„Neurechter“ Verdachtsfall – Teil 2: Bis in die FPÖ

In Deutsch­land wird das Net­zw­erk des Götz Kubitschek unter geheim­di­en­stliche Beobach­tung gestellt. In Öster­re­ich funk­tion­iert die Koop­er­a­tion zwis­chen diesem Net­zw­erk und dem FPÖ-nahen „Freilich“-Magazin prächtig.

Die medi­ale Präsenz der „neurecht­en“ Akteure hat sich auch in Öster­re­ich in den let­zten Jahren stark erhöht. Diese Entwick­lung begann mit dem Erfolg der öster­re­ichis­chen IB um deren Chef Mar­tin Sell­ner ab 2012. Neben dieser Kader­gruppe, die stark an Bedeu­tung ver­loren hat, kon­nten sich „Neurechte“ ab 2018 ins­beson­dere im „Aula“-Nachfolgemagazin „Freilich“ eine nach­haltige Plat­tform schaf­fen. (1) Damals hat sich bere­its eine strate­gis­che und per­son­elle Neu­justierung in Rich­tung „Neue Rechte“ abgeze­ich­net. Jet­zt, nach zwölf Aus­gaben, ist dieser inner-recht­sex­treme Kur­swech­sel offenkundig.

Der Grün­dung von „Freilich“ vor­ange­gan­gen war eine Koop­er­a­tion zwis­chen Kubitscheks IfS und dem Frei­heitlichen Akademik­er Ver­band (FAV) Steier­mark: die jährliche „Herb­stakademie“ im Steirischen Sem­ri­ach (zulet­zt 2019). Eine zen­trale Fig­ur dieser Ver­net­zung ist und war der Graz­er FPÖ-Gemein­der­at Hein­rich Sickl, der den Iden­titären bis 2019 Räum­lichkeit­en für deren Zen­trum in der Graz­er Schö­nau­gasse ver­mi­etete. Sickl ist Geschäfts­führer der „Freilich Medi­en GmbH“, Her­aus­ge­ber des „Freilich Mag­a­zins” und zudem Obmann des FAV Steier­mark, der wiederum mit 87,61% (2) der Haupteigen­tümer der GmbH ist.

Seit dem Relaunch Ende 2018 ist das Mag­a­zin beständig im Ange­bot gewach­sen. Es wurde nicht nur das aus dem Umfeld der Iden­titären stam­mende Online-Medi­um „Tagesstimme“ unter die Fit­tiche von „Freilich“ genom­men, son­dern es gibt nun auch einen Pod­cast mit dem Titel „Lagebe­sprechung“, der über die „Freilich“-Website gehört wer­den kann. Dabei han­delt es sich um eine direk­te Koop­er­a­tion von „Freilich“ mit den Ver­dachts­fällen „Antaios“, „Sezes­sion“ und „Ein Prozent“ – oder wie es auf der Web­site heißt: „mit Deutsch­lands größtem patri­o­tis­chem Bürgernetzwerk“

Freilich-Podcast mit Ein Prozent, Antaios und Sezession

Freilich-Pod­cast mit Ein Prozent, Antaios und Sezession

Hier wird auch nicht davor zurück­geschreckt, IB-Chef Mar­tin Sell­ner eine Plat­tform zu bieten. Zudem gibt es mehrere Sendun­gen mit IB-Aktivis­ten (wie dem Jung­faschis­ten Roman Mös­ened­er oder dem iden­titären YouTu­ber Alexan­der Malenki).

Freilich-Podcast mit Martin Sellner

Freilich-Pod­cast mit Mar­tin Sellner

Beson­ders heftig: In ein­er Folge darf auch der Inter­net-Aktivist Niko­lai Alexan­der, der hin­ter der im Sozialen Net­zw­erk „Dis­cord” aktiv­en Gruppe „Recon­quista Ger­man­i­ca“ ste­ht, auftreten. Laut Recherchen der Plat­tform „Bell­tow­er News“ kommt Alexan­der und der nach mil­itärischem Muster organ­isierten Gruppe „Recon­quista Ger­man­i­ca“ „eine Scharnier­funk­tion zwis­chen ‚Iden­titär­er Bewe­gung’ und klas­sis­ch­er Neon­azi-Szene“ zu. Zu der Pod­cast-Folge heißt es auf der „Freilich“-Website affir­ma­tiv: „Alexan­der hat in diesen Jahren mit seinem poli­tis­chen (Internet-)Aktivismus viele Höhen und Tiefen erlebt. Wir ziehen mit ihm ein Resümee zur aktuellen Lage der außer­par­la­men­tarischen Recht­en und stellen die Frage „Was tun?“ im Angesicht eines schein­bar über­mächti­gen Geg­n­ers.

