„Freilich“ setzt in der zweiten Ausgabe von März 2019 fort, was bereits in der ersten Nummer absehbar war: Eine Neujustierung in Richtung „neue“ und identitäre Rechte, womit weniger eine tatsächliche inhaltliche Veränderung gemeint ist, als eine strategische Neupositionierung. Man entschärft das völkische Vokabular im Sinne einer „metapolitischen“ Strategie, um zentrale Konzepte im medialen Mainstream lancieren zu können. Das personell wie strukturell eng mit der FPÖ verflochtene Blatt zeigt deutlich, wie substanzlos die gegenwärtigen Distanzierungen der FPÖ-Spitze von der „Identitären Bewegung“ (IB) sind, denn in „Freilich“ Nr. 2/19 kommen etliche zentrale Akteure eben dieses Milieus zu Wort und verbreiten jene Propaganda, die in der momentanen Medienberichterstattung hauptsächlich mit Identitären-Chef Martin Sellner in Verbindung gebracht, aufgrund von dessen eventueller Verbindung zum Christchurch-Attentäter.
Zwei IB-Kader
In der zweiten „Freilich“-Ausgabe kommen zwei deutsche identitäre Aktivisten in einem gemeinsam verfassten Artikel zu Wort: Arndt Novak und Jonas Schick. Ersterer ist Burschenschafter bei der Danubia München und trat bis 2017 als IB-Kader auf; etwa im August 2016 bei einer Flugblattverteilung, oder im Jänner 2017 als Moderator bei einer Veranstaltung mit Alexander Markovics (Identitäre Bewegung Österreich) zum Thema „Die Perspektiven der Reconquista im 21. Jahrhundert“. (siehe Update!) Eine Spiegel-Reportage von 2017 zitiert Novak mit dem Satz: „Ich finde es wichtig, dass etwas gegen den großen Austausch getan wird.“ Womit er jenen Slogan verwendet, den die IB seit Jahren verbreitet und den nun auch der Attentäter von Christchurch als Titel für sein wahnhaftes Manifest verwendet hat. Diesen Zusammenhang hat das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) bereits besprochen. Im Oktober 2018 hat Novak für das identitäre Medienprojekt „anbruch.info“ geschrieben und dort gegen „multiethnische Gesellschaften“ gewettert, welche die „staatliche Souveränität und soziale Stabilität“ gefährden würden (1); im Dezember 2018 hat er dann in einem ganz ähnlichen Sound für die erste Ausgabe von „Freilich“ geschrieben.
In der neuen Ausgabe schreibt Novak mit Co-Autor Jonas Schick, der bis 2017 Mitglied der JA Bremen (Jungorganisation der AfD) war und seither ebenfalls als IB-Kader auftritt. Im April 2018 deckten die Tageszeitung taz und die Website „afdwatchbremen.de“ auf, dass Schick, trotz mehrmaliger Leugnung durch den Bremer AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz, in dessen Regionalbüro tätig (gewesen) sein dürfte.
In ihrem gemeinsamen Artikel mit dem Titel „Deutschland von rechts“ beschreiben Novak und Schick die gegenwärtigen und historischen Entwicklungen ihrer Szene, die sie – dick auftragend – als „Mosaik-Rechte“ bezeichnen (der Begriff stammt von Benedikt Kaiser, einem weiteren „Sezession“- und „Antaios“-Autor). In dieser geschichtsverzerrenden Selbstbespiegelung beziehen die beiden IB-Kader sich – wenig überraschend – positiv auf die sogenannte „Konservative Revolution“, deren Vertreter als Wegbereiter des Nationalsozialismus gelten. Sie schreiben: „Die Euphorie mancher Vertreter der Konservativen Revolution gegenüber Hitlers Führerstaat ebbte schon nach kurzer Zeit ab und führte die einen in die innere Emigration, andere wiederum in den aktiven Widerstand, viele in inhaltliche Depression.“ (S. 53)
Diese Lüge lässt sich allein mit Verweis auf Carl Schmitt (2) widerlegen, dem Hauptvertreter der „Konservativen Revolution“, der ein überzeugter Nazi war und nicht zufällig oftmals als „Kronjurist des dritten Reichs“ bezeichnet wird. Sie schreiben weiter: „Entnazifizierung und Umerziehung entzogen der rechten Intelligenz die Lebensgrundlage“. Und kurz darauf heißt es, das Jahr 1968 stehe „symbolisch für den totalen Sieg des Antifaschismus und den Erfolg der Umerziehung.“ Mit der Frontstellung gegen 68 wird ein zentrales identitäres Narrativ bedient, das hier zusätzlich noch ganz offen mit einer Positionierung gegen Antifaschismus und „Umerziehung“ verbunden wird. Demgegenüber wird das Aufkommen der IB als neue „APO“ (außerparlamentarische Opposition) gefeiert und Götz Kubitscheks Netzwerk als wichtige Bezugsquelle für die identitäre Jugend dargestellt. (3)
Interview mit Szenegröße Philip Stein
Im aktuellen „Freilich“ findet sich ein mehrseitiges Interview mit dem völkischen Aktivisten Philip Stein, einer zentralen Figur im eng vernetzten „neurechten“ Spektrum Deutschlands. Er ist Mitglied der rechtsextremen Marburger Burschenschaft Germania und Gründer des Kampagnenprojekts „Ein Prozent für Deutschland“. Dieses betreibt Crowdfunding für rechte Projekte und Akteure, und gilt als Unterstützer der „Identitären Bewegung“. Nur zwei Wochen nach Gründung des Projekts durch Stein, dürften bereits 10 000 Euro an die IBÖ geflossen sein, so erfreut sich zumindest Götz Kubitschek im Blog seiner „neurechten“ Theorie-Zeitschrift „Sezession“ (4). Für Letztere schreibt Stein übrigens auch gelegentlich.
