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Rückblick KW 42/23 (I)

Von bru­ta­len „Hells Angels“, blau­em „Geden­ken“, iden­ti­tä­ren Spen­den, par­la­men­ta­ri­scher Aberken­nung, anti­se­mi­ti­schen Angrif­fen und einem Hit­ler­grü­ßer bei der Viennale.

25. Okt 2023
Rückblick
Rückblick

Ried/OÖ: Razzia bei „Hells Angels“
Wels/OÖ: FPÖ-Bürgermeister instrumentalisiert Gedenken für Konkurrenzveranstaltung
Mauthausen/OÖ: Wirbel um mutmaßlichen Identitären-Spender Grünsteidl nach Recherche von „Stoppt die Rechten“
Wien: Nationalrat beschließt auch posthume Aberkennung von Ehrenzeichen
Wien-Linz-Salzburg: Antisemitischer Angriffe
Wien: Hitlergruß bei Viennale-Fest

 

Ried/OÖ: Razzia bei „Hells Angels“

Die Poli­zei-Son­der­ein­heit Cobra führ­te am Frei­tag, den 13. Okto­ber, eine Raz­zia bei einem Ver­eins­lo­kal der „Hells Angels“ in Pat­ting­ham, Nähe Ried, durch. Der Haupt­grund für den Ein­satz war ein Vor­fall in einem Tanz­lo­kal in Tumelts­ham, der sich im Sep­tem­ber ereig­net hat­te. Dazu die Staats­an­walt­schaft Ried gegen­über den OÖ-Nachrichten:

Eine Rei­he von Mit­glie­dern des Motor­rad­clubs tauch­te Mit­te Sep­tem­ber in die­sem Lokal auf. Dort kam es schließ­lich zu meh­re­ren absicht­li­chen Kör­per­ver­let­zun­gen, zudem woll­te man vom Lokal­be­trei­ber Schutz­geld erpres­sen. Laut den bis­he­ri­gen Ermitt­lun­gen wur­de gedroht, dass es erneut zu einem sol­chen „Besuch“ kom­men wer­de, falls man nicht bereit sei, Geld zu bezah­len. (Staats­an­walt­schaft zit. nach nachrichten.at, 16.10.23)

Bei der Raz­zia wur­den Schuss­waf­fen, Dro­gen und meh­re­re Daten­trä­ger sicher­ge­stellt. Außer­dem fan­den in dem­sel­ben Ermitt­lungs­kon­text zeit­gleich zwei wei­te­re Haus­durch­su­chun­gen bei pri­va­ten Adres­sen in OÖ und Wien statt. Ins­ge­samt wur­den drei Män­ner ver­haf­tet, einer von ihnen erst am Fol­ge­tag. Gegen die Män­ner wird wegen Erpres­sung, Kör­per­ver­let­zung, Ver­ge­hen nach dem Waf­fen­ge­setz sowie der Bil­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung ermit­telt. (nachrichten.at)

Män­ner­bün­disch orga­ni­sier­te Motor­rad­clubs wei­sen immer wie­der ideo­lo­gi­sche, geschäft­li­che und per­so­nel­le Über­schnei­dun­gen mit der rechts­extre­men bzw. neo­na­zis­ti­schen Sze­ne auf. Ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund von deren Gewalt­be­reit­schaft sowie den zahl­rei­chen Waf­fen­fun­den in die­sen Milieus in der letz­ten Zeit, bleibt die­ser Zusam­men­hang bri­sant. Die „Hells Angels“ waren etwa, genau wie der Kon­kur­renz-Moto­rad­club „Ban­di­dos“, in kri­mi­nel­le Geschäf­te mit den ober­ös­ter­rei­chi­schen Neo­na­zis von „Objekt 21“ ver­wi­ckelt. Rund um die „Ban­di­dos“ und „Objekt 21” wur­de wie­der­um Ende Juni ein unge­heu­res Waf­fen- und NS-Devo­tio­na­li­en-Arse­nal gefunden.