Freilich-Podcast mit Nikolai Alexander

Freilich-Pod­cast mit Niko­lai Alexander

In zahlre­ichen Pod­cast-Fol­gen kom­men zudem FPÖ- und AfD-Poli­tik­er (darunter Her­bert Kickl, FPÖ-Gen­er­alsekretär Chris­t­ian Hafe­neck­er und AfD-Chef­faschist Björn Höcke) zu Wort. Wie die Artikel in „Freilich“ repräsen­tiert auch der Pod­cast die per­son­elle und ide­ol­o­gis­che Durch­dringung von par­la­men­tarischem und außen­par­la­men­tarischem Rechtsextremismus.

„Neurechte“ Sze­neak­teure (bis auf eine Aus­nahme nur Män­ner) sind in jedem Heft von „Freilich“ in Form von Artikeln oder Inter­views vertreten. Hier eine Auflis­tung ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Der oben zitierte Ras­sist Mar­tin Lichtmesz liefert in jedem Heft den let­zten Text. In den Heften 1 bis 10 mehrmals (min­destens zweimal) vertreten sind fol­gende Autoren:

Felix Men­zel (ehe­mals Vor­sitzen­der des Dachver­ban­des All­ge­mein­er Pen­näler Ring), Schlüs­selfig­ur der Iden­titären in Deutsch­land und Grün­der des „neurecht­en“ Jugendmedi­ums „Blaue Narzisse“ (Hefte 2 und 7); Nils Weg­n­er, „Antaios“-Lektor und „Sezession“-Autor (Hefte 4, 5, 6, 9, und 10); Gün­ter Scholdt, Lit­er­atur­wis­senschaftler, „neurechter“ Pub­lizist und Autor bei „Antaios“ (Hefte 4, 5, 7 und 9); Julian Sch­ern­thaner, „Tagesstimme“-Redakteur aus dem Umfeld der IB (Hefte 5, 6, 7, 9 und 10); Jonas Schick, „Sezession“-Autor (Hefte 7 und 9); Benedikt Kaiser, Poli­tik­wis­senschaftler, „Antaios“-Lektor und „Sezession“-Autor (Kurz­text in Heft 6, Artikel in Heft 10)

In den Heften 1 bis 10 ein­mal vertreten sind fol­gende Autoren*:

Götz Kubitschek (Heft 1), Philip Stein (Ger­ma­nia Mar­burg) (Heft 2), Grün­der und Chef von „Ein Prozent“ (im Inter­view mit Arndt Novak, Heft 2); Karl­heinz Weiß­mann (Deutsche Gilden­schaft), Mit­grün­der des IfS und graue Emi­nenz der „neurecht­en“ Szene (Heft 2); Till-Lucas Wes­sels, IB-Kad­er und „Sezession“-Autor (Heft 3); Philipp Hue­mer, IB-Kad­er und Ver­anstal­ter von „Gedenken 1683“ (Heft 5, im Inter­view mit Ulrich Novak); Car­o­line Som­mer­feld, Blog­gerin, „Sezes­sion“- und „Antaios“-Autorin (Heft 6, im Inter­view mit Ulrich Novak); Sebas­t­ian Zeilinger, IB-Aktivist und Aktivist bei der iden­titären „Alter­na­tive Help Asso­ci­a­tion“ (Heft 7); Alain de Benoist, recht­sex­tremer Philosoph aus Frankre­ich, zen­trale Bezugs­fig­ur der „Neuen Recht­en“, ins­beson­dere bezüglich deren Ver­ständ­nis von „Metapoli­tik“ und „kul­tureller Hege­monie“ (Heft 10, im Inter­view mit Kon­rad Mark­ward Weiss, dem ehe­ma­li­gen Press­esprech­er von H. C. Stra­che).

Aktivis­ten aus dem Kubitschek-Net­zw­erk – also die Autoren bei „Antaios“ und der „Sezes­sion“ – sind bei „Freilich“ beson­ders präsent. Damit hat sich das FPÖ-nahe Mag­a­zin die extrem­ste Frak­tion der deutschen „Neuen Recht­en“ aus­ge­sucht. Denn es gibt auch inner­halb dieser Sub­form Unter­schiede. So ging etwa die Wochen­zeitschrift „Junge Frei­heit“ um Her­aus­ge­ber Dieter Stein – seit Jahren als „neurecht­es“ Flag­gschiff in der Bun­desre­pub­lik bekan­nt – auf Dis­tanz zur Gruppe um Kubitschek. Ihr gehe es laut dem Recht­sex­trem­is­mu­s­ex­perten Hel­mut Keller­sohn „wie eh und je um die Massen- und All­t­agstauglichkeit neurechter und kon­ser­v­a­tiv-rev­o­lu­tionär­er Ideen, die sie im öffentlichen Bewusst­sein auf lange Sicht ver­ankert wis­sen möchte“ (Keller­sohn 2018, 104). Deshalb übe sie sich in „Abgren­zung gegen eine Fun­da­men­talop­po­si­tion à la Höcke“ (ebd.).