Zudem gründete der er 2016 den „Jungeuropa Verlag“, wo wichtige Vordenker der IB veröffentlicht werden; hervorzuheben wäre insbesondere Alain de Benoist, ein Vertreter der französischen Nouvelle Droite und der intellektuelle Säulenheilige der IB, dessen Buch „Kulturrevolution von rechts“ 2017 bei Jungeuropa erschienen ist. Die erste Veröffentlichung des Verlags war ein Roman von Pierre Drieu la Rochelle, einem französischen Faschisten, Antisemiten und Nazi-Kollaborateur während des Vichy-Regimes, den Stein in einem Interview mit der „Sezession“ als „leidenschaftlich europäisch und antibürgerlich denkenden Virtuosen“ (5) bezeichnet. Stein selbst schrieb gemeinsam mit Felix Menzel das Buch „Junges Europa: Szenarien des Umbruchs“. Menzel wiederum, der in der ersten Nummer von „Freilich“ interviewt wurde, gilt als eine Schlüsselfigur der IB in Deutschland.
Im Interview bezieht sich auch Stein auf den Begriff der „Mosaik-Rechten“, womit wie bei Novak/Schick eine breite Allianz von rechten Akteuren (von AfD bis IB) gemeint ist. Dazu sinniert er von der rechten „Kulturrevolution“: „Erst müssen die Köpfe, dann die Parlamente gewonnen werden.“ (S. 37) Damit knüpft er klar an das identitäre Lieblingsthema der „Metapolitik“ an.
Essay von Karlheinz Weißmann
Weiter gibt es einen Essay von Karlheinz Weißmann, den der Politikwissenschafler Samuel Salzborn als „wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland“ (2017, S. 41) bezeichnet. Weißmann gilt als Ideengeber der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, dem „Flaggschiff der Neuen Rechten“ (ebd.) in Deutschland, für die er seit Jahren eine Kolumne unter dem bezeichnenden Titel „Gegenaufklärung“ verfasst. Im Jahr 2000 gründete er gemeinsam mit Götz Kubitschek das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) und von 2003 bis 2012 war er auch Redakteur bei der „Sezession“. Er sieht sich als Schüler von Armin Mohler, der sich zum Faschismus bekannte, die Shoah relativierte und zeit seines Lebens die „Konservative Revolution“ propagierte – nach dem Vorbild der reaktionären Weimarer Intellektuellen um den späteren „Kronjuristen der 3. Reichs“ Carl Schmitt.
In der neuen „Freilich“-Ausgabe träumt Weißmann von einer „tektonischen Verschiebung“ im Politischen und freut sich über die „populistische Welle“ und „illiberale Demokraten“ (S.90). Er fragt: „Wer trägt die Verantwortung für die ungezügelte Masseneinwanderung, […] für den Terrorismus mit Migrationserfahrung […], für die zunehmenden Konflikte zwischen ethnischen, religiösen, politischen Gruppen, zwischen einer alternden, zurückgehenden einheimischen Bevölkerung und fremden, jungen aggressiven Landnehmern?“ (S. 89) Die Antwort: Das politische Establishment einerseits, „die linken Intelligenz und ihre Kollaborateure“ (S. 90) andererseits. Darauf folgt die Behauptung von einer „konsequente[n] Verfolgung abweichender Gedanken“ und einer entschlossenen „Durchsetzung kollektiver Umerziehung“. Im Jargon des üblichen Dekandenz- und Krisendiskurses, zählt Weißmann immer wieder angebliche Verfallserscheinungen auf, er schreibt etwa vom „kontinuierliche[n] Anwachsen der Straftaten“ und der „Duldung rechtsfreier Räume“ (ebd.). An Weißmanns Texten fällt auf, dass er abstruse Behauptungen und Entgleisungen gerne in langen Aufzählungen versteckt. In einer solchen Aufzählung von „Lebenslügen“, welche angeblich die deutsche Staatsdoktrin begründen, schreibt er 2014 von „Auschwitz als Gründungsmythos“ (Weißmann zit. nach Salzborn 2017, S. 57).
