In einer Presseaussendung vom 18.1. findet die Menschrechtsorganisation SOS-Mitmensch deutliche Worte zu dem rechtsextremen Desinformations- und Propaganda-Blatt „Info-Direkt“:
in den vergangenen zwei Jahren [haben] sowohl die AfD als auch die FPÖ regelmäßig identitäre Kreise rund um das Magazin „Info direkt“ unterstützt. Sowohl AfD-Politiker als auch die FPÖ haben das identitäre Magazin, das als Fanblatt des Rechtsextremisten Martin Sellner auftritt und laut dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes „seine Wurzeln im organisierten Neonazismus“ hat, mehrfach mittels Inseratschaltungen finanziell gefördert. (ots.at, 18.01.24)
Diese Skandalisierung im Nachhall des Potsdamer Treffens, bei dem Sellner seinen „Masterplan“ für Massendeportationen vor Mitgliedern der AfD und der Werteunion referieren durfte, ist zu begrüßen. Hinzuzufügen ist aber, dass es in ideologischer wie personeller Hinsicht noch ein „Sellner-Fanmagazin“ in Österreich gibt: „Freilich“, das Nachfolgemagazin der „Aula“. Dieses hat einen anderen – weniger boulevardesk-vulgären – Auftritt als „Info-Direkt“, bedient aber dasselbe Klientel und verbreitet dieselbe Ideologie.
„Freilich“ Blau
„Freilich“ lediglich als „FPÖ-nahe“ zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Das Magazin gehört großteils dem „Freiheitlichen Akademikerverband Steiermark“, der Eigentümer des kleineren Anteils ist der „Freiheitliche Akademikerverband Salzburg“. Geschäftsführer ist der Ex-FPÖ-Politiker Heinrich Sickl, der seit langem eng mit Sellners „Identitärer Bewegung“ (IB) verbandelt und zu einem der frühen und relevantesten Unterstützer der Grazer Identitären zu zählen ist.
Freilich-Chefredakteur ist der ehemalige RFJ-Obmann Stefan Juritz, der im Jahr 2007 gemeinsam mit Gottfried Küssel am „Sommercamp“ des neonazistischen „Bund freier Jugend“ (BfJ) teilgenommen hat, im Jahr 2010 wegen des Verdachts auf NS-Wiederbetätigung und schwerer Körperverletzung vor Gericht stand, später als IB-Kader aktiv war und vor seiner Anstellung bei „Freilich“ die identitäre Desinformations-Website „Tagesstimme“ betrieben hatte. Inzwischen hat die „Tagesstimme“ mit „Freilich“ fusioniert.
Inserate von FPÖ und AfD
„Freilich“ wird mit Inseraten der beiden Rechtsparteien FPÖ und AfD gefüttert. Mindestens 23 Inserate (1) schaltete die FPÖ in den Ausgaben 1 (Dez. 2018) bis Ausgabe 23 (Aug. 2023). Darunter befinden sich etliche ganzseitige Werbungen der Bundes-FPÖ, die den jeweiligen Chef inszenieren. In Ausgabe 11 (Feb. 2021) ist das noch Norbert Hofer, in Ausgabe 12 (Mai 2021) ist es bereits Herbert Kickl, der zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht der blaue Obmann war, aber bereits in den Startlöchern scharrte – was vom rechtsextremen Medienumfeld der FPÖ offen bejubelt wurde. Ab Heft 13 (Juli 2021) endet jedes „Freilich“-Heft mit einem ganzseitigen Inserat der FPÖ, fast immer mit großem Foto von Kickl.
Die FPÖ-Obersten kommen auch gerne zum Interview, Kickl erstmals in Heft Nr. 4, wo er schon im Juni 2019 (!) ganz offen den identitären Slogan vom „Bevölkerungsaustausch“ propagierte. Ein weiteres Kickl-Interview findet sich in Heft 21. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker fand drei Mal Zeit für ein einiges Gespräch mit einem „neurechten“ Medium (in den Heften 6, 15 und 23).
Die AfD hat zwar weniger, aber auch etliche Inserate bei „Freilich“ geschalten – wir zählen acht in den Heften 1 bis 23. Fünf davon sind Jobinserate in den Heften 6 und 7. In Heft 14 (Sept. 2021) findet sich offene AfD-Werbung am häufigsten – auch weil es dort, neben einem ganzseitigen Inserat, ein Interview mit den damaligen AfD-Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahl Alice Weidel und Tino Chrupalla gibt, das von AfD-Werbebildern flankiert ist. Weidel und Chrupalla bilden heute bekanntlich das Bundessprecher*innen-Duo der AfD.
