Nichts Neues in Salzburg
Es waren keine „Linksradikalen“, die da in Salzburg im Jahr 2018 beauftragt wurden, die Biografien jener NS-belasteten Personen zu untersuchen und zu klassifizieren, nach denen in der Stadt Salzburg Verkehrsflächen benannt sind. Von den neun Mitgliedern des Fachbeirats kommen vier aus dem Salzburger Stadtarchiv und einer aus dem Landesarchiv; dabei waren auch die Leiterin der zuständigen Abteilung im Salzburger Magistrat und drei weitere Historiker aus dem universitären Umfeld. Die Kommission hatte 66 Namen zu untersuchen und in Kategorien einzuteilen.
Kategorie 1 (24 Personen): Das Ausmaß der NS-Verstrickung ist im Verhältnis zur Gesamtbiografie nicht derart gravierend, dass diese im Kurztext der Erläuterungstafel angeführt, sondern nur auf der Website der Stadt Salzburg im Eintrag im digitalen Stadtplan (www.stadt-salzburg.at/strassennamen) und auf der NS-Homepage (www.stadt-salzburg.at/ns-projekt) thematisiert wird.
Kategorie 2 (29 Personen): Die NS-Belastung wird auf der Erläuterungstafel angeführt, auf der Website der Stadt Salzburg im Eintrag im digitalen Stadtplan (www.stadt-salzburg.at/strassennamen) ausführlich erläutert und auf der Website des NS-Projekts der Stadt Salzburg (www.stadt-salzburg.at/ns-projekt) wissenschaftlich fundiert dargestellt.
Kategorie 3 (13 Personen): Aufgrund der gravierenden NS-Verstrickung besteht Diskussions- und Handlungsbedarf für die politischen Entscheidungsträger*innen. Es ist zu klären, ob mit einer Erläuterungstafel, dem ausführlichen Eintrag im digitalen Stadtplan (www.stadt-salzburg.at/strassennamen) und der biografischen Darstellung auf der NS-Homepage (www.stadt-salzburg.at/ns-projekt) das Auslangen gefunden wird oder eine Umbenennung in Erwägung gezogen werden soll.
(Nach NS-belasteten Personen benannte Straßen in der Stadt Salzburg)
Der Kategorie 3, also jene Personen, die als schwerbelastet gelten, wurden seitens des Fachbeirats zugeteilt (fett mit einer einstimmigen Entscheidung):
Brandauer, Kuno (Landesbeamter, Volkskundler, Obmann des Salzburger Landestrachtenverbandes)
Damisch, Heinrich, Dr. (Musikschriftsteller, Mitbegründer der Salzburger Festspiele)
Karajan, Herbert von (Dirigent)
Landgrebe, Erich, Dipl.-Kfm. (Schriftsteller, Maler)
Pfitzner, Hans, Dr. h. c. (Komponist, Dirigent)
Porsche, Ferdinand, Dr. Ing. h. c. (Konstrukteur)
Reiser, Tobias (Volksmusikant, Kulturfunktionär)
Resatz, Gustav (Bildender Künstler)
Sauer, Franz (Domorganist, Professor am Mozarteum)
Schenk, Erich, Univ.-Prof. Dr. (Musikwissenschafter)
Sedlmayr, Hans, Univ.-Prof. Dr. (Kunsthistoriker)
Thorak, Josef (Bildender Künstler)
Waggerl, Karl Heinrich (Schriftsteller)
Gleich nach Erscheinen des Abschlussberichts kamen die ersten politischen Reaktionen. Der SPÖ-Vizebürgermeister meinte:
„Gar nichts tun ist für mich unvorstellbar“, betont Auinger. Der KZ-Verband beharrt auf der Umbenennung aller Straßen, die nach Nazis und ihren Mitläufern benannt sind. Salzburg brauche keine Nazis und Opportunisten als Vorbilder. Auch die grüne Bürgerliste hält Straßenumbenennungen für unumgänglich und will eine einheitliche Lösung für alle 13 schwerbelasteten Namen. Die Neos wollen ergänzende Zusatztafeln, die Bürger seien mündig genug für eine Einordnung. (derstandard.at, 8.6.21)
Der ÖVP Bürgermeister Harald Preuner hat sich ebenfalls bereits festgelegt: Er schließt eine Umbenennung aus und befindet sich damit auch in trauter Gesellschaft mit der FPÖ, die das bereits vor Erscheinen des Berichts getan hatte. Mit ÖVP, FPÖ und Neos hat sich daher eine Mehrheit dafür ausgesprochen, dass die braunen Namen bleiben sollen. Preuner hat nun den als ÖVP-nahe geltenden Historiker Robert Kriechbaumer beauftragt, Empfehlungen für das weitere Verfahren auszuarbeiten. Viel hat Kriechbaumer nicht zu tun, da es nur mehr die Wahl gibt, entweder alles in der bisherigen Form zu belassen oder Zusatztafeln anzubringen.