Wels/OÖ: FPÖ-Bürgermeister instrumentalisiert Gedenken für Konkurrenzveranstaltung

Seit vie­len Jah­ren betreibt die Anti­fa Wels erfolg­reich Erin­ne­rungs­ar­beit, dar­un­ter beson­ders wich­tig: die jähr­lich statt­fin­den­de Pogrom­nacht-Kund­ge­bung zum Geden­ken an die Novem­ber­po­gro­me von 1938. Dass in die­sem Zusam­men­hang kei­ne Zusam­men­ar­beit mit Vertreter*innen der rechts­extre­men FPÖ statt­fin­den kann, ver­steht sich von selbst. Der Wel­ser Bür­ger­meis­ter Andre­as Rabl (FPÖ) ver­sucht es des­halb seit sei­nem Amts­an­tritt mit einer Kon­kur­renz­ver­an­stal­tung, der Wel­ser „Gedenk­kund­ge­bung“. Die Jüdi­sche österr. Hochschüler*innenschaft (JöH) hat auf die­se Absur­di­tät bereits im Jahr 2020 pas­send und nach wie vor gül­tig reagiert, als sie in einer Pres­se­aus­sendung for­der­te: „dass die FPÖ kei­ne Pseu­do-Geden­ken für die Ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­an­stal­tet, solan­ge die Par­tei nicht das gerings­te getan hat, um ihren offen­kun­di­gen und laten­ten Anti­se­mi­tis­mus in den eige­nen Rei­hen auf­zu­ar­bei­ten“ (ots.at, 9.11.2020).

Nun hat der FPÖ­ler Rabl noch ein­mal ordent­lich an Absur­di­tät nach­ge­legt: Er hat eine Initia­ti­ve ins Leben geru­fen, die Schul­klas­sen für die Teil­nah­me an sei­ner „Gedenk­ver­an­stal­tung“ mit einem Geld­be­trag von 200 Euro für Schul­pro­jek­te beloh­nen möch­te. Rabl beton­te die Nor­ma­li­tät eines sol­chen Vor­ge­hens, wäh­rend ihm SPÖ, ÖVP und Grü­ne eine Instru­men­ta­li­sie­rung der Schüler*innen vor­war­fen, um sei­ner Ver­an­stal­tung höhe­re Besucher*innenzahlen zu besche­ren. (nachrichten.at, 18.10.23)

Bun­des­prä­si­dent Alex­an­der Van der Bel­len wird heu­er bei der anti­fa­schis­ti­schen Pogrom­nacht-Kund­ge­bung spre­chen, was Rabl hin­sicht­lich sei­ner blau getön­ten Kon­kur­renz­ver­an­stal­tung zusätz­lich ärgern könnte.

Ein­la­dung zur Gedenk­ver­an­stal­tung zum 85. Jah­res­tag der Novem­ber­po­gro­me (Anti­fa Wels)

Übri­gens schwingt in Rabls pein­li­chem Kei­len um Schüler*innen eini­ge Iro­nie mit: Schließ­lich zir­ku­liert in blau-brau­nen Medi­en- und Poli­tik­mi­lieus seit lan­gem die pro­pa­gan­dis­ti­sche Lüge, bei anti­fa­schis­ti­schen Aktivist*innen hand­le es sich um bezahl­te Akteu­re. Nun zeigt sich denk­bar plump, wer tat­säch­lich ver­sucht pseu­do-zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment qua Bezah­lung zu mobilisieren.

Mauthausen/OÖ: Wirbel um mutmaßlichen Identitären-Spender Grünsteidl nach Recherche von „Stoppt die Rechten“

Der Maut­hau­se­ner Gemein­de­rat Sascha Grünst­eidl wur­de heu­er vom Land OÖ mit dem Ehren­zei­chen „Ver­diens­te um die Jugend“ aus­ge­zeich­net. „Stoppt die Rech­ten“ hat in einer Recher­che nicht nur die Kon­ti­nui­tät ober­ös­ter­rei­chi­scher Ehrun­gen von Rechts­extre­men auf­ge­zeigt, son­dern auch, dass Grünst­eidl als Spen­der bzw. Mit­glied der „Iden­ti­tä­ren“ in einer ent­spre­chen­den Spender*innenliste des Ver­fas­sungs­schut­zes aufscheint.

