„Neurechter“ Verdachtsfall – Teil 1: ethnisch homogene Schrebergärten

In Deutsch­land wird das Net­zw­erk des Götz Kubitschek unter geheim­di­en­stliche Beobach­tung gestellt. Das hat einiges mit Öster­re­ich zu tun, weil die Beziehun­gen zwis­chen Kubitschek und öster­re­ichis­chen Akteuren vice ver­sa laufen.

Götz Kubitscheks „Antaios“-Verlag wurde Mitte Juni vom deutschen Ver­fas­sungss­chutz (BfV) zum Ver­dachts­fall erk­lärt. Somit ste­ht der „neurechte“ Ver­lag unter geheim­di­en­stlich­er Beobach­tung, wie BfV-Präsi­dent Thomas Halden­wang kür­zlich bei der Präsen­ta­tion des Ver­fas­sungss­chutzbericht­es 2020 bestätigte. In dem aktuellen Bericht wird – im Unter­schied zu jenen der let­zten Jahre – die soge­nan­nte „Neue Rechte“ mit einem rel­a­tiv aus­führlichen Unterkapi­tel (1) bedacht. Das ist begrüßenswert und über­fäl­lig. Als weit­ere neue Ver­dachts­fälle eben dieser Szene wer­den genan­nt: Jür­gen Elsässers ver­schwörungside­ol­o­gis­ches und ras­sis­tis­ches „COM­PACT-Mag­a­zin“, der Iden­titären-nahe Finanzierungs- und Ver­net­zungsvere­in „Ein Prozent“ und Götz Kubitscheks Think­tank „Insti­tut für Staat­spoli­tik“ (IfS), der mit einem uni­ver­sitären Insti­tut freilich nichts zu hat.

Let­zteres ist in Kubitscheks Wohn­sitz im sach­sen-anhaltischen Schnell­ro­da behei­matet, wie auch der „Antaios“-Verlag und das Mag­a­zin „Sezes­sion“, dessen Blog eine beträchtliche Reich­weite erzielt und es „neurecht­en“ Aktivis­ten* erlaubt rasch auf Ereignisse zu reagieren und diese mit einem recht­sex­tremen Spin zu verse­hen. (2)

Die geheim­di­en­stliche Aufmerk­samkeit für Kubitschek ist wenig über­raschend (3), denn dieser gilt nicht nur als wichtig­ste Förder- und Anlauf­stelle für die neo­faschis­tis­che „Iden­titäre Bewe­gung“ (IB) – die dem BfV immer­hin schon seit Som­mer 2019 als gesichert recht­sex­treme Organ­i­sa­tion gilt –, son­dern er veröf­fentlicht im Rah­men seines Klein­ver­lags und Mag­a­zins auch die Texte von deren Kadern: etwa von Mar­tin Sell­ner, Mario Müller oder Till-Lucas Wes­sels. Der Wiener Iden­titären-Ide­ologe Mar­tin Lichtmesz (eigentlich Sem­l­itsch) ist eben­so ein per­ma­nen­ter „Antaios“- und „Sezession“-Autor. Von ihm wurde etwa jenes Werk von Renaud Camus über­set­zt, das der „Iden­titären Bewe­gung“ ihren wichtig­sten Slo­gan geliefert hat: „Revolte gegen der Großen Aus­tausch“ (2016). Auch die Büch­er des wegen Volksver­het­zung vorbe­straften Autors Akif Pir­inç­ci erscheinen bei „Antaios“.

„Metapoli­tik“ und „Ethno­plu­ral­is­mus“

Die Beze­ich­nung „Neue Rechte“ ist mit Vor­sicht zu genießen, denn bezüglich der ihrer völkischen Ide­olo­gie ist sie ganz die alte. Dies haben die Autor*innen der Forschungs­gruppe Ide­olo­gien und Poli­tiken der Ungle­ich­heit (FIPU) in einem Artikel von 2016 in unverän­dert gültiger Weise dargestellt. Das Label „Neurechts“ existiert seit den 1970er-Jahren v.a. in Deutsch­land und Frankre­ich und ste­ht für eine Mod­ernisierungsstrate­gie. Dabei ging es von Anfang an darum recht­sex­treme Inhalte zu intellek­tu­al­isieren und in medi­alen und kul­turellen Kon­tex­ten zu platzieren. Diese Ein­flussnahme auf das vor­poli­tis­che Feld heißt im Szene­jar­gon „Metapoli­tik“. Dabei geht es darum, die öffentliche Debat­ten langfristig zu bee­in­flussen und die eige­nen völkischen Konzepte darin nach­haltig zu lancieren. Am Ende dieser „metapoli­tis­chen“ Arbeit ste­ht das Ziel ein­er recht­en Kul­tur­rev­o­lu­tion, wie es der franzö­sis­che Philosoph Alain de Benoist in seinem Text „Kul­tur­rev­o­lu­tion von Rechts“ (1985) propagierte. „Metapoli­tik“ beste­ht konkret haupt­säch­lich darin, die völkische Ide­olo­gie rhetorisch zu entstauben und harm­los­er erscheinen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist die bei „Neurechts“ durch­wegs beliebte Vok­a­bel „Ethno­plu­ral­is­mus“.