Eine klare Reaktion folgte von allen Zeithistoriker*innen des Fachbereichs Geschichte an der Universität Salzburg.
Sie zeigten sich in einer Stellungnahme befremdet, dass Preuner die Forschungsergebnisse des „akribisch recherchierten und differenzierten Abschlussberichts ohne jede ernsthafte Auseinandersetzung vom Tisch wischt.“ Stattdessen wolle Preuner offenbar einen einzigen, parteinahen Historiker damit beauftragen, eine Empfehlung über das weitere Vorgehen abzugeben, hieß es in dem der APA vorliegenden Schreiben. (…) Die Zeithistoriker der Universität fordern die Stadtpolitik auf, die Ergebnisse der von ihr selbst eingesetzten Historikerkommission ernsthaft zu diskutieren und erst darauf aufbauend politische Entscheidungen in Bezug auf den Umgang mit „belasteten” Straßennamen zu treffen. (APA, 21.6.21 via wienerzeitung.at)
Inzwischen sind Bürger*innen schon zur Tat geschritten: Sie haben die Hans-Pfitzner-Straße und die Heinrich-Damisch-Straße kurzerhand mit Aufklebern versehen, wie die APA berichtet. „Unbekannte haben in den vergangenen Tagen ein Straßenschild mit einem Aufkleber versehen. ‚Rassistische Kackscheisse’ ist darauf zu lesen. Das Schild soll nun umgehend gereinigt werden.” Hier geht es also umgehend, wenn es gilt, den braunen Mief wieder in seiner alten Form herzustellen.
➡️ Schlussbericht des Fachbeirats „Erläuterungen von Straßennamen“ zum Download
➡️ Kommentar der anderen im Standard: Salzburger Straßennamen: NS-Befreiung – einmal anders
Nichts Neues in Wien-Mariahilf
Während die Diskussionen um das Lueger-Denkmal in Wien nun seit vielen Jahren andauern, die Stadtpolitik in die xte Runde geht, um einem Umgang mit dem nach dem Antisemiten Lueger benannten Platz und Denkmal zu finden, gab es einen ersten Versuch in Wien, eine Verkehrsfläche nach der überaus verdienstvollen „Doyenne” der österreichischen Zeitgeschichte, Erika Weinzierl, zu benennen. Die Grünen Mariahilf stellten in der Sitzung der Bezirksvertretung am 17. Juni den Antrag, „die zuständigen Stellen des Magistrats der Stadt Wien (MA 7 etc.) [zu] ersuchen, die Rahlstiege in Erika-Weinzierl-Stiege umzubenennen.“
In der Begründung heißt es:
Die Historikerin Erika Weinzierl wuchs in Mariahilf auf, besuchte hier die Volksschule und maturierte 1943 am Gymnasium Rahlgasse.
„Sie leitete das Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften und war ordentliche Universitätsprofessorin an der Universität Salzburg und der Universität Wien. Lange Zeit war sie eine der wenigen Frauen im deutschsprachigen Raum und die einzige in Österreich auf einem Geschichts-Ordinariat. Für ihre wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wurde sie vielfach ausgezeichnet, langjährig stand sie der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich vor, deren Ehrenpräsidentin sie später wurde.”
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erika_Weinzierl)
Erika Weinzierl erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihr Schaffen und Wirken, unter anderem das Große Silberne Ehrenzeichen der Republik.
Eine Ehrung in Mariahilf — einem Bezirk mit einem geringen Anteil an nach Frauen benannten Verkehrsflächen — durch Umbenennung der Rahlstiege, bietet sich nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe zum Gymnasium Rahlgasse perfekt an, zumal dadurch das Gedenken an den Maler Carl Rahl aufgrund der unveränderten Gassenbenennung erhalten bleibt.
Während sich beim Tod von Erika Weinzierl im Oktober 2014 vom damaligen Bundespräsidenten Fischer abwärts noch hochrangige Vertreter*innen von SPÖ und ÖVP „tief betroffen“ gezeigt und Weinzierls Verdienste um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und ihr Engagement gegen Antisemitismus betont hatten, war davon in der Mariahilfer Bezirksvertretung nichts mehr übrig. SPÖ und ÖVP lehnten selbst die für derartige Angelegenheiten übliche Vorgangsweise einer Zuweisung in die zuständige Kommission ab. Daher wurde der Antrag schließlich mit Stimmen von SPÖ, ÖVP, Neos und FPÖ ratzfatz abgelehnt.
Üblicherweise werden Anträge auf Um-/Neubenennung von Verkehrsflächen der zuständigen Kulturkommission zugewiesen. Dass die SPÖ ausgerechnet bei der Benennung nach Erika Weinzierl diese Diskussion gemeinsam mit der ÖVP verweigert, ist völlig unverständlich. Und traurig.
1/2 https://t.co/yYDRyzwRhx— Michi Reichelt (@mir70) June 29, 2021
➡️ Nachrufe auf Erika Weinzierl – Der Standard: Historikerin Erika Weinzierl gestorben