Es wirkt schon gespenstisch, wenn ein deutscher Bundestagsabgeordneter mit Perücke, Kapuze, Handschuhen verkleidet nur von hinten bei einem TV-Interview auftritt, seine Antworten in einen Laptop tippt, um nicht sprechen zu müssen, weil er, wie in der Reportage „Geheimes AfD-Netzwerk: was will Strippenzieher Tom Rohrböck?” betont wird, von Angst getrieben ist, von Rohrböck erkannt zu werden.
Nicht ganz so drastisch, aber dennoch in dieselbe Stoßrichtung gehend, drückt es die AfD-Spitzenkandidatin für die kommende Bundestagswahl, Alice Weidel, aus. Auf die Frage, ob sie in Bezug auf ihre Bereitschaft, ein Interview zu geben, Angst vor Rohrböck habe: „Man hat natürlich schon Respekt vor bestimmten Sachen, wenn man nicht ausreichend Kenntnis hat. Ja. (…) Ich habe mir das sehr lange überlegt.“ (Geheimes AfD-Netzwerk)
Worauf begründen sich die Ängste der von Rohrböck unterstützten Politiker*innen? Ein Faktum: Rohrböck hat ein fast unüberschaubares Netz an sich als Nachrichtenportal gebenden Internetseiten aufgebaut. Dort werden Politiker*innen hoch‑, aber auch niedergeschrieben.
Mit österreichischer Domain wäre da etwa skylla.at, die einzige Seite, in der Rohrböck selbst im Impressum steht.
Offiziell will skylla Beratungen zu Finanzprodukten liefern. Tatsächlich geht es aber auch um bloße Politik. 2013 wird dort etwa gegen die Wiedervereinigung der Kärntner BZÖ-FPK-Reste mit Straches FPÖ gewettert:
Die Reste der einst verheissungsvoll unter Uwe Scheuch und Kurt Scheuch gestarteten Kärntner Freiheitlichen (FPK) haben nun beschlossen wieder willfähriger Teil der FPÖ zu werden. Damit ist der FPÖ-Landesverband Kärnten nur noch eine Art Filiale der stramm auf HC Strache intonierten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Hier tun sich Chancen gerade auch für das BZÖ auf, weiterhin die typischen Interessen der Kärntner in Wien zu vertreten.“ (skylla.at)
Im März 2014 berichtet skylla über einen „Fonds professionell Kongress“ in Wien und dessen „hochkarätige“ Besetzung: Da wird der Handlungsbevollmächtigte der Immobilienfondsfirma „Fairinvesta” Otmar Knoll groß angeteasert. Nicht erwähnt wird, dass der wegen riesiger Steuerschulden gepfändet wurde und dann die „Geldvermehrungsmaschine Fairvesta“ auch in Schieflagen manövrierte, wie die WirtschaftsWoche bereits 2013 berichtet hatte.
An „Hochkarätigem“ aus Österreich nahmen noch der Ex-Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, Ronald Barazon, die damalige FPÖ-Landtagsabgeordnete und spätere EU-Mandatarin Barbara Kappel und BZÖ-Obmann Gerald Grosz teil.
skylla ist aber bei weitem nicht das einzige mit Rohrböck assoziierte Medium, das unter österreichischer Adresse agiert. Zu dem „Depeschen-Netzwerk“ (Hessen Depesche, Bayern Depesche, Sachsen Depesche und der Saar Depesche) hat sich 2018 auch die Austria Depesche hinzugesellt. Die in Salzburg gemeldete GmbH gehört je zur Hälfte einer „Barracuda Intelligence GmbH“ mit Sitz im sächsischen Freiberg und dem Finanz‑, Immobilienmakler und FDP-Politiker Kolja Saß aus dem hessischen Gelnhausen. Als Geschäftsführer eingetragen ist Bernd Kaus, ebenfalls aus Gelnhausen und auf der dortigen Wahlliste als Kandidat der FDP geführt.
Kaus taucht wiederum als ehemaliger Geschäftsführer der 2013 in die Insolvenz gegangenen Firma „FairPlay GmbH“ auf. Gleichzeitig scheint die „Austria Depesche GmbH“ als Eigentümerin von weiteren deutschsprachigen Online-Magazinen auf: der Rodgauer Morgen, der Meraner Morgen, die Kleine Winzerin vom Rhein, Verona prima, die Art Depesche und Colportage.