AfD: 8, darunter 3 ganzseitig, 5 Jobinserate
„Sehr stabil“ rechtsextrem
Bei dem konspirativen Potsdamer Treffen referierte neben Sellner auch der zweifache „Freilich“-Autor Mario Müller. Müller ist ein u.a. wegen eines brutalen Gewaltdelikts (schwere Körperverletzung, 2010) verurteilter Rechtsextremist. Er wurde in der niedersächsischen Neonaziszene politisiert und wird in etlichen Medien bis heute als Neonazi bezeichnet. Er war zudem Jahre lang als Kader der IB aktiv, wobei er u.a. als Betreiber eines identitären „Hausprojekts“ in Halle in Erscheinung trat.
Müller durfte zweimal für „Freilich“ den Auslandsreporter spielen (Heft 17 und 18). In Heft 18 (Okt. 2022) berichtete er mit der Ernst-Jünger-Faszination eines gewalttätigen Neofaschisten über den Ukraine-Krieg. Es dürfte dieselbe Reise gewesen sein, bei der er mit Neonazis des ukrainischen Asov-Regiments posierte.
Dass Mario Müller glühender Anhänger des europäischen Faschismus ist, zeigt nicht nur sein Besuch beim neonazistischen #Azov-Regiment in der #Ukraine, sondern auch sein Verehrung für NS-Devotionalien und Dichtung. Alles nachzulesen bei @LSArechtsaussen https://t.co/VlhTuhSYHM pic.twitter.com/dMz15fAPdY
— Rechercheplattform zur Identitären Bewegung (@IbDoku) September 26, 2022
Seit September 2022 ist bekannt, dass Müller als Mitarbeiter bei dem AfD-Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt angestellt ist. Am Potsdam-Treffen hat er über dasselbe Thema referiert, über das sein Chef in einem „Freilich“-Artikel (Heft 23) sinniert: Die imaginierte Bedrohung durch einen gewalttätigen „Linksextremismus“. Eingedenk Müllers Gewaltvergangenheit ist das eine beachtliche Projektionsleistung, aber mehr noch. Er plädiert bei dem Treffen auch tatsächlich für Gewalt: „In seinem Vortrag macht er dies mit einem Beispiel anschaulich: Er habe 2021 den Aufenthaltsort eines deutschen Antifa-Aktivisten in Polen verbreitet und einen Schlägertrupp auf ihn angesetzt.“ (correctiv.org, 17.01.24) Müller dürfte sich eben das zur Aufgabe gemacht haben: Er soll laut Correctiv-Enthüllungen zusammen mit Dorian Schubert auch hinten dem Twitter-Account „Dokumentation Linksextremismus“ stehen, der direkt nach dem Outing den Zugang zu seinen Tweets auf „nicht öffentlich“ stellte.
Der AfD-Abgeordnete Schmidt distanziert sich auch im Nachhall der Potsdam-Enthüllungen keinen Millimeter von seinem Angestellten. Stattdessen raunt er im „Freilich“-Interview (2) mit Stefan Juritz, das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ beschäftige „linke Extremisten“, es erinnere ihn an „Stasi-Methoden“ und gegen Müller sei eine „widerliche Schmutzkampagne“ im Gange – kurz: Das Interview ist ein wahres Glanzstück rechter Täter-Opfer-Umkehr.
Seitens der außerparlamentarischen extremen Rechten wird Schmidt für sein Nicht-Distanzieren freilich gefeiert; der österreichische IB-Kader Philip Huemer sagt in einem Gespräch (3) mit dem „Freilich“-Autor Benedikt Kaiser, dass auch er mit Schmidt gesprochen habe, dieser sei „sehr stabil“ und habe „klar gesagt, wir müssen zusammen halten“. Und selbstverständlich: Auch die FPÖ in Österreich habe die Aufforderung einer Distanzierung „sehr souverän abgewehrt“.