Kubitschek ste­ht bekan­ntlich für diese Fun­da­men­talop­po­si­tion. Davon zeugt der enge, bera­tende Kon­takt zu Björn Höcke, dem Kopf des inzwis­chen offiziell aufgelösten, aber inner­halb der Partei den­noch mächti­gen „Flügels“ der AfD, den der deutsche Ver­fas­sungss­chutz zulet­zt, nach­dem die Gruppe lange als Ver­dachts­fall galt, als gesichert recht­sex­treme Bestre­bung ein­stufte. Höcke darf zudem inzwis­chen gericht­sof­fiziell als Faschist beze­ich­net wer­den.

Auch Karl­heinz Weiß­mann, den der Poli­tik­wis­senschaftler Samuel Salzborn als „wichtig­sten Vor­denker der Neuen Recht­en in Deutsch­land“ (2017, S. 41) beze­ich­net, ist längst auf Dis­tanz zu dem Kubitschek-Net­zw­erk gegan­gen. Obwohl auch Weiß­mann und Stein für die Pro­gram­matik der „Neuen Recht­en“ ste­hen  („Metapoli­tik“, Intellek­tu­al­isierung, kul­turelle Hege­monie), gibt es doch einen Unter­schied in der mit­tel­fristi­gen Zielset­zung: Weiß­mann und Stein geht es um die Erlan­gung „kul­tureller Hege­monie“ inner­halb der demokratis­chen Insti­tu­tio­nen, Kubitschek und den seinen geht es um „Metapoli­tik“ außer­halb und gegen diese Insti­tu­tio­nen. Sie ver­ste­hen sich als avant­gardis­tis­che und nonkon­formistis­che Kad­er-Elite. Es ist ger­ade dieses Selb­stver­ständ­nis in Verbindung mit der völkischen Ide­olo­gie, das an die his­torischen faschis­tis­chen Bewe­gun­gen in ihren „rev­o­lu­tionären“ Früh­phasen erinnert.

Faz­it

Die enge Ver­flech­tung zwis­chen FPÖ und den „neurecht­en“ Aktivis­ten* in „Freilich“ über­rascht inhaltlich kaum. Kickl hat sich bere­its in einem Inter­view in Aus­gabe 4 (2019) völ­lig offen auf den iden­titären Pro­pa­gan­da-Slo­gan vom „Bevölkerungsaus­tausch“ bezo­gen. Davon weicht der FPÖ-Chefdem­a­goge auch nach sein­er Beru­fung zum Parteiob­mann keinen Mil­lime­ter ab. Mehr noch: Er ver­harm­lost in einem Stan­dard-Inter­view von Mitte Juni die iden­titären Neo­faschis­ten als „rechte NGOs“ und wieder­holt seine pos­i­tive Bezug­nahme auf die völkische Has­s­formel vom „Bevölkerungsaus­tausch“.

Ger­ade vor dem Hin­ter­grund dieser ide­ol­o­gis­chen Deck­ungs­gle­ich­heit zumin­d­est von Teilen der FPÖ mit dem Kubitschek-Net­zw­erk ist die aktuelle Ein­schätzung des deutschen Ver­fas­sungss­chutzes freilich brisant. Wäre die FPÖ in Deutsch­land schon ein Verdachtsfall?

➡️ „Neurechter“ Ver­dachts­fall – Teil 1: eth­nisch homo­gene Schrebergärten

1 Wir haben aus­führlich über die erste und die zweite Aus­gabe von „Freilich“ berichtet; zudem hat das Doku­men­ta­tion­sarchiv des öster­re­ichis­chen Wider­standes (DÖW) eine Ein­schätzung zum Relaunch veröffentlicht.
2 Bei Umwand­lung von Aula zu Freilich war noch der FAV Oberöster­re­ich als Eigen­tümer mit an Bord. Der ist laut Fir­men­buch mit­tler­weile aus­gestiegen. Im Vor­stand des FAV Steier­mark sind laut aktuellem Vere­in­sreg­is­ter­auszug neben Sickl mit Christo­pher Perk und Siegfried Waschnig noch zwei weit­ere Per­so­n­en zu find­en, die auf der BVT-Liste der Spender*innen an die Iden­titären stehen.

Lit­er­atur

Keller­sohn, Helmut/Häusler, Alexan­der (2018): Das Gesicht des völkischen Pop­ulis­mus. Neue Her­aus­forderun­gen für eine kri­tis­che Recht­sex­trem­is­mus­forschung. Mün­ster: Unrast Verlag
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Anti­demokrat­en. Die völkische Rebel­lion der Neuen Recht­en. Wein­heim Basel: Beltz Juventa