Wie dubios das Depeschen-Netzwerk agiert, zeigen schon Recherchen ab 2015 der „Interessengemeinschaft rechte ‚Kinderschutz’-Seiten”: wechselnde Impressen, die von Deutschland bis nach Neuseeland changieren, Autor*innen aus der rechtsextremen Ecke wie etwa der Neonazi Jürgen Gansel, Verbindungen zum NPD-Vorsitzenden Frank Franz (dessen Aktivitäten im Umfeld von Rohrböck nun zu Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geldwäsche geführt haben (1)) und auch Fake-Autor*innen.
Der vermutete Background: Hier werden in diversen Geflechten auch Personen mit Jobs versorgt, für die sie weder besondere Qualifikationen mitbringen, noch relevante Tätigkeiten auszuüben scheinen. Dettleff Schilde, der für sein Engagement für das BZÖ (siehe Teil 1) eine monatliche Zahlung über 7.000€ erhalten hatte, war
zeitweise als Geschäftsführer zweier Verlage aufgeführt. (…) Getarnt wurden die Zahlungen [an Schilde, Anmk. SdR] als Vergütung für Schildes Tätigkeit als Verlagsgeschäftsführer. Tatsächlich aber gab es kaum Geschäfte, die er hätte führen können. Unser Reporterteam konnte für die Zeit, in der Schilde den Verlag angeblich leitete, keine einzige Veröffentlichung ausfindig machen. (zeit.de, 23.6.21; Paywall!)
Öffnet man die Austria Depesche, schaut zuallererst der Neos-Nationalrat Gerald Loacker entgegen – der bereits jede Menge lobende Einträge erhalten hat. Ähnlich wie der in der letzten Woche als Nationalratsabgeordneter zurückgetretene Sepp Schellhorn.
Beide sind mit Rohrböck auch auf Facebook befreundet (2) – gleich wie die Neos EU-Abgeordnete Claudia Gamon*, die FPÖ-Leute Martin Graf, Reinhard Bösch, Andreas Rabl, Harald Vilimsky, Wendelin Mölzer und der mittlerweile in arge Nöte geratene EX-Nationalratsabgeordnete Thomas Schellenbacher.
Apropos Facebook: Während Josef Bucher seine Geburtstagswünsche an Rohrböck nach seinem Ausscheiden aus der Politik eingestellt hat, gratuliert der exfreiheitliche Funktionär Günther Harmuss jährlich bis heuer unverdrossen weiter. Der umtriebige Harmuss war uns vor etwa zehn Jahren besonders aufgefallen, weil er „Stoppt die Rechten“ nach der Berichterstattung über seine neonazistischen Facebook-Interessen Klagen angedroht hatte, da wir seinen Ruf „international“ ruiniert hätten.
„Die Zeit” erwähnt einen weiteren Österreich-Bezug: „Der Name Denis D. [3] taucht auch in den Handelsregisterauszügen auf, die unser Reporterteam gesichtet hat. Bis heute ist er Geschäftsführer einer Firma, die ein ehemaliger Geheimdienstchef aus Österreich gegründet hat, ein Geschäftspartner von Tom Rohrböck.“
In der Hessen Depesche ist im Juni 2019 unter dem Titel „Red Eagle ICO von Dr. Reiner Stemme stieß auf der Airshow in Paris auf große Beachtung” zu lesen:
Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach besuchte Dr. Reiner Stemme und Dr. Wolfgang Stemme bereits im März in Salzburg. Bosbach zeigte sich, ähnlich wie der österreichische Politiker Konrad Steindl (ÖVP) oder der Geheimdienstkoordinator Dr. Gert Polli vom technischen Anspruch des Red Eagle beeindruckt.
Polli, Ex-Chef des BVT, war unter der Türkis-Blauen Regierung in die Schlagzeilen gekommen, weil er bei den Regierungsverhandlungen die FPÖ beraten und dafür 33.000 Euro über das Freiheitliche Bildungsinstitut kassiert hatte. Herbert Kickl engagierte Polli dann wieder fürs Innenministerium und entsandte ihn als „Verbindungsbeamten” nach Spanien – eine Entscheidung, die der Übergangsminister Peschorn umgehend wieder rückgängig machte.