Der aktuelle deutsche Ver­fas­sungss­chutzbericht hält dazu in direk­tem Zusam­men­hang mit dem IfS – und mit Ver­weis auf das deutsche Grundge­setz – fest:

Dem Ethno­plu­ral­is­mus liegt die Annahme zugrunde, dass der Begriff des Staatsvolkes in einem exk­lu­siv abstam­mungsmäßi­gen Sinne zu definieren ist und somit Men­schen auszuk­lam­mern sind, die nicht den eige­nen eth­nis­chen Voraus­set­zun­gen entsprechen. Diese Ide­olo­gie, die eth­nis­chen Min­der­heit­en die Zuge­hörigkeit zum Staatsvolk ent­ge­gen § 3 StAG ver­wehrt, ist mit dem aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG fol­gen­den Gle­ich­heits­grund­satz unvere­in­bar. (S. 85–86)

Das als „Ethno­plu­ral­is­mus“ ver­harm­loste völkische Rein­heits- und Homogen­ität­sphan­tas­ma eint die „Neue Rechte“ ins­ge­samt, wobei das Konzept von der „Iden­titären Bewe­gung“ in den let­zten Jahren am offen­sivsten vertreten wurde. Dass es dabei zum völ­lig offe­nen, biol­o­gis­tis­chen Ras­sis­mus nicht weit hin ist, beweist Mar­tin Lichtmesz in seinem 2020 bei „Antaios“ erschienen Büch­lein mit dem Titel „Ethno­plu­ral­is­mus“, wo es heißt:

Der Weiße wird zum Uni­ver­sal-Sün­den­bock schwarzen Ver­sagens gemacht. Eine real­is­tis­che, fak­tenori­en­tierte Betra­ch­tung wird hinge­gen aufzuzeigen ver­suchen, daß die Ursachen der sozialen Min­der- und Fehlleis­tun­gen der schwarzen Bevölkerung in ihrem eige­nen Ver­hal­ten und ihren eige­nen eth­nokul­turellen und biol­o­gis­chen Dis­po­si­tio­nen zu suchen sind – also daß hier hor­ri­bile dic­tu eine reale Ungle­ich­heit vor­liegt, die sich nicht ther­a­peutisch, sozi-ökonomisch und sozial­tech­nisch behan­deln läßt. (Lichtmesz 2020, 167)

Hier lässt sich der „Ethno­plu­ral­is­mus“ nicht mehr vom biol­o­gis­tis­chen Ver­ständ­nis von „Rasse“ unter­schei­den. Aber selb­st dort, wo das vul­gäre Aus­buch­sta­bieren à la Lichtmesz aus­bleibt, geht es bei dem Konzept jeden­falls und immer um die Forderung nach ein­er räum­lichen Seg­men­tierung von Men­schen qua Herkun­ft oder Haut­farbe. Let­ztlich zielt es darauf ab, „Men­schheit als Ensem­ble eth­nisch homo­gen­er Schre­bergärten“ (Willibald Holz­er) einzurichten.

➡️ „Neurechter“ Ver­dachts­fall – Teil 2: Bis in die FPÖ
➡️ Doku-Tipp: Die Neue Rechte – Der Wahn vom homo­ge­nen Volk

Fußnoten

1 S. 74–86; Ver­fas­sungss­chutzbericht 2020 zum Down­load
Im Ver­fas­sungss­chutzbericht wird lediglich das IfS als Ver­dachts­fall beschrieben. Dass der Ver­lag eben­so als solch­er geführt wird, wurde von Halden­wang während der Präsen­ta­tion bestätigt. Dies ist aber lediglich ein Detail, denn IfS, „Antaios“ und „Sezes­sion“ wer­den unter einem Dach und von ein­er Per­son geführt; und die „Sezes­sion“ wird ohne­hin direkt vom IfS herausgegeben.
3 Anders als der Ver­fas­sungss­chutz haben antifaschis­tis­che Ini­tia­tiv­en und die kri­tis­che Recht­sex­trem­is­mus­forschung nicht bis jet­zt gebraucht, um zu erken­nen, dass die genan­nten Per­so­n­en und Organ­i­sa­tio­nen recht­sex­trem sind. Dies liegt nicht zulet­zt an dem in Deutsch­land for­mal verengten Extrem­is­mus-Begriff, mit dem der BfV operiert: Als „extrem” gilt, wer das Grundge­setz, also die Ver­fas­sung, angreift. 

Lit­er­atur

Keller­sohn, Helmut/Häusler, Alexan­der (2018): Das Gesicht des völkischen Pop­ulis­mus. Neue Her­aus­forderun­gen für eine kri­tis­che Recht­sex­trem­is­mus­forschung. Mün­ster: Unrast Verlag
Salzborn, Samuel (2017): Angriff der Anti­demokrat­en. Die völkische Rebel­lion der Neuen Recht­en. Wein­heim Basel: Beltz Juventa