In seinem „Freilich“-Text landet Weißmann schließlich bei Alain de Benoist und dessen „Gramscismus von rechts“ (S. 92), womit es auch hier wieder um das identitäre Lieblingsthema „Metapolitik“ geht, also um den Kampf um „kulturelle Hegemonie“.
Immer wieder Lichtmesz/Semlitsch
Und schließlich Martin „Lichtmesz“ Semlitsch: Wiener Identitären-Ideologe, Autor bei „Antaios“ und Freund von Martin Sellner. Kubitschek bezeichnete beide erst kürzlich liebevoll als „die Martins aus Wien“ (6); in demselben Text auf seinem „Sezession“-Blog verteidigt er Sellner gegen die Ermittlungen und die Berichterstattung im Zusammenhang mit der Spende des Christchurch-Attentäters. Die Martins aus Wien gehören auch beide zu den produktivsten Autoren der „Sezession“. Semlitsch ist nicht nur ein identitärer Stichwortgeber und Vielschreiber, sondern auch Übersetzer. So übersetzte er etwa für Kubitscheks Verlag Renaud Camus „Revolte gegen den großen Austausch“ (2016), mit einem Nachtwort von Martin Sellner. Das Büchlein propagiert jene Verschwörungstheorie, auf die sich auch der Christchurch-Attentäter bezog.
Semlitsch hält das Schlusswort, wie bereits in der ersten „Freilich“-Ausgabe. Diesmal geht es völkisch gegen den Rechtsstaat – mit klarem Bezug auf die autoritären Fantasien von Innenminister Kickl und dessen Wunsch, das Recht möge der Politik zu folgen. Semlitsch schreibt: „In ethnokulturell heterogenen Gesellschaften werden Menschenrechte, ‚Werte’ und liberale Prinzipien zum Einfalltor für Kräfte, die den freiheitlichen, säkularisierten Staat von innen heraus zerstören. Darum hat das Recht der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht.“ (S. 99)
Es sei daran erinnert: Allzu verwunderlich ist diese Dichte an Identitärem in „Freilich“ nicht, denn Geschäftsführer der „Freilich Medien GmbH“ ist immerhin Heinrich Sickl, dessen gute Kontakte zur IBÖ bekannt sind – er vermietet ihnen immerhin Räumlichkeiten in der Grazer Schönaugasse. Außerdem ist der Grazer Gemeinderat ein Mitorganisator der sogenannten „Herbstakademie“, einer jährlich stattfindenden Kooperation zwischen dem Freiheitlichen Akademikerverband Steiermark und Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“.
Fazit
Kurzum: Während Martin Sellner im medialen Rampenlicht steht und die FPÖ-Spitze schwindelige Abgrenzungsversuche formuliert, werden Sellners ideologische Vordenker, Stichwortgeber und Freunde in „Freilich“ abgedruckt und können dort unbehelligt ihre Ideologie verbreiten. Der immer bekannter werdende IBÖ-Chef verkörpert definitiv nicht jene rechtsextreme Avantgarde, zu der er medial gerade hochgespielt wird. Die Identitären sind keine isolierbare Bewegung mit eigenständiger Ideologie, sondern Teil der „Neuen Rechten“ bzw. deren jugendlicher und aktionistischer Arm. Und was die Chefideologen dieser „Neuen Rechten“ – Semlitsch, Kubitschek, Weißmann, etc. – von sich geben, stimmt leicht nachweisbar weitgehend mit dem Weltbild der FPÖ überein.
Update 5.5.2020: Arndt Novak legt wert auf die Feststellung, dass er bei der Veranstaltung als Sprecher seiner Burschenschaft Danubia München und nicht als identitärer Kader aufgetreten ist.
Fußnoten
1 Website „anbruch.info“, zuletzt eingesehen am 03.04.2019
2 Wir haben zu Schmitt in einem anderen Zusammenhang bereits ausführlich berichtet – hier und hier
3 Wir haben über Kubitschek als zentralen Akteur der „neuen Rechten“ bereits an anderer Stelle ausführlich berichtet – siehe hier. Außerdem war er Autor in der ersten Ausgabe von „Freilich“ – siehe dazu hier
4 Website „Sezession“, Artikel: „Ein Wort zu einprozent.de, oder: 10 000 Euro nach Österreich“, zuletzt eingesehen am 03.04.2019
5 Website „Sezession“, Interview: „‚Europa muß zusammenstehen!’ – Im Gespräch mit Philip Stein über den Jungeuropa Verlag und Pierre Drieu la Rochelle“, zuletzt eingesehen am 03.04.2019
6 Website „Sezession“, Artikel: „Mein Freund Martin Sellner“, zuletzt eingesehen am 03.04.2019
Literatur
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten. Weinheim Basel: Beltz Juventa