis­ten in Polen ver­brei­tet und einen Schlä­ger­trupp auf ihn ange­setzt.“ (correctiv.org, 17.01.24) Mül­ler dürf­te sich eben das zur Auf­ga­be gemacht haben: Er soll laut Cor­rec­tiv-Ent­hül­lun­gen zusam­men mit Dori­an Schu­bert auch hin­ten dem Twit­ter-Account „Doku­men­ta­ti­on Links­extre­mis­mus“ ste­hen, der direkt nach dem Outing den Zugang zu sei­nen Tweets auf „nicht öffent­lich“ stellte.

Der AfD-Abge­ord­ne­te Schmidt distan­ziert sich auch im Nach­hall der Pots­dam-Ent­hül­lun­gen kei­nen Mil­li­me­ter von sei­nem Ange­stell­ten. Statt­des­sen raunt er im „Freilich“-Interview (2) mit Ste­fan Juritz, das Recher­che-Netz­werk „Cor­rec­tiv“ beschäf­ti­ge „lin­ke Extre­mis­ten“, es erin­ne­re ihn an „Sta­si-Metho­den“ und gegen Mül­ler sei eine „wider­li­che Schmutz­kam­pa­gne“ im Gan­ge – kurz: Das Inter­view ist ein wah­res Glanz­stück rech­ter Täter-Opfer-Umkehr.

Sei­tens der außer­par­la­men­ta­ri­schen extre­men Rech­ten wird Schmidt für sein Nicht-Distan­zie­ren frei­lich gefei­ert; der öster­rei­chi­sche IB-Kader Phil­ip Hue­mer sagt in einem Gespräch (3) mit dem „Freilich“-Autor Bene­dikt Kai­ser, dass auch er mit Schmidt gespro­chen habe, die­ser sei „sehr sta­bil“ und habe „klar gesagt, wir müs­sen zusam­men hal­ten“. Und selbst­ver­ständ­lich: Auch die FPÖ in Öster­reich habe die Auf­for­de­rung einer Distan­zie­rung „sehr sou­ve­rän abge­wehrt“.

„Freilich“ identitär

Die neo­fa­schis­ti­sche Frak­ti­on der soge­nann­ten „Neu­en Rech­ten“ ist in „Frei­lich“ nicht die Aus­nah­me, son­dern bil­det die domi­nan­te Posi­ti­on des Blatts. So fin­det sich in jedem Heft eine Kolum­ne vom Mar­tin Sem­lit­sch, der unter dem Pseud­onym „Licht­mesz“ im Hau­se Götz Kubit­schek publi­ziert, dar­un­ter auch völ­lig unver­blüm­ten Ras­sis­mus im Maga­zin „Sezes­si­on“. Sein letz­tes Büch­lein in Kubit­scheks „Antaios“-Verlag (4) schafft es gleich zwei ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Sze­ne­codes im Titel zu ver­ei­nen: „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch und Gre­at Reset“ (2022). Co-Autor des Tex­tes ist Mar­tin Sellner.

Auch zu den regel­mä­ßi­gen „Freilich“-Schreibern gehö­ren die deut­schen „neu­rech­ten“ Akti­vis­ten Bene­dikt Kai­ser (oben bereits erwähnt) und Mar­vin T. Neu­mann. Ers­te­rer wur­de in der säch­si­schen Neo­na­zi­sze­ne poli­ti­siert, arbei­tet als Lek­tor im Hau­se Kubit­schek und wird in der Sze­ne als intel­lek­tu­el­ler Star her­um­ge­reicht, Letz­te­rer war im Mai 2021 rekord­ver­däch­tig kurz­zei­tig Co-Vor­sit­zen­der der AfD-Jugend (JA), bis er auf­grund sei­nes offe­nen Ras­sis­mus nach nur zwei Wochen den Hut neh­men muss­te und auch gleich aus der AfD aus­trat. Dies hat einer wei­te­ren Kar­rie­re bei der Par­tei den­noch kei­nen Abbruch getan: Neu­mann ist inzwi­schen als „wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter“ bei dem AfD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Han­nes Gnauk beschäf­tigt. In „Frei­lich“ darf er u.a. einem in Wis­sen­schafts­spra­che gehüll­ten Anti­se­mi­tis­mus frei­en Lauf lassen.

