Türkise Wahlkampftaktik
Das jüngste Engagement der Kurz-ÖVP gegen die Identitären ist freilich nichts anderes als eine Wahlkampftaktik gegen die FPÖ. Denn während der türkis-blauen Regierungszeit waren der ÖVP die zahlreichen ideologischen und personellen Überschneidungen zwischen FPÖ und den Identitären bekanntlich ziemlich egal. Der neu entdeckte türkise Antifaschismus wird dementsprechend kaum als ernstzunehmendes Vorgehen gegen Rechtsextremismus gewertet werden können, sondern vielmehr als ausschließlich instrumentell und strategisch angelegter Versuch, der die Regression der ÖVP von konservativ zu rechtspopulistisch nur ein weiteres mal unterstreicht.
Der nun erfolgte Vorstoß – so heuchlerisch er sein mag – trifft dennoch ins blaue Herz. Denn das publizistische und ideologische Vorfeld der FPÖ ist derartig mit der IB verzahnt, dass von Außen aufgenötigte Distanzierungen schnell zur Zerreißprobe für die Partei werden könnten; immerhin hat Strache höchstpersönlich unzählige Male vom „Bevölkerungsaustausch“ gesprochen – auch als Vizekanzler wie im April diesen Jahres, was als unmissverständliche Handreichung an das identitäre Milieu verstanden werden muss und dort auch als solche angekommen ist (1).
Die Blauen haben folglich kein Interesse daran, dass dieses Thema jetzt im Wahlkampf offensiv thematisiert wird. Daraus ergibt sich ein schizophrener Drahtseilakt, der sich nun auch durch die Doppelspitze Hofer/Kickl ausdrückt. Die Rolle des Distanzierens kommt jetzt offensichtlich dem dauerlächelnden Parteichef Norbert Hofer zu. Wie dünn und durchschaubar diese Distanzierungen sind, zeigt sich etwa dadurch, dass er im ORF-Sommergespräch vom vergangenen Sonntag trotz klarer Worte – er bezeichnet die Identitären als „Obskurantengruppe“ – immer nur von sich selbst, nie aber von der Partei als ganzer spricht; er sagt z.B.: „Seit vielen vielen Jahren warne ich vor diesen Leuten“ oder „Ich will mit diesen Leuten – sag ich seit Jahren – nichts zu tun haben“ oder „Ich halte von dieser Truppe nichts“.
Kickl in „Freilich“
Ganz anders präsentiert sich Kickl in einem Interview mit dem Aula-Nachfolgemagazin „Freilich“ vom Juni 2019 (2), als das Thema ‚Identitäre’ wieder etwas von der medialen Bildfläche gerückt war. (3) „Freilich“ hat sich nach Einstampfung der „Aula“ neu aufgestellt und sich sowohl inhaltlich als auch personell deutlich in Richtung identitär bzw. „neurechts“ bewegt. Daran hat sich auch in der nunmehr vierten Ausgabe nichts geändert, wo die Zahl der Autoren aus diesem Milieu wieder auffällig groß ist.
Zur Zeit des Interviews (Juni) war Kickl erst kurz aus seinem Ministeramt entlassen worden. Reste von staatstragender Rhetorik dürfte er dementsprechend schnell abgetragen haben, denn in dem Interview bedient er unumwunden und ungefragt das identitäre Ideologem vom „Bevölkerungsaustausch“:
„Man muss bestimmte Dinge ansprechen dürfen. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass manche Dinge nicht gesagt werden dürfen, denn damit ist das Problem nicht verschwunden. Wenn ich nur daran denke, wie dieser Begriff ‚Bevölkerungsaustausch’ diskutiert wird… Man muss nur nach Wien gehen und mit jemandem reden, der seit 30 Jahren in dieser Stadt wohnt, und ihn fragen: wie war das vorher und wie ist es jetzt? Und dann stellt sich die Frage mit welchem Begriff man das dann zusammenfasst. Der oben genannte Begriff wäre eine Möglichkeit, es auf den Punkt zu bringen. Ich weiß nicht, warum das so problematisch sein soll, noch dazu wenn diejenigen, die die Nase rümpfen, längst die Flucht aus der Stadt ergriffen haben, im Speckgürtel wohnen und dann von außen gescheit dreinreden.“ (S. 19)
Kickl verwendet dieses Vokabular zweifellos im Bewusstsein seiner identitären Herkunft (immerhin gab es um den Begriff eine breite mediale Debatte), und er bedient damit den üblichen Spin vom „Kleinen Mann gegen die da oben“: Potenzielle KritikerInnen werden vorab als stadtflüchtende Elite dargestellt, so, als würde niemand, der oder die in Wien lebt, die identitäre Verschwörungstheorie vom Bevölkerungsaustausch kritisieren, weil es so evident ist, dass sie stimmt. Kickl pusht damit also offensiv ein völkisches Propagandamärchen und versucht dabei sich selbst durch eine pseudo-naive Offenheit gegenüber den Begrifflichkeiten schadlos zu halten („der oben genannte Begriff wäre eine Möglichkeit“). Nach dem Motto: Das Wording ist sekundär – ob man es nun „Bevölkerungsaustausch“ oder „Umvolkung“ oder „Invasion“ nennt – die adressierte Zielgruppe versteht schon, was gemeint ist.