„Freilich“ identitär
Die neofaschistische Fraktion der sogenannten „Neuen Rechten“ ist in „Freilich“ nicht die Ausnahme, sondern bildet die dominante Position des Blatts. So findet sich in jedem Heft eine Kolumne vom Martin Semlitsch, der unter dem Pseudonym „Lichtmesz“ im Hause Götz Kubitschek publiziert, darunter auch völlig unverblümten Rassismus im Magazin „Sezession“. Sein letztes Büchlein in Kubitscheks „Antaios“-Verlag (4) schafft es gleich zwei verschwörungsideologische Szenecodes im Titel zu vereinen: „Bevölkerungsaustausch und Great Reset“ (2022). Co-Autor des Textes ist Martin Sellner.
Auch zu den regelmäßigen „Freilich“-Schreibern gehören die deutschen „neurechten“ Aktivisten Benedikt Kaiser (oben bereits erwähnt) und Marvin T. Neumann. Ersterer wurde in der sächsischen Neonaziszene politisiert, arbeitet als Lektor im Hause Kubitschek und wird in der Szene als intellektueller Star herumgereicht, Letzterer war im Mai 2021 rekordverdächtig kurzzeitig Co-Vorsitzender der AfD-Jugend (JA), bis er aufgrund seines offenen Rassismus nach nur zwei Wochen den Hut nehmen musste und auch gleich aus der AfD austrat. Dies hat einer weiteren Karriere bei der Partei dennoch keinen Abbruch getan: Neumann ist inzwischen als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ bei dem AfD-Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauk beschäftigt. In „Freilich“ darf er u.a. einem in Wissenschaftssprache gehüllten Antisemitismus freien Lauf lassen.
Sellner himself in Podcast und Interview
Alle genannten können als ideologische Kameraden Sellners bezeichnet werden, die inhaltlich de facto dasselbe von sich geben, aber weniger bekannt sind als der Influencer. Kurz: „Freilich“ verbreitet – weitgehend unbehelligt – das, was Sellner sagt und erhält dafür viel blaues Geld.
Obwohl eine strategische Distanz zur Person Sellner weitgehend eingehalten wird, bekommt er doch auch dann und wann eine „Freilich“-Bühne: So etwa im Rahmen des Podcast „Lagebesprechung“ (Okt. 2020) den „Freilich“ mit den vom deutschen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eigestuften Organisationen „Einprozent“, „Verlag Antaios“ und „Sezession“ betreibt. Außerdem in einem Interview (Nov. 2023), wo Sellner seine Slogans gegenüber dem „Freilich“-Autor Jonas Greindberg, der als „Dozent“ des scheinakademischen „neurechten“ Projekts „Gegen-Uni“ auftritt, kundtun darf (5).
Vor dem Hintergrund dieser Verstrickungen gilt auch für „Freilich“, was SOS-Mitmensch für „Info-Direkt“ festhält: „Sowohl AfD als auch FPÖ zelebrieren durch ihre Auftritte und Inserate im Sellner-Fan-Magazin ihre systematische Nähe zur (…) rechtsextremen Szene.“ (ots.at, 18.01.24)
➡️ „Freilich” und das Kubitschek-NetzwerK: „Neurechter“ Verdachtsfall – Teil 2: Bis in die FPÖ
Fußnoten:
1 Das „Freilich“-Heft Nr. 8 war unserer Redaktion nicht zugänglich, weshalb es sich möglicherweise um noch mehr FPÖ- und AfD-Inserate bis zur Nr. 23 handelt. Nicht erfasst wurden die Inserate, die auf der Freilich-Website geschaltet wurden.
2 „Jan Wenzel Schmidt (AfD) über Correctiv: ‚Mich erinnert das an Stasi-Methoden‘“ (19.1.24), Interview mit Stefan Juritz auf der Website von „Freilich“, eingesehen am 25.1.24
3 „Podcast: Der Kampf gegen die AfD | mit Benedikt Kaiser“ (24.01.2024); auf der Website von „Heimatkurier“, eingesehen am 25.1.24
4 Das Magazin „Sezession“ und der Verlag „Antaios“ sind Teile des Organisationen-Netzwerks von Götz Kubitschek, dem bekanntesten rechtsextremen Aktivisten Deutschlands, der auch den „Thinktank“ „Institut für Staatspolitik“ (IfS) betreibt und als Stichwortgeber von Björn Höcke sowie als ideologischer Ziehvater von Martin Sellner gilt. Kubitschek selbst hat auch für „Freilich“ geschrieben hat und zwar schon in Ausgabe 1.
5 „Martin Sellner: ‚Ami Go Home!‘ und ‚Remigration‘ kombinieren“ (10.11.23), Interview mit Jonas Greindberg auf der Website von „Freilich“, eingesehen am 25.1.24