Sellner himself in Podcast und Interview

Alle genann­ten kön­nen als ideo­lo­gi­sche Kame­ra­den Sell­ners bezeich­net wer­den, die inhalt­lich de fac­to das­sel­be von sich geben, aber weni­ger bekannt sind als der Influen­cer. Kurz: „Frei­lich“ ver­brei­tet – weit­ge­hend unbe­hel­ligt – das, was Sell­ner sagt und erhält dafür viel blau­es Geld.

Obwohl eine stra­te­gi­sche Distanz zur Per­son Sell­ner weit­ge­hend ein­ge­hal­ten wird, bekommt er doch auch dann und wann eine „Freilich“-Bühne: So etwa im Rah­men des Pod­cast „Lage­be­spre­chung“ (Okt. 2020) den „Frei­lich“ mit den vom deut­schen Ver­fas­sungs­schutz als gesi­chert rechts­extrem eige­stuf­ten Orga­ni­sa­tio­nen „Ein­pro­zent“, „Ver­lag Antai­os“ und „Sezes­si­on“ betreibt. Außer­dem in einem Inter­view (Nov. 2023), wo Sell­ner sei­ne Slo­gans gegen­über dem „Freilich“-Autor Jonas Greind­berg, der als „Dozent“ des schein­aka­de­mi­schen „neu­rech­ten“ Pro­jekts „Gegen-Uni“ auf­tritt, kund­tun darf (5).

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Ver­stri­ckun­gen gilt auch für „Frei­lich“, was SOS-Mit­mensch für „Info-Direkt“ fest­hält: „Sowohl AfD als auch FPÖ zele­brie­ren durch ihre Auf­trit­te und Inse­ra­te im Sell­ner-Fan-Maga­zin ihre sys­te­ma­ti­sche Nähe zur (…) rechts­extre­men Sze­ne.“ (ots.at, 18.01.24)

➡️ „Frei­lich” und das Kubit­schek-Netz­werK: „Neu­rech­ter“ Ver­dachts­fall – Teil 2: Bis in die FPÖ

Fußnoten:

1 Das „Freilich“-Heft Nr. 8 war unserer Redaktion nicht zugänglich, weshalb es sich möglicherweise um noch mehr FPÖ- und AfD-Inserate bis zur Nr. 23 handelt. Nicht erfasst wurden die Inserate, die auf der Freilich-Website geschaltet wurden.
2 „Jan Wenzel Schmidt (AfD) über Correctiv: ‚Mich erinnert das an Stasi-Methoden‘“ (19.1.24), Interview mit Stefan Juritz auf der Website von „Freilich“, eingesehen am 25.1.24
3 „Podcast: Der Kampf gegen die AfD | mit Benedikt Kaiser“ (24.01.2024); auf der Website von „Heimatkurier“, eingesehen am 25.1.24
4 Das Magazin „Sezession“ und der Verlag „Antaios“ sind Teile des Organisationen-Netzwerks von Götz Kubitschek, dem bekanntesten rechtsextremen Aktivisten Deutschlands, der auch den „Thinktank“ „Institut für Staatspolitik“ (IfS) betreibt und als Stichwortgeber von Björn Höcke sowie als ideologischer Ziehvater von Martin Sellner gilt. Kubitschek selbst hat auch für „Freilich“ geschrieben hat und zwar schon in Ausgabe 1.
5 „Martin Sellner: ‚Ami Go Home!‘ und ‚Remigration‘ kombinieren“ (10.11.23), Interview mit Jonas Greindberg auf der Website von „Freilich“, eingesehen am 25.1.24