Eine weitere Firma in Rohrböcks Umfeld hat ihren offiziellen Sitz in Salzburg – an derselben Adresse wie die „Austria Depesche GmbH“: die im Mai 2021 eingetragene „Creamona GmbH”.
Die will „die besten“ Restaurants und Hotels zwischen der Nordsee und Italien empfehlen (bislang haben es gerade einmal drei Betriebe aus Hannover geschafft, empfohlen zu werden), wirkt jedoch letztlich nur wie ein Werbeportal für den Eierkocher „Super Egg 3000“ – von dem wir jedoch keinen Beleg gefunden haben, dass es ihn überhaupt gibt.
Berichtet wird vom „Super Egg“ (das laut der „Depesche Austria GmbH-Tochter” Winzerin vom Rhein in ein Gastrobeteiligungsunternehmen umgewandelt werden sollte) und von „Creamona“ fast ausschließlich im Medien-Netzwerk des Tom Rohrböck.
Creamona-Geschäftsführer ist Norbert Peter, der Imagefilme und dergleichen macht. Seit mehr als zwei Jahren sammelt Peter Spenden für einen Film, in dem Verschwörungsmythiker wie Daniele Ganser und Ken Jebsen dabei sind. Rausgekommen sind bislang drei Filmchen mit Ganser, Jebsen und Dirk Müller, in denen die zum Spenden aufrufen. Von den angestrebten 150.000 Euro sei laut Website bislang ein Drittel reingekommen. Wo dieses Geld wohl hergekommen bzw. hingeflossen ist?
Nun heißt es nicht, dass sich alle hier genannten Personen auf eine „Geschäftsbeziehung“ mit Rohrböck eingelassen haben, schon gar nicht, dass sie in strafrechtlich relevanten Vorgängen involviert sind. Aber die doch weit zurückreichenden Funde im Internet zeigen: Zumindest in späteren Zeiten musste auf Rohrböck niemand reinfallen. Wer sich auf ihn eingelassen hat, hat auf Recherchen verzichtet oder seine Umtriebe billigend in Kauf genommen. Beides kein gutes Zeichen!
➡️ Tom Rohrböck & die Österreich-Connections (Teil 1)
➡️ Tom Rohrböck & die Österreich-Connections (Teil 3)
➡️ Tom Rohrböck & die Österreich-Connections (Teil 4)
➡️ Tom Rohrböck und der Neonazi
*Update 30.7.21: Claudia Gamon hat sich inzwischen von Rohrböcks FB-Account entfreundet – wie etwa 60 andere auch.
Berichte zu Rohrböck:
Die Zeit: Die Suche nach dem rechten Phantom
Podcast Die Zeit: der Schattenmann der AfD
Video STRG_F: Geheimes AfD-Netzwerk: was will Strippenzieher Tom Rohrböck?
Tagesschau: NDR: Das rechte Phantom
Das Redaktionsnetzwerk (RND): Alice Weidel und das Phantom der AfD: Wer ist Tom Rohrböck?
Fußnoten:
1 „Der NPD-Chef Frank Franz taucht als Geschäftsführer einer Firma auf, an die bis 2015 mindestens 150.000 Euro geflossen sein sollen – aus Tom Rohrböcks Firmengeflecht. Über fingierte Rechnungen gelangte das Geld dann offenbar vom Firmenkonto in das private Umfeld von Frank Franz und Tom Rohrböck. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ermittelt deshalb gegen die beiden, unter anderem wegen des Verdachts auf Geldwäsche.“ (zeit.de)
2 Mit den FB-Freund*innen aus dem BZÖ-Stall haben wir uns bereits in Teil 1 beschäftigt.
3 Die Zeit zu Denis D.: „Rohrböck stützt Miazga – und nutzt sie für seine Zwecke. Einer von Miazgas damaligen Mitarbeitern, ein AfD-Mann namens Denis D., dient ihm als Verbündeter. Denis D. ist bestens vernetzt und treibt sich vor allem in den Facebook-Gruppen der AfD herum, eine Art parteiinterner Influencer. Er macht Stimmung, spricht sich vor wichtigen Personalentscheidungen für oder gegen bestimmte Kandidaten aus. Glaubt man Rohrböck, dann lässt sich Denis D. von ihm regelrecht steuern: »Denis wird abermals umgepolt«, schreibt Rohrböck einmal an Corinna Miazga.“ (zeit.de)