Wäh­rend der für die Ehrung ver­ant­wort­li­che ÖVP-Lan­des­rat Wolf­gang Hatt­manns­dor­fer erklä­ren ließ, dies sei zum Zeit­punkt der Ehrung noch nicht bekannt gewe­sen und man kön­ne die Lis­te nicht veri­fi­zie­ren, zeig­ten sich die Maut­haus­ner Gemeindepolitiker*innen der Par­tei­en außer­halb der FPÖ bestürzt und for­der­ten in einer par­tei­über­grei­fen­den Stel­lung­nah­me vol­le Auf­klä­rung. Dass unter den Unterzeichner*innen auch Gemein­de­rä­te der ÖVP sind, ist beson­ders erwäh­nens­wert, rich­tet sich der Pro­test in dem Schrei­ben doch direkt gegen ihren eige­nen Lan­des­rat. (kurier.at, 20.10.23)

Die Grü­nen haben nun eine Anfra­ge an Lan­des­rat Wolf­gang Hatt­manns­dor­fer ein­ge­bracht und wol­len wis­sen, ob

eine Spen­de an eine rechts­extre­me Grup­pie­rung, deren Sym­bo­le gemäß der Grund­la­ge des Sym­bo­le-Geset­zes ver­bo­ten sind, ein Aus­schluss­kri­te­ri­um für ein Jugend-Ehren­zei­chen” ist und ob „es die Möglichkeit [gibt] ein Jugend-Ehren­zei­chen im nach­hinhein zu ent­zie­hen”: „Wenn ja, wäre eine akti­ve finan­zi­el­le Unterstützung für eine vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­te­te und als rechts­extrem ein­ge­stuf­te Grup­pie­rung wie die Identitären Anlass dazu?

Wien: Nationalrat beschließt auch posthume Aberkennung von Ehrenzeichen

Im Natio­nal­rat wur­de eine Novel­lie­rung des Ehren­zei­chen­ge­set­zes beschlos­sen, wie der Pres­se­dienst des Par­la­ments bekanntgab:

ÖVP, SPÖ, NEOS und Grü­ne stimm­ten heu­te für den von der Regie­rung vor­ge­leg­ten Gesetz­ent­wurf, der künf­tig auch die Aberken­nung von Ehren­zei­chen nach dem Tod der geehr­ten Per­son ermög­licht. Zudem wer­den die Bestim­mun­gen für die Ver­lei­hung und Aberken­nung diver­ser Ehren­zei­chen des Bun­des ver­ein­heit­licht. Gegen das Vor­ha­ben stimm­te ledig­lich die FPÖ: Sie sprach sich gegen „eine Demon­ta­ge der Geschich­te“ aus. (ots.at, 19.10.23)

In der öster­rei­chi­schen NS-Nach­fol­ge­re­pu­blik wur­den zahl­rei­che Nazi-Täter geehrt wie etwa Hans Glob­ke, ein Mit­ver­fas­ser der „Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­ze“, der im Jahr 1956 mit dem „Ehren­zei­chen für Ver­diens­te um die Repu­blik Öster­reich“ aus­ge­zeich­net wur­de, was wie­der­um im Jahr 2018 die ver­spä­te­te The­ma­ti­sie­rung die­ses Pro­blems anstieß und zum Anlass­fall der par­la­men­ta­ri­schen Dis­kus­si­on wur­de. Dass die rechts­extre­me FPÖ, die bekannt­lich von ehe­ma­li­gen SS-Män­nern gegrün­det wur­de, als ein­zi­ge Par­la­ments­frak­ti­on gegen den Ent­wurf stimm­te, über­rascht nicht. Man durf­te jedoch auf die Argu­men­ta­ti­on der blau­en Fraktionsredner*innen gespannt sein.

Wenig von der nach­träg­li­chen Aberken­nung von Ehren­zei­chen hält hin­ge­gen die FPÖ, wie Susan­ne Fürst und Harald Ste­fan aus­führ­ten. Es hand­le sich um rei­ne Sym­bol­po­li­tik, zudem sei die FPÖ gegen „die stän­di­ge Demon­ta­ge der Geschich­te”, mein­te Fürst. Das gel­te auch für die Umbe­nen­nung von Stra­ßen und den Abriss von Denk­mä­lern. Es gebe sicher „eine erkleck­li­che Anzahl” von Per­so­nen, bei denen man heu­te nicht mehr ver­ste­he, war­um sie in der Ver­gan­gen­heit einen Orden oder ein Ehren­zei­chen bekom­men haben, so Fürst, die­se wie­der abzu­er­ken­nen, sei aber nicht der rich­ti­ge Weg. Auch Abge­ord­ne­ter Ste­fan hält es für pro­ble­ma­tisch, „Geschich­te mit dem Zei­ge­fin­ger der Gegen­wart zu mes­sen”. Schließ­lich kön­ne sich die Ein­schät­zung einer Per­son rasch ändern. (ots.at, 19.10.23)

Wir ler­nen: Wenn Nazi­ver­bre­cher heu­te als sol­che benannt und dar­aus Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den, bezeich­net dies die FPÖ eine aus ihrer Sicht unzu­läs­si­ge „Demon­ta­ge der Geschich­te” und als „pro­ble­ma­tisch”.

Wien-Linz-Salzburg: Antisemitische Angriffe

Eine Grup­pe Jugend­li­cher hat in der Nacht von Frei­tag auf Sams­tag die israe­li­sche Flag­ge vom Wie­ner Stadt­tem­pel in der Sei­ten­stet­ten­gas­se im 1. Bezirk geris­sen. Wäh­rend des anti­se­mi­ti­schen Van­da­len­ak­tes imi­tier­te eine jun­ge Frau Maschi­nen­ge­wehr­schüs­se in Rich­tung des Tem­pels. Die 17-Jäh­ri­ge konn­te aus­ge­forscht wer­den und wur­de auf frei­em Fuß ange­zeigt. Die Tat ist durch ein Han­dy­vi­deo doku­men­tiert, das seit­her tau­sen­de Klicks in den sozia­len Medi­en sam­melt. (kurier.at, 21.10.23) War­um einer der zen­trals­ten Orte jüdi­schen Lebens in Öster­reich trotz der erhöh­ten Ter­ror­warn­stu­fe und trotz der anhal­ten­den anti­se­mi­ti­schen und ter­ror­ver­herr­li­chen­den Demons­tra­tio­nen in Wien nicht rund um die Uhr bewacht war, ist seit­her Gegen­stand von Fra­gen und Kri­tik.

In Linz kam es am Sonn­tag Abend zu einem ähn­li­chen Delikt mit anti­se­mi­ti­schem Hin­ter­grund: Die von der Stadt gehiss­te Isra­el-Flag­ge vor dem Alten Rat­haus auf dem Haupt­platz wur­de von Jugend­li­chen her­un­ter­ge­ris­sen, anschlie­ßend tram­pel­ten sie dar­auf her­um. Es ist bereits das zwei­te Mal seit dem von der Hamas ver­üb­ten Mas­sa­ker am 7. Okto­ber, dass die Flag­ge in Linz beschä­digt wur­de. Vor dem Salz­bur­ger Schloss Mira­bell wur­de die Flag­ge am Wochen­en­de bereits zum drit­ten Mal vom Fah­nen­mast geris­sen. (nachrichten.at, 23.10.23)

Am Sams­tag gab es in Wien erneut eine Demons­tra­ti­on, bei der mit Hamas-Glo­ri­fi­zie­rung, NS-Rela­ti­vie­rung und Ver­nich­tungs­auf­ru­fen gegen den jüdi­schen Staat nicht hin­ter dem Berg gehal­ten wurde:

Wien: Hitlergruß bei Viennale-Fest

NS-Wie­der­be­tä­ti­gung kann auch an uner­war­te­ten Orten pas­sie­ren, so etwa bei einer Par­ty der Vien­na­le in der Wie­ner Kunst­hal­le am ver­gan­ge­nen Sams­tag. Ein Mann hat dort mehr­mals im Ver­lauf von einer Stun­de den Arm zum Hit­ler­gruß nach oben gereckt. Das Sicher­heits­per­so­nal soll Augenzeug*innen zufol­ge nur sehr zöger­lich reagiert haben, sodass der Mann mit dem ver­bo­te­nen NS-Sym­bol über einen län­ge­ren Zeit­raum unge­stört pro­vo­zie­ren konn­te. Die Vien­na­le-Ver­ant­wort­li­chen wider­spre­chen die­ser Dar­stel­lung: Der Mann sei zuerst ver­warnt, dann des Lokals ver­wie­sen wor­den. Anzei­ge wur­de bis dato weder durch die Augenzeug*innen, noch durch das Fes­ti­val erstat­tet. (Quel­le: diepresse.com, 23.10.23)