Eindeutig identitäres Vokabular kommt noch ein weiteres Mal in dem Interview vor, wenn einer der Interviewer fragt: „Ist Bildungspolitik als Metapolitik nicht ein besonders wichtiges Feld?“ (S. 25). „Metapolitik“ ist ein Begriffsfetisch innerhalb der identitären und „neurechten“ Szene, der auf Alain de Benoist, einen Vordenker der französischen Rechten (nouvelle droite), zurückgeht. Damit gemeint ist die gezielte Einflussnahme auf den vorpolitischen, zivilgesellschaftlichen Raum im Rahmen eines rechten Kulturkampfes. Außerhalb dieser Szene dürfte das Konzept kaum bekannt sein. Kickl kennt es offensichtlich schon, denn er antwortet wohlwollend und direkt: „Wir hätten das Bildungsressort sofort genommen. Es gibt ja – und für mich ist das wirklich kein negativ punzierter Begriff – ideologische Ressorts. Das Innen‑, das Justizressort und natürlich auch das Bildungsressort.“ (S. 25–26)
Da spricht also der ehemalige Innenminister völlig offen an identitären Jargon anknüpfend von einer Art gezielter ideologischer Einflussnahme.
Männlichkeit, Reinheit, Volk
Aber auch abseits von solchen ganz direkten Handreichungen an das identitäre Szenemilieu bleibt Kickl durchwegs anschlussfähig an deren rechtsextreme Ideologie. Er verwendet z.B. Sprachbilder, die einem phallischen Männlichkeitskult frönen, etwa (und noch einigermaßen harmlos) wenn er darüber fabuliert „wer in der ÖVP wirklich die Hosen anhat“ (S. 14). Diese Rhetorik gipfelt an einer Stelle darin, dass Kickl sich selbst halbwegs unmissverständlich als Hoden der freiheitlichen Partei fantasiert:
„Also war das ein Vorwand, unter dem man meine Absetzung betrieben hat. Wir wissen in der Zwischenzeit, dass die ÖVP Niederösterreich und die ÖVP Steiermark hier federführend am Werk gewesen sind, um dieses Machtzentrum der ÖVP wieder zurückzuerobern. Sie haben nicht damit gerechnet, dass die freiheitliche Regierungsmannschaft dann aber auch geschlossen sagt: Das lassen wir nicht mit uns machen. Ihr könnt uns nicht kastrieren.“ (S. 13–14)
Kickl vergleicht also „die versuchte Entfernung seiner selbst aus dem FPÖ-Regierungsteam mit einer Kastration desselben“, wie es die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) präzise in einem Tweet vom 25. Juli formuliert. Die unfreiwillige Komik darin, dass Kickls Hypermaskulinismus so weit geht, dass er sich scheinbar als das Geschlechtsteil seiner Gemeinschaft imaginiert, sollte nicht über das autoritäre Substrat solcher Äusserungen hinwegtäuschen.
An einer anderen Stelle bricht dieses autoritäre Denken als Ordnungs- und Reinheitsfetisch durch: „Bei vielen Fragen im Ministerium habe ich gesagt, ich mag diese österreichischen Lösungen nicht, ich will Ordnung, ich will Sauberkeit, ich will A oder B haben – und nicht irgendetwas dazwischen.“ (S. 16)
FIPU verweist in demselben Tweet darauf, dass hier für die extreme Rechte typische Kategorien zum Ausdruck kommen: „Zu #Reinheitswunsch und #Ambivalenzintoleranz im Rechtsextremismus“.
Diese Stichworte bekommen einen ganz besonders widerlichen Geschmack, wenn Kickl sich an die polizeiliche „Bodentruppe“ anbiedert und damit prahlt, dass er während seiner Minister-Zeit lediglich auf „genau zwei VIP-Events“ (S. 19) gewesen sei. Kickl behauptet seine „Leidenschaft zur Truppe“ (ebd.) im Rahmen des bekannten freiheitlichen Narrativ von „Elite vs. ehrlicher, kleiner Mann“: „Damit meine ich das Fußvolk, nicht diejenigen, die dort Führungskräfte sind, denn die sind ein ganz anderes Netzwerk und eine eigene Welt.“ (ebd.) Diese schamlose Anbiederung an BasismitarbeiterInnen bei der Polizei wiederholt plump die Propaganda vom Volk vs. der abgehobenen Eliten, aber sozusagen im Kleinen, bezogen lediglich auf den Polizeiapparat und dessen BeamtInnen.
An einer besonders absurden Stelle vergleicht Kickl das Aufkommen von „alternativen Medien“ (gemeint sind wohl FPÖ-nahe Formate) mit der Reformation:
„Ich vergleiche diesen Prozess immer mit dem Auftreten der Reformation in der Weltgeschichte. Zuerst waren da die Katholiken, da gibt es den Pfarrer und den Apparat der Kirche, der die Vermittlung nach oben übernimmt; und dann kommt jemand und sagt, du kannst dich eigentlich auch selber an die höchste Instanz wenden und wir schalten den Vermittler aus. Ähnlich ist das auch mit den etablierten Medien auf der einen Seite, die den Leuten die Welt vermitteln, und dem neuen, direkten Zugang, wenn auch in anderen Formen.“ (S. 16)
Man möge sich also direkt an die höchste Instanz selbst (die FPÖ) wenden und sich nicht den Deutungen und Vermittlungen kritischer Dritter (den Medien) aussetzen. Die Tatsache, dass öffentliche Vermittlung, Interpretation und Kritik notwendig für den demokratischen Diskurs sind, passt nicht in das autoritäre Weltbild. Man spricht lieber „direkt“ und unmittelbar zu dem als homogen fantasierten „Volk“.
Diese Elemente – die Verweigerung von Komplexität und Ambivalenzen, der Reinheitswunsch, die Ablehnung von Vermittlung – sind Bestandteile der völkischen Ideologie der Freiheitlichen. Dazu zählt auch der beliebte Verweis auf den sogenannten „Hausverstand“ (4), der dazu dient, weit verbreitete Ressentiments zu aktivieren und gleichzeitig vor Kritik zu schützen. Wenig überraschend bezeichnet auch Kickl in dem Interview seine Politik als „hausverständlich“ (S. 25).
Putin-Style
Das Interview ist mit zahlreichen Fotos von Kickl illustriert, die den Text mit glorifizierendem Bildmaterial garnieren. Teilweise erinnert die Auswahl an die Propaganda eines Putin: So sieht man Kickl beim Triathlon, Kickl in Camouflage-Kluft beim Fallschirmspringen, Kickl am Gipfel eines Berges. Kurzum: Prädikat peinlich.
Die Worte des Ex-Innenministers lassen jedenfalls tief blicken und beweisen ein weiteres Mal die ideologische Deckungsgleichheit von freiheitlich und identitär. Der ÖVP geht es bei dem Vorstoß, die IB verbieten zu lassen, offensichtlich nicht um diese Dimension. Denn andernfalls würden nicht lediglich die Identitären als Gruppe postjugendlicher Extremisten im Fokus stehen, sondern vielmehr die offensichtlichen und gut erforschten ideologischen Schnittmengen mit der FPÖ. Das wäre das eigentlich Relevante bei diesem ganzen Thema.
Fußnoten
1 Identitären-Chef Martin Sellner hat erst kürzlich im Interview mit dem Boulevard-Format OE24 wieder betont, wie sehr er Strache dafür schätzt, dass er trotz aller Kritik an dem Wahn vom „Bevölkerungsaustausch“ festgehalten habe. Im O‑Ton: „Er [Strache] spricht den Begriff Bevölkerungsaustausch an und wagt sogar das Wort zu nennen, im Unterschied zu Hofer, er biedert sich nicht Standard und Falter und Co an, und deshalb muss ich sagen, dass Strache ein Politiker ist, der bleiben muss.“ (siehe Youtube, ca. ab Min. 15:20)
2 Alle folgenden Zitate stammen von „Freilich. Das Magazin für Selbstdenker“. Ausgabe No. 4/2019, Juni. 2019. Das Interview führten der Freilich-Chefredakteur Ulrich Novak, dessen Name auf einer Spenderliste der IB auftauchte, und der bekannt identitären-nahe Grazer Gemeinderat Heinrich Sickl.
3 Wir haben über die erste und die zweite Ausgabe des FPÖ-nahen Magazins bereits ausführlich berichtet.
4 Auch Sebastian Kurz greift diese rechtspopulistischen Elemente auf, indem er etwa rund um seine Abwahl als Kanzler den imaginierten Volkswillen über die Entscheidung des Parlaments stellte („Heute hat das Parlament bestimmt. Aber am Ende entscheidet in Österreich immer noch das Volk.“) und beim Thema Klimakrise gar den „Hausverstand“ als Handlungsmaxime der Wissenschaft vorziehen will.
Davon würde ich abraten.
Hallo, Wissenschaft! pic.twitter.com/dJ9hNlv4gB— ClaudiaZettel (@ClaudiaZettel) 